Endstation Diplom
Nach dem Hochschulabschluss sollen junge Akademiker ins Berufsleben starten. Praktika stellen hierbei eine nützliche Erfahrung dar, doch was wenn das Praktikum zum Dauerzustand wird ?
Vor einigen Jahren sah die Situation anders aus. Junge Hochschulabsolventen die von den Universitäten in die Berufswelt eintraten, fanden ein breites Angebot an Arbeitsplätzen vor, welche entsprechend der benötigten Qualifizierung, mit Traumgehältern bezahlt wurden.
Heute hat sich das geändert. Zwischen Ausbildung und Beruf ist eine häufig mehrere Jahre dauernde Praktikaphase getreten, welche von Wissenschaftlern und Experten als „floundering period“ bezeichnet wird. Eine Phase, in der man zappelt wie eine Flunder.
Nach dem Börseneinbruch 2001 hat sich die Lage für Jungakademiker in vielen Branchen deutlich verschärft. In manchen Bereichen ist es nahezu unmöglich, eine reguläre Stelle zu bekommen. Um die Wartezeit auf eine solche Stelle zu überbrücken bewerben sich immer mehr Absolventen als Praktikanten, obwohl sie bereits hoch qualifiziert sind. „ Seit 2002 hat sich dieses Phänomen potenziert“, sagt Werner Brendli vom Hochschulteam der Münchner Agentur für Arbeit.
Der Andrang von Akademikern auf Praktikantenstellen bringt Konsequenzen mit sich. Wo früher immerhin ein kleines Gehalt versprochen wurde, wird jetzt oft gar nichts mehr gezahlt.
Nelke Mayenknecht, Inhaberin einer Agentur für Marktforschung, ist dieser Wandel ebenfalls aufgefallen. „Es ist inzwischen vollkommen üblich, dass Praktikanten voll arbeiten, aber kein Geld bekommen“, erklärt sie. Viele Jungakademiker sind bereits der Auffassung, bezahlte Praktika seien mittlerweile überhaupt nicht mehr möglich. Selbst Jahrgangsbeste eines Studiengangs, bewerben sich bei Betrieben nur um ein Praktikum.
Ein weiterer Trend zeichnet sich deutlich in den Branchen ab: Firmen ersetzen die regulären Mitarbeiter durch junge, engagierte Praktikanten. In Hessen etwa stieg deren Zahl 2003 um über 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Auch Jobbörsen wie beispielsweise die Seite Jobpilot oder Zeitungen, weisen einen immensen Zuwachs der Stellenangebote für Praktikanten auf, während feste Stellen eine immer geringere Relevanz zu haben scheinen.
Bei den zahlreichen Angeboten für Praktika werden Bewerber gesucht, die „mindestens ein halbes Jahr“ bleiben und fähig sind „selbstständig zu arbeiten“. Die unbezahlten Arbeitskräfte erfüllen oft verantwortungsvolle Jobs und verwalten ganze Betriebszweige oder Werbeetats. Sie arbeiten vor allem in der Kultur- und Medienbranche, in Werbeagenturen, Kanzleien und Stellen im sozialen oder Marketingbereich.
Viele der jungen Hochschulabsolventen setzen hierbei auf den „Klebeeffekt“. Man hofft, dass das Unternehmen Gefallen an der Arbeit findet und dem Praktikanten eine reguläre Stelle anbietet.
Die Situation für die Absolventen ist jedoch je nach Studienfach unterschiedlich.
Christian Kerst, Forscher für das Hochschul-Informations-System, erklärt: „Die Studienanfänger reagieren bei der Wahl ihres Fachs auf die Lage am Arbeitsmarkt. So entstehen immer diese unschönen zyklischen Bewegungen.“ Das Überangebot an Absolventen in einem Fachbereich kann also bei der nächsten Generation in einen Mangel umschlagen.
Hilmar Schneider, Direktor für Arbeitsmarktpolitik am Bonner Institut Zukunft der Arbeit (IZA) ist sich nicht sicher, ob die Unternehmen den Ernst der Situation begriffen haben: „Gut ausgebildete Leute kann man sich nicht einfach pflücken, man muss sie heranreifen lassen.“
Durch die demografische Entwicklung der Bevölkerung und der Überalterung der Gesellschaft, schrumpft die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter und ein Arbeitskräftemangel könnte schwer auszugleichen sein. Dies wird unterstützt durch die Tatsache, dass junge Menschen immer länger studieren und viele aufgrund mangelnder Perspektiven ihr Studium sogar ohne Abschluss abbrechen. Durch diese Gesamtsituation verschiebt sich die Familiengründung immer weiter nach hinten, was angesichts der geringen Geburtenzahlen in Deutschland besonders bedenklich ist.
Diplomarbeitslos
Nach jahrelangem Studieren, Lernen und zahlreichen Klausuren treten die frischen Jungakademiker endlich aus ihrer schulischen Ausbildung und strömen auf den Arbeitsmarkt, in der Hoffnung, dass jetzt das große Geld wartet und sie einen guten Job finden. Wozu hat man denn sonst studiert? Ein Wunschtraum.
Die Realität sieht leider ganz anders aus, denn immer mehr Hochschulabsolventen stehen nach ihrem Abschluss vor einem geschlossenen Tor zum Arbeitsmarkt. Nebenan bietet sich ihnen die wundersame Welt des Markts für Praktika, dessen Zustände eher an einen Flohmarkt erinnern, als an einen Ort an dem man Angebote zum „hereinschnuppern“ in Jobs findet.
Das Praktikum. Früher eine Alternative für Unentschlossene und Neugierige um herauszufinden, ob der Job dem sie sich gerne widmen würden auch den Vorstellungen entspricht. Heute ist dies jedoch eine maßlose Ausbeute engagierter Arbeitskräfte. Die Wandlung vom „Schnupperpraktikum“ zum unbezahlten Langzeitaufenthalt in einer Firma hat sich dramatisch schnell vollzogen. Die vielen Jungakademiker die bei Firmen eine Stelle suchen, fragen allesamt in weiser Voraussicht nur nach einem Praktikum, aus Angst vor totaler Ablehnung oder der Konkurrenz ihrer ehemaligen Mitschüler.
Die hoch qualifizierten Praktikanten werden von den Firmen als willkommene Billigalternative zu regulären Arbeitern gesehen, da sie massenweise bei den Unternehmen anfragen und somit auch immer „Nachschub“ vorhanden ist. In Jobangeboten suchen sie nach Arbeitern die mindestens ein halbes Jahr lang bleiben und in der Lage sind selbstständig und alleine zu arbeiten. Das Wort Lohn scheint ihnen unbekannt zu sein.
In den Firmen verwalten und steuern die Hochschulabsolventen ganze Betriebszweige oder Etats und erfüllen diesen Job mit ihren hohen Fähigkeiten und Qualitäten nahezu perfekt. Die Firmen profitieren davon, denn sie erhalten die Arbeit eines ansonsten teuren Diplomarbeiters, völlig umsonst. Kein Wunder also, das in manchen Firmen die Praktikanten schon über die Hälfte der Belegschaft stellen. Wer den Wünschen der Geschäftsleitung nicht folgt, wird einfach entlassen. Es gibt ja genügend hungrige Nachfolger.
Dass dies alles nach Ausbeute klingt, will natürlich keiner so gerne zugeben. Fakt ist jedoch: Der von den Praktikanten erhoffte Klebeeffekt wird nicht einsetzen, da die Firmen ständig einen neuen engagierten Nachfolger einstellen können, sobald das Praktikum des Ersten abläuft. Eine unangenehme Folge dieses Vorgangs stellt die Tatsache dar, dass manche Absolventen schon zu viele Praktika in ihrem Lebenslauf stehen haben. Sie wagen nicht mehr diese alle aufzulisten – aus Angst potenzielle Arbeitgeber könnten an der Integrationsfähigkeit der Bewerber zweifeln.
Sehr oft hört man unter den jungen Hochschulabsolventen den Satz „Ich mache jetzt noch ein Praktikum“. Dieser Satz klingt in den Ohren eines normalen Menschen vielleicht positiv, für den Betroffenen ist die Lage jedoch sehr ernst. Als Schulabgänger auf der Suche nach einem Job haben die Absolventen keinerlei Anrecht auf ein Arbeitslosengeld oder ein Startkapital für die von vielen geforderte Ich-Ag aus Eigeninitiative, da sie noch nie gearbeitet haben. Viele der Dauerpraktikanten nehmen Praktika nur noch an, um nicht als Langzeitarbeitslos dazustehen. Man spricht hier auch oft von dem „Hysterese-Effekt“ aus der Physik: Wenn man Metalle einmal verbiegt, biegen sie sich zwar wieder zurück, aber nicht vollkommen. Es bleibt immer ein kleiner Schaden zurück. So ergeht es auch den Praktikanten. Sie müssen, wenn das Praktikum sinnvoll sein soll, voller Hoffnung und Tatendrang sein. Doch wenn dies zu nichts führt, ist er enttäuscht und es fällt ihm bei seinem nächsten Praktikum schwieriger, sich erneut zu motivieren.
Durch das steigende Alter der Absolventen, welche sich oft schon jenseits des Bafög-Alters befinden, sind diese oft dazu gezwungen bei Eltern und Freunden um finanzielle Hilfe zu suchen. Dies verhindert einerseits, dass die Absolventen solide in ihrem eigenen Leben stehen können und andererseits eine sorgenfreie Zukunft. Wie soll man eine Familie gründen wenn man weder Job noch Geld hat, vielleicht sogar schon verschuldet ist? Es ist also nicht verwunderlich, dass viele vor allem männliche Akademiker ihre Familiengründung immer weiter verschieben und sich sogar schon beim eingehen einer Partnerschaft zurückhalten oder gehemmt fühlen.
Es ist natürlich richtig, dass die vielen Praktika die in einem sehr verantwortungsvollen Bereich stattfinden, den Praktikanten sehr helfen und man mit mehr Erfahrung immer leichter eine Stelle findet. Doch all die Erfahrung bringt nichts, wenn die Praktikanten sich bei der Suche nach einem regulären Job selbst im Weg stehen und Firmen die vielen Praktika in einer Bewerbung nur müde belächeln, aber nicht als Erfahrung ernst nehmen.
Die deutsche Wirtschaft behandelt Raubbau mit den von so vielen, unter anderem auch Bundespräsident Horst Köhler, geforderten „Eliten“. Bei der momentanen Situation ist es vielen nicht zu verübeln, wenn sie sich fragen wieso sie denn überhaupt studiert haben, wenn es ihnen jetzt genauso oder sogar schlechter geht wie einem arbeitslosen Dachdecker. Der bekommt immerhin Arbeitslosengeld. Diplomarbeitslosigkeit als Schicksal, keine sehr schöne Vorstellung. Auch Eltern können in Anbetracht dieser Tatsachen wohl kaum hoffen, dass es ihren Kindern einmal besser gehen wird als Ihnen.
Die einzige Lösung dieses Problems wäre ein Praktikantenboykott: Niemand der bereits einen Abschluss hat macht noch ein Praktikum, egal für welches Geld. Wenn die Firmen diese Praktikanten nicht mehr bekommen wären sie gezwungen sich wieder nach festen Angestellten umzusehen. Nur leider müsste dieser Boykott kollektiv sein. Und da nicht alle mitmachen, wird er auch nicht stattfinden.