USA und Europa...Stellungnahme eines Schriftstellers

Ego Maniac

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..habe heute in der Welt folgenden Artikel gefunden der mir ganz gut gefallen hat...lest ihn euch doch mal durch und sagt eure Meinung...

Keiner hat das Recht, nur seine Pflicht zu tun
Warum sich Europa und Amerika nicht verstehen. Eine Polemik
von Robert Menasse

Gewalt ist primitiv. Das ist sie auch, wenn sie mit „intelligenten Waffen“ ausgeübt wird – wobei dahingestellt sei, ob Waffen nicht erst dann als „intelligent“ zu bezeichnen wären, wenn sie, statt willfährig jedem Idioten zu gehorchen, sagen könnten: „This war is stupid!“ Gewalt, wenn sie nicht der Notwehr entspringt, ist immer ein Symptom für Rückständigkeit: Sie schließt jeden zeitgenössischen Konflikt unmittelbar kurz mit der einzigen Konfliktlösungsmethode, die die Steinzeit zur Verfügung hatte. Aus der Frage, wer in einem Konflikt Recht hat, entwickelte sich ein aufgeklärtes Rechtssystem bis hin zur Idee und (noch unvollkommenen Praxis) eines Völkerrechts. Aus der Frage, wer die größere Keule hat, entwickelte sich die Weltherrschaft der USA.


Bush’s Law „Führe Kriege nur noch gegen Länder, die den Krieg anschließend auch bezahlen können“ ist zwar die erste Innovation auf dem Gebiet der Kriegstheorie seit Clausewitz, aber: So avantgardistisch dieser Gedanke auch ist, er ist doch nur ein primitiver Reflex auf die strukturelle Rückständigkeit der USA gegenüber Europa: Die europäische Politik ist bereits nachnational, während die USA Politik noch immer nur als nationale Interessenspolitik begreifen können. Die europäische Politik ist nach den Erfahrungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu Recht den Weg der Friedenspolitik gegangen, während die USA trotz ihrer Erfahrungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts immer noch auf militärische Eroberung und militärische Absicherung ihrer Märkte und Ressurcen setzt. Die USA mögen in der technologischen Entwicklung Vorreiter und daher in der Produktion des gesellschaftlichen Reichtums Europa quantitativ voraus sein, in der Frage der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums aber sind sie im Vergleich zu Europa abgeschlagene Nachzügler. Der Unterschied zwischen US-Marktwirtschaft und europäischer sozialer Marktwirtschaft ist etwa so groß wie der zwischen der Keilschrift und dem Angebot der Frankfurter Buchmesse. Die Ideen der Aufklärung mögen vor 200 Jahren in den USA weitergehend verwirklicht gewesen sein als damals auf dem „alten Kontinent“, mittlerweile sind aber die USA Nachzügler sogar ihrer eigenen konstitutiven Ideen geworden: Vom Einfluss der Religion auf die Politik bis zur Todesstrafe zeigen sich die USA heute sogar für ihre Sympathisanten als Entwicklungsland der Aufklärung.


In Frankreich ist die bürgerliche Revolution gemacht, in Deutschland ist sie gedacht worden. Diese Länder heute ausspielen zu wollen gegen die Willfährigkeit der politischen Eliten, die vor wenigen Jahren noch totalitäre Staaten regiert haben, zeigt, worin die Entfremdung zwischen Europa und den USA heute im Wesentlichen besteht – und warum sie weiter wachsen wird: das „alte“ Europa definiert Demokratie und Rechtszustand heute als ein System der Mündigkeit und als ein Verhältnis mündiger Partner. Hier treffen sich, endlich, in der Praxis die Leitideen der Aufklärung („Aufklärung ist der Ausweg der Menschen aus ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit“) mit den Konsequenzen des Beitrags, den die USA zur Befreiung Europas vom Faschismus geleistet haben. Die USA aber definieren heute Demokratie und Rechtszustand als ein Verhältnis zwischen Leitmacht und Vasallen. Hier kann es keine Übereinstimmung geben, außer in ideologisch durchsichtigen Sonntagsreden oder hilflosen diplomatischen Cocktail-Empfängen. Hier zeigt sich allerdings auch, dass die Geschichte von der amerikanischen Befreiung vom europäischen Faschismus immer schon nur die halbe Wahrheit war: Die USA ließen den Franco- und den Salazar-Faschismus in Europa ebenso intakt, wie sie hochrangige Nazis schützten, soweit sie ihnen im Kalten Krieg nützlich waren.
Im Grunde werden Europa und USA heute durch ihre gemeinsame Geschichte getrennt: Europa, soweit wir lernen und lernen wollen, uns mit dem Kontinent zu identifizieren, hat aus der halben Wahrheit versucht, eine ganze zu machen. Die USA aber haben versucht, aus der halben Wahrheit eine ganze Legitimation für ihre Hegemoniebestrebungen zu zimmern. Nur deshalb gelten die osteuropäischen, demokratisch unerfahrenen Länder den USA heute als „Neues Europa“: Weil sie sich als die neuen Vasallen andienen.


Aus eben diesem Grund wird aber der Irak-Krieg zu einem neuen Vietnam für die USA werden – nicht unbedingt im militärischen Sinn, zweifellos aber in Hinblick auf die Reaktionen der Weltöffentlichkeit, vor allem der „alten“ europäischen Öffentlichkeit: Es gibt kein Argument, das begründen könnte, warum das Völkerrecht gebrochen werden muss, um ein Volk zu befreien. Und es gibt kein Argument, das begründen könnte, warum ein arabisches Land nun mit aller Gewalt „demokratisiert“ werden soll, wenn es kein einziges arabisches Land gibt, das demokratisch ist. In den USA werden Sheriffs gewählt. Genau dies aber gestehen die USA der Welt, die sie demokratisieren will, nicht zu: Selbsternannt legitimieren sie sich als Weltpolizei. „It’s our job!“ sagte Präsident Bush.


Und wieder hakt es an der Geschichte: Die Selbstverständlichkeit und Selbstgewissheit, mit der ein Amerikaner glaubt, dass der Satz „it’s my job“ augenblicklich legitimiert, was er tut, zeigt definitiv den Unterschied zwischen USA und Europa vor der Geschichte und in Hinblick auf die Zukunft: Hier ist der Satz „Ich habe nur meine Pflicht getan“ zu Recht auf alle Zeiten desavouiert. Das kann ein Amerikaner nie begreifen, was die große europäische Lehre ist: „KEINER HAT DAS RECHT, NUR SEINE PFLICHT ZU TUN!“


Dieser Krieg ist nicht Notwehr – aber er wird wehrlose Not produzieren.


Der Schriftsteller Robert Menasse lebt in Wien.
 
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