Technisches Hilfswerk für Grobmotoriker

Temper

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Scharpings Demission war sicherlich ein gutplatzierter Befreiungsschlag mitten in eine der dümmsten Hackfressen der Republik. Leider hackte sie dem Schmutzberg Bundeswehr nur das faulige Haupt ab, obwohl doch jede Hausfrau weiß, daß die Fischsuppe von der Einlage her stinkt. Hier, in den Tiefen der Brühe, muß die Reform ansetzen, hier muß zunächst schonungslos analysiert und dann beinhart umgerührt werden. Unser Militär-Reporter Mario G. bekam dankenswerterweise die unfreiwillige Gelegenheit, auf einer Zugfahrt von Hamburg nach Berlin größere Kontigente der Bundeswehr zu inspizieren. Die Lösungvorschläge des selbsternannten Möchtegern-Clausewitz fielen durchweg vernichtend aus. Aber lesen Sie ruhig wieder selbst:

Tief ausatmend lasse ich mich in die flauschigen, spätachtzigerfarbenen Sessel des Freitagnachmittag-IC "Kurt und Paola Felix" flatschen und packe mein kernliberales Wochenblatt aus. Neben mir sitzt ein ruhiger Geheimratseckenträger, der sich in "Paulus Briefe an die Römer - Erläutert von Adolf Pohl" vertieft hat. Ich zwinkere dem nach Nivea-Creme riechenden Mann Gottes milde zu. Während ich mir gerade einen fanatisch ausgewogenen Beitrag einer Dönhoff-Reinkarnation über die neue Rolle Deutschlands in der Welt zu Gemüte führen will, beziehen zwei junge Menschen auf den Sitzen hinter uns Stellung. Leicht agrammatisch, aber immer schön hart und gehetzt fangen sie an, miteinander zu kommunizieren. Die Sätze ihrer Unterhaltung beginnen und enden meist mit "Alter" dazwischen wurden aufgeregt Belanglosigkeiten an den Mann gebracht, wie als der "Sani" zuviel getrunken hat oder der Unteroffizier gesagt hat "mir platzt gleich der Arsch".

"Aye aye, Sir", dachte ich mitfühlend, sicherlich gehören diese jungen Menschen zu den mental etwas leichter Beschürzten. Aber schön, daß sie bei der Bundeswehr gelandet sind. Dort finden sie bestimmt ihr Auskommen und einen Job mit viel Kameradschaft und frischer Luft. Neuerdings treiben sich da ja auch pummelige Frauen rum, wenn man mal was zum Ehelichen braucht. Alora Jungs, alles in allem, gute Wahl getroffen! Ich nickte mir selbst freundschaftlich für soviel Bonhommie zu und vertiefte mich wieder in mein ultraliberales Wochenblatt.

Kurz darauf startete Musik. An einer Vierersitzgruppe schräg gegenüber vor mir sind weitere Bundis auf Gefechtsstation gegangen und haben kleine Boxen auf das Tischchen gestellt, die voll aufgedreht wurden. "Die Jugend nimmt sich ihr Recht" dachte ich anerkennend. Sicherlich kann man langatmige Rezensionen politischer Bücher viel beschwingter bei Scooter und anderen preiswert klingenden Technokünstlern durcharbeiten, redete ich mir gut zu und krampfte mich lässig wieder in meine Zeitung rein.

Die Jungs hinter mir begannen nun langsam, aber konzertiert, ihren Restintellekt durch Nachstoßen größerer Mengen von Holsten auf das Niveau ihrer Seesäcke herunterzuprügeln. Ab Wittenberge konnten sie nur noch in Satzfragmenten kommunizieren. Es ging wohl um ein Manöver: "Alter, wir zu sechst. Der Hügel hier. Alter, wir also den Hügel gehalten, weeßte, ..." Es begann etwas zu nerven. Ich setzte ein gefrorenes Grinsen auf und versuchte weiter zu lesen. Nichts gegen die Bundeswehr, tolle Sache, viel frische Luft, wie gesagt, aber dass die Freunde aufgrund des Debilenbonus der deutschen Bahn zum kostenlosen IC-fahren ermächtigt sind, stört doch ein wenig. Könnte man die Jungs nicht auch in Regionalexpressen durch die Gegend schaukeln? Besaufen kann man sich doch genauso bei 45 km/h.
Auf der anderen Gangseite saßen auch Bundis, aber eher von der ruhigeren Fraktion, wahrscheinlich Gebirgsjäger oder Minenhunde oder sowas, die schweigsam eine in Mineralwasserflaschen umgefüllte bräunliche Flüssigkeit (Cola, Mezzomix, Bratensoße?) in sich hineinliterten. Einer davon mit einer imposanten Neurodermitis im Gesicht irritierte mich etwas, weil er nicht richtig runterschluckte, sondern immer ein kleines mit Speichel vermengtes Quentchen braunen Saftes nach dem Absetzen über die Lippen den Hals hinab laufen ließ. Es wirkte wie absichtlich, weil er das bei jedem Zug machte: Vielleicht eine spezielle Trinktechnik gegen seine Neurodermitis? Zur Mosquitoabwehr im Felde? Oder um nicht vergewaltigt zu werden, wenn man in russische Kriegsgefangenheit geriet? Sah jedenfalls mächtig eklig aus.
Viele scharfsinnige linke Publizisten halten die Bundeswehr ja für ein Werkzeug wiedergeborener Imperialismusambitionen Deutschlands.
Die Kollegen von der Schlaubergerdivision glauben, daß die "hidden agenda" der Bundeswehr ist, irgendwo einzumarschieren und andere Völker zu knechten und zu unterdrücken. Hihi, möchte ich da mit einem Blick auf den Speichelhermann neben mir vorsichtig anmerken. Das einzige, was der Bundeswehrsoldat an guten Tagen unterdrücken kann, ist der Harndrang, solange die Hose noch an ist. Also, an dieser Front darf man die Bundeswehr sicher auch mal verteidigen: Entwarnung für unsere armen Mitkollegen im Ausland. Der Panzer mit dem eisernen Kreuz wird auch morgen nicht durch Eure Basthütten rollen.

Die Bundis hinter uns waren wieder im Manöver und ahmten jetzt einen Leo zwo nach. Richtig wie kleine Kinder. "Alter, also wir jetze hier. Der Panzer. Wroom. Wroohoom. Weeßte, kommt hier nicht hoch, gräbt sich voll ein, wroomwroom, wroooaamm, wrooaam, Alter." Der Pastor und ich, wir lächelten uns schon nicht mehr so milde zu. Eher als hätten wir auf etwas verdammt Zartbitteres mit viel Blausäure gebissen.
 
Ich bin ja, ich hatte das schon mal angemerkt, bekennender Pazifist. Ich habe Zivi gemacht und während meines Dienstes Spritzen gegeben, Operationen vorbereitet, Todkranken Trost zugesprochen und in offene Wunden gehustet. Ich bin sicherlich der Letzte, der jetzt hier rumkriegstreibern will. Wirklich. Aber mal rein aus Effizienzgesichtspunkten: Wir haben mit Zins und Zinseszins seit 1955 insgesamt ca. 800 Milliarden Euro in die Bundeswehr gesteckt. Da könnte man doch erwarten, daß die Bundis uns in den fast 40 Jahren Ihres Bestehens mal was Lustiges dazuerobern, vielleicht sogar - ein Vorschlag von mir - etwas mit Strand. Deutschland ist doch geradezu umzingelt von prächtigen Urlaubsländern. Und was machen die Kollegen Soldaten: Juckeln mit dem Zug durch die Republik und geben sich die Kante. Wenn mein Hund einen derart müden Jagdtrieb zeigen würde - sorry, dass ich das so deutlich sage muss - ich würde das arme Kerlchen einschläfern lassen.

Die für die Todesspritze Nominierten dachten allerdings ganz und gar nicht ans Sterben: Unsere Freunde hinter uns begannen langsam mit geschüttelten Bierdosen Trinkspiele zu veranstalten.
Der Pastor und ich mußten nicht lange außen vor bleiben, sondern wurden schnell und unbürokratisch auf eine angenehm ekelerregende Art durch zu uns vorspritzende Gischt miteinbezogen. Der Kleriker hatte sein jesusartiges Lämmchenlächeln inzwischen abgelegt und sah nun eher aus wie Salomon, kurz bevor er den Philistern die Stadt zu Schutt und Asche trompetete. Ich beschloß, den Ort des feuchten Grauens vorübergehend zu verlassen und erstmal eine richtig feudale Abspannrunde auf der Zugtoilette einzulegen.
Ich mußte über und durch einige auf den Gang herumliegende Soldaten steigen, die mich klug und aufmerksam wie tote Kühe anglotzten, um die Naßzelle zu erreichen. Es war nicht exakt das, was ich suchte: Die Bundis hatten die Toilette komplett unter Wasser, Bier und Urin gesetzt. Sie hatten offensichtlich eine verdammte Party da drin gefeiert. In der Soße schwamm als Flaggschiff inmitten eines Begleitkonvois von Kippen eine etwas längere Herrenunterhose. Das gab mir erstmal den Rest. Was bitteschön muß ver****t noch mal passieren, dass ich meinen Slip auf der Fahrt von Hamburg nach Berlin verliere? Die Fahrt geht gerade mal zwei Stunden. Da kann es doch auch ein Mensch mit hart zusammengetretenem Intellekt irgendwie managen, mit kompletter Unterwäsche anzukommen.

Ich beschloß, die Naßzellensession zu verschieben und begab mich auf den Rückzug zum Pfarrer. Dort begann ich unter Einschlägen von Bierschaumgarben, Lösungen für unser Problem zu überlegen. Der Pfarrer machte mir durch ein Schützengrabenkameradengrinsen klar, daß er im Geiste mitüberlegte. Man muß die Bundeswehrreform eigentlich ähnlich radikal wie beim Vorgängerverein angehen, dachten wir: Die Wehrmacht hat sich ja bekanntlich nach einer Reihe von in den Sand gesetzten Weltkriegen und hastigen Trainerwechseln mehr oder weniger freiwillig selbst aufgelöst. Vielleicht sollte die zu einer Mischung von FDJ, Aktion Sorgenkind und technischem Hilfswerk für Grobmotoriker verkommenen heutigen Streitkräfte auch einen derartigen Abgang mit saftigem Plopp anstreben. Jeder sagt doch immer: Bevor ich so als ein geistesbehinderter sabbernder Krüppel ende, würde ich mich lieber umbringen. Die Bundeswehr könnte es jetzt langsam mal tun: Einen verlorenen Krieg gegen Polen fände ich zum Beispiel super. Ich würde den Schnauzkis im Zuge des darauf folgenden Schanddiktates auch Sachsen-Anhalt und Westberlin dafür abtreten. Die Kriegswende für die Polen brächte aber zunächst eine riesige winterliche Panzerschlacht ("wroomwroom") in der Nähe von Lublin, nach der Millionen gefangener deutscher Soldaten ohne Unterhosen durch den Schnee Ostpolens getrieben werden. Yeah. Dann wäre erstmal zehn Jahre wieder Ruhe im Karton. Bis zur nächsten Wiederbewaffnung.

Naja, irgendwann kamen wir dann am Zoo an und ich bin - dem Pfarrer noch kurz Mut zunickend - ausgestiegen. Als ich später auf dem Balkon mit einem Glas Brause der Sonne beim Runterkommen zusah, war es dann rückblickend doch alles nicht so schlimm. Ich will ja auch eigentlich nicht dauernd besserwisserisch über fremde Menschen schimpfen, aber eins muß doch mal gesagt werden dürfen: Wir sind alle aus dem Material längst verglühter Sterne gemacht, da kann man doch die kurzen 70 Jahren, die man hier vor Ort ist, auch bißchen ambitionierter angehen. Aus diesem Leben läßt sich definitiv mehr rauspressen als Durchsaufen und Rumdämmern, liebe Freundinnen und Freunde. Ab und an kann man auch mal stolz und erhaben funkeln. Das ist ja wohl das mindeste, was wir den verglühten Sternen schulden, was?

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