Buchbesprechung der taz zu 20 Jahre HipHop... und Bei uns geht einiges

Arne2000

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Letzten Freitag hat die taz in ihrem Kulturteil die beiden wohl wichtigsten Buecher ueber HipHop in Deutschland rezensiert. Ich stell die Rezension jetzt einfach mal kommentarlos rein

Die Zeichen an der Wand
Geschichte wird gemacht (es geht voran): Neue Bücher rekapitulieren Aufstieg und Karriere der HipHop-Kultur in Deutschland. Trotz geheimwissenschaftlicher Attitüde und zu viel Vertrauen in "oral history" bieten sie Einblicke in den Bauch der Subkultur
von THOMAS WINKLER

Die Frage, die entscheidende, stellten Advanced Chemistry bereits 1993 mit ihrer Maxi "Welcher Pfad führt zur Geschichte?" Damals war deutscher HipHop noch ein Phänomen, das sich vor allem an U-Bahnen und Unterführungen als Graffiti manifestierte, während dem musikalischen Arm der Bewegung, dem Rap, nur eine sehr marginale Rolle im Popgeschäft zukam.

Sieben Jahre später hat sich das Bild völlig gewandelt. Die U-Bahnen sind wieder sauber, dafür aber steht deutscher Rap nun in den Charts, und das nicht zu knapp. Deutscher HipHop ist im Mainstream angekommen.

Um an diesem Boom zu partizipieren, drängen in letzter Zeit mehrere Bücher auf den Markt, welche die Karriere der HipHop-Kultur zu beleuchten versprechen. Die Ansätze gehen dabei weit auseinander, wie sich schon an den beiden vorerst wichtigsten Veröffentlichungen zeigt: So geriert sich "20 Jahre HipHop in Deutschland" von Sascha Verlan und Hannes Loh schon durch seinen historisch fragwürdigen, aber staatstragend klingenden Titel als Standardwerk, das sich um eine halbwegs objektive Draufsicht bemüht. In ihrem Buch "Bei uns geht einiges" haben die Autoren Sebastian Krekow und Jens Steiner dagegen vor allem Bekenntnisse von Aktivisten in deren eigenen Worten zusammengestellt.

Sascha Verlan kam einst als gelernter Fremdsprachenassistent zum Rap, weil ihm "der Themenkanon universitärer Literaturwissenschaft zu rückwärts gewandt" erschien. Er und sein Partner Loh, der als Mitglied der Hardcore-Polit-Rapper Anarchist Academy bekannt geworden ist und der auch als konkret-Autor nicht unumstritten war, stürzen sich aber mitnichten in die Textexegese. Stattdessen bauen auch sie ihre Betrachtungen größtenteils auf die Erzählungen der Beteiligten, auf oral history, auf.

Damit verlagert sich letztlich auch ihre Perspektive zur Binnensicht. Mehr oder weniger unkommentiert lässt Verlan seine Zeitzeugen jene glorreichen Anfangstage Mitte der 80er-Jahre beschwören, als eine eingeschworene Gemeinschaft mit dem Tramperticket der Deutschen Bundesbahn jedes Wochenende umherreiste zwischen U-Bahn-Lagerhallen, wo man Waggons besprühte, und Jugendzentren, wo die quasi konspirativen Jams stattfanden. Die Fantastischen Vier werden hier einmal mehr als faustische Clique gezeichnet, mit der von der mephistophelischen Plattenindustrie ausgestellten Lizenz zum Gelddrucken versehen. Dabei wird die Rolle des Quartetts aus Stuttgart von der Szene selbst längst schon sehr viel differenzierter gesehen, und der kommerzielle Erfolg des HipHop als Chance oder zumindest als natürliche Entwicklung begriffen.

Ausnahmen und Regeln

Verlans Koautor Hannes Loh klagt in seinen Beiträgen jedoch recht penetrant ein politisches Gewissen und eine gesellschaftliche Verantwortung ein, die eine große Mehrheit der deutschen HipHopper nie wirklich besessen hat - wie im Übrigen auch nicht ihre US-Vorbilder, bei denen Figuren wie KRS-One und Chuck D. ebenfalls die Ausnahmen von der Regel darstellen. Wo Verlan der Abstand zur Szene fehlt, täte Loh ein wenig Distanz zur eigenen Ideologie ganz gut. Denn auch wenn man als Leser seine Meinung teilen mag - einer Kunstform wie HipHop wird der Autor sicher nicht gerecht, wenn er sie ständig auf ihre sexistischen und homophoben Elemente reduziert und ihm dabei offensichtlich grundsätzlich Zugang wie Verständnis für die nun mal notgedrungen unreflektierende Verfasstheit von Jugendkulturen abgeht. Den Kreuzberger Pimp-Rapper Kool Savas in die Nähe von Neonazis und Ku-Klux-Klan zu rücken, geht jedenfalls entschieden zu weit.

Grundsätzlich aber bemüht sich "20 Jahre" um ein umfassendes Bild. Zwar hätte der Band in sich ein wenig mehr Struktur vertragen, der nichtmusikalische Teil der HipHop-Kultur ausführlicher behandelt und insbesondere der Osten der Republik besucht werden können. Dafür aber widmet sich das Buch ausführlich einem verdrängten Subtext der HipHop-Erfolgsstory: Erstmals wird hier die Übernahme des deutschen Rap durch die Sprösslinge des Mittelstandes dargestellt und damit einhergehend die Verdrängung der Migrantenkinder, die in den Anfangstagen noch das Bild bestimmten. Fast vergessene Fußnote: Die erste echte deutsche Rap-Platte war einst "Ahmed Gündüz" von Fresh Familee, ein Song von einer deutschtürkischen Crew über die Migrantenproblematik.

Fehlenden Abstand zu ihrem Thema kann man bei Krekow und Steiner, dem Autorenduo von "Bei uns geht einiges", dagegen erst gar nicht einklagen. Als Rapper, Graffiti-Writer oder Fanzine-Macher sind beide selbst Aktivisten, Krekow gar "versteht sich als Missionar einer Subkultur", wie es in seiner Kurzbiografie heißt. Beide waren auch schon beteiligt an dem "HipHop-Lexikon", das ebenfalls beim Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf erschienen ist. Manche der Texte im neuen Buch nun sind als Porträt angelegt, manche wurden von den Aktivisten selbst geschrieben, die meisten aber sind aus Interviews zusammengesetzte Monologe, wie sie spätestens seit Feridun Zaimoglu auch hierzulande angesagt sind. Nur liest sich manches dieser Bekenntnisse wie ein Pflichtaufsatz zum Thema - da hätten ein wenig Konzept, Interviewführung und Schlussredaktion nicht geschadet, denn nicht immer haben die Protagonisten wirklich mehr zu erzählen als ihre ganz persönliche Geschichte, und nicht immer erwächst daraus etwas allgemein Gültiges: Man erfährt vieles, aber auch viel Belangloses. Allgemeinere Fragen dagegen werden oft nicht einmal am Rande gestreift: Warum etwa trat die Szene in manchen Städten schneller aus dem Underground an die Öffentlichkeit als anderswo? Warum und wie übernahmen die Mittelstandskids die Bewegung? Warum gibt es kaum aktive Frauen?

Solche Fragen aber will "Bei uns geht einiges" auch gar nicht beantworten. Es ist ein Familienalbum, ein Buch aus der Szene über die Szene für die Szene, mit Anekdoten und privaten Geschichten, in denen sich die Pioniere der Kultur selbst feiern dürfen. "Schließlich ist das kein offizielles Geschichtsbuch", schreibt Marcus Staiger in einer Einleitung. Und: "In zwei Jahren, wenn dann der Hype bestimmt vorbei ist, dann können wir unter uns diese Träume ja wieder zum Leben erwecken." Denn unter sich, das wollen sie bleiben.

Der Fixpunkt Fanta 4

So behauptet auch Steiger, über die Bedeutung der Fantastischen Vier zu diskutieren sei "nicht besonders lohnenswert", schließlich seien die ja "einfach nur die deutschen SaltnPeppa". Das zeugt nicht nur von einer arroganten Grundhaltung, sondern ist auch ziemlicher Humbug (und SaltnPepa darüber hinaus auch noch falsch geschrieben). Denn natürlich ist die Bedeutung der Fantastischen Vier für den HipHop in Deutschland vehement: Sie haben das Bild der ganzen Kultur hierzulande geprägt wie kein anderer Act, ob einem das nun gefällt oder nicht. Und für viele, die jetzt Musik machen, waren sie gar der erste Kontakt mit deutschsprachigem Rap, wie man sogar auf den folgenden Seiten des Buchs immer wieder nachlesen kann. Dort entsteht, wenn schon kein umfassendes, dann doch zumindest, in mitunter all seiner Langweilig- und Beliebigkeit, ein sehr ehrliches Bild von HipHop in D. Lücken ergeben sich aus der Auswahl der Protagonisten: Stuttgart und Frankfurt, obwohl neben Hamburg die momentan kommerziell ertragreichsten Zentren mit sehr lebendigen Szenen, werden kaum repräsentiert, die erst durchstartenden Berliner sind dafür überproportional vertreten - kein Wunder, denn die Autoren stammen aus der Hauptstadt.

Was beiden Büchern leider fehlt, ist eine Analyse jener Geschichte, die sie durchaus facettenreich erzählen. Wir erfahren, wenn auch nicht immer schlüssig, wie HipHop in Deutschland das wurde, was er heute ist. Aber wir erfahren nicht, warum. So spielt die Wiedervereinigung nur eine Rolle in den Biografien derer, die bereits zu DDR-Zeiten aktiv waren. Aber ob Wiedervereinigung und neues deutsches Nationalbewusstsein in irgendeinem Zusammenhang stehen mit dem Aufstieg von Rap zur erfolgreichsten deutschsprachigen Popmusik, davon spricht, natürlich und erwartungsgemäß tendenziös, nur der alte Autonome Loh. Ansonsten wird die Geschichte von HipHop in Deutschland auch acht Jahre nach "Die da" plötzlich wieder auf einen Konflikt zwischen den bösen Fantastischen Vier und den in die Rolle der Guten gedrängten Advanced Chemistry reduziert. In dieser Auseinandersetzung muss sich fast jeder, der zu Wort kommt (es sind fast nur Männer), positionieren. Dabei war, als dieser Streit um den wahren HipHop vor einigen Jahren zu den Akten gelegt wurde, schlussendlich erst jener Punkt erreicht, an dem HipHop in Deutschland sich von den amerikanischen Originalen emanzipierte und zu sich selbst kam. Doch statt diesen Aspekt anzusprechen, werden die Gefechte von gestern noch einmal aufgerollt.

Es ist dieser Hang zum Sektierertum, der aber auch den Reiz der Bücher ausmacht, verschafft er einem doch einen Blick in den Bauch einer Subkultur. Wenn einem die Sprühdose nicht in die Wiege gelegt wurde, können dabei allerdings manche Verständnisprobleme auftreten. "Auf ein lehrerhaftes Glossar wurde bewusst verzichtet", schreiben Krekow und Steiger in ihrer Einleitung. Solch ein Glossar bietet immerhin "20 Jahre HipHop in Deutschland", aber auch hier dominiert die geheimwissenschaftliche Attitüde. Gönnerhaft schreibt Verlan allen Journalisten ins Stammbuch: "Wer sich ernsthaft und aufgeschlossen darum bemüht, wird in der Szene ankommen." Erst wer drin ist, darf drüber schreiben. Bleibt die Frage, wie dann die Draufsicht noch funktionieren soll.

Kanon der Reimkunst

Für Lehrer und andere Außenseiter haben Loh und Verlan zum Trost noch ein dünnes Arbeitsbuch für den Deutschunterricht geschrieben, mit dem Titel "Sprechgesang: Raplyriker und Reimkrieger". Hier wird mit aller Macht bewiesen, dass Rap Literatur ist, indem "A.N.N.A." von Freundeskreis mit Kurt Schwitters "An Anna Blume" konfrontiert und die Battle-Kultur des HipHop in die Tradition des Dichterwettstreits und des Sandkastenreims gesetzt werden. Doch neben solch leicht zweifelhaften Versuchen, Rap in einen geisteswissenschaftlichen Kanon zu zwängen, wird hier in kompakter Form die Geschichte abgehandelt, verständlich für Außenstehende und nicht allzu wertend. Lohs missionarischer Eifer findet ein Ventil in seinen didaktischen Vorschlägen für den Unterricht. Ansonsten besteht ein guter Teil des Buches aus abgedruckten Songtexten - womit schlussendlich jener These Rechnung getragen wird, welche der Autor am Anfang des Buchs "20 Jahre HipHop in Deutschland" zwar postuliert, dann aber irgendwie vergessen haben muss: dass die Geschichte des deutschen HipHop in dessen Texte eingeschrieben ist.

Ob nun die Aufnahme in den Lehrplan unbedingt Not tut, um die Fackel des deutschen HipHop weiterzutragen, ist eine andere Frage. Man muss schließlich nur einmal durch die Republik reisen, am besten mit dem Zug, um zu sehen, dass HipHop seine Spuren hinterlassen hat, in Hamburg oder Stuttgart, aber auch in Kassel oder Erfurt. Man muss sie nur lesen, die Zeichen an den Wänden.


Sascha Verlan, Hannes Loh: "20 Jahre HipHop in Deutschland", Hannibal Verlag, Höfen 2000, 364 Seiten, 38 DM; Sebastian Krekow, Jens Steiner: "Bei uns geht einiges - Die deutsche HipHop-Szene", Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 2000, 384 Seiten, 19,80 DM; Sascha Verlan, Hannes Loh: "Sprechgesang: Raplyriker und Reimkrieger. Ein Arbeitsbuch - Materialien für den Unterricht", Verlag an der Ruhr, Mülheim an der Ruhr 2000, 110 Seiten, 24,80 DM
taz Nr. 6338 vom 5.1.2001, Seite 13, 384 Zeilen Kommentar THOMAS WINKLER , Rezension
 
Ja, die Rezension ist wirklich nicht schlecht.

Ach ja, was lustiges zu einem der Bücher
Ich lese zur Zeit "Bei uns geht einiges". Und in dem Interview mit FUAT steht :"Fuat identifiziert sich mit den Bonobo-Zwergschimpansen aus den Urwäldern des Kongos. >>Das sind die Sozialsten und die Ehrlichsten. Wenn einer kommt und Stress macht, wird er gleich bestraft. Wenn einer gut war, wird er mit Streicheleinheiten verwöhnt und belohnt.<<" (Bei uns geht einiges - Die deutsche HipHop-Szene, Seite 267) Tja, lieber Fuat. Ich hab letztens mal wieder im TV nen Bericht über die Bonobos gesehen. Das die sich viel streicheln stimmt. Aber noch mehr poppen die. Bei denen besteht die Bestrafung aus Sex-Entzug. Bonobos poppen die ganze Zeit. Scheißegal welches Geschlecht der andere hat, oder wie alt er ist. Die holen sich auch gegenseitig und selber einen runter. Tja, und wenn da einer Stress macht, dann wollen die anderen ihn einfach nicht mehr vögeln. So sieht das aus. Sollte man mal drüber nachdenken, ob das so die Vorstellung der idealen Kultur ist.
 
Wie soll das gehen?

Ich bin in diesem Buch auf etwas gestossen, was mich sehr verwundert hat. Zunächst lese ich auf Seite 40 folgendes von Smudo:

"...Deshalb gefällt mir jemand wie Kool Savas, weil sein Titel "Schwule Rapper" so ultra krass alle ankackt, die ein Mikro in der Hand haben.KLingt so, als wäre niemand sein Freund und darauf scheißt er.Klasse Song, auch wenn er natürlich für Haarespalter schwulendiskriminierend ist. Aber so jemand kommt natürlich nicht in mein Büro gelatscht."

Okay, schön und gut. Aber auf Seite 258 steht bei King Kool Savas das hier:

"Das Tape [mit LMS, Schwule Rapper, Warum Rappst Du, Mehr Als Erwartet] hat sie Chris Maruhn gegeben, der es so gut fand, daß er es überspielt und ein paar Leuten geschickt hat. Dazu zählten Showdown, Four Music und Peter von PDNTDR. Showdown und Four Music fanden es anscheinend richtig ekelhaft."

Wie es scheint, hat Four Music (also wohl auch Smudo) ein Tape von Savas bekommen und ihm keinen Plattenvertrag gegeben, sondern sich auch noch richtig über das Tape aufgeregt. Zumindest deute ich aus Smudos Kommentar, dass er gerne Savas bei Four Music hätte. Entweder erzählt jetzt einer Scheiße, oder ich habe die Textstellen ein bisschen falsch interpretiert.
Was denkt ihr?
 
jan:
wenn du ein demo an four music schickst, heißt das noch lange nicht, dass das unbedingt smudo hört!
der hat anderes zu tun, als sich da alles durchzuhören!
da gibts vorhörer, die da schon selektieren...

scheiße, langsam erkenne ich die not, dieses buch wohl auch lesen zu müssen...
 
Ja Lion, das klingt irgendwo naheliegend. Aber auch wenn es so sein sollte, finde ich es trotzdem lustig!
 
am 29. hab ich geburtstag, da krieg ich "bei uns geht einiges". dat andere buch hab ich ja schon. interessant ne?
 
ich bin auch grad dran "bei uns geht einiges" zu lesen. is echt ma interessant zu erfahren wie es in der ddr abging, dass die breaker dort als künstler angesehen waren oder dass auch mirko nonschef aktiv war! da wär ich wirklich gern dabei gewesen....... echt gutes buch!
 
naja, die antwort is zwar etwas verspätet, aber besser jetzt als niemals:
das buch ist ganz interessant. ich hab zwar die hälfte schon wieder vergessen, aber war schon nicht schlecht, weil das teilweise ganz interresant is die (mitunter etwas seltsamen) standpunkte der künstler zu lesen. aber es gibt sinnvollere aktvivitäten als dieses buch zu lesen................................
 
*räusper*...etwas spät, aber bei mir lag der Schinken unterm Weihnachtsbaum. Das werden wieder lange Lese-Nächte...aber Smudo redet in seinem Kapitel fast nur Müll
 
also ich finde, dass "bei uns geht einiges" sehr interessant,da z.bsp. auch was über rap in der ehemaligen ddr geschrieben wird,wovon ich zumindest vorher nie watt mitbekommen habe.
 
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