In meiner Blüte (2023)
Nicht gerade smooth verlief der Rollout von Shindys mittlerweile fünften Soloalbum In meiner Blüte. Mehrere Verschiebungen des Release, die nur zu 2/3 veröffentlichten Interviews mit Jan Wehn, dazu noch Spott von Farid Bang über den Pyjama aus Shindys Shop und ein Parodie Song von Kollegah, der einerseits sehr gelungen war, andererseits zu einer Flut an Troll Kommentaren beim Schindler sorgte. Eine bis dato quasi nicht-existente Promophase von dessen Seite aus half nicht gerade, dem Unmut seiner wartenden Fans entgegenzuwirken. Wegen dieser Botox Line auf Geld machen jung (der einzigen Single mit richtigem Musikvideo) hatte ich zudem die Befürchtung, dieses Album wird ein einziges Tik Tok Meme. Auch wegen der kurzen Tracklängen. Aber weit gefehlt …
Ich war überzeugt, Shindys kreativer Zenit sei überschritten. Nachdem In meiner Blüte seit Release bei mir auf Heavy Rotation läuft, muss ich diese Aussage allerdings zurücknehmen und bin daher aus meiner Versenkung zurückgekehrt. Ohne Übertreibung: Das ist das bisher rundeste Shindy Album.
In meiner Blüte (Prolog) holt einen direkt in den Disney Film mit einem Brett von einem Beat und „Ich glaub eine Prinzessin muss mich wachküssen“. Der Bayern Freestyle ist allerdings komplett für die Tonne – und das sage ich als waschechter Bayer! Würde ich durch die Originalversion von Im Schatten der Feigenbäume mit dem Disney Sample ersetzen. Geld machen jung war anfangs auch nur so semi-geil, aber hat aus Marketingsicht durch „Ich bin frisch gebotoxt für den Glow/Baby, ich bin frisch gebotoxt wie 'nе Hoe“ zumindest für Tik Tok Hype gesorgt. Hat sich als Grower entpuppt, genauso wie Cent'anni. Ein weniger homoerotischer … äh … „druckvollerer“ Stimmeinsatz hätte bei letzterem aber nicht geschadet.
Damit ist mein größter Kritikpunkt am Album bereits abgehakt: Alle 3 Vorabveröffentlichungen sind eher schwach und repräsentieren die Qualität der Platte nicht. Dadurch bin ich ohne Erwartungen herangegangen und wurde positiv überrascht. Der Flizzmeister würde jetzt behaupten, das würden die Amis schon seit 20 Jahren so machen und in Deutschland checkt das nur wieder keiner. Bin mal gespannt, ob doch noch irgendeine Promotion kommt. Jetzt aber zu den positiven Sachen …
Go to church ist ein absoluter Banger mit erhabenem Trompeten Beat und Michi mit Hunger am Mic. Bester Track der Platte. DAS hätte das erste Lebenszeichen sein sollen. Christmas At Harrods fährt mit Gitarrenbeat nice 90er RnB Vibes auf. Überraschenderweise stöhnt Papi Pap auf dieser Scheibe relativ wenig. Zusammen mit seinem Vorbild Jacko tut er es aber auf September, in welchem er seine Kindheit gekonnt nacherzählt. Old Money zelebriert das Good Life ohne Geldsorgen und ballert.
Einige Songs sind Michaels Familie gewidmet und zeigen ihn von einer reflektierten & erwachsenen Seite. Sie tragen dazu bei, dass so ein richtiger Mikrokosmos um Shindy entsteht. Steps ist wie ein Ratgeber an seinen Nachwuchs gerichtet, Oma’s Hände ist eine Hommage an die Oma (duh!) und in Kosta’s Freestyle geht es um den verstorbenen Onkel, der ein Lebemensch war. Alles authentisch rübergebracht, auch die Nico Santos Hook auf Steps passt. Beim Johannes der Täufer Freestyle erwartet man wegen dem Titel Cringe, aber das ist ein geiler Track. Für den Lovesong How Come? haben sie den Hook Meister Nate Dogg ausgegraben. Für viele sicher ein Highlight. Für mich weniger, auch wenn die Nummer klar geht. Der Beat ist halt eher unspektakulär und hebt die Hook nicht gut hervor, die für meine Ohren mehr nach Celo als nach Nate klingt. Vielleicht hätte besser OZ gesungen? Das verträumte Outro Märchen schreibt die Zeit führt das Album dann zu einem würdigen Abschluss.
Sehr gelungen ist die Produktion. CAZ, der neue Mann an den Reglern und das restliche Team inkl. OZ machen einen überragenden Job. Über die gesamte Laufzeit wird ein kohärentes Soundbild gefahren. Oft sind es bekannte hoch-/runtergepitchte (Vocal-)Samples mit modernen Drums. Die Beats verändern sich am Ende öfters, z.B. kommt im Fade Out vom Prolog eine scheppernde Snare mit rein und das Sample wird heruntergepitcht. Die kurzen Tracklängen sind kein Minuspunkt, denn wenn alles gesagt ist, dann endet der Song eben. Die ganzen 90er/00er Referenzen – z.B. Bug A Boo Sample auf All Eyez On Me – sind viel besser integriert als auf Drama. Dasselbe gilt auch für die Anspielungen in den Lyrics, in denen endlich wieder hochwertiger und verschachtelter gereimt wird. Insgesamt hört man Shindy wieder mehr wie den Anfangstagen rappen mit seiner typischen Arroganz und Souveränität, aber auch einfühlsam und smooth. Die Sprache ist sehr bildreich und eloquent. Man wird dadurch gut in den Film geholt. Es artet nie, wie vorab befürchtet, in eine Aneinanderreihung von Meme Quotables aus.
FAZIT
Mich hat In meiner Blüte vom ersten Moment an voll abgeholt. Endlich kriege ich wieder einen Shindy zu hören, der über- und außerhalb von allem steht, macht, was er will … sich vor allem dem Wohlergehen seiner Familie und der Sonnenseite des Lebens widmet. Feier ich und diese Musik tut mir in dieser schwierigen Zeit sehr gut. Mir gefällt auch, dass er wie schon auf Drama keine schmutzige Wäsche in den Texten wäscht. Die teure Box mit Tuch und Bademantel passt auch irgendwie gut zu dieser Attitude, eigentlich keinen Bock auf Gossip & Zirkus zu haben und sich lieber schönen Dingen zuzuwenden. Vor allem aber schätze ich es, dass Shindy hier ein von vorne bis hinten schlüssiges Gesamtkunstwerk vorlegt, was in Zeiten von Massenware für die Playlisten keine Selbstverständlichkeit ist. Das Originalcover war allerdings gelungener als die Handelsversion, bei der ich immer an den Windows XP Desktophintergrund denken muss .
Insgesamt gibt es für In meiner Blüte von mir sehr verdiente 8.5 von 10 Punkten. Vielleicht hat es keine Überhits wie Affalterbach, aber es ist in sich stimmig und für mich besser als Cla$$ic oder FBGM. Die Platte hat mich wieder voll auf den Shindy Film geholt. Und es wurden die meisten Kritikpunkte, die ich zu Drama geäußert hatte, beseitigt.
Hören: Go to church (!), Old Money (!), In meiner Blüte (Prolog), September, Johannes der Täufer Freestyle, Märchen schreibt die Zeit, Kosta’s Freestyle
Vermeiden: Bayern Freestyle (!), Cent'anni (für die meisten vermutlich )