In Großbritannien als “video nasty” gebrandmarkt, wurde “Anthropophagus” auch in anderen Ländern schnell in die Schmuddelecke gedrängt, fatal zensiert und fristet bis heute ein Dasein in den finsteren Ecken der Videotheken, die Otto Normal nur aufsucht, um beim Anblick der Stills auf den Backcovern erregt darüber zu geifern, was sich die Perversen, Kranken und Gestörten so alles anschauen.
Im Gegensatz zu einem Borefest wie “Muttertag” ist der Bekanntheitsgrad von “Man-Eater” (Verleihtitel) nicht nur auf seine Beschlagnahme zurückzuführen.
Joe D’Amato ist ein mehr als brauchbarer Regisseur und Kameramann, der unter anderem auch Jean-Luc Godard assistierte. Ihm gelingen hier nicht nur ein paar hübsche Einstellungen, er konzipiert den Film vom sonnendurchfluteten, idyllischen Anfang zum dunklen, in Erdtöne gebetteten Ende stringent durch und kann so eine morbide Atmosphäre des Zerfalls schaffen, die leider hin und wieder vom Kreischen der Kirchenorgeln, die sich auf dem Soundtrack finden (der ansonsten gelungene, atonale Synthesizerkulissen und ein wenig griechische Folklore verarbeitet), sabotiert wird.
Das Drehbuch von Luigi Montefiori, der auch die Rolle des Kannibalen unter seinem Pseudonym George Eastman übernimmt (und mit seinem Schauspiel überhaupt nicht zufrieden war – glücklicherweise reicht allein seine imposante Statur aus, um dem Menschenfresser eine schaurige Leinwandpräsenz zu verleihen), unterstützt die immer finsterer voranschreitende Entwicklung der Geschichte durch einen gemäßigten Ton. Wo in anderen Genrefilmen schon Zeter und Mordio geschrien und großes Heulen und Zähneklappern herrschen würde, verhalten sich Montefioris Figuren bedacht und ruhig. Man kann ihr Verhalten fast rational nennen, auch wenn sie allen Grund haben, hysterisch auszuflippen. Bezeichnend ist eine Szene zu Beginn von “Anthropophagus”, die ganz ähnlich in vielen Horrorfilmen auftaucht: Eine Figur legt einer anderen die Karten. In zehn von zehn Fällen kann man davon ausgehen, dass niedrig budgetierter Horror hier die Todeskarte zückt, nicht bei D’Amato (der eigentlich Aristide Massaccesi heißt und unter diesem Namen auch als Co-Autor und Kameramann im Vorspann aufgeführt wird) und Montefiori: Das Tarot ist nicht lesbar. Nur ein kleiner Schlenker, der das abgestandene Plumpe vermeidet, aber ein wirksamer. Dies zieht sich durch den restlichen Film und sorgt hin und wieder für positive Überraschungen, wenn die Geschichte dann doch mal aus Versehen ein Stereotyp zu sehr ausreizt, wie etwa die aus dem Fundus des “gothic horrors” stammende Gruselvilla inklusive Geheimgang.
Wie er auch seinen Bildern immer mehr das Licht der Sonne entzieht und Symbole des Todes, des Pesthauchs und des Niedergangs des Lebens mit laufender Spielzeit gehäuft zusammenkommen, beginnt D’Amato auch sparsam mit den Splatter- und Gore-Einlagen, die er dann in den letzten 15 Minuten deutlich steigert und auskostet. Kein Vergleich zu den Zoom-Orgien eines Lucio Fulci, aber dennoch deftige, handgemachte Kost.
Diese schlug einem Mitglied der BPjM, die für den Antrag zur Beschlagnahme von “Der Menschenfresser” (dt. Titel) verantwortlich zeichnete, so sehr auf den Mimimi-Magen, dass der Zensur-Zampano ernsthaft erwog, eine Anzeige wegen Körperverletzung einzureichen. Welche Szene genau dazu geführt hat, ist nicht überliefert, ich vermute aber, dass weder die Gesichtshäutung im Dachstuhl, noch die Selbstverspeisung der Innereien in Betracht kommen, sondern die Szene, in der George Eastman eine Schwangere tötet und deren Embryo verspeist, der im Film von einem gehäuteten Hasen “gedoubelt” wird. Eine ähnlich heftige Zensurreaktion folgte fast 30 Jahre später und wieder ging es um ein Neugeborenes, diesmal in “A Serbian Film”.
Den auf “Anthropophagus” folgenden Filmen von Joe D’Amato (“Buio Omega”, “Rosso Sangue”) widerfuhr das gleiche Zensurschicksal, zumindest in der BRD: Sie wurden beschlagnahmt. Keiner der beiden kann sich ähnlicher Verdienste wie “Man-Eater” rühmen. Wo “Buio Omega” zumindest eine sicke Atmosphäre vorweist, verkommt “Rosso Sangue” (ebenfalls mit George Eastman als Monster), der in Deutschland – fälschlicherweise als Fortsetzung zu “Anthropophagus” vermarktet – unter dem Titel “Absurd” in die Videotheken kam, zu einer Splatter-Nummernrevue, bei welcher man sich mühsam von Kill zu Kill langweilen muss.
“Anthropophagus” ist ein feiner Vertreter der harten Horrorwelle aus Italien. Zu hart für die Memmen der BPjM, zu gut, um im Wust ähnlich gelagerter Filme unterzugehen. 7,5/10