Die weißen Räume und Flächen in den Filmen des “Nouveau roman”-Autors Alain Robbe-Grillet bieten, neben ihrer ästhetischen Wirkung, einen direkten Rückgriff auf das literarische Schaffen des Schriftstellers in den 1950er Jahren, welches, grob gesagt, auf eine subjektive Vergangenheit, die Erinnerung, verzichten möchte, um Geschichten von einer vermeintlich objektive Warte aus erzählen zu können, die nicht dem menschlichen Erinnern und somit grundsätzlich der Ungenauigkeit und dem Scheitern ausgesetzt ist. Die weiße Leinwand stellt hier nicht den Ausgangspunkt von Robbe-Grillet dar, den es nun mit Farben, Formen und Phantasie zu füllen gilt, sondern den Dreh- und Angelpunkt, an welchem sich die Geschichte (oder ein Sachverhalt) immer wieder einfinden muss, wenn Erinnerung konstruiert wird. Stete “tabula rasa” im Angesicht des Fabulierwillens des menschlichen Geistes.
“Eden und danach” war 1970 der erste Farbfilm, den Alain Robbe-Grillet mit Unterstützung einer sozialistischen Produktionsfirma in der Slowakei und in Tunesien drehte. Er hatte bei einem Besuch in dem nordafrikanischen Land festgestellt, dass es im südlichen Teil Tunesiens (und besonders auf der Insel Djerba) kaum bis keine Grüntöne gab, die Häuser waren per Dekret zu einem Anstrich in blau und weiß verdonnert und selbst die Palmen erhielten durch Sand, Wind und Wetter einen gräulichen Stich. Eine große Freude für Robbe-Grillet, der das Grün der Wälder auf der Leinwand missbilligt; ein Grund, warum sein Vorgängerfilm noch in schwarz-weiß gedreht werden musste.
Vielleicht ist es nur eine Abneigung gegenüber den dunklen Wäldern Europas und nicht direkt der Natur, so dass die wunderschönen Aufnahmen der Wüstenlandschaft der nordafrikanischen Mittelmeerküste nicht zu irritieren brauchen; in einer saftigen, aber klar geregelten Bildsprache, die sonst ausschließlich dem Artifiziellen verpflichtet ist.
In “Eden und danach” füllt Robbe-Grillet seine Tableaux mit Rechtecken aus, die entweder der Architektur des Raums entspringen (wie im zweiten Teil des Films, der in einer farblich umgestalteten und stillgelegten sozialistischen Zuckerrübenfabrik über die Bühne geht) oder durch bewusste Anordnung und Aufteilung des Raums (wie zu Beginn, im studentischen Café Eden, welches durch Spiegel, Glasflächen und verschiebbare Wände einen eigentümlichen räumlichen Charakter entwickelt) entstehen. Sie sind jederzeit manipulierbar und in neuen Anordnungen denkbar, dabei aber hochgradig statisch.
Während er grüne Farbtöne fast pedantisch außen vor lässt, spielt das Rot und vor allem das Rot des Blutes, eine große Rolle. In den aseptischen Szenen und Bildkompositionen, die so penibel aufgeräumt sind, dass man sich fragt, ob Robbe-Grillet selbst über die Bewegung des Wüstensandes verfügen konnte, wenn er wollte, schreit das Blut von der Leinwand. Hier kommt auch Leben in den intellektuellen Aufbau des Films, der sich der Idee der Seriellen Musik verpflichtet fühlt. (Robbe-Grillet schnitt später für das französische Fernsehen eine neue Version von “L’éden et après” (Originaltitel) unter dem Namen “N.a pris les dés”, in der ein Schauspieler die Reihenfolge der Sequenzen auswürfelt, ganz ähnlich wie in der aleatorischen Musik Angaben zum Einsatz des Orchesters gemacht werden können – ein reines Zufallsprodukt.)
Auch die sado-masochistischen Sex- und Gewaltphantasien, neben den bezaubernden Darstellern (sowohl männlich als auch weiblich), ermöglichen einen Zugangspunkt für den Zuschauer, der nichts vom theoretischen Aufbau des Films weiß. Im Gegensatz zu seiner ursprünglichen Idee, einen Film zu schaffen, der sich weigert auch nur irgendeine Geschichte zu erzählen, setzt Robbe-Grillet ein Voice-Over ein, das “Eden und danach” als leicht versponnenen Abenteuerthriller goutierbar macht, welcher sich um ein mysteriöses Bild entwickelt. Die kräftigen Farben, die sorgfältige Komposition, die schönen Darsteller und der exotische Landstrich in Tunesien lassen ebenfalls ein weiteres Leinwandleben als drogenbeeinflusster Augenschmaus zu. Da ist der Einfall mit den Dopplungen nur noch ein weiteres Bonbon für das aufmerksame Publikum, auch wenn dies eine der Ideen war, die schon zu Beginn der Dreharbeiten feststanden, als Regisseur Robbe-Grillet bis auf die Darsteller und sein formales Exoskelett des Films, noch keine Ahnung hatte, wie “Eden und danach” zum Schluss wirklich aussehen würde.
In seinem Anspruch einen Film zu schaffen, der keine Geschichte erzählt und nicht auf eine konstruierte Historie, eine Erinnerung der Protagonisten zurückgreift, ist Alain Robbe-Grillet vermutlich gescheitert. Zu unserem Glück, denn so ist “Eden und danach” ein aufregendes Juwel des experimentellen Kinos der 60er und 70er Jahre, das in seinem strengen Aufbau und der Gewohnheit der durchgängigen Selbstreflexion, manchmal ein wenig den Werken der späten 1960er von Jean-Luc Godard ähnelt, wobei Robbe-Grillet jedoch glücklicherweise die Tür für das Halluzinatorische weit offen stehen lässt. “Wenn sie die Geschichte langweilt, dann sind sie herzlos. Ich, ich habe ein Herz.” 9/10