Mein Punkt ist, zu sagen Berufsgruppe X Y Z verdient zu wenig ist einfach. Man macht sich beliebt und keiner wird widersprechen.
Gehalt als Krankenpfleger in München ist 3.2k Brutto - ich gehe davon aus, dass Nachtzuschlag + Sonntagsdienst etc dazu kommt. Klar kein Monstergehalt aber finde ich jetzt eigentlich nicht so schlecht. Dazu kommen die ganzen Vorteile im öffentlichen Dienst (sichere Gehaltserhöhungen, Überstundenausgleich, sicherer Arbeitsplatz etc).
Ich verdiene in meinem Job beinahe das Doppelte - da gibts aber keine bezahlten Überstunden, Reisezeit z.B. Sonntags wird natürlich auch nicht berücksichtigt, etc. Nach Umverteilung ist der Unterschied jetzt auch nicht mehr soooo riesig.
Verstehe das Rumgeheule der Leute in den Pflegeberufen eh nicht.
Man weiß doch bereits vor Beginn der Ausbildung, dass das ein eher schlecht bezahlter Job mit nicht so tollen Arbeitszeiten ist und dass das auch nichts ist, was dem Durchschnittsbürger Spaß macht.
Wenn man sich dennoch dafür entscheidet, sollte man das aus Leidenschaft tun, alles andere ergibt doch keinen Sinn.
Und wenn sich dann weniger Leute für solche Berufe entscheiden würden, würden auch die Löhne und Arbeitsbedinungen sich verbessern.
Ich hab selbst 8 Jahre im Krankenhaus gearbeitet (unterschiedliche Tätigkeiten, zuletzt Gesundheits- und Krankenpfleger) und möchte - gerade weil es hier im Zeitkontext vllt. auch interessant für einige ist - mal aus nächster Nähe erzählen. Tuntenroman incoming, seid gewarnt. Als ich 2007 angefangen habe, im KH zu arbeiten, war Hamburg gerade im Wechsel und die damaligen zur Stadt gehörenden Häuser wurden privatisiert (Asklepios). Dabei hat man im übrigen einen Volksentscheid ignoriert (unter Bürgermeister Ole von Beust), denn die Hamburger wollten eigentlich, dass die KH weiter in staatlicher Hand liegen. Die Privatisierung hatte auch Vorteile, denn vorher haben die Krankenhäuser starkes Minus gemacht, was sowohl teilweise daran lag, dass jeder wusste, dass man ja vom Staat bezahlt wurde (no shit, einige Leute waren seid 2 Jahren krank und sind immer sporadisch wiedergekommen, um die Krankengeldregelung zu umgehen. Andere haben sich für den 6wöchigen Türkeiurlaub krankgemeldet, usw.) und gleichzeitig wurde im Bezahlsystem auch die
Tagespauschale (Patient wird nach Verweildauer in Tagen bezahlt)
zur Fallpauschale (Patient kommt, wird kategorisiert - Beispiel: 28, männlich, kein Pflegebedarf, Diagnose Blinddarmentzündung --> durchschnittliche Verweildauer 2,8 Tage = es gibt nur Geld für 2,8 Tage vom Krankenhaus) umgemünzt.
Die Folgen waren erheblich: Das Personal wurde aufgrund der Privatisierung nicht gekündigt, sondern man ließ Altverträge auslaufen und betrieb outsourcing. So hatte man beispielsweise irgendwann statt 18 Pfleger/innen nur noch 15 wirklich examinierte Kräfte auf ner Station, ein Altvertrag ließ man auslaufen und die anderen beiden Stellen wurden durch Servicekräfte ersetzt, die aber nur Essen servieren konnten und natürlich günstiger, jedoch niemals mit ner examinierten Kraft zu vergleichen waren.
Und ich sage Euch, ich hab es mit eigenen Augen gesehen, wenn sowas im Gesundheitswesen passiert, sterben und leiden Menschen. Sie sterben aufgrund kaputtgesparter Versorgungsketten, nicht ersichtlich in Statistiken. Beispiel gefällig? Eine Frau hat einen MRSA-Keim, kommt auf eine Station. Sie wird zwar isolisiert, aber zu Untersuchungen muss das Bett ja trotzdem transportiert werden. Für die Hygiene im Krankenhaus ist nun aber das outgesourcte Reinigungspersonal zuständig, die mittlerweile das 4(!)-fache an Arbeit zu erledigen haben (no shit). Dementsprechend dauert es länger, bis nach der Entlassung das Zimmer grundgereinigt wird. Als nächstes soll ein Patient mit Leukämie (= Immunsystem im Arsch) in dieses Zimmer. Was passiert also? Patient mit Leukämie wird erstmal auf dem Flur geparkt, bis das Zimmer grundgereinigt ist und verweilt dort Stunden, nichtisoliert auf einem Flur einer Station (Bazillenschleuder schlechthin), wo das Infektionsrisiko um ein Vielfaches steigt. Ich könnte dutzende solcher Beispiele nennen und natürlich steckt sich nicht jeder Leukämiepatient sofort an, aber wenn nur einer von 10 sich in einer solchen Situation ansteckt, sind das hochgerechnet vllt. 5% mehr Todesfälle. Genauso habe ich Dutzende Situationen erlebt, wo Leute stundenlang in ihrer vollgekackten Schutzhose liegen und/oder Dekubiti (könnt ja mal nach Bildern googlen, sieht sehr nice aus) bekamen, weil einfach zu wenig Personal vorhanden war, um die Leute in regelmäßigen Abständen zu lagern und das ist nur die Spitze des Eisberges. Bereits 2010 - als ich in die Berufsschule ging - gab es die eindeutige Kommunikation, dass dringend Leute gebraucht werden, besonders in den nächsten 10 bis 30 Jahren aufgrund der demographischen Entwicklung. Was ist passiert? Gar nichts, und jetzt kommt ich auf Deine Aussage zurück
Sandmann:
Ja, man sollte einen Beruf aus Leidenschaft wählen, aber die Frage ist ja immer, ob man einen Beruf braucht oder nicht. Ich persönlich möchte später weder von einem Pflegeroboter gepflegt werden, noch stundenlang in meiner eigenen Scheiße liegen. Beides sind Szenarien, mit denen sich der Großteil von uns hier in 40-50 Jahren bei heutigem Stand abfinden muss, wenn wir später Pflege brauchen. Die Löhne haben sich seitdem tatsächlich verbessert, aber heutzutage wünschen sich die Meisten statt mehr Lohn mehr Personal, und das kommt einfach nicht. Die Anzahl an neuen Azubis des KH, wo ich gearbeitet habe, hat sich um etwa 80% (!) verringert. Niemand hat mehr Bock auf den Job, selbst in Bussen in Hamburg wird Werbung gemacht für Krankenpflege. Wieviele Krankenschwestern haben damals zu mir gesagt: "Scheiß drauf, ich würde lieber mit 2 Leuten mehr die Station im Frühdienst schmeißen, statt 500Euro mehr zu verdienen." Und je stärker diese Zahl zurückgeht, desto mehr Menschen werden leiden und/oder sterben. Und da kommen wir zu einem interessanten Frage: Was ist uns - als Gesellschaft - ein gutes Gesundheitswesen wert? Alle reden hier immer über Betten in Zeiten von Corona, ich mach mir viel mehr Gedanken um Fachkräfte. Ich z.B. könnte überhaupt keine Intensivbetten betreuen, weil Intensivpflege sich in großen Teilen von der "normalen" Krankenpflege unterscheidet. Wir werden - wenn es so weiter geht - in einen katastrophalen Zustand abdriften, ob mit oder ohne Corona. Und ja, ich z.B. gehöre zu den Leuten, die früher mal Arzt werden wollten, aber bei den Arbeitsbedingungen in Kombination mit der Bezahlung (die ausreicht, aber nicht im Verhältnis zu geleisteten und fast überall unbezahlten Überstunden steht) ihren Lebensplan geändert haben. Die meisten Leute verlassen das sinkende Schiff und ich bewundere die Leute, die tagtäglich diese Arbeit im Gesundheitswesen zu diesen Bedingungen noch verrichten. Insofern ist es leicht und verständlich Sandmann, diese Frage zu stellen, aber die Antwort darauf, wenn alle dort nicht arbeiten, ist trotzdem katastrophal. Ich glaube auch nicht an ein großes Umdenken, das hat die letzten 15 Jahre auch nicht stattgefunden und spätestens, wenn Du später (und ich wünsche es Dir nicht) in deiner eigenen vollgeschissenen Schutzhose stundenlang auf ne Pflegekraft wartest, hättest Du Dir gewünscht, dass es mehr Leute gegeben hätte, die zwar rummeckern, aber den Job trotzdem verrichten würden.
Zum Thema
Bezahlung Vandal: Die Bezahlung in Krankenhäusern ist tatsächlich nicht so schlecht wie immer behauptet und hier wurde in den letzten Jahren wirklich einiges bewegt. Mein ehemaliger Arbeitskollege verdient jetzt etwa 400Euro netto mehr als ich noch vor 5 Jahren und nach Zuschlägen bleibt vom Brutto deutlich mehr übrig als ein "normaler" Arbeitnehmer mit vergleichbarem Brutto hätte. Allerdings kann ich das auch nur über Krankenhäuser sagen und auch nur über Krankenhäuser im Westen. Wir haben im Westen einen überdurchschnittlich hohen Anteil an Ostkrankenschwestern (viele übrigens hot as fuck, wie ich aus eigener Erfahrung sagen kann
), die aber allesamt den Osten verlassen haben, weil man DEUTLICH mehr im Westen verdient. Darüber hinaus verdienen Leute, die in Pflegeheimen arbeiten und wesentlich mehr Körperpflege betreiben, deutlich weniger und der Notstand an Kräften ist dort in vielen Institutionen deswegen auch deutlich höher. Das sind eigentlich die Leute, die zwar weniger denken müssen als ich, aber deren Arbeit im wahrsten Sinne des Wortes noch deutlich beschissener ist als meine damalige. Und getan hat sich NICHTS bzw. viel zu wenig. Die ausgehandelten verbindlichen Mindesttarifverträge sind zwar schon mal nicht verkehrt, aber werden keinen Menschen mit sozialer Ader dazu bewegen, vllt. doch in diesem Beruf anzufangen, gemessen an den Arbeitsbedingungen.
Wenn wir als Gesellschaft hier nicht umdenken, dann wird uns das allen noch Leid tun, zumindest den Leuten, die sich bis dahin von uns hier nicht ins Koma gesoffen oder gekifft haben und auf irgendeine Form der Pflege später angewiesen sind.
Deswegen steht über allem die Grundthematik, ob man gewisse Bereiche - auch wenn sie eben ein krasses Minus in die Staatshaushaltkasse spülen - nicht eben doch in staatlicher Hand behält, denn eines ist klar: Ich mache heute den Konzernen, ob Rhön, Helios, Asklepios und wie die Klinikketten alle heißen - keinen Vorwurf. Ein Unternehmen hat eine Gewinnerzielungsabsicht, und erst Recht eine Verlustvermeidungsabsicht und solange werden die Krankenhäuser optimiert. Optimiert wird im Übrigen auch die Struktur des Krankenhauses. Mit normaler Kinderkrankenpflege wird generell wenig Kohle verdient, in 20 Jahren kann man dann - wenn man aufm Dörben wohnt - erstmal 50-100km zum nächstgelegenen Krankenhaus mit Kinderstation fahren.
Sorry für den langen Text, aber das sollte sich jeder mal vor Augen führen, denn die Stammtisch- und VWL-Parolen helfen hier einfach nicht.