Aus der zweiten Quelle (für die Faulen):
Muhammad Shahrour:
"Es gibt derzeit ein Problem in der islamischen Welt, nämlich das Problem von "Wala' und Bara'". (A.d.Ü.: wala' ist die Pflicht jedes Muslims, die Muslime zu unterstützen und bara' ist die Pflicht jedes Muslims, keinen Kontakt zu Nichtmuslimen zu pflegen, besonders im Kriegsfall.) Dieses müssen die islamischen Rechtsgelehrten neu überdenken. Diejenigen, die die Anschläge in England verübten, waren Engländer, die in England geboren worden waren. Das bedeutet aber, dass ihre Loyalität nicht Großbritannien galt. Und unter denjenigen, die die Anschläge von Scharm al-Scheich verübten, waren auch Ägypter, aber ihre Loyalität galt nicht Ägypten.
Al-Qaida benutzt das Konzept von "Wala' und Bara'", um neue Reihen zu formieren. Und ich glaube, dass sie immer mehr junge Leute mit diesem Konzept mobilisieren. Es gibt eine Schizophrenie der Loyalität. Das müssen die Rechtsgelehrten klären. Es gibt nämlich zwei Loyalitäten, entweder gegenüber Großbritannien oder gegenüber der Religion, entweder gegenüber Großbritannien oder gegenüber Mekka, entweder gegenüber Großbritannien oder gegenüber Bin Laden. Man ist Engländer und gleichzeitig Muslim. Das Problem betrifft die islamische Gemeinden in Europa und in Amerika, aber auch die Muslime überall."
"Denn die Bürger leiden derzeit unter dem Problem der doppelten Loyalität. Die Azhar muss eine Lösung finden für dieses Problem, besonders in Europa. Die herrschende volksislamische Kultur, und ich sage nicht, die islamische Religion, ist eine negative Kultur.
Ein Zehnjähriger zum Beispiel, der in die Moschee geht, hört folgenden Vers: "Die dem Zorn verfallen sind und irregehen". "Die dem Zorn verfallen sind", das sind die Juden, und "die irregehen", das sind die Christen. Dieser Zehnjährige hört das immer wieder. Die Muslime sind nur die Anhänger Muhammads, und das sind zwanzig Prozent der Weltbevölkerung. Die anderen liebt Gott nicht. Religion bedeutet also nur Islam. Diese Kultur stellt den Rohstoff dar für die Organisation von al-Qaida, in Ägypten, in Saudi-Arabien, in Syrien.
Es gibt etwas, das man negativen Diskurs nennt. Es gibt keine Moschee, die Sie zum Beispiel in Damaskus betreten, wo Sie nicht in der Predigt hören: "Mein Gott, mach ihre Kinder zu Waisen und ihre Frauen zu Witwen, mein Gott, nimm sie (von dieser Welt), mein Gott, vergälle ihnen das Leben". Und dies wird in jeder Mosche gesagt, wenn es um die Situation in Afghanistan geht oder in Tschetschenien. Und die Kinder hören diese Worte, immer wieder. Und dann beginnen sie den Anderen abzulehnen. Ich glaube, dass viele Muslime in Europa innerlich den Anderen, den Europäer, ablehnen."
"Es gibt Ägypter, die Ägypter töten, und Engländer, die Engländer töten. Und wir wissen, und der Doktor aus Kairo weiß es, dass jeder normale Muslim weiß, dass die Selbsttötung verboten ist. Aber es gibt eine legitime Rechtfertigung für das Töten, und diese Rechtfertigung ist in unserem Erbe vorhanden. Wenn Sie also zum Beispiel den politischen Islam nehmen, finden Sie Morde und Bürgerkriege und Vergiftungen und Gefängnisse und Intrigen. Aber die Glaubensgrundsätz des Islam sind sehr gut und absolut menschlich. Aber wir vermischen Politik und Religion. (...)"
Al-Hadi al-Sabah:
"Aber ich möchte auch darauf hinweisen, dass man das Problem nicht zu leicht nehmen soll. Wenn Doktor Abu Krisha zum Beispiel sagt, dass die Rechtsgelehrten sich ausreichend geäußert hätten, dann sage ich: Nein, die Rechtsgelehrten haben sich nicht genügend geäußert, von ihnen wird erwartet, dass sie zu bestimmten Dingen etwas sagen.
Wenn wir zum Beispiel sehen, dass das Phänomen des Terrorismus an verschiedenen Orten auftaucht und Unschuldige getötet werden, seien es Muslime oder Christen - und es ist natürlich nicht erlaubt, sie zu töten - dann hören wir von verschiedenen Seiten Kritik oder Belehrungen, aber sie kommen zu spät.
Das Volk muss aufgeklärt werden, ja, ganze Generationen und Gesellschaften müssen aufgeklärt werden, damit so etwas nicht passiert. Ich möchte darauf hinweisen, dass die Aufklärung und die Rolle der Rechtsgelehrten sich nicht auf das Wort beschränken, auch wenn es eine Pflicht ist, das Wort zu erheben."
"Ich lebe seit dreizehn Jahren in Deutschland, und als ich im ersten Jahr meines Aufenthalts zum Freitagsgebet in eine Moschee zum Beispiel in Regensburg ging, kamen Prediger, die noch nicht einmal Abitur hatten, dass heißt, sie hatten noch nicht einmal die Sekundarstufe abgeschlossen und also keine Berechtigung, eine Universität zu besuchen.
Diese stehen dann vor einer Menge von Leuten, um zu predigen und ihnen die Hadithe zu erklären. Und das Problem ist, dass ihre Erklärungen falsch sind, weil sie nicht die wissenschaftlichen Grundlagen kennen. Dieses Problem muss gelöst werden. Ich unterstütze jeden, der sagt, dass derjenige, der auf der Kanzel steht, um die Freitagspredigt zu halten, kompetent sein muss und Qualifikationen von anerkannten arabischen oder europäischen Universitäten vorweisen muss. Er kann nicht einfach daherkommen und über die Religion und den Koran, die Wissenschaften, die Hadithe und ihre Interpretationen reden.
Es gibt noch einen anderen Punkt, auf den Herr Doktor Shahrour in Damaskus hingewiesen hat: unser Verständnis vom Islam. Ich, als jemand, der Islamisches Recht in Casablanca studiert hat, behaupte, dass wir auf akademischer Ebene viele Probleme und Lücken und ein falsches Verständnis über den Islam haben. Wie Sie gerade gehört haben, dass in Damaskus die Kinder nur Gebete gegen die Christen zu hören bekommen. Das hat aber nichts mit dem Geist und der Toleranz des Islam zu tun. Das ist eher eine Konsequenz der Jahrhunderte des Niedergangs, den die Muslime nach dem 14. und 15. Jahrhundert erlebt haben. Insbesondere im syrischen Raum blieben die Einflüsse der Kreuzzüge spürbar (...) Aber jemand, der studiert hat und neutral ist und sich mit dem Islam beschäftigt hat, stellt fest, dass der Islam zu Barmherzigkeit für alle aufruft. (...)"