„Ich habe es gewusst“ – Satiriker Serdar Somuncu über Thüringen
„Die AfD lacht sich ins Fäustchen“, sagt Serdar Somuncu über die jüngsten politischen Vorgänge in Thüringen. Im NP-Interview spricht der Satiriker über den FDP-Kandidaten Thomas Kemmerich, die Rolle der CDU und die notwendige Auseinandersetzung mit der AfD.
„Ich bin auf der einen Seite beeindruckt und auf der anderen Seite angeekelt“, sagt Serdar Somuncu (51) über die Ereignisse in Thüringen im NP-Interview. Der Satiriker, Moderator und Autor geht bald wieder mit seiner Kunstfigur des „Hassias“ auf Tour. Das Gespräch, Donnerstagvormittag geführt, wurde dann beinahe von den aktuellen Ereignissen überholt.
In Thüringen lässt sich mit Thomas Kemmerich von der FDP ein selbsternannter Kandidat der Mitte von der AfD zum Ministerpräsidenten wählen. Sind das gute oder schlechte Zeiten für den Hassias?
Somuncu: Gute Zeiten, nicht nur für mich, weil das eine Herausforderung ist an die Demokratie. Ich habe dazu vermutlich eine etwas andere Meinung, als Sie erwarten.
Überraschen Sie mich.
Somuncu:Ich habe das kommen sehen. Ich habe mehrfach mit Mike Mohring (Thüringens CDU-Landesvorsitzender, d.Red.) gesprochen, vor der Wahl, wo ich in seinen Augen ein leicht fanatisches Blitzen gesehen habe, was ich übersetzt habe als: „Ich will auf jeden Fall Ministerpräsident werden!“ Und ich habe ihn nach der Wahl gesehen, und da war in seinen Augen: „Ich will auf jeden Fall Ministerpräsident werden!“ Beim ersten Mal war es Hoffnung. Beim zweiten Mal war es Trotz. Dazu kommt, dass sich ja auch ein Friedrich Merz vor der Wahl positioniert hat. Dieser Coup war zu erwarten gewesen. Der große Dumme aus meiner Sicht ist Bodo Ramelow. Jemand, der so wenig Koalitionsmöglichkeiten hat und sich auf eine Minderheitsregierung einlassen muss, um an der Macht zu bleiben, kann entweder einfach nicht von der Macht lassen oder ist nicht Realist genug, um zu wissen, dass bei solchen Wahlen eben auch oft gegen die eigene Erwartung abgestimmt wird.
FDP-Chef Christian Lindner hat gesagt, es gehe jetzt um „Freiheit und Weltoffenheit jenseits von AfD und Linkspartei“. Damit stellt er die Linke des bisherigen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow und Björn Höckes Thüringer AfD auf eine Stufe ...
Somuncu: Das sind macht-taktische Spielchen. Lindner weiß ganz genau, dass die FDP in eine ganz große Krise geraten wird. Die FDP ist schon lange nicht mehr glaubwürdig. Sie ist von links nach rechts gesprungen. Sie hätte der AfD den Rang streitig machen können, wenn sie rechtzeitig auf deren Positionen gegangen wäre. Das aber hat sich Lindner lange nicht getraut, weil sein Vorgänger Guido Westerwelle darin ein großes Tabu gesehen hat. Jetzt stehen die FDPler letztlich am selben Punkt: Sie könnten eine AfD light werden und schlagen daher in alle Richtungen um sich. Bei Lindner ist das Phänomen, dass er so unglaublich kurzsichtig und infantil agiert. Schon der Ausstieg aus den Koalitionsverhandlungen auf Bundesebene war ja ein Eigentor, wie man es nicht besser hätte schießen können – obwohl: Hannover hätte es noch geschafft, glaube ich.
Sein berühmtes Zitat „Besser nicht regieren, als falsch zu regieren“ fliegt Lindner jetzt um die Ohren.
Somuncu: Man hätte auch sagen können: Nicht reden ist besser, als dummes Zeug zu schwatzen. Lindner hat unglaublich viel zu allem zu sagen, aber wenn es darauf ankommt, zu tun, was richtig ist, versagt er regelmäßig.
Jetzt hat er gesagt, er könne nicht einer Partei vorsitzen, die mit der AfD kooperiere. Was ist davon zu halten?
Somuncu: Die FDP ist de facto in einer Koalition mit der AfD, wenn ihr Ministerpräsident von der AfD gewählt wurde. Das wird auch nicht das letzte Mal sein, dass das passiert. Ich kenne genug Hintergründe, um zu wissen, dass die Option der rechten Parteien der bürgerlichen Mitte – wozu ich die CDU und die FDP zähle – sich auf Dauer auf Koalitionen mit der AfD einzulassen, schon lange im Raum steht – um sich nämlich aus der Zange mit SPD und Grünen zu befreien.
Schwarz-Grün scheint jedenfalls ferner denn ja, oder?
Somuncu: Schwarz-Grün war immer eine Hassliebe. Die Grünen haben sich eher zur CDU hin entwickelt als umgekehrt, weil die Grünen älter und spießiger und fast konservativ geworden sind, während die CDU jünger wurde und liberaler und trotzdem versucht, den konservativen Markenkern zu wahren. Dass sie sich öffentlich noch gegen eine Zusammenarbeit mit der AfD wehren, ist ein Kampagne wie damals die mit den „roten Socken“. Das ist Teil des Versuchs der etablierten Parteien, die AfD zu ignorieren. Was ich für einen großen Fehler halte: Die AfD muss regieren.
Ach?
Somuncu: Ja, damit sie sich reduziert. Sonst wird sie immer stärker. Leute wie Höcke, Gauland und Weidel grinsen über beide Ohren, weil sie genau wissen, dass sie nichts tun müssen, um bei den nächsten Wahlen noch einmal fünf Prozent mehr zu bekommen.
Sie schreiben auf Facebook, man müsse sich inhaltlich auseinandersetzen mit der AfD. Nun gibt es Abgrenzungsversuche zur Genüge. Wie soll eine andere inhaltliche Auseinandersetzung aussehen?
Somuncu: Indem man jene Teile der AfD-Forderungen nicht tabuisiert, die richtig sein könnten. Es ist nämlich – und da kommen wir auch auf mein neues Programm zu sprechen – eine weit verbreitete Unsitte in unserer Gesellschaft nur noch in Schubladen zu denken: Ist das falsch, ist das richtig? Bist du für, bist du gegen mich? Wir brauchen einen dialektischen Diskurs, um nicht mehr immer nur einseitig zu diskutieren und uns Optionen offen zuhalten. Wir müssen differenzierter sein, als immer nur in Überschriften zu denken. Das ist auch ein Teil des Programms: Die AfD ist eine sehr moderne Partei, die genau weiß, wie sie ihre Slogans setzen muss. In Zeiten, in denen die Menschen ihre Informationen hauptsächlich über das Internet beziehen und Hashtags zu politischen Kampagnen werden, braucht man eben keine Debatten mehr zu führen. Da genügt es, griffige Statements herauszugeben, um daraus Polemik zu schaffen.
Wie polemisch wird Ihr Abend?
Somuncu: Mein Abend ist immer eine Mischung aus hochgradig philosophischen Anteilen, aus Analyse, Comedy – ich rede genauso gerne über Boulevard, Laura und den Wendler wie über die AfD.
Die Figur des Hassias ist zu einer Zeit entstanden, als der Hass in der Gesellschaft noch nicht so stark zur Schau gestellt wurde wie heute. Wie ist es, mit ihm heute auf Tour zu gehen? Man hat mitunter das Gefühl, die Wirklichkeit habe ihn überholt.
Somuncu: Ja, man denkt manchmal, die Politik macht das bessere Kabarett und das Kabarett die bessere Politik. Ich finde, die Figur ist nötiger denn je. Die Idee, ausschließlich auf der Bühne zu stehen und zu provozieren, hatte ich ja eh nie. Einen Teil dieser Idee haben Kollegen übernommen, weil sich jeder heute auf die Bühne stellt und sagt: „Hallo, ihr Arschlöcher, ich darf das.“ Ich finde, da gibt es eine ganz klare Grenze zur klugen Auseinandersetzung: In dem Moment, in dem man nicht erklärt, warum man das macht, überlässt man die Interpretation dem Zuschauer. Jeder, der mein Programm kennt, weiß, dass es bei mir um Toleranz und Respekt geht und nicht darum, mir weiche Ziele auszusuchen, die sich nicht wehren können. Es geht um Aufklärung, gegen Faschismus und Intoleranz. Wie sich diese Arbeit entwickelt, weiß ich noch nicht, weil ich jeden Abend frei spiele. Aber tendenziell fühlt es sich gerade so an, dass es ernster wird. Aber diese Erkenntnis haben auch andere Kollegen: Martin Sonneborn sitzt jetzt auch im Europaparlament und hält ernste Reden.
Sie waren Kanzlerkandidat seiner Partei Die Partei und haben anschließend gesagt, dass ihnen klar geworden sei, nur mit Satire sei es nicht mehr getan. Wie kamen Sie zu der Erkenntnis?
Somuncu: Wir haben gemerkt: Was wir anfangs aus Spaß gemacht haben, das ist jetzt Ernst. Wir können nicht werben um zwei Millionen Wählerstimmen, um dann im Europaparlament nur faule Witze zu reißen. Es gab einen Moment, 1998: Da hat man Joschka Fischer gesehen, gemeinsam mit Gerhard Schröder, am Abend des Wahlerfolgs. Und Joschka Fischer hat ganz ernst geguckt. Als man ihn später danach befragt hat, hat er gesagt, ihm wäre bewusst geworden, dass es jetzt ernst wird und dass das, was er jahrelang in der Opposition gemacht hat, nicht mehr funktioniert. Ähnlich war auch meine Metamorphose. Ich habe am Wahlabend mit sieben Prozent Wählerstimmen in meinem Wahlkreis gedacht: „Hast du nochmal Glück gehabt.“ Denn wären es 25 Prozent gewesen, hätte ich meine Arbeit auf der Bühne beenden müssen. Denn nur aus Witz ins Parlament zu gehen, macht keinen Spaß.
Da Sie nun sagen, die AfD müsse in die Regierung gehen: Hätte die wohl auch einen Joschka-Fischer-Moment?
Somuncu: Ich sage nicht, die AfD muss in die Regierung gehen. Ich sage, es muss möglich sein, dass dort, wo die AfD hohe Ergebnisse erzielt, sich die anderen Parteien Gedanken darüber machen müssen, ob sie mit der AfD Koalitionen eingehen können. Nicht weil ich die AfD so toll finde, sondern weil alles Andere Realitätsverweigerung wäre. Man kann diese Partei nicht ewig ignorieren, weil sie so immer stärker wird, und am Ende hat sie eine absolute Mehrheit. Ich kann Ihnen als Deutscher aus eigener Erfahrung sagen: Es gibt in der Türkei einen, der hat ähnlich wie die AfD angefangen und hatte irgendwann 30 Prozent, und jetzt hat er mehr als 50 Prozent der Stimmen. Der heißt Erdogan und sitzt fest auf seinem Thron. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Erst einmal gäbe es dort wohl große Freude, und dann hätte es sich auch erledigt; diese Widerstandshaltung, diese Behauptung „Wir sind eigentlich das stillschweigende Establishment“.
Um noch einmal auf Thüringen zurückzukommen: Welche Optionen hat Kemmerich?
Somuncu: Sein größter Fehler war, die Wahl anzunehmen.
Aber er hat es nun einmal getan.
Er wird gezwungen werden zurückzutreten, und die Wahl wird wiederholt. Ich glaube, das Kalkül der CDU war, aus Kemmerich ein Bauernopfer zu machen, um damit Neuwahlen zu initiieren. Meine Prognose ist: Die wird es geben, und die CDU wird sich große Hoffnungen machen, mit der FDP oder wem-auch-immer eine Koalition eingehen zu können. Neuwahlen hat sie jedenfalls nur erringen können, indem sie diesen Schachzug macht. Ich bin auf der einen Seite beeindruckt und auf der anderen Seite angeekelt.
So weit das eigentliche Interview. Dann stellte die Thüringer FDP-Fraktion den Antrag auf Landtagsauflösung. Thomas Kemmerich trat zurück. Folgende Frage an Serdar Somuncu schoben wir noch hinterher.
Nun kündigen sich Neuwahlen an. Wie bewerten Sie die Rolle von Kemmerich, CDU und FDP?
Somuncu: Sie haben offensichtlich viel zu spät gemerkt, welchen Schaden sie anrichten. Durch ihre Entscheidung wird der Schaden nur größer. Die FDP ist erledigt. Die AFD lacht sich ins Fäustchen, die CDU hat spannende Wochen vor sich, und Bodo Ramelow ist sprichwörtlich mit einem blauen Auge davongekommen.