Murmel
Platin Status
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Folgt man z.B. Bergmann, ist Antisemitismus tatsächlich unabhängig vom Verhalten der Juden, aber er ist dennoch nicht einfach nur da und wandelt sich je nach Kontext. Warum es die Juden sind, bei denen seit Jahrtausenden die Schuld für z.B. politische oder soziale Umwälzungen gegeben wird, weiß ich auch nich. vllt wegen des Monotheismus? schon in der Antike gab es ja ein völlig bipolares Judenbild
Zu dem Monotheismusproblem - tatsächlich sind ja die Juden in gewisser Weise die Erfinder einer religiösen Intoleranz, die der heidnischen Antike (fast) völlig unbekannt war - empfehle ich Assmann.
Ansonsten ist diese ewige Unterdrückungsgeschichte der Juden vor allem eine Frage der Wahrnehmung, des Narrativs: Welche Ethnie kennst du denn sonst, die eine fortlaufende Tradition über mehr als zwei Jahrtausende bewahrt hat? Oder umgekehrt: Siehst du dich als einen Nachfahren der Christen, die in Rom verfolgt wurden? Oder als Evangelik als identisch mit der Gruppe der in Frankreich verfolgten Hugenotten? Oder sieht sich irgendein Sachse ernsthaft als Nachfahre der Heiden, die im Mittelalter zwangschristianisiert worden sind? Bis wann genau kannst du eine soziale Gruppe als deine Vorfahren identifizieren?
Nein, egal, ob Christen, Deutsche, Schwarze, Weiße, Homosexuelle, all diese sozialen Gruppen sind Konstrukte, die kommen und gehen. Aus Bayern werden Deutsche, aus Hugenotten ebenfalls erst Preußen, dann Deutsche. Aber ein heutiger Jude kann sich tatsächlich als ein Nachfahre derer fühlen, die unter den ägyptischen Pharaonen versklavt worden sind. Das ist meines Wissens nach beispiellos in seiner Kontingenz.