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Jung, viral, gut aussehend: Die neue Generation Deutschrap erobert TikTok

Frü­her mach­ten Plat­ten­fir­men und Cas­ting­shows die Stars – heu­te ent­schei­den Algo­rith­men, Trends und Social Media. Wer 2025 im deut­schen Rap mit­re­den will, kommt an Tik­Tok, Memes und Newcomer:innen wie Zah1de oder ben­no! nicht vorbei.

An die­ser Stel­le möch­ten wir Gedan­ken zu aktu­el­len Gescheh­nis­sen aus dem Deutschrap-​Kosmos zum Aus­druck brin­gen. Die jeweils dar­ge­stell­te Mei­nung ist die des:der Autor:in und ent­spricht nicht zwangs­läu­fig der der gesam­ten Redak­ti­on – den­noch möch­ten wir auch Ein­zel­stim­men Raum geben.

Im Fol­gen­den setzt sich unse­re Redak­teu­rin Lena mit dem Ein­fluss von Social Media auf die deut­sche Rap-​Szene aus­ein­an­der. Sie beschreibt, wie Platt­for­men wie Tik­Tok neue Kinder- und Tee­nie­stars her­vor­brin­gen und das Musik­busi­ness verändern.

 

Hand aufs Herz: Wenn ich an Kinder- und Ten­nie­stars den­ke, fällt mir zuerst Hol­ly­wood ein. Brit­ney Spears, Miley Cyrus – Dis­ney: ein Sys­tem, das Kin­der früh ins Ram­pen­licht schiebt. Kinder- und Teenie-​Stars gibt es aber mitt­ler­wei­le längst auch in der deut­schen Musik­in­dus­trie, selbst im Rap­ga­me. Frü­her domi­nier­ten TV-​Castings, Plat­ten­fir­men und offi­zi­el­le Chart-​Platzierungen das Durch­bruchs­nar­ra­tiv. Heu­te kura­tie­ren Algo­rith­men Reich­wei­te: Vira­le Clips, Short-​Form-​Formate und Meme-​Kultur trei­ben Charts teils schnel­ler in Bewe­gung als ein klas­si­sches Album-​Release. Die Charts blei­ben wich­tig, doch sie spie­geln oft nicht mehr eine lang­fris­ti­ge künst­le­ri­sche Ent­wick­lung wider.

Was dar­an schwie­rig ist? Das Sys­tem belohnt Dau­er­prä­senz statt Pau­sen, Pro­vo­ka­ti­on statt Schutz. Min­der­jäh­ri­ge Artists kön­nen Ver­trä­ge, Shit­s­torms und die Unend­lich­keit des Inter­nets nicht über­bli­cken. Kind­heit wird zu Con­tent und lässt sich als Iden­ti­fi­ka­ti­ons­flä­che gut ver­mark­ten. Und damit sind wir bei der Gegen­wart: Denn wer beim Satz­an­fang "Chab­os wis­sen, wer …" noch in ers­ter Linie an Haft­be­fehl denkt, ist wohl über 40 oder hat kei­nen Zugang zum Inter­net. Die­ser legen­dä­re Satz aus Haft­be­fehls Hit von 2012 war damals schon mehr als nur ein Meme – er war ein State­ment einer gan­zen Gene­ra­ti­on. "Chab­os wis­sen, wer der Babo ist" wur­de zum geflü­gel­ten Wort für Selbst­be­haup­tung und Sze­ne­zu­ge­hö­rig­keit. Heu­te ist der Satz wie­der da, aber mit neu­em Gesicht: Zah1de. Spä­tes­tens mit ihrer Hom­mage an Haft­be­fehl und Cro ken­ne auch ich als Mil­len­ni­al die neu­es­te prä­gen­de Per­son der deut­schen Social Media-​Landschaft. Denn ihr Song "Mona Lisa Moti­on (Ein­mal um die Welt)" ist mehr als nur vira­les Fut­ter: Sie sam­pelt einen der größ­ten Cro-​Hits über­haupt – "Ein­mal um die Welt" von 2012 – und setzt mit der Zei­le "Chab­os wis­sen, wer Zah1de ist (You)" ein selbst­be­wuss­tes State­ment. Sie macht Songs aus der Ver­gan­gen­heit für eine neue Gene­ra­ti­on wie­der rele­vant und sorgt sogar dafür, dass die alten Hits wie­der in den Charts lan­den. Was frü­her als Gegen­satz galt – Cro zu pop­pig und Haft­be­fehl zu viel Stra­ße – wird jetzt durch Zah1de vereint.

Ange­fan­gen hat Zahi­de Kaya­ci als Tän­ze­rin der Kreuz­ber­ger Tanz­crew Luna­tix, hier wur­de sie 14-​jährig als Zah1de bekannt. Als reich­wei­ten­stärks­te Tik­To­ke­rin Deutsch­lands mit über 8,5 Mil­lio­nen Follower:innen und mehr als 577 Mil­lio­nen Likes hat sich die Ber­li­ne­rin aus Kreuz­berg mit kur­di­schen Wur­zeln längst einen Namen gemacht. Dazu bei­getra­gen haben zunächst ihre viral gegan­ge­nen Tanz­vi­de­os auf Tik­Tok. Seit Novem­ber 2024 ver­öf­fent­licht sie als Musi­ke­rin eige­ne Songs und bringt damit fri­schen Wind in die deut­sche Rap­sze­ne. Was macht Zah1de so fas­zi­nie­rend? Ihre Musik trifft den Nerv einer neu­en Gene­ra­ti­on, wäh­rend ihre Girlboss-​Attitüde und ihr inter­na­tio­na­ler Appeal auch weit über Tik­Tok hin­aus für Gesprächs­stoff sor­gen. Mit ihrer vier­ten Sin­gle "Zahi­de did it bet­ter" sorg­te sie für beson­ders viel Auf­merk­sam­keit, noch bevor der Song über­haupt erschie­nen war. Der Track, der am 23. Mai 2025 ver­öf­fent­licht wur­de, ist davor auf Tik­Tok bereits mil­lio­nen­fach geteilt und dis­ku­tiert wor­den. Die Mischung aus Deutsch, Eng­lisch und Gen Z-​Sprache pola­ri­siert – wäh­rend eini­ge Fans den Song schon jetzt als Ohr­wurm fei­ern, kri­ti­sie­ren ande­re die ver­meint­li­che Belie­big­keit der Zei­len. Spä­tes­tens seit "Zahi­de did it bet­ter" und dem Meme "Zahi­de won this trend" ist klar: An Zah1de kommt man im Netz nicht mehr vor­bei. Sie steht exem­pla­risch für eine neue Gene­ra­ti­on von Artists, die Social Media nicht nur als Büh­ne nut­zen, son­dern gleich zur eige­nen Spiel­wie­se machen. Wenn unter jedem zwei­ten TikTok-​Video plötz­lich "Zahi­de did it bet­ter" kom­men­tiert wird, ver­schwim­men die Gren­zen zwi­schen Fan-​Hommage, Internet-​Phänomen und Selbstinszenierung.

Doch wo so viel Auf­merk­sam­keit ist, bleibt Kri­tik nicht aus: Wäh­rend ihre Fans sie inter­na­tio­nal pushen und ihre Songs mil­lio­nen­fach strea­men, gibt es auch Stim­men, die ihr Alter oder die ver­meint­li­che Ober­fläch­lich­keit ihrer Tex­te kri­ti­sie­ren. Zah1de selbst lässt das kalt – sie rappt selbst­be­wusst gegen jeden Zwei­fel an: "Ich hab' mich selbst zum Star gemacht" und stellt klar, dass die Zei­ten der unsi­che­ren Teenager:innen vor­bei sind. Der Hype um sie erin­nert nicht zufäl­lig an einen ande­ren kome­ten­haf­ten Auf­stieg im deut­schen Rap: bad­mómzjay. Auch sie wur­de als Teen­age­rin zum Social Media-​Phänomen, pola­ri­sier­te mit selbst­be­wuss­ter Atti­tü­de, auf­fäl­li­gem Style und einer enor­men Online-​Präsenz. Wie schon bei bad­mómzjay ist es bei Zah1de die Mischung aus Nah­bar­keit und Unan­tast­bar­keit, die für Gesprächs­stoff sorgt – und für Neid. Bei­de Künst­le­rin­nen ste­hen sinn­bild­lich für eine neue Gene­ra­ti­on von Rapper:innen, die ihre Platt­for­men offen­siv nut­zen. Wäh­rend bad­mómzjay mit pro­vo­kan­ten Lines und femi­nis­ti­scher Mes­sa­ge schnell zur Pro­jek­ti­ons­flä­che für Kri­tik und Bewun­de­rung wur­de, erlebt Zah1de nun einen ganz ähn­li­chen Spa­gat: Zwi­schen Fan-​Hype, Meme-​Kultur und Hate-​Kommentaren muss sie ihren eige­nen Weg fin­den – und tut das bis­lang mit erstaun­li­cher Sou­ve­rä­ni­tät. Der Ver­gleich zeigt aber auch: Die Mecha­nis­men des Inter­nets grei­fen heu­te noch schneller.

Wo bad­mómzjay sich ihren Platz in der Sze­ne über meh­re­re Jah­re erkämpf­te, reicht bei Zah1de schon ein vira­ler Trend oder ein Meme, um Mil­lio­nen zu errei­chen – und eben­so vie­le Reak­tio­nen zu pro­vo­zie­ren. Wie Sade Kain­gu im MZEE Kom­men­tar "Tik­Tok: Fluch oder Segen?" vom 03.09.2023 betont, sind schnell wach­sen­de Kar­rie­ren durch Social Media kein neu­es Phä­no­men: Bereits 2007 wur­de Soul­ja Boy über MySpace zum Star. Was damals noch Wochen oder Mona­te dau­er­te, pas­siert heu­te in Echt­zeit – der Weg vom Kin­der­zim­mer in die Charts ist so kurz wie nie zuvor. Zah1de ist längst kein Ein­zel­fall mehr: Auch ben­no! zeigt gera­de ein­drucks­voll, wie ein jun­ges Talent das deut­sche Rap-​Game auf­mischt. Mit gera­de mal 16 Jah­ren hat er bereits ein gan­zes Album ver­öf­fent­licht: "1of1" und lan­det mit Tracks wie "Dein Mann Free­style" direkt in den Charts. Sei­ne Tik­Toks gehen regel­mä­ßig durch die Decke, Mil­lio­nen Views sind bei ihm eher Regel als Aus­nah­me. Unter­stüt­zung bekommt er dabei nicht nur von sei­nen Freund:innen oder sei­ner Fami­lie – auch gro­ße Namen wie Shirin David oder Lucia­no haben ihn längst auf dem Schirm.

Ob Zah1de oder ben­no! – bei­de ste­hen stell­ver­tre­tend für eine neue Gene­ra­ti­on jun­ger Artists, die Social Media per­fekt beherr­schen und klas­si­sche Struk­tu­ren her­aus­for­dern. Doch bei all der Auf­re­gung um Zah1de & Co lohnt sich ein genaue­rer Blick: Ist es wirk­lich fair, die Ver­ant­wor­tung für Ober­fläch­lich­keit, Hype-​Kultur oder ver­meint­li­che Belie­big­keit allein bei den Kids abzu­la­den? Oder zeigt ihr Erfolg nicht viel­mehr, wie sehr sich das Rap­ga­me – und mit ihm die gesam­te Musik­in­dus­trie – ver­än­dert hat? Wer heu­te als Teenager:in viral geht, spielt nach Regeln, die längst von Algo­rith­men, Trends und Platt­for­men dik­tiert wer­den. Klar kann man sich über TikTok-​Hypes oder Gen Z-​Slang echauf­fie­ren. Aber am Ende sind Zah1de & Co vor allem Pro­duk­te eines Sys­tems, das Reich­wei­te belohnt und Authen­ti­zi­tät zur Wäh­rung macht. Die Tee­nie­stars nut­zen die Tools ihrer Zeit ein­wand­frei und holen dabei das Meis­te für sich her­aus. Ehrli­cher­wei­se fin­de ich per­sön­lich, es könn­te um eini­ges schlim­mer sein, denn zumin­dest benut­zen sie die Tools für ihre Musik und pro­kla­mie­ren zum Bei­spiel kei­ne uner­reich­ba­ren Schön­heits­trends. Mit ihrem ganz nor­ma­len zeit­ge­nös­si­schen Girly-​Style und ihren Tex­ten, die eben auch ihre Rea­li­tät in der Schu­le behan­deln, ist Zah1de der Lebens­rea­li­tät von 14-​Jährigen um Eini­ges näher als die Vor­bil­der, die ich in dem Alter hatte.

Die eigent­li­che Fra­ge ist also kaum "Was stimmt nicht mit die­sen jun­gen Künstler:innen?", son­dern "War­um wun­dern wir uns, dass Kids, die mit Tik­Tok auf­ge­wach­sen sind, genau wis­sen, wie sie die Platt­form benut­zen müs­sen, um Reich­wei­te zu erlan­gen?" Des­halb gilt: Don't shame the play­er, shame the game. Wer Zah1de kri­ti­siert, soll­te sich fra­gen, ob man wirk­lich sie meint – oder nicht doch das Sys­tem dahin­ter. Denn solan­ge Klicks mehr zäh­len als Skills und Memes mehr bewe­gen als Mes­sa­ges, wer­den immer mehr jun­ge Künster:innen über Nacht zu Stars – ob sie wol­len oder nicht. Doch eines bleibt klar: Für nach­hal­ti­gen Erfolg im Musik­busi­ness reicht Vira­li­tät allein nicht aus. Wer es wirk­lich ernst meint mit einer Musik­kar­rie­re, muss sich musi­ka­lisch wei­ter­ent­wi­ckeln. So wie bad­mómzjay es ein­drucks­voll vor­ge­macht hat: vom Social Media-​Hype zur eta­blier­ten Künst­le­rin mit eige­nem Sound.

(Lena Pin­to)
(Gra­fik von Dani­el Fersch)