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Kommentar

Xatar: ein Nachruf

An die­ser Stel­le möch­ten wir an den Rap­per und Label­boss Xatar erin­nern, der am 08. Mai 2025 von uns gegan­gen ist. Er war eine der schil­lernds­ten und prä­gends­ten Figu­ren der deut­schen HipHop-​Szene, deren pop­kul­tu­rel­ler Ein­fluss auch weit dar­über hin­aus reichte.

Musik pusht von Tickern und Nutten.
AON hin­ter Git­tern erfunden.
Von Fixern als Kun­den zu HipHop-Fans.

An der Schu­le, an der ich Abitur gemacht habe, gab es um 2010 viel­leicht fünf von 500 Men­schen, die bewusst Xatar gehört haben. Trotz­dem war "Was Face­book, geh auf Inter​pol​.com" ein der­art geflü­gel­tes Wort, dass in kei­nem Gespräch die Platt­form erwähnt wer­den konn­te, ohne dass einem die­se Zei­le um die Ohren gehau­en wurde.

Ich fin­de die Anek­do­te sym­pto­ma­tisch für den Ein­fluss, den Giwar Haja­bi auf Hip­Hop in Deutsch­land hat­te. Man­tel tra­gen, Ziz­zi­es machen, Punica-​Glasflasche (ohne Deckel), Köf­te­spieß (ohne reden) … Die Lis­te mit Quo­ta­bles, Memes und Sprech­wei­sen, die von dem Bon­ner aus­ge­hen, lie­ße sich noch lan­ge fort­set­zen. Die Bi-​Sprache gibt es in und um Bonn viel­leicht schon lan­ge, erst durch die "Alles oder Nix"-Künstler:innen wur­de sie aber deutsch­land­weit bekannt. Der Money Boy-​Auftritt ("Ich tra­ge Man­tel") bei Cir­cus Hal­li­gal­li 2014 steht sinn­bild­lich für den pop­kul­tu­rel­len Ein­fluss Xatars. Auf die­ser Ebe­ne der Aus­drü­cke, Slangs und Zita­te dürf­te höchs­tens Haft­be­fehl ähn­lich prä­gend für die 2010er Jah­re gewe­sen sein.

Auf musi­ka­li­scher Ebe­ne lässt sich das in die­ser alles über­strah­len­den Form nicht behaup­ten. Klar, von Anfang an waren alle Wer­ke dank der bes­ten Producer:innen und bes­ten Beats des Lan­des her­vor­ra­gend pro­du­ziert. Xatar war auch mit Sicher­heit kein schlech­ter Rap­per, aber rap­t­ech­nisch sind es in aller Regel die Feature-​Gäste, die die Songs inter­es­sant machen. Hört euch noch ein­mal "Coup" an und stellt euch vor, der schon erwähn­te Haft­be­fehl wäre nicht auf dem Album. Auch Bei­spie­le von jün­ge­ren Artists, die heu­te ver­su­chen, sei­nen Flow und sei­ne Tech­nik zu imi­tie­ren, las­sen sich nicht ohne Wei­te­res fin­den – was in keins­ter Wei­se den Erfolg schmä­lert, den er gera­de zwi­schen 2012 und 2018 auch kom­mer­zi­ell hatte.

Was Xatars Musik so außer­ge­wöhn­lich macht, sind sei­ne Aus­strah­lung und die per­sön­li­che Geschich­te dahin­ter. Eine Aus­kopp­lung mit sei­nem (Gast-)Beitrag bedeu­te­te immer ein her­vor­ra­gen­des Video, min­des­tens zwei bis drei Zei­len, die nicht mehr aus dem Kopf gehen, und das Gefühl, dass es hier sehr pro­fes­sio­nell und beson­ders authen­tisch zur Sache geht. Die letz­ten bei­den Punk­te lie­gen natür­lich vor allem in der Bio­gra­fie des Rap­pers begrün­det. Frü­hes­te Flucht- und Gefäng­nis­er­fah­run­gen, spä­ter ein län­ge­rer London-​Aufenthalt, weil durch Haft­be­fehl (jetzt geht es nicht um den Rap­per) gesucht. Par­al­lel hat der Deutsch­kur­de schon in der Kind­heit Kla­vier­un­ter­richt erhal­ten und in Lon­don Music Busi­ness stu­diert. Außer­dem wur­den Benefiz-​Konzerte gege­ben und die migran­ti­sche Com­mu­ni­ty sup­port­et. Die­se Eck­punk­te, ver­bun­den mit dem humor­vol­len und selbst­be­wuss­ten Auf­tre­ten des "Alles oder Nix"-Gründers, wür­den schon rei­chen, um eine außer­ge­wöhn­li­che Geschich­te in der deut­schen Rap-​Historie zu schrei­ben. Der spek­ta­ku­lä­re Gold­raub – neben­bei: wie ana­chro­nis­tisch und film­reif kann ein Ver­bre­chen sein? – ver­bun­den mit einer Flucht um die hal­be Welt sowie Auf­ent­hal­ten in Gefäng­nis­sen im Irak und in Deutsch­land set­zen dem Gan­zen dabei nur noch die Kro­ne auf. Dass mit "Rhein­gold" aus die­ser Geschich­te ein her­vor­ra­gen­des Bio­pic ent­stand, ist selbsterklärend.

Die ande­re gro­ße Qua­li­tät Xatars war ohne Zwei­fel sein musi­ka­li­sches Gespür für ande­re Artists. SSIO, Kalim, Schwesta Ewa und Eno zeu­gen davon, dass Giwar Haja­bi sehr ziel­si­cher dar­in war, zu erah­nen, was funk­tio­niert und wie Künstler:innen und ihr Image auf­ge­baut wer­den müs­sen. Aber nicht nur auf geschäft­li­cher Ebe­ne, auch auf künst­le­ri­scher Sei­te haben vie­le sei­ner gesign­ten Artists mit ihren ers­ten Alben Maß­stä­be gesetzt. Neben­bei kam auch das bes­te Syla­bil Spill-​Album wäh­rend des­sen "Kopfticker"-Zeit. Zwar trüb­ten der spä­te­re Kai-​Klickkauf-​Skandal und die gan­ze Gold­mann Entertainment-​Nummer das Bild des unfehl­ba­ren Musikbusiness-​Genies, änder­ten aber nichts am grund­sätz­li­chen Stan­ding, dass Xatar bis zum Schluss voll­kom­men zu Recht in der Sze­ne genoss. Am 8. Mai 2025 ver­starb Giwar Haja­bi viel zu früh im Alter von 43 Jah­ren. Er hin­ter­lässt eine Frau und fünf Kin­der. Wir wün­schen den hier Geblie­be­nen viel Kraft und trau­ern mit ihnen.

(Simon Back)
(Gra­fik von Dani­el Fersch)