Musik pusht von Tickern und Nutten.
AON hinter Gittern erfunden.
Von Fixern als Kunden zu HipHop-Fans.
An der Schule, an der ich Abitur gemacht habe, gab es um 2010 vielleicht fünf von 500 Menschen, die bewusst Xatar gehört haben. Trotzdem war "Was Facebook, geh auf Interpol.com" ein derart geflügeltes Wort, dass in keinem Gespräch die Plattform erwähnt werden konnte, ohne dass einem diese Zeile um die Ohren gehauen wurde.
Ich finde die Anekdote symptomatisch für den Einfluss, den Giwar Hajabi auf HipHop in Deutschland hatte. Mantel tragen, Zizzies machen, Punica-Glasflasche (ohne Deckel), Köftespieß (ohne reden) … Die Liste mit Quotables, Memes und Sprechweisen, die von dem Bonner ausgehen, ließe sich noch lange fortsetzen. Die Bi-Sprache gibt es in und um Bonn vielleicht schon lange, erst durch die "Alles oder Nix"-Künstler:innen wurde sie aber deutschlandweit bekannt. Der Money Boy-Auftritt ("Ich trage Mantel") bei Circus Halligalli 2014 steht sinnbildlich für den popkulturellen Einfluss Xatars. Auf dieser Ebene der Ausdrücke, Slangs und Zitate dürfte höchstens Haftbefehl ähnlich prägend für die 2010er Jahre gewesen sein.
Auf musikalischer Ebene lässt sich das in dieser alles überstrahlenden Form nicht behaupten. Klar, von Anfang an waren alle Werke dank der besten Producer:innen und besten Beats des Landes hervorragend produziert. Xatar war auch mit Sicherheit kein schlechter Rapper, aber raptechnisch sind es in aller Regel die Feature-Gäste, die die Songs interessant machen. Hört euch noch einmal "Coup" an und stellt euch vor, der schon erwähnte Haftbefehl wäre nicht auf dem Album. Auch Beispiele von jüngeren Artists, die heute versuchen, seinen Flow und seine Technik zu imitieren, lassen sich nicht ohne Weiteres finden – was in keinster Weise den Erfolg schmälert, den er gerade zwischen 2012 und 2018 auch kommerziell hatte.
Was Xatars Musik so außergewöhnlich macht, sind seine Ausstrahlung und die persönliche Geschichte dahinter. Eine Auskopplung mit seinem (Gast-)Beitrag bedeutete immer ein hervorragendes Video, mindestens zwei bis drei Zeilen, die nicht mehr aus dem Kopf gehen, und das Gefühl, dass es hier sehr professionell und besonders authentisch zur Sache geht. Die letzten beiden Punkte liegen natürlich vor allem in der Biografie des Rappers begründet. Früheste Flucht- und Gefängniserfahrungen, später ein längerer London-Aufenthalt, weil durch Haftbefehl (jetzt geht es nicht um den Rapper) gesucht. Parallel hat der Deutschkurde schon in der Kindheit Klavierunterricht erhalten und in London Music Business studiert. Außerdem wurden Benefiz-Konzerte gegeben und die migrantische Community supportet. Diese Eckpunkte, verbunden mit dem humorvollen und selbstbewussten Auftreten des "Alles oder Nix"-Gründers, würden schon reichen, um eine außergewöhnliche Geschichte in der deutschen Rap-Historie zu schreiben. Der spektakuläre Goldraub – nebenbei: wie anachronistisch und filmreif kann ein Verbrechen sein? – verbunden mit einer Flucht um die halbe Welt sowie Aufenthalten in Gefängnissen im Irak und in Deutschland setzen dem Ganzen dabei nur noch die Krone auf. Dass mit "Rheingold" aus dieser Geschichte ein hervorragendes Biopic entstand, ist selbsterklärend.
Die andere große Qualität Xatars war ohne Zweifel sein musikalisches Gespür für andere Artists. SSIO, Kalim, Schwesta Ewa und Eno zeugen davon, dass Giwar Hajabi sehr zielsicher darin war, zu erahnen, was funktioniert und wie Künstler:innen und ihr Image aufgebaut werden müssen. Aber nicht nur auf geschäftlicher Ebene, auch auf künstlerischer Seite haben viele seiner gesignten Artists mit ihren ersten Alben Maßstäbe gesetzt. Nebenbei kam auch das beste Sylabil Spill-Album während dessen "Kopfticker"-Zeit. Zwar trübten der spätere Kai-Klickkauf-Skandal und die ganze Goldmann Entertainment-Nummer das Bild des unfehlbaren Musikbusiness-Genies, änderten aber nichts am grundsätzlichen Standing, dass Xatar bis zum Schluss vollkommen zu Recht in der Szene genoss. Am 8. Mai 2025 verstarb Giwar Hajabi viel zu früh im Alter von 43 Jahren. Er hinterlässt eine Frau und fünf Kinder. Wir wünschen den hier Gebliebenen viel Kraft und trauern mit ihnen.
(Simon Back)
(Grafik von Daniel Fersch)