Max "Rockstah" Nachtsheim ist ein Rapper, der Filme und Schallplatten sammelt. Er ist außerdem ein Comedian, der in Instagram-Reels neue LEGO-Sets vorstellt und dazu ein Podcaster, der in seinem Online-Shop Actionfiguren, Plüschtiere sowie Pokémon-Karten verkauft. Kurz gesagt: ein Mann mit vielen Jobs, der durch Medienlandschaft, Deutschrap sowie Gaming-Szene tingelt und Popkultur wie wahrscheinlich kein Zweiter konsumiert. Oder, wie er es selbst mit Augenzwinkern formuliert: "Ich mache eure Hobbys hauptberuflich." Doch seine größte Leidenschaft ist das Gaming. Der Retro-Fan Rockstah ist Experte für Videospiele und Konsolen aller Art und bewegt sich bereits seit Jahrzehnten innerhalb der Spiele-Industrie. Gegen Ende des letzten Jahres wollten wir im Interview von ihm wissen, was in der Szene gerade los ist, welche Rolle Games in seinem Leben gespielt haben und wie er auf problematische Inhalte und Streamer:innen in der Gaming-Landschaft blickt.
MZEE.com: Wir haben überlegt, unser Interview wie gewohnt mit einer durchdachten Einstiegsfrage zu beginnen, aber heute wollen wir stattdessen mal ganz praktisch starten: Was zockst du zurzeit?
Rockstah: Tatsächlich etwas, was ich für mein Videospieljahr 2024 gar nicht mehr auf dem Schirm hatte: die Kampagne des neuen "Call of Duty". Eigentlich hatte ich mich vor Jahren von der Reihe verabschiedet, weil ich das Gefühl hatte, dass das Thema komplett ausgelutscht und durchgekaut war. Doch mit der neuen Kampagne haben sie echt positiv überrascht und etwas Großartiges abgeliefert. Da es sowieso im Xbox Game Pass enthalten ist, habe ich auch mal reingeschaut. Jetzt bin ich komplett darauf hängen geblieben und kann es kaum erwarten, nach Hause zu kommen und weiterzuspielen. Wirklich verrückt. Die Wochen zuvor habe ich mit dem neuen "The Legend of Zelda: Echoes of Wisdom" verbracht. Insgesamt war das Ende von 2024, was Videospiele angeht, richtig gut, nachdem der erste Teil des Jahres eher mau war und ich nur sehr wenige Titel gespielt habe.
MZEE.com: Das heißt, dass es bei dir intensivere Phasen gibt und solche, in denen du nur gelegentlich zockst?
Rockstah: Absolut. Es ist abhängig vom Release-Kalender. Ich spiele nicht nur große Games wie "Call of Duty" oder "Silent Hill", sondern gerne auch kleinere Sachen oder mal etwas retromäßiges. Aber es hängt davon ab, was gerade draußen ist und was ich sonst noch zu tun habe. Ich spiele auch nicht nur Videospiele, sondern gucke auch Filme und Serien und fahre gerne ins Disneyland. Dadurch konsumiere ich eh von morgens bis abends Popkultur. Der Tag hat aber nur 24 Stunden und ich arbeite dazwischen auch noch sehr viel, weil ich aktuell fünf Jobs mache. Da muss ich mir die Zeit einfach einteilen. Aber gerade der Herbst ist gesegnet für Leute, die Videospiele mögen. In der kühlen Zeit lümmelt man sich nach einem langen Tag abends gerne mal auf die Couch und verbringt zwei, drei Stunden mit Zocken. Das mag ich wirklich.
MZEE.com: Du beschäftigst dich nicht erst seit gestern mit Gaming. Welche Rolle nahmen und nehmen Videospiele in deinem Leben ein?
Rockstah: Genau wie Serien und Filme spielen Videospiele eine große Rolle für mich und haben mich enorm geprägt. Ich habe damit angefangen, da war ich erst fünf Jahre alt. Jetzt bin ich 40, das heißt, Videospiele sind seit 35 Jahren ein Teil meines Lebens. Meine Eltern haben sich damals scheiden lassen. In dieser Zeit kam der Game Boy auf den Markt und ich habe einen geschenkt bekommen. Das sollte mich ablenken. Ich habe mir damit autodidaktisch "Super Mario Land" beigebracht und "Tetris" gespielt. So ging das mit dem Zocken los und ich bin darin aufgeblüht. Meine Eltern haben lustigerweise beide auch auf einmal angefangen, Game Boy zu spielen und mehr Spiele zu kaufen. Der Game Boy ist bis heute meine Lieblingskonsole. Einmal im Jahr "Super Mario Land" durchzuspielen, ist für mich wie ein Ritual. Damals war ich eines Tages bei einem Freund, der mir sein NES (Anm. d. Red.: Nintendo Entertainment System) gezeigt hat. Das war wie der Game Boy, nur auf dem Fernseher, und hat mich total geflasht. Es fühlte sich an, als hätte man mir eine Spritze Heroin gegeben. Ab diesem Zeitpunkt war ich wie abhängig. Seitdem habe ich jede Generation von Konsolen mitgenommen. Während meiner Jugend kam auch die PlayStation 1 raus. Damit wurden Videospiele sozusagen parallel zu mir erwachsen. Spiele aus dieser Zeit, wie "Resident Evil", "Metal Gear" oder "The Legend of Zelda: Ocarina of Time" haben eine ganze Generation geprägt und ich spüre heute noch viel Liebe dafür. Ich bin immer wieder begeistert, wenn nicht nur ganz neue Dinge gemacht werden, sondern man auch versucht, alte Dinge neu zu beleben. Ich beschäftige mich auch gerne damit, was im Hintergrund passiert. Es ist einfach meine Leidenschaft. Durch das Podcasten habe ich noch stärker gemerkt, wie geil das alles ist. Seitdem bin ich wieder tiefer drin und es wurde noch nerdiger. Als wir einen Podcast über die Konsole N64 aufnahmen, habe ich gecheckt, dass das auch eine meiner absoluten Lieblingskonsolen ist und angefangen, alle Spiele dazu zu sammeln. Mittlerweile habe ich tatsächlich ein original verpacktes Fullset fertiggestellt. (Anm. d. Red.: Für Nintendo 64 wurden von 1996 bis 2002 weltweit insgesamt 388 Spiele veröffentlicht. In Europa erschienen davon insgesamt 239 Spiele.)
MZEE.com: Du bist also nicht nur ein leidenschaftlicher Gamer, sondern auch Sammler? Was ist dein Holy Grail?
Rockstah: Ja, ein bisschen habe ich tatsächlich schon immer gesammelt. Aber als Jugendlicher hat man nicht immer Kohle und muss Dinge auch wieder verkaufen. Da sammelst du alles akkurat für den Super Nintendo, dann kommt die neue N64 und du willst natürlich die dafür passenden Spiele. Also verkaufst du deine ganze Sammlung wieder. Das Ganze wiederholt sich zwei, drei Mal. Wobei ich mit der N64 angefangen habe, Spiele zu behalten. Da sind dann schon einige Perlen dabei, die heute etwas wert sind. Mein "Conker's Bad Fur Day" war damals schon relativ gefragt und ich habe es heute noch in der Originalverpackung von 2001. Das ist zeitweise 500 bis 600 Euro wert gewesen. Da freut man sich, so schlau gewesen zu sein, etwas aufzuheben. Ich bin nach wie vor ein großer Freund des physischen Mediums. Ich kaufe auch immer noch gerne Filme in schönen Editions, weil ich es wertvoll finde, wenn man eine Art Bibliothek hat. Wie mit Büchern, nur eben mit Spielen, Filmen oder Platten. Vinyl ist auch so ein geiles Medium, weil es das Genre, für das es steht, auf eine Weise ehrt. Das ist genau das, was ich am physischen Medium liebe. Man hält etwas in der Hand. Mit aktuell ungefähr 7 000 Videospielen bin ich schon ein leidenschaftlicher Sammler.
MZEE.com: Mit deiner Liebe zu Vinyl rennst du hier bei MZEE auf jeden Fall offene Türen ein.
Rockstah: Vinyl zu sammeln ist einfach geil. Es gibt mittlerweile auch viele Videospiel-Soundtracks auf Vinyl, mit coolen Varianten und Covern. Ich finde es schön, dass sich da so viel getan hat. Das ist das Gute daran, dass physische Medien aussterben. Jetzt kommt alles in hochwertigen Editionen heraus und wird nicht lieblos produziert. Heute bekommt man Filme in geilen Steelbooks. Vinyl ist da ähnlich. Ich kaufe inzwischen zwar nicht mehr so viele Platten, weil man irgendwann Prioritäten setzen muss. (lacht) Aber hin und wieder gönne ich mir schon mal einen schönen Soundtrack als Colored Vinyl. Neulich habe ich mir außerdem das Album "BRAT" von Charli xcx gekauft. Es ist einfach hundert Mal mehr wert, wenn du es in der Hand hast.
MZEE.com: Haben Videospiele in deiner Jugend auch eine therapeutische Rolle gespielt, beispielsweise als Zufluchtsort vor Problemen oder schwierigen Phasen? Sind sie auch heute noch ein Mittel gegen Stress oder hat sich das geändert?
Rockstah: Ich glaube, Videospiele waren für mich immer ein Stück weit Eskapismus. Besonders in meiner Jugend, als ich mit Mobbing und anderen Problemen in der Schule zu kämpfen hatte, wurde die N64 für mich wie ein Freund. Ich erinnere mich, wie ich in einer schweren Phase mit 14 oder 15 Jahren zum ersten Mal "Ocarina of Time" gespielt habe. Es war ein regnerischer Tag, ich saß im Dachzimmer bei meiner Mutter und legte das Spiel ein. Plötzlich waren sieben Stunden vergangen. Das hat mich komplett aus dem Alltag gerissen und mir geholfen, mich neu zu sortieren. Obwohl meine Pubertät von vielen negativen Erfahrungen geprägt war, bleibt sie mir genau wegen solcher Momente trotzdem positiv in Erinnerung. Vielleicht verkläre ich das etwas, aber diese schönen Augenblicke sind der Grund, warum ich so retroverliebt bin. Seit zehn Jahren mache ich einen Retro-Podcast. (Anm. d. Red.: Radio Nukular) Retro fesselt alle irgendwie und versetzt einen in eine bessere Zeit zurück. Aber natürlich ist das auch gefährlich, weil man das ursprüngliche Gefühl nie wieder einholen kann. Heute haben Videospiele für mich eine andere Rolle inne als früher. Sie sind weniger Therapie, weil mein Leben durch Familie, Freund:innen und Beruf zum Glück viel ausgeglichener ist. Trotzdem sind sie ein wichtiger Ruhepol. Selbst ein stressiges Horrorspiel wie "Silent Hill 2" gibt mir am Ende ein gutes Gefühl, auch wenn ich währenddessen komplett angespannt bin. Gestern Abend zum Beispiel: Nach einem langen Arbeitstag war es fast Mitternacht. Ich habe mich auf die Couch gesetzt und drei Stunden "Call of Duty" gespielt. Das hilft mir, runterzukommen. Auch wenn es ein Spiel ist, in dem man schießt und kämpft.
MZEE.com: Ich kenne Fälle von autistischen Kindern, die in Spielen wie "Minecraft" innere Ruhe finden, weil sie darin eine Welt erschaffen können, die nach ihrer Logik und nicht nach Regeln das alltäglichen Lebens funktioniert. Denkst du, im Gaming liegt ein ungenutztes pädagogisches Potenzial?
Rockstah: Auf jeden Fall können gut gemachte Videospiele Kindern etwas beibringen, ohne dass es sich wie Lernen anfühlt. Als wir unseren ersten PC hatten, spielte meine Schwester zum Beispiel viele solcher Lernspiele wie "Addy Junior". Die waren eine gute Mischung aus Spaß und Lerneffekt. "Minecraft" ist auch ein gutes Beispiel. Es fördert Kreativität und ersetzt für viele Kids die LEGO-Kiste, weil du aus dem Nichts sehr viel erschaffen kannst. "Fortnite" kann ich nicht so richtig bewerten, zumindest früher konnte man da auch Dinge bauen. Je nach Spiel kann man also schon etwas mitnehmen, wobei das auch eine Frage der Auffassungsgabe ist. Ich glaube, ich habe selbst aus Videospielen etwas gelernt, bei denen andere gesagt hätten, daraus lernt man nichts.
MZEE.com: Hast du auch Schattenseiten des Gamings kennengelernt, beispielsweise Suchtgefahr oder Vernachlässigung anderer Lebensbereiche?
Rockstah: Schattenseiten gibt es zu 100 Prozent. Ich erzähle hier gerade zwar sehr viel darüber, wie viel ich spiele, aber ich habe das nie meinem sonstigen Leben vorgezogen. Ich bin auch nie in Online-Welten versunken, weil ich nicht im Multiplayer-Modus spiele. Ich bin ein reiner Singleplayer. Bei "Call of Duty" spiele ich keine Sekunde im Multiplayer gegen andere. Ich hatte einen Kumpel, der hat damals "World of Warcraft" gespielt. Der hatte nicht so ein gutes Leben in dieser Zeit und es ist vieles schiefgelaufen, was Familie, Job und Geld anbelangte. Am Ende mussten ihn seine engsten Freunde aus seiner Wohnung zerren, weil er unterernährt war und in seinem Kühlschrank nur noch ein Ei war. Der ist aus diesem Ding nicht mehr selbst herausgekommen. Sowas habe ich ein paarmal miterlebt. Es ist wie bei allen Dingen. Vor 20 Jahren haben wir ja auch schon die Debatte über Killerspiele geführt. Ich glaube aber, es ist nie abhängig vom Medium selbst, sondern von der Psyche und Empfänglichkeit der Leute, die dieses Medium konsumieren. Du kannst auch bei einem Splatterfilm sagen, dass er Leute zu schlechten Taten inspirieren kann. Ja, aber dann ist die Psyche eh schon angeknackst. So wie Leute süchtig nach Videospielen werden, werden sie auch Social-Media-abhängig, hängen wie früher in irgendwelchen Chatrooms ab oder verlieren sich in ihrer Arbeit.
MZEE.com: Gaming hat auch eine soziale Komponente. Das Format der LAN-Party, bei der sich Freund:innen treffen, um gemeinsam an ihren PCs zu spielen, ist fast ausgestorben. Dafür kann man heute einfacher denn je online mit Menschen aus aller Welt zocken und Teil einer digitalen Community sein. Ist Gaming sozialer oder unsozialer geworden?
Rockstah: Ich glaube, diese Multiplayer-Aspekte haben Gaming definitiv sozialer gemacht. Ich bin zum Beispiel in einer WhatsApp-Gruppe, in der Jungs aus dem HipHop- und Gaming-Kosmos seit Jahren zusammen zocken – sei es "Tom Clancy's Rainbow Six Siege", "Call of Duty" oder andere Spiele. Das hat die richtig zusammengeschweißt. Manchmal habe ich mich fast ein bisschen isoliert gefühlt, wenn sie gefragt haben, ob ich auch mal dazukomme, ich es aber zeitlich oft nicht einrichten konnte. (lacht) Games sind eine tolle Basis, um zusammenzukommen. Das kann helfen, wenn du Freundschaften hast, aber wegen räumlicher Distanz nicht den ganzen Tag zusammen abhängen kannst. Meine Freundin wohnt zum Beispiel auch zweieinhalb Stunden entfernt und wir können uns nicht immer treffen. Seit sie eine Xbox hat, spielen wir dafür ab und zu ein paar kleinere Games zusammen. Ich kenne auch Leute, die sind durch "World of Warcraft" Freund:innen geworden. Du kannst viel daraus machen. Du kannst natürlich auch jeden Tag davorsitzen, alle "H***nsohn" nennen und ins Mikro schreien. Aber wenn du es cool machst, lernst du auch Leute kennen, die dir später im echten Leben begegnen werden. Es hat ja einen Grund, warum jedes Jahr eine halbe Million Menschen auf die Gamescom pendeln.
MZEE.com: Die Industrie hinter den Videospielen kämpft mit Problemen. In vielen Entwicklerstudios werden Stellen abgebaut, gleichzeitig haben Gamer:innen mit "Stop Killing Games" ein EU-Bürgerbegehren gestartet und Stand heute über 400 000 Unterschriften gesammelt. Hat sich die Industrie von den Bedürfnissen der Spieler:innen entfernt?
Rockstah: Ich glaube, der Markt reguliert sich in der Hinsicht immer selbst. Nehmen wir mal eine prominente Firma wie Ubisoft als Beispiel. Die sind verantwortlich für Spiele wie "Assassin's Creed", "Rainbow Six" oder das neue "Star Wars Outlaws". Ubisoft steht seit Jahren dafür in der Kritik, dass sie oft einfach das gleiche Spiel nur in einem anderen Skin machen. Dann fühlt sich "Star Wars" Spielen an wie "Assassin's Creed", und "Assassin's Creed" wie "Avatar". Die kriegen dafür aufs Maul und merken das auch an ihren Verkaufszahlen. Dann reguliert sich das wieder von selbst. "Call of Duty" war auch mal schlechter. Jetzt ist es wieder besser. Bei FIFA, oder EA Sports FC, wie es jetzt heißt, läuft es gerade auch nicht so gut, habe ich mir sagen lassen. Bei den großen Firmen sind das alles Zyklen von Aufs und Abs. Es kann auch nicht immer nur nach oben gehen. Wobei ich glaube, dass es uns Gamer:innen gerade schon gut geht. Ich finde, 2024 wurden wir in vielerlei Hinsicht verwöhnt und haben viel gutes Zeug bekommen. Auch wenn vielleicht nicht jedes Ubisoft- oder EA-Game geil ist. Für mich fühlt es sich an wie immer. Und klar, hier und da werden Stellen abgebaut, aber anderswo werden auch wieder neue Entwicklerstudios aufgemacht. Microsoft hat sich zum Beispiel übernommen, weil sie gefühlt alles aufgekauft haben und mit Ach und Krach gegen Sony antreten wollten. Aber du kannst nicht 50 Studios aufkaufen, von denen dann nur zehn Spiele im Jahr kommen. Das macht wirtschaftlich keinen Sinn und dafür stehen sie zurecht in der Kritik. Ankündigen, aufkaufen, nicht wissen, was man damit machen soll, und wieder schließen, ist halt scheiße. Trotzdem ist die Gamescom jedes Jahr noch voll und es werden geile Sachen releast. Ich glaube, da gibt es kein Ende.
MZEE.com: Thema Gamescom: Der bekannte YouTuber Gronkh hat mal bemängelt, dass mittlerweile oft Influencer:innen und Content Creator:innen im Mittelpunkt stehen und es auf Messen wie der Gamescom nicht mehr hauptsächlich um Games geht. Gibt es heutzutage zu viel Personenkult in der Szene?
Rockstah: Definitiv ja. Wir haben auf jeden Fall zu viel Personenkult. Aber dieses Problem hat die Gamescom im Gegensatz zu anderen nicht selbst verursacht. Was sie verursacht hat, ist, dass große Firmen wie Nintendo oder Sony wegen der hohen Standgebühren nicht mehr dabei sind. Deswegen gibt es auch die Spielemesse E3 in Amerika nicht mehr. Die Großen sagen: "F*ckt euch, wir machen einfach selbst unsere Pressekonferenzen." Die sind heute online so stark aufgestellt, müssen Neues einfach nur mit einem eigenen YouTube-Video ankündigen und sparen so Unmengen an Geld. Das ist ein Problem der Gamescom. Ich war 2024 mal wieder da, nachdem ich einige Jahre nicht dort war. Wenn man durch die Hallen läuft, fühlt sich eigentlich alles noch an wie früher. Die Leute haben auch Interesse an den Spielen. Die Schlangen waren überall lang, selbst in der Indie Arena Booth, wo die kleinen Studios ausstellen. Das Gaming-Thema ist noch da, nur die Influencer:innen haben es übernommen. Das kann die Gamescom aber gar nicht regulieren. Es gibt Content Creator:innen und Streamer:innen im Überfluss. Da ist inhaltlich auch viel Schund dabei. Auch neue Messen wie die Polaris Convention in Hamburg Anfang Oktober, bei der es ebenfalls ums Gaming geht, sind schon wieder so überladen mit Influencer:innen. Du kannst gar nicht verhindern, dass die überall auftauchen. Die Gamescom ist jetzt ein Influencer:innen-Treff. Spätestens als Montana Black da 2022 mit einer Meute von Tausenden Kids hinter sich durch die Hallen gezogen ist. Ich finde das viel zu viel Personenkult. Früher war das anders. Ich bin ein alter Mann, ich war noch auf der Games Convention in Leipzig. (lacht) Ich weiß noch, wie ich eine halbe Stunde für "Resident Evil" anstehen musste. Das war das meistbegehrte Spiel der Messe. Heute stehst du für ein Spiel, das in drei Wochen rauskommt, sechs Stunden an. Das steht in gar keinem Verhältnis mehr. Damals war es klein und liebevoll gemacht. Du hast an jedem Stand ein T-Shirt bekommen, 20 Euro ausgegeben und bist mit 500 Euro an Zeug nach Hause gekommen. So was wünscht man sich zurück, aber so wird es nicht mehr werden. Ich würde auch gerne mal wieder einfach durch die Hallen laufen und ein, zwei Sachen zocken. Aber ich stelle mich doch nicht an einem Freitag zwei Stunden lang für ein Star Wars-Spiel an, was am Montag darauf releast wird. Dann hänge ich lieber mit Freunden ab oder gehe etwas essen. (lacht)
MZEE.com: Du sagtest, von Seiten der Content Creator:innen und Influencer:innen sei inhaltlich auch viel Schund dabei. Ende September erschien eine Ausgabe des ZDF Magazin Royale zum Thema Gaming und Streaming. Aufhänger der Sendung war, dass die Szene sich gerne als unpolitischen Raum begreift, gleichzeitig aber Rassismus, Sexismus und rechtsextremes Gedankengut zum Alltag gehören. Empfindest du die Szene als unpolitisch?
Rockstah: Das muss man je nach Fall betrachten. Montana Black zum Beispiel kann sich nicht davon freisprechen, eine bestimmte Haltung zu repräsentieren, so viel wie er sich über Politik aufregt. Er sagt zwar, er sei kein Politiker und will nicht politisch sein, aber er ist es automatisch, wenn er sich im Live-Stream über Politik aufregt. Zum Beispiel, wenn er aus Protest mit 260 km/h auf der linken Spur fährt oder sich beim Radfahren über einen Pfosten in seinem Weg beschwert, den angeblich die Grünen aufgestellt hätten. Was völliger Quatsch ist. Das sind politische Statements, ob er will oder nicht. Da legt er Feuer in die falsche Richtung. Wir leben in einer sehr aufgeheizten und problematischen Zeit. Ich finde es wirklich das Allerletzte, wenn Leute immer wieder hervorheben, wie schlimm die "Woken" sind, mit Absicht Feuer schüren und dafür sorgen, dass alles immer weiter auseinanderklafft. Das ist richtig, richtig uncool und überall ein Riesenproblem, nicht nur im Gaming. Wir führen heute ja gar keine Diskurse mehr. Jede:r hat einen Standpunkt und hämmert auf die andere Seite ein. Auch diese ganze Diskussion um Shurjoka und KuchenTV ist so ein Fall. (Anm. d. Red.: Die österreichische Streamerin Shurjoka warf J.K. Rowling 2023 Transfeindlichkeit vor und rief zum Boykott des neuen Harry Potter-Spiels "Hogwarts Legacy" auf. Der YouTuber KuchenTV veröffentlichte in Folge mehrere Videos über die Thematik und es entwickelte sich eine Auseinandersetzung mit gegenseitigen Anfeindungen in Live-Streams. KuchenTV wurde zeitweise von der Streaming-Plattform Twitch wegen beleidigender Inhalte gesperrt, klagte später jedoch erfolgreich gegen die Sperrung seines Accounts.) Was wir machen müssten, und das klingt jetzt Hippie-mäßig, wäre Kompromisse zu finden und zusammenzurücken. Aber das passiert ja nicht. Und wenn sich ein Montana Black über Ricarda Lang wegen eines Pfostens auf dem Fahrradweg aufregt und seine Fans alle darauf aufspringen, wird die Kluft nur immer weiter aufgehen. Und ich bin selbst nicht einmal superlinks oder woke oder so. Aber der einzige Kompromiss wäre, einfach mal nicht noch weiter Öl ins Feuer zu gießen. Diese ganzen Leute, über die wir jetzt gesprochen haben, wurden groß, indem man sie vor eine Kamera gesetzt hat und sie einfach losgelabert haben. Da gibt es keinen Filter, niemanden der sagt "Mach das mal nicht" und kein Nachdenken. Es wird einfach reaktionär herausgerotzt. Ich finde es sehr schade, dass viele sich da so aus der Verantwortung nehmen. Vor allem Leute mit großer Reichweite könnten diese mal dafür nutzen, etwas zu entschleunigen. Einem Montana Black hören mehr Leute zu als manchen Politikern. Aber es wird immer nur reingebrettert und draufgehauen.
MZEE.com: Und was ist dein Standpunkt zum Böhmermann-Beitrag?
Rockstah: Obwohl ich seinen Standpunkt vertrete, fand ich ihn überhaupt nicht gut gemacht. Es wurde an allen Oberflächen nur gekratzt und man ist nicht wirklich zum Punkt gekommen. Die Kernaussage war: "In der Gaming-Szene gibt's auch Arschlöcher, und das sind diejenigen von denen ihr schon dachtet, dass sie Arschlöcher sind." Auch diese Doku führt zu gar nichts. Du führst damit keinen Diskurs. Ein Jan Böhmermann wäre eigentlich in der Position, Leute zusammenzubringen und die Kluft kleiner zu machen. Aber er macht in dem Video genau das Gleiche wie die anderen, nur auf intellektueller Basis. Es war kein gut recherchiertes Video und nicht besonders schlau gemacht.
MZEE.com: Böhmermann forderte darin unter anderem: "Macht doch mal das Maul auf, liebe Gamer." – Hätte er in deinen Augen selbst die Chance dazu besser nutzen sollen, anstatt Streamer:innen und den Rest der Gaming-Szene dazu aufzufordern?
Rockstah: Ja, diese Chance hat er nicht genutzt. Er hat auch nur oberflächlich in eine Richtung geschossen. Das hat er in der Vergangenheit schon klüger gelöst. Auf einmal war das Video vorbei und ich dachte mir: "Was ist jetzt die Pointe? Wo soll's hingehen?" Natürlich hatte er mit vielen Aussagen recht. Zuletzt gab es ja diesen Vorwurf, dass Montana Black eine 17-jährige Freundin hat. Ganz viele aus der YouTube-Szene, die ansonsten auf jeden draufgehen, den sie kritisieren können, haben den großen Monte auf einmal nicht angegriffen. Weil sie Angst hatten, dass ihnen das schadet oder sie von seinen Fans attackiert werden. Solche Fälle gab es ja auch schon im Rap.
MZEE.com: Aber gibt es wirklich niemanden in dieser riesigen Gaming-Szene mit ihren tausenden Streamer:innen, der:die sich in solchen Fällen in der Verantwortung sieht, Stellung zu beziehen? Was ist denn beispielweise mit dir selbst?
Rockstah: Ich finde nicht so sehr in dieser Szene statt. Ich bin Podcaster und rede in meinem Podcast auch darüber. Aber ich habe gar nicht die Reichweite, um groß etwas zu bewirken. Ich glaube schon, dass viele "kleinere" Leute über solche Dinge quatschen. Manchmal ist es auch nur ein Retweet, um ein Zeichen zu setzen, dass man etwas wahrnimmt und nicht gut findet. Doch gerade in der obersten Liga mit den großen Streamer:innen werden so viele dumme Sachen gesagt und niemandem wird übers Maul gefahren. Das muss ja nicht bedeuten, dass man alle direkt cancelt. Aber es muss Leuten auch mal ganz klar gesagt werden, wenn sie Scheiße reden. Und die müssen dann nicht denken, dass ihnen alles weggenommen werden soll. Die sollen einfach nur einsehen, dass sie weniger reaktionäre Scheiße labern sollen, und verstehen, welche Bubble sie sonst füttern. Aber das kapieren diese Leute nicht, weil es ihnen niemand sagt. Jemand wie Gronkh hält sich auch zurück, weil er eben seine Wohlfühl-Community hat – und gar keine Lust, sich zu äußern. Ich verstehe das auch in manchen Fällen. Es ist eine Frage der Psyche, ob es einem selbst gut geht und ob man den Nerv dafür hat, sich im großen Stil mit jemandem zu fetzen. Manche können das nicht aushalten, und das respektiere ich auch. Zusammengefasst: Die Gaming-Landschaft hat ein Problem. Aber es ist kein Problem dieser Szene, sondern ein gesellschaftliches Problem. Und überträgt sich in alle möglichen Bereiche. Weil Popkultur politisch ist. Alles ist politisch.
MZEE.com: Lass uns mit etwas Versöhnlichem enden und dabei an den Beginn anknüpfen: Auf welches anstehende Game-Release freust du dich gerade?
Rockstah: Ich freue mich in diesem Jahr (Anm. d. Red.: 2024) noch auf das neue "Indiana Jones"-Spiel. Ansonsten die Antwort, die die halbe Welt gibt: Ich bin super gespannt, was mit "GTA VI" passieren wird. Ansonsten warte ich auf viele Sachen, die noch nicht angekündigt sind. Ein neues Mario wäre toll.
(Jan Hartmann & Enrico Gerharth)
(Fotos von Max Müller & Özüm Yilmaz)