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Kommentar

Eine Liebeserklärung an postmigrantischen deutschsprachigen Rap

Post­mi­gran­ti­scher Rap in Deutsch­land wird zum Sprach­rohr für Iden­ti­täts­su­chen­de und gibt Zuge­hö­rig­keit in einer viel­fäl­ti­gen Gesell­schaft. Der Ein­fluss jun­ger Künstler:innen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund zeigt, wie Musik gesell­schaft­li­che Dis­kur­se über Inte­gra­ti­on und kul­tu­rel­le Iden­ti­tät anregt.

An die­ser Stel­le möch­ten wir Gedan­ken zu aktu­el­len Gescheh­nis­sen aus dem Deutschrap-​Kosmos zum Aus­druck brin­gen. Die jeweils dar­ge­stell­te Mei­nung ist die des:der Autor:in und ent­spricht nicht zwangs­läu­fig der der gesam­ten Redak­ti­on – den­noch möch­ten wir auch Ein­zel­stim­men Raum geben.

Im Fol­gen­den setzt sich unse­re Redak­teu­rin Lena mit post­mi­gran­ti­schem Rap in Deutsch­land aus­ein­an­der. Sie stellt sich die Fra­ge, wie die­se Musik in Deutsch­land Zuge­hö­rig­keit und Iden­ti­tät beeinflusst.

 

"Du f*ckst die gan­ze Stadt mit acht­zehn. Trois-​huit-​cinq i, aller­feins­te Tak­tik. Arte­ta, Gun­ner, Sa7bi, in Mahall'. Pushen klei­ne Hoo­dies Kis­ten, pum­pen 'Baba aller Bab­as'", rappt der New­co­mer Amo in der Hook zum Track "Baba aller Bab­as". Mein Herz geht auf, wenn ich die­sen Track höre – noch ein Rap­per mehr, der kein clea­nes Deutsch benutzt, um sich aus­zu­drü­cken. Gebo­ren im Jahr 1995, wur­de ich vor allem mit deut­schem Rap à la Die Fan­tas­ti­schen Vier und Beg­in­ner sozia­li­siert, dicht gefolgt von Aggro Ber­lin. Mit Letz­te­rem begann für mich der deut­sche Stra­ßen­rap. Dabei waren migran­ti­sche Ein­flüs­se auf Rap in Deutsch­land schon viel frü­her gang und gäbe. Die­se Ein­flüs­se sind nicht nur Teil mei­ner per­sön­li­chen Erfah­rung, son­dern auch zen­tral für das Ver­ständ­nis der Rol­le von Rap in Deutsch­land im Kon­text von Migra­ti­on und Inte­gra­ti­on. In sei­nem Text "Rap und Gegen­iden­ti­tä­ten in der Migra­ti­ons­ge­sell­schaft" unter­sucht der Sozio­lo­ge Mar­tin See­li­ger genau die­se Aspek­te und zeigt auf, wie Rap als kul­tu­rel­le Aus­drucks­form migran­ti­sche Iden­ti­tä­ten sicht­bar macht und zur Aus­ein­an­der­set­zung mit gesell­schaft­li­chen Rand­stän­dig­keits­er­fah­run­gen bei­trägt. Dabei beschreibt er die Ent­wick­lung des deut­schen Raps und geht bis in die wirt­schaft­lich erfolg­rei­che Nach­kriegs­zeit zurück. Er zeigt, dass das Bild einer angeb­lich gerech­ten und glei­chen Gesell­schaft wäh­rend die­ser Zeit nicht der Rea­li­tät ent­sprach. Die­ses Bild ver­deck­te die kul­tu­rel­len und sozia­len Kon­flik­te, die durch die Ein­wan­de­rung aus­län­di­scher Arbeits­kräf­te ent­stan­den sind. Die mar­gi­na­li­sier­te sozia­le Stel­lung der soge­nann­ten Gast- und Vertragsarbeiter:innen äußer­te sich nicht nur in ihrer Unter­brin­gung fern­ab der bevor­zug­ten Wohn­ge­bie­te der Deut­schen, gesell­schaft­li­che Aus­gren­zung führ­te immer wie­der auch zu offe­nen Kon­flik­ten. His­to­risch betrach­tet fand Rap sei­nen Weg aus den USA nach Deutsch­land wäh­rend einer Pha­se inten­si­ver Ein­wan­de­rung. Bereits ab den 1980er Jah­ren bot Rap Jugend­li­chen aus migran­ti­schen Milieus eine Platt­form, um ihre Erfah­run­gen und Iden­ti­tä­ten aus­zu­drü­cken. Die­se Ent­wick­lung wur­de durch die gesell­schaft­li­che Rand­stän­dig­keit Schwar­zer Jugend­li­cher in den USA inspi­riert, die ähn­li­che Erfah­run­gen von Aus­gren­zung und wirt­schaft­li­cher Benach­tei­li­gung mach­ten. Im Jahr 1992 ver­schärf­te die Bun­des­re­gie­rung das Asyl­recht und die öffent­li­che Dis­kus­si­on dreh­te sich zuneh­mend um das "Schei­tern der mul­ti­kul­tu­rel­len Gesell­schaft", wie See­li­ger es for­mu­liert. In die­ser Zeit ver­än­der­te sich auch der Fokus von Rap in Deutsch­land: Mit dem Erfolg von Die Fan­tas­ti­schen Vier ent­fern­te sich der deut­sche Rap von sei­nen US-​amerikanischen Wur­zeln. Er wur­de Teil des Main­streams und rück­te ins Zen­trum der deut­schen Pop­kul­tur – ein Wan­del, der jedoch dazu führ­te, dass sei­ne ursprüng­li­chen Wur­zeln oft ver­nach­läs­sigt wurden.

Doch in den letz­ten Jah­ren habe ich das Gefühl, eine Rück­kehr zu die­sen Wur­zeln zu beob­ach­ten. Der Slang in Amos Musik erin­nert mich an Haft­be­fehl und Celo & Abdi – Künst­ler, die maß­geb­lich dazu bei­getra­gen haben, migran­ti­sche Ein­flüs­se im Rap wie­der in den Vor­der­grund zu rücken. Ein Blick in die Charts zeigt: Die­se Form des Raps gewinnt in der deut­schen Musik­land­schaft immer mehr an Bedeu­tung. Künstler:innen wie die genann­ten haben den Grund­stein für einen Rap-​Stil gelegt, der deut­sche und ande­re kul­tu­rel­le Ein­flüs­se ver­eint und mitt­ler­wei­le im Main­stream ange­kom­men ist. Die­se Ent­wick­lung kommt bei Wei­tem nicht mehr nur aus mul­ti­kul­tu­rell gepräg­ten Groß­städ­ten wie Frank­furt, Ber­lin oder Ham­burg. Der jun­ge Ché Salah rappt in sei­nem neu­en Track "Hon­da For­za": "Und bin ich außer Land, meld dich bei mein' Ortak: Eh, Kiki Hon­da For­za. Bleib' immer tran­quil vor der Iba3ash, schieb' Paras. Hier in Bay­ern biss­chen anders." Die­se neu­en Stim­men ver­deut­li­chen, dass wir span­nen­de Par­al­le­len zu den anfäng­li­chen Pha­sen des deut­schen Raps erle­ben, wel­cher heu­te post­mi­gran­tisch genannt wer­den kann.

Doch was genau bedeu­tet "post­mi­gran­tisch" und wie spie­gelt sich das in der deut­schen Gesell­schaft wider? Laut der Politik- und Sozi­al­wis­sen­schaft­le­rin Nai­ka Forou­tan beschreibt eine post­mi­gran­ti­sche Gesell­schaft den Zustand nach der Migra­ti­on, in dem Zuge­hö­rig­kei­ten, natio­na­le Iden­ti­tä­ten und Chan­cen­ge­rech­tig­keit neu ver­han­delt wer­den. Das Prä­fix "post" steht dabei nicht für das Ende der Migra­ti­on, son­dern für die gemein­schaft­li­chen Aus­hand­lungs­pro­zes­se, die fol­gen. Die­se Gesell­schaft erkennt den Wan­del zu einer hete­ro­ge­nen Struk­tur an und akzep­tiert Ein­wan­de­rung als unver­än­der­li­ches Phä­no­men. Forou­tan betont, dass Struk­tu­ren und Insti­tu­tio­nen an die Migra­ti­ons­rea­li­tät ange­passt wer­den müss­ten. In die­sem Kon­text soll­ten eta­blier­te Eli­ten – die Ein­hei­mi­schen Deutsch­lands – ler­nen, Posi­tio­nen und Nor­men neu aus­zu­han­deln. Post­mi­gran­ti­scher Rap lässt sich also als eine dyna­mi­sche kul­tu­rel­le Pra­xis defi­nie­ren, die aus der Erfah­rung jun­ger Migrant:innen der zwei­ten und drit­ten Gene­ra­ti­on her­vor­geht. Die­se Künstler:innen, oft in Deutsch­land auf­ge­wach­sen, navi­gie­ren zwi­schen ver­schie­de­nen kul­tu­rel­len Iden­ti­tä­ten. Sie ver­mi­schen die glo­ba­li­sier­te HipHop-​Kultur mit Ele­men­ten ihrer Her­kunfts­kul­tu­ren sowie der deut­schen Pop­kul­tur. Die Tex­te der post­mi­gran­ti­schen Rapper:innen the­ma­ti­sie­ren gesell­schaft­li­che Macht­ver­hält­nis­se und stel­len domi­nan­te Migra­ti­ons­dis­kur­se infra­ge. Indem sie ihre eige­nen Geschich­ten erzäh­len und ihre Iden­ti­tät in einem hybri­den Kon­text ver­han­deln, wider­le­gen sie ste­reo­ty­pe Vor­stel­lun­gen. Dabei inte­grie­ren sie regio­na­le Dia­lek­te in ihren Rap und ent­wi­ckeln ihre eige­ne Spra­che. Es ent­steht ein Raum, in dem Künstler:innen ihre kul­tu­rel­len Wur­zeln mit zeit­ge­nös­si­schen Ein­flüs­sen ver­bin­den und hybri­de Iden­ti­tä­ten formen.

Post­mi­gran­ti­scher Rap hat sich im letz­ten Jahr­zehnt – durch den Erfolg von Künstler:innen wie Apa­che 207 – zu einem fes­ten Bestand­teil des Main­streams ent­wi­ckelt. Es han­delt sich nicht nur um eine musi­ka­li­sche Strö­mung, son­dern um ein kul­tu­rel­les Phä­no­men, das die Kom­ple­xi­tät von Iden­ti­tät in einer glo­ba­li­sier­ten Welt reflek­tiert und her­aus­for­dert. Neben männ­li­chen Künst­lern wie Celo & Abdi hat aus mei­ner Sicht auch Schwesta Ewa einen gro­ßen Teil zu die­ser Wegeb­nung bei­getra­gen, wodurch Frau­en wie Lore­da­na, Juju oder Shirin David auf Platz eins der deut­schen Charts lan­den konn­ten. Par­al­lel mischen Liz, Cal­lio­pe, Rua und Shanel den Unter­grund auf – um nur eini­ge zu nen­nen. Die­se Künst­le­rin­nen las­sen sich von den Ideen ihrer über­wie­gend männ­li­chen Kol­le­gen inspi­rie­ren und ent­wi­ckeln dar­aus ihre ganz eige­nen, ein­zig­ar­ti­gen Inter­pre­ta­tio­nen. Ein älte­res Bei­spiel für die­se Ent­wick­lung ist Ebow, die bereits vor Jah­ren im Pod­cast "Home­girls" beton­te, dass sie ihre Inspi­ra­tio­nen aus der tür­ki­schen Musik schöpft und wie wich­tig Haft­be­fehl mit sei­ner ein­zig­ar­ti­gen Spra­che für die Reprä­sen­ta­ti­on einer post­mi­gran­ti­schen Gesell­schaft ist.

Die­se musi­ka­li­sche Ent­wick­lung wird nicht nur von Künstler:innen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund vor­an­ge­trie­ben. Auch deut­sche Rapper:innen aus kul­tu­rell viel­fäl­ti­gen Vier­teln tra­gen zur Ver­brei­tung die­ser Musik­rich­tung bei. Bei­spiels­wei­se rappt OG LU immer wie­der über ihr Leben im Gal­lus – einem Vier­tel in Frank­furt – und macht mit Lines wie "Scheiß' auf den Kuchen, ess' Bak­la­va" dar­auf auf­merk­sam, dass sie als wei­ße Frau genau in die­ser post­mi­gran­ti­schen Gesell­schaft lebt. Und das ist kei­ne kul­tu­rel­le Aneig­nung, son­dern ihre Rea­li­tät: Die Kul­tur Frank­furts ist mul­ti­kul­tu­rell geprägt. Damit gehört die­se Rea­li­tät auch zu ihrer Kul­tur – denn Kul­tur ist nie fest­ge­fah­ren, eher immer im Wan­del. Und so wie die Pop­kul­tur ste­tig im Wan­del ist, ist es auch unse­re Spra­che. Wenn Deutsch­land nach Nai­ka Forou­tan seit 2015 nicht nur empi­risch, son­dern auch nar­ra­tiv zu einem Ein­wan­de­rungs­land gewor­den ist, dann ist es logisch anzu­neh­men, dass sich die Kul­tur ein­ge­wan­der­ter Men­schen auf die Kul­tur der Ein­hei­mi­schen aus­wirkt und umge­kehrt. Post­mi­gran­ti­scher Rap ist also nicht nur ein Aus­druck indi­vi­du­el­ler Iden­ti­tä­ten, son­dern auch eine gemein­sa­me kul­tu­rel­le Bewegung.

Für mich spie­gelt die post­mi­gran­ti­sche Spra­che im Rap die Rea­li­tät vie­ler Men­schen mit Migra­ti­ons­ge­schich­te wider, unab­hän­gig davon, ob sie in Deutsch­land gebo­ren wur­den oder ein­ge­wan­der­te Eltern haben. Die­se Men­schen sind oft zwei- oder sogar drei­spra­chig auf­ge­wach­sen. Ihre Kul­tur ist eine Melan­ge aus meh­re­ren Kul­tu­ren und ihre Spra­che steht für den Aus­hand­lungs­pro­zess die­ser Unter­schie­de sowie Gemein­sam­kei­ten. Was die­se Spra­che im Rap so beson­ders macht, ist die Fähig­keit der Künstler:innen, ver­schie­de­ne Sprach­re­gis­ter sowie Dia­lek­te und Akzen­te zu einem har­mo­ni­schen Gan­zen zu ver­bin­den. Sie inte­grie­ren Ele­men­te aus dem "Kiez­deutsch" sowie ihrer Mut­ter­spra­che in eine leben­di­ge Sprach­me­lan­ge. Kul­tur ist also nie sta­tisch – sie ent­wi­ckelt sich stän­dig durch den Ein­fluss unter­schied­li­cher Stim­men und Erfah­run­gen wei­ter. Der Erfolg oben genann­ter Artists zeigt, dass post­mi­gran­ti­scher Rap mehr als nur ein Nischen­phä­no­men ist. Er ist Aus­druck einer sich wan­deln­den Gesell­schaft. Künstler:innen wie Haft­be­fehl haben nicht nur ihre eige­nen Geschich­ten erzählt, son­dern auch einen Raum geschaf­fen, in dem ande­re Stim­men Gehör fin­den kön­nen. Im Lau­fe der Zeit hat sich der post­mi­gran­ti­sche Rap diver­si­fi­ziert und umfasst nun eine Viel­zahl von Per­spek­ti­ven, ein­schließ­lich der von Frau­en und ande­ren unter­re­prä­sen­tier­ten Gruppen.

Die­se Viel­falt spie­gelt die Rea­li­tät unse­rer Gesell­schaft wider, in der Inte­gra­ti­on und Iden­ti­tät zen­tra­le The­men sind. In die­sem Kon­text tra­gen Rapper:innen wie Amo mit ihrer Reich­wei­te dazu bei, gesell­schaft­li­che Dis­kur­se anzu­re­gen und das Bewusst­sein für The­men wie Inte­gra­ti­on, Iden­ti­tät und sozia­le Gerech­tig­keit zu schär­fen. Die post­mi­gran­ti­sche Gesell­schaft ist zum Teil bereits Rea­li­tät. Post­mi­gran­ti­scher Rap macht dies für mich greifbar.

(Lena Pin­to)
(Gra­fik von Dani­el Fersch)