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Plattenkiste

Azad feat. Cassandra Steen – Eines Tages

Egal, ob Album, Gratis-​Mixtape oder Lieb­lings­song – in unse­rer "Plat­ten­kis­te" stel­len wir Euch regel­mä­ßig die Per­len unse­rer redak­ti­ons­in­ter­nen Samm­lung vor. Die­ses Mal: Azad feat. Cas­san­dra Steen mit "Eines Tages".

"Was?! Du kennst das nicht? Sekun­de, ich such' dir das mal raus." Und schon öff­net sich die Plat­ten­kis­te. Wer kennt die­sen Moment nicht? Man redet über Musik und auf ein­mal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem:einer Künstler:in oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzu­fan­gen weiß. Und plötz­lich hagelt es Lob­prei­sun­gen, Hass­ti­ra­den oder Anek­do­ten. Gera­de dann, wenn der:die Gesprächspartner:in ins Schwär­men ver­fällt und offen zeigt, dass ihm:ihr das The­ma wich­tig ist, bit­tet man nicht all­zu sel­ten um eine Kost­pro­be. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Per­son so sehr am Her­zen zu lie­gen scheint. In die­sem Fall – was uns so sehr am Her­zen liegt: Ein Aus­zug aus der Musik, mit der wir etwas ver­bin­den, die wir fei­ern, die uns berührt. Ein Griff in unse­re Plat­ten­kis­te eben.

 

April 2025: Tah­sim Dur­gun ist der Star der Stun­de. Sein auto­bio­gra­fi­sches Buch "Mama, bit­te lern Deutsch" führt seit eini­gen Wochen die Best­sel­ler­lis­te Sach­buch des SPIEGEL an. Es geht dar­in um den selbst erleb­ten "Ein­glie­de­rungs­ver­such in eine geschlos­se­ne Gesell­schaft". Dur­gun lie­fert authen­ti­sche Ein­bli­cke in ein Fami­li­en­le­ben des post­mi­gran­ti­schen Deutsch­lands der Nullerjahre.

Auf Sei­te 56 bekommt die Lek­tü­re einen Sound­track: Tah­sim zitiert Zei­len aus "Eines Tages" von Azad. Die Hook, gesun­gen mit der kraftvoll-​sanften Stim­me von Cas­san­dra Steen, hängt mir sofort in den Ohren und bleibt. Als das Musik­vi­deo 2006 auf MTV lief, habe ich den Song gefühlt. Die Stim­mung grau und düs­ter, Regen, Azad rappt über Trau­er und Schmerz. Prä­sent und mit Nach­druck. "Eines Tages" aber wird all dies hin­ter ihm lie­gen, er wird es schaf­fen und den Zustand der Hoff­nungs­lo­sig­keit über­win­den. "Eines Tages werd' ich jubeln und schrei'n." Das war auch mein Vor­satz: Wenn mei­ne all­täg­li­chen Pro­ble­me über­wun­den sind, war­tet end­lich die Welt auf mich. Für Tah­sim ging es damals um viel mehr, wie ich im Buch erfah­re. Er und sei­ne Geschwis­ter freu­ten sich aus vol­lem Her­zen dar­über, "dass ein Kur­de es geschafft hat". Azad stif­tet ihnen Iden­ti­tät und ist ein Vor­bild. Seit die­sem Song war Kur­de­s­ein plötz­lich cool, so Tah­sim. Die­se Bedeu­tung retro­spek­tiv nach­voll­zie­hen zu kön­nen, neh­me ich als Geschenk – es war nicht mei­ne Lebens­rea­li­tät, die damals vor mir auf dem Bild­schirm flim­mer­te. Mit Plat­ten­bau­vier­teln oder Git­ter­stä­ben hat­te ich wenig bis gar nichts zu tun. Nur, dass Jugend­li­che meist irgend­wann raus, sich befrei­en und wach­sen wol­len. So habe auch ich mich nach etwas gesehnt, für das die Zeit noch nicht gekom­men war. Eine Auf­bruchs­stim­mung wur­de auch in mir befeuert.

Die geschlos­se­ne Gesell­schaft, von der Tah­sim berich­tet, exis­tiert wei­ter­hin. Aber auch heu­te noch kann Rap bei die­sem Auf­bruch behilf­lich sein. Azad und Cas­san­dra Steen haben ihren Teil bei­getra­gen und den Sound­track für vie­le Hörer:innen gelie­fert. Und wer weiß, viel­leicht tra­gen star­ke Geschich­ten wie die von Azad und Tah­sim "eines Tages" zu einer gelun­ge­ne­ren Inte­gra­ti­ons­po­li­tik für die Geschich­ten von mor­gen bei. 

(Chris­ti­na Jeiter)