Kategorien
Interview

Sadi Gent – ein Gespräch über Wohnungslosigkeit

"Gefühlt wer­den die Leu­te, die in einer Gesell­schaft durch das Ras­ter fal­len, ver­ges­sen. Vie­le wol­len mit denen nichts zu tun haben – doch das kann jedem pas­sie­ren." – Sadi Gent im Inter­view über gesell­schaft­li­che Aus­gren­zung und war­um es wich­tig ist, hin­zu­schau­en statt wegzusehen.

Woh­nungs­not ist ein ernst zu neh­men­des Pro­blem – beson­ders an bezahl­ba­rem Wohn­raum fehlt es. Wer in letz­ter Zeit eine Miet­woh­nung gesucht hat, kennt die Schwie­rig­kei­ten nur zu gut. Doch die Fol­gen von Woh­nungs­not gehen weit über her­aus­for­dern­de Woh­nungs­su­chen hin­aus und kön­nen zu Woh­nungs­lo­sig­keit füh­ren. Als woh­nungs­los gel­ten Men­schen, die kei­nen eige­nen oder miet­ver­trag­lich gesi­cher­ten Wohn­raum haben – dazu zäh­len jene, die vor­über­ge­hend bei Freund:innen, Ver­wand­ten oder in sozia­len Ein­rich­tun­gen unter­kom­men. Eine beson­ders sicht­ba­re Form von Woh­nungs­lo­sig­keit ist die Obdach­lo­sig­keit, bei der Betrof­fe­ne im öffent­li­chen Raum, im Frei­en oder in Not­un­ter­künf­ten über­nach­ten müs­sen. Auch der Rap­per Sadi Gent weiß, wie schnell man in eine Situa­ti­on gelangt, in der man zeit­wei­se ohne Blei­be dasteht. Er selbst war vor eini­gen Jah­ren eine Zeit lang woh­nungs­los in Ber­lin. Außer­dem hat er das The­ma Obdach­lo­sig­keit in dem Musik­vi­deo zu sei­nem Song "May­day" auf­ge­grif­fen. Der Track wur­de als ers­te Video­sin­gle vom Album "Mint­gold" am 31.01.2015 ver­öf­fent­licht, also vor gut zehn Jah­ren. Im Video ließ der Ber­li­ner Rap­per die Lebens­rea­li­tät eines Obdach­lo­sen von einem Schau­spie­ler nach­stel­len, wäh­rend die Reak­tio­nen der Pas­san­ten mit der Kame­ra ein­ge­fan­gen wur­den. Die­se waren nicht insze­niert, son­dern spie­gel­ten die ech­ten Reak­tio­nen der Men­schen wider. Wie hat dies sei­ne Wahr­neh­mung von Obdach­lo­sig­keit ver­än­dert? Wel­che Ver­än­de­run­gen im Umgang mit Obdach­lo­sig­keit hat er seit die­ser Zeit in Ber­lin mit­er­lebt? Und wie blickt er als Musi­ker und Mensch auf die ver­stärk­te Woh­nungs­not? Sei­ne Sicht­wei­se und Erfah­run­gen teil­te er mit uns im Interview.

MZEE​.com: Woh­nungs­lo­sig­keit betrifft immer mehr Men­schen. Vor eini­gen Jah­ren warst du eine Zeit lang woh­nungs­los in Ber­lin und muss­test bei Freund:innen auf der Couch schla­fen. Magst du uns von dei­nen per­sön­li­chen Erfah­run­gen erzählen?

Sadi Gent: Ich habe erlebt, wie schnell es gehen kann, dass man plötz­lich ohne Woh­nung dasteht. Glück­li­cher­wei­se habe ich trotz­dem Geld ver­dient. Ich muss­te damals kurz­fris­tig aus mei­ner WG aus­zie­hen und habe dann nicht mehr recht­zei­tig eine neue Woh­nung gefun­den. Es ist ja bekannt, wie schwie­rig es ist, in Ber­lin eine Woh­nung zu fin­den. Das ist mitt­ler­wei­le fast über­all ein Pro­blem, aber hier noch mal extre­mer. Dadurch hat­te ich ein paar Mona­te lang kei­ne Blei­be. Zum Glück konn­te ich wäh­rend­des­sen bei Freun­den unter­kom­men. Ich habe dann auch wie­der eine eige­ne Woh­nung gefun­den, daher wür­de ich das als einen ande­ren Modus bezeich­nen, denn ich war in einer pri­vi­le­gier­ten Situa­ti­on und hat­te ganz ande­re Mög­lich­kei­ten, an eine Woh­nung zu kom­men. Auch in die­ser Zeit hat­te ich kei­ne gro­ßen Schwie­rig­kei­ten, denn ich habe einen gro­ßen Freun­des­kreis, der immer zur Stel­le ist, wenn man auf Hil­fe ange­wie­sen ist. Da ist es selbst­ver­ständ­lich, sich gegen­sei­tig zu hel­fen, und auch nor­mal, dass man bei­ein­an­der über­nach­ten kann.

MZEE​.com: Hat­test du das Gefühl, dass die Leu­te in die­ser Zeit anders mit dir umge­gan­gen sind?

Sadi Gent: Zum Glück war das in mei­nem Freun­des­kreis nicht der Fall. Da kann ich mich glück­lich schät­zen. Jeder hat mit­füh­lend reagiert und ver­sucht zu hel­fen. Vie­le haben sich für mich umge­hört und nach Mög­lich­kei­ten gesucht, wo ich unter­kom­men könn­te. In der Zeit, in der ich woh­nungs­su­chend war, war ich haupt­säch­lich bei Moe, mit dem ich auch viel Musik gemacht habe. Er und sei­ne dama­li­ge Freun­din waren super­cool und ich konn­te da ein­fach cra­shen. Das­sel­be wür­de ich jeder­zeit auch für ihn und jeden ande­ren guten Freund machen.

MZEE​.com: Du bist viel auf Rei­sen und hast dadurch inter­es­san­te Erfah­run­gen gemacht. Bei­spiels­wei­se hast du in Ita­li­en ein paar Näch­te auf der Stra­ße ver­bracht. Wie kam es dazu?

Sadi Gent: Das war in einer Zeit, in der ich super­we­nig Geld ver­dient habe. Ich war mit einem Kum­pel unter­wegs und wir dach­ten, wir wür­den vor Ort schon ein güns­ti­ges Hotel fin­den. Wir hat­ten dann nicht genug Cash und haben kei­ne Unter­kunft gefun­den, was auch naiv von uns war. Dann haben wir drei Näch­te ohne eine Blei­be ver­bracht. Für ein paar Tage ist das auch machbar.

MZEE​.com: Es ist noch mal etwas ganz ande­res, wenn man zu zweit ist und auf­ein­an­der auf­pas­sen kann, als wenn man auf sich allei­ne gestellt ist.

Sadi Gent: Defi­ni­tiv. Man kann mal zwei Näch­te durch­ma­chen. Wir haben auch tags­über im Park für zwei, drei Stünd­chen gepennt und es war alles okay. Wir waren auch nicht im Win­ter dort. Das kannst du nicht ver­glei­chen. Den­noch merkt man selbst bei sol­chen Aktio­nen, wie schwie­rig es sein muss, das län­ger durch­ma­chen zu müs­sen. Es hat mich sen­si­bi­li­siert, weil man fest­stellt, dass es schon eine Her­aus­for­de­rung dar­stellt, wenn man nur eine Nacht auf der Stra­ße verbringt.

MZEE​.com: Du ver­bringst aktu­ell viel Zeit in Thai­land und bist teil­wei­se nur noch die Hälf­te des Jah­res in Deutsch­land. Was ver­bin­dest du mit dem Begriff Zuhause?

Sadi Gent: Zuhau­se und Hei­mat sind für mich unter­schied­li­che Begrif­fe. Ich kann fast über­all zu Hau­se sein, aber nicht über­all daheim. Für mich bedeu­tet daheim sein, dort zu sein, wo mei­ne Fami­lie und mei­ne bes­ten Freun­de sind. Da kann man sich über die Begrif­fe viel­leicht strei­ten. Ich muss aber auch sagen, dass ich in Thai­land eine zwei­te, klei­ne Hei­mat gefun­den habe. Das sage ich auch nur, weil ich dort mitt­ler­wei­le gute Freund­schaf­ten geschlos­sen habe mit Leu­ten, die dort leben oder wie ich auch ein­fach zwei Wohn­or­te haben. Man trifft sich dort regel­mä­ßig und fühlt sich hei­mat­lich, weil man umge­ben ist von Leu­ten, die zu sehr guten Freun­den gewor­den sind.

MZEE​.com: Wie du es erzählst, klingt es so, als wür­den die Men­schen, die man außer­halb der Hei­mat trifft, dafür sor­gen, dass man sich zu Hau­se fühlt, oder?

Sadi Gent: Ja. Das Rei­sen gibt einem den nöti­gen Push und zeigt, dass man sein eige­ner bes­ter Freund ist. Man ist nie wirk­lich ein­sam und erst recht nicht allein. Manch­mal habe ich in Ber­lin das Gefühl, dass die Men­schen hier von der Men­ta­li­tät her här­ter sind. Jeder schaut mehr auf sich selbst und man hat einen ande­ren Fokus. Viel­leicht ist man auch kar­rie­re­ori­en­tier­ter. Ich habe auf mei­nen Rei­sen vie­le Gleich­ge­sinn­te ken­nen­ge­lernt, die die­sel­ben Wer­te tei­len. Da muss man erst mal um die hal­be Welt rei­sen, um fest­zu­stel­len, dass man so vie­le Ver­bün­de­te hat. Rei­sen hat mich geprägt. Es erwei­tert den Hori­zont und man bekommt ein ande­res Gefühl für die Gesell­schaft. Welt­weit kann man einen Rechts­ruck beob­ach­ten. Ich ver­ste­he nicht, wo das her­kommt. Ich habe das Gefühl, wenn man reist und sich mit ande­ren Kul­tu­ren aus­ein­an­der­setzt, merkt man, wie klein die eige­ne Bubble ist. Wenn man da raus­kommt und sich mit den Zustän­den in ande­ren Län­dern aus­ein­an­der­setzt, wird man dar­an erin­nert, wie gut man es hier hat. Das ist Meckern auf hohem Niveau. Ich bin jeden Tag dank­bar dafür, dass ich das Pri­vi­leg habe, so was machen zu kön­nen. So vie­le Leu­te wür­den das ger­ne machen und ich kann es mir erlauben.

MZEE​.com: Und was sind das für Wer­te, die du mit den Leu­ten teilst, denen du beim Rei­sen begegnest?

Sadi Gent: Das ist vor allem Dank­bar­keit dafür, gesund zu sein und ein Dach über dem Kopf zu haben. Als ich das ers­te Mal rich­tig lan­ge unter­wegs war, habe ich sehr vie­le Sachen ein­ge­packt, weil ich dach­te, ich brau­che das alles. Mit jeder Rei­se wur­de mein Ruck­sack ein biss­chen klei­ner, weil ich gemerkt habe, dass ich nicht viel brau­che. Als ich in Malay­sia, Viet­nam und Thai­land unter­wegs war, war ich kom­plett auf mich allei­ne gestellt. Aber den­noch habe ich gemerkt, dass die meis­ten Men­schen, denen ich begeg­net bin, total hilfs­be­reit und freund­lich waren. Sie hat­ten nicht viel, aber haben viel gege­ben. Ob es jetzt Hil­fe war, die ange­bo­ten wur­de, wenn man sich nicht aus­kann­te, oder man ein­ge­la­den wur­de. Sie haben sich dar­über gefreut, ande­ren Leu­ten zu hel­fen. Das fand ich schön. Ein­fach gesagt: weni­ger Mate­ria­lis­mus und mehr Wert­schät­zung für die Natur. In der Groß­stadt ver­liert man den Bezug dazu. Mich hat das Rei­sen mehr mit der Natur ver­bun­den. Es hat mir auch bei­gebracht, weni­ger zu ver­brau­chen. Damit mei­ne ich nicht nur Mate­ria­lis­mus, son­dern das stän­di­ge Kon­su­mie­ren von irgend­was, was man gar nicht braucht – und sei es nur vom Kiosk an der Ecke. Das hat mich mit den Leu­ten ver­bun­den, die ich unter­wegs getrof­fen habe, weil da gefühlt alle ähn­lich drauf sind.

MZEE​.com: Lass uns über das Musik­vi­deo zu dem Song "May­day" spre­chen. Ihr habt mit einer ver­steck­ten Kame­ra die Reak­tio­nen der Leu­te auf einen als Obdach­lo­sen ver­klei­de­ten Schau­spie­ler gefilmt. Was fan­dest du dabei am einprägsamsten?

Sadi Gent: Es war krass zu sehen, wie vie­le nega­tiv reagiert haben und nichts mit ihm zu tun haben woll­ten. Ich den­ke, das sieht man im Video. Wir haben die Men­schen zen­siert, aber man erkennt den­noch die abwer­ten­de Hal­tung. Es ist die­ses Gefühl von: Komm mir bloß nicht zu nahe, sprich mich nicht an und lass mich in Ruhe. Die­se Form von Ableh­nung zu beob­ach­ten, war krass. Wenn man jeman­den beglei­tet, der die­se Ableh­nung stän­dig erfährt, wird einem beson­ders bewusst, wie schwer und belas­tend das sein muss. Das hat mei­nen Kum­pel sehr berührt, der für das Video tief in die Rol­le ein­ge­taucht ist. Alle, die am Video mit­ge­wirkt haben, wur­den noch mal mehr für das The­ma sensibilisiert.

MZEE​.com: Was hat dich dazu bewegt, die­ses The­ma im Video aufzugreifen?

Sadi Gent: Das war eine Art Expe­ri­ment. Es hat zum Track gepasst und soll­te für das The­ma sen­si­bi­li­sie­ren, denn vie­le schau­en weg. Ich bin ein über­sen­si­bler Mensch und ich suche öfter ein Gespräch mit Men­schen auf der Stra­ße und unter­stüt­ze sie regel­mä­ßig. Selbst durch eine Klei­der­spen­de oder Ähn­li­ches. Ich ver­su­che, immer freund­lich zu sein. Selbst wenn man nichts geben kann, hilft es, zuzu­hö­ren und den Men­schen das Gefühl zu geben, dazu­zu­ge­hö­ren. Vie­le Obdach­lo­se sind ein­fach dank­bar für ein Gespräch, weil das Igno­riert­wer­den für sie das Schlimms­te ist. Selbst ein net­tes Wort oder ein Gruß kann viel bewir­ken. Wenn du in Ber­lin mit der U8 fährst, wirst du mehr­mals am Tag ange­spro­chen. Trotz­dem gibt es kei­nen Grund, die Leu­te kom­plett zu igno­rie­ren, denn sie bit­ten nicht aus Spaß um Hil­fe. Irgend­wann trau­en sie sich über­haupt nicht mehr zu fra­gen. Man hat gelernt, dass es völ­lig in Ord­nung ist, nach Hil­fe zu fra­gen. Das ist auch wich­tig. Jeman­den, der nach Hil­fe fragt, soll­te man nicht dafür bestra­fen. Gefühlt wer­den die Leu­te, die in einer Gesell­schaft durch das Ras­ter fal­len, ver­ges­sen. Vie­le wol­len mit denen nichts zu tun haben. Das war für mich immer anders, weil ich immer ein ande­res Ver­ständ­nis hat­te. Das kann jedem pas­sie­ren und mich macht es trau­rig, wenn ich sowas sehe, vor allem, wenn ich mit Leu­ten spre­che, die obdach­los sind. Wenn man von den Schick­sa­len erfährt und merkt, wie schnell das pas­sie­ren kann, dass man in so eine Abwärts­spi­ra­le kommt. Bist du ein­mal drin­nen, ist es schwer, da wie­der rauszukommen.

MZEE​.com: Coro­na und der Krieg in der Ukrai­ne haben die Woh­nungs­not in vie­len Städ­ten noch ver­schärft – bei­spiels­wei­se durch stei­gen­de Ener­gie­kos­ten, Infla­ti­on und eine neue Flucht­be­we­gung. Hast du per­sön­lich auch Ver­än­de­run­gen im Stadt­bild in Bezug auf Obdach­lo­sig­keit wahrgenommen?

Sadi Gent: Mitt­ler­wei­le bin ich nur noch für eine Hälf­te des Jah­res in Ber­lin. Dann ist der Kon­trast noch kras­ser. Wenn ich wie­der hier bin, ist es gefühlt schlim­mer gewor­den. Es sind ein­fach mehr hil­fe­be­dürf­ti­ge Men­schen ins­ge­samt. Die Stadt wird vol­ler und wenn mehr Men­schen da sind, gibt es dar­un­ter mehr Hil­fe­be­dürf­ti­ge. Dass es wirt­schaft­lich abwärts geht und wir uns in einer Rezes­si­on befin­den, spielt auch mit rein. Am liebs­ten wür­de man jedem hel­fen, das kann man aber nicht. Es ist trau­rig anzu­se­hen. Vie­le sind damit über­for­dert und ver­schlie­ßen sich dem kom­plett, aber das ist nicht der rich­ti­ge Umgang.

MZEE​.com: Hast du das Gefühl, dass hier­zu­lan­de anders mit den Obdach­lo­sen umge­gan­gen wird als im Ausland?

Sadi Gent: Das ist schwer zu sagen. Ich glau­be, dass ich da kei­ne gro­ßen Unter­schie­de fest­stel­len kann. An jedem Ort gibt es Hil­fe­be­dürf­ti­ge, die nicht mehr in die Gesell­schaft inte­griert sind. Natür­lich ist es in man­chen Län­dern noch extre­mer, aber dadurch, dass ich nie lang genug dort bin, um das wirk­lich grei­fen zu kön­nen, kann ich mich dazu nicht rich­tig äußern. Was man mit­be­kommt, ist, dass in ande­ren Län­dern auch oft weg­ge­schaut wird. Aber es gibt noch einen wei­te­ren Aspekt: näm­lich, dass Obdach­lo­se an tou­ris­ti­schen Orten ver­trie­ben wer­den, damit die Besu­cher nicht beläs­tigt wer­den. Das zeigt, wie die Poli­tik damit umgeht. Es wird ein­fach ver­drängt. Des­we­gen ist es so wich­tig, mehr Ein­rich­tun­gen zur Ver­fü­gung zu stel­len und das The­ma auf die poli­ti­sche Tages­ord­nung zu bringen.

MZEE​.com: Woh­nungs­lo­se Men­schen wer­den oft stig­ma­ti­siert und begeg­nen gesell­schaft­li­chen Vor­ur­tei­len. Wel­che sind die häufigsten?

Sadi Gent: Die Annah­me, dass Leu­te ver­rückt, dro­gen­ab­hän­gig, unhy­gie­nisch oder kri­mi­nell sind. Es sind genau­so vie­le wie in allen Tei­len der Gesell­schaft. Und selbst wenn, ist es kein Grund, jeman­den zu ver­ur­tei­len. Denn es hat sei­ne Ursa­che. Von die­sem Pau­scha­li­sie­ren bin ich nie ein Fan gewesen.

MZEE​.com: Wie gehst du damit um, wenn Leu­te einen nach Geld fra­gen und dann von ande­ren gesagt wird, die­je­ni­gen wür­den sich davon nur Alko­hol kau­fen oder zu einer Bet­tel­ban­de gehören?

Sadi Gent: Und wenn er sich davon Alko­hol kauft? Klar könn­te man sagen, man spen­de lie­ber Kla­mot­ten, aber damit spricht man den Men­schen ihre Mün­dig­keit ab. Das sind erwach­se­ne Per­so­nen. Sobald ich mich dazu ent­schei­de, was zu spen­den, ist es nicht mehr mei­ne Sache. Wer bin ich, mich da ein­zu­mi­schen oder zu sagen: "Aber hol dir jetzt kein Bier­chen!" Ich fin­de das komisch und von oben her­ab. Ich habe auch gar nicht direkt die­se Annah­me, wenn ich mich dazu ent­schei­de zu spen­den. Was ist dann die Lösung? Lie­ber gar nichts geben? Ich weiß nicht.

MZEE​.com: Domi­nik Bloh, ein Autor und ehe­ma­li­ger Obdach­lo­ser, sag­te in einem Inter­view, dass er gezielt mehr gebe, damit die Per­son etwas für sich zur Sei­te schaf­fen kön­ne. Auf sol­che Gedan­ken kommt man erst, wenn man sich tie­fer mit dem The­ma beschäf­tigt oder selbst betrof­fen ist, oder?

Sadi Gent: Total. Wenn man sich dem Gan­zen ver­schließt, hat man weni­ger Zugang. Es ist trau­rig, wenn man es auf die gan­ze Gesell­schaft bezieht. Es kann nicht sein, dass wir so wenig auf­ein­an­der acht­ge­ben. Die­se Leu­te haben sich das nicht unbe­dingt aus­ge­sucht. Du kannst nicht ein­fach sagen, jemand gehö­re zur Bet­tel­ban­de oder er wür­de sich von dem Geld Alko­hol kau­fen. Oder den­ken, die sei­en doch alle gleich. Wo kom­men wir denn da hin, wenn jeder so eine Ein­stel­lung hat? Das ist super­trau­rig. Auf der ande­ren Sei­te fällt es mir immer wie­der auf, dass mich das dann trotz­dem men­tal belas­tet. Gefühlt wer­den es immer mehr und man wür­de so vie­len was geben, aber kann es nicht. Dann lächelt man wie­der nur und wünscht einen schö­nen Tag, weil man drei Leu­ten davor etwas gege­ben hat.

MZEE​.com: Einer dei­ner musi­ka­li­schen Weg­ge­fähr­ten ist PTK. Er spricht in und abseits sei­ner Musik viel über sozia­le Pro­ble­me wie Gen­tri­fi­zie­rung und Woh­nungs­not. Wel­che Rol­le kann Hip­Hop spie­len, um die­se Miss­stän­de zu verbessern?

Sadi Gent: Die gan­ze Kul­tur hat einen gro­ßen Impact auf Her­an­wach­sen­de. Sie kann auf­klä­ren und auf Pro­ble­me auf­merk­sam machen. Das ist, wo Hip­Hop und Rap her­kom­men, und eine der größ­ten Stär­ken die­ser Kul­tur. Des­we­gen war es uns wich­tig, in unse­re Musik etwas Per­sön­li­ches ein­flie­ßen zu las­sen. Denn sie ist ein Spie­gel der Gesell­schaft und soll alle Facet­ten die­ser wider­spie­geln. Wenn ich dar­an den­ke, was ich gehört habe, fal­len mir vie­le Sachen ein, die mich mensch­lich geprägt haben. Es ist fas­zi­nie­rend, dass eine Musik­rich­tung so etwas errei­chen kann und ein­fach so einen kras­sen Ein­fluss hat. Des­sen soll­te man sich bewusst sein, gera­de als Artist. Denn ins­be­son­de­re jun­ge Hörer geben oft mehr auf das, was die Artists sagen, als man glaubt. Für mich ist es des­we­gen wich­tig, Wer­te ein­flie­ßen zu las­sen. Wenn man Wer­te mit­gibt, ist das schon mal das Fun­da­ment, um einen Part in der Gesell­schaft über­neh­men und empa­thisch mit ver­schie­de­nen Pro­ble­men umge­hen zu können.

MZEE​.com: Möch­test du den Leser:innen abschlie­ßend noch etwas zu dem The­ma Woh­nungs­lo­sig­keit mitgeben?

Sadi Gent: Es wäre schön, wenn man ein biss­chen für das The­ma sen­si­bi­li­sie­ren und zei­gen könn­te, dass es einen Unter­schied macht, wie man jeman­dem begeg­net. Wenn ihr jeman­den seht, hört den Leu­ten wenigs­tens zu, redet mit denen und macht nicht gleich dicht. Fragt nach, was ihnen gera­de am bes­ten hel­fen wür­de. Gera­de im Win­ter pos­te ich regel­mä­ßig zu dem The­ma und ver­su­che, Leu­te dar­auf auf­merk­sam zu machen. In die­ser Käl­te ist es noch mal viel schlim­mer und die Num­mern von Käl­te­bus­sen oder ähn­li­chen Ange­bo­ten soll­te jeder in jeder Stadt immer parat haben.

(Malin Teegen)
(Fotos von Felix Vollmann) 

(Eine Über­sicht über ver­schie­de­ne Käl­te­num­mern ist hier vefürg­bar. In Not­fäl­len, in denen eine Per­son nicht ansprech­bar ist, sind gemein­nüt­zi­ge Ver­ei­ne nicht zustän­dig. In sol­chen Fäl­len den Not­ruf 112 wählen.)