HipHop ist die wohl größte Jugendkultur unserer Zeit – das haben mittlerweile die meisten gecheckt. In der Werbung läuft Rap, bei H&M kann man 2Pac-Sweater kaufen, im Feuilleton werden Alben von Gangsterrapper:innen besprochen und an Universitäten forschen sie zu HipHop. An Universitäten forschen sie zu HipHop?! Ja, tatsächlich gibt es in Deutschland nicht wenige Lehrstühle und Institute, an denen sich Forscher:innen aus sozial- oder kulturwissenschaftlicher Perspektive mit Rap beschäftigen. Dazu zählt auch Heidi Süß. Eine Leidenschaft für HipHop hatte die gebürtige Bayerin aus Weiden in der Oberpfalz schon nahezu von klein auf, doch dass Rap ein spannender Forschungsgegenstand sein kann, wurde ihr erst im Verlauf eines sprachwissenschaftlichen Studiums klar. Was folgte, war eine Magisterarbeit zum Thema "Gangsta-Rap als Mittel zur Identitätskonstruktion im Migrationskontext" und später eine Promotion über Männlichkeiten im Deutschrap. Heute forscht und lehrt Heidi Süß als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Trier und arbeitet zudem als Referentin und Autorin zu Themen wie Geschlecht, Männlichkeit, Jugend und Identität – und all das oft mit Rap-Bezug. Genau die richtige Expertin also, um in einem Interview über die Gewalt der Sprache zu sprechen.
MZEE.com: Du forschst und lehrst derzeit an der Universität Trier zum Thema Popkultur, insbesondere zu Rap und Fragen von Geschlecht und Männlichkeit. Magst du uns erst mal erzählen, woher deine Liebe zu diesen Themen kommt?
Heidi Süß: Ich habe mit ungefähr zehn Jahren angefangen, Rapmusik zu hören. Wie bei vielen kam das über ältere Geschwister zu mir – bei mir war es meine große Schwester. Zunächst sind vor allem Ami-Sachen wie Wu-Tang Clan, Cypress Hill, 8ightBall oder "The Score" von den Fugees bei mir gelandet. Dann bin ich aber sehr schnell auf deutschen Rap gekommen und deshalb eigentlich eher ein Deutschrap-Kind. Das musste ich damals teilweise auch ein bisschen durchdrücken, weil ich viel mit Älteren herumgehangen habe und Deutschrap in den Augen Mobb Deep-sozialisierter Leute natürlich relativ wack war.
MZEE.com: Welche Künstler:innen hast du damals gehört?
Heidi Süß: Freundeskreis, Eins Zwo, Samy Deluxe, Massive Töne, auch Feinkost Paranoia, ich komme ja aus Bayern. Ich war aber nie wirklich Fan von bestimmten Künstler:innen, sondern habe mir einfach alles reingefahren, Deutschrap-Sampler auf CD gekauft, Tapes aufgenommen und natürlich HipHop-Zeitschriften abonniert. Die gab es damals ja noch physisch zum Darin-Blättern. Wie viele hatte ich auch mal eine Savas-Phase. "King of Rap" war auf jeden Fall ein wichtiger Track für mich. Dann kam irgendwann die Zeit von Aggro Berlin – darauf kam ich nicht so gut klar. Das war mir zu aggressiv. Da musste ich dann mal für ein paar Jahre in benachbarte Genres flüchten zum Klarkommen, also R 'n' B, Soul und so was.
MZEE.com: Und wer hat dich dann wieder zum deutschen Rap zurückgebracht?
Heidi Süß: K.I.Z, Nate57 und Haftbefehl. 2011 musste ich im Studium eine Magisterarbeit schreiben und da war klar, dass es da nur um Rap gehen kann, alles andere hätte mich nie für mehrere Monate bei der Stange gehalten. Zu dieser Zeit lief gerade diese neue Straßenrap-Welle in Deutschland an, mit Haftbefehl und Nate. Das war nicht mehr so extrem misogyn und hatte auch ein bisschen politischen Anspruch. Das hat mich wieder zurückgeholt und seitdem bin ich tiefer in der Materie drin als je zuvor. Während meiner Magisterarbeit habe ich festgestellt, dass es auch andere Nerds gibt, die sich wissenschaftlich mit Rap beschäftigen. Das war neu für mich und irgendwie spannend. Ich bin seitdem mehr oder weniger ohne Unterbrechung dabei geblieben, mich wissenschaftlich mit Rap auseinanderzusetzen. In meiner Doktorarbeit habe ich dann über Männlichkeiten im Deutschrap geschrieben und vorletztes Jahr gemeinsam mit Marc Dietrich eine Studie zu Rassismus im Rap veröffentlicht. Ich nenne das, was ich mache, HipHop-Forschung. Ich habe das Privileg, zu meiner Leidenschaft zu forschen. Also, wenn ich Musik höre, dann zählt das als Arbeit. Das ist schon ziemlich cool. Außerdem ist diese Forschung total wichtig. Mit Rap sind so viele Leute sozialisiert, es ist die dominanteste Gegenwartskultur. Gleichzeitig gibt es immer noch wahnsinnig viele Vorurteile und Klischees darüber. Deshalb muss das jemand beschreiben, aufdröseln, kontextualisieren und in die Öffentlichkeit bringen. Auch das ist Teil des Jobs, so wie ich ihn verstehe.
MZEE.com: Unser Thema ist ja heute die Gewalt der Sprache. Kannst du dich an einen ausschlaggebenden Moment erinnern, der dir persönlich vor Augen geführt hat, wie viel Macht Gesagtes haben kann?
Heidi Süß: Da gibt es bestimmt viele. Für Jüngere sind beispielsweise Begriffe wie "B*tch" oder "F*tze" schon zurückerobert. Aber ich bin 1986 geboren. Für mich war das damals schon weird, wenn auch Mädels "B*tch" gesagt und das für sich reclaimt haben. In meinen Augen war das ein Schimpfwort, das Frauen degradierte. Diesen Rückeroberungsmove habe ich mit 14 Jahren noch nicht gerafft. Aber Sprache erschafft Wirklichkeit. Über sie vermitteln wir Vorstellungen von Geschlecht, Sexualität oder auch Männlichkeit. Was das angeht, ging es in den letzten 40 Jahren teilweise recht einseitig zu in der homosozialen Männergemeinschaft Rap. Es geht aber nicht nur um Sprache oder einzelne Begriffe, wenn wir über Sexismus sprechen. Die Leute denken ja immer, Sexismus im Rap ist, wenn jemand "Schl*mpe" sagt. Ja okay, das kann gemein und verletzend sein. Aber ich würde gerne mal weggehen von diesen einzelnen Wörtern und den Blick mehr auf die Gesamtheit der Kultur und ihre Produkte lenken. Auch über Bilder und Videos werden ja solche Botschaften vermittelt. Wir sehen jede Woche halbnackte Frauen, die sich in Männer-Rapvideos räkeln, so als wären wir in den 90ern hängen geblieben. Es geht bei so einer Kritik ja immer um eine grundsätzliche Weltsicht, eine misogyne und abwertende Sicht auf Frauen und alles Weibliche, das wir in der Gesellschaft und somit auch im Rap wiederfinden. Ich habe so eine Kurdo-Line im Kopf, die heißt: "Du bist perfekt, wie du bist, ich muss dir nix verbieten." Da ist kein sexistisches Wort in dieser Line, aber die Sichtweise auf Weiblichkeit und der männliche Besitzanspruch, der hier ganz selbstverständlich erhoben wird, ist extrem misogyn. Ich verstehe nicht, was so was in den großen Playlisten zu suchen hat. Das kann alles weg, meiner Meinung nach.
MZEE.com: Werden die Grenzen des Sagbaren immer weiter verschoben?
Heidi Süß: Na ja, Rap arbeitet schon hart daran. Aber das definiert ihn ja auch. Historisch gesehen ist Rap eine Kultur von Leuten, die von der Gesellschaft ausgeschlossen wurden, die zum Beispiel Rassismus- und Prekaritätserfahrungen gemacht haben. Die wollten sich durch Sprache in die Gesellschaft reinschreiben und stattfinden. Zurecht. Das ist die große Storyline von HipHop. Und das funktioniert natürlich auch über den sprachlich-kulturellen Tabubruch "explicit lyrics", das kennen wir ja. Dazu werden dann eben jede Menge Schimpfwörter benutzt. Das ist ein Spezifikum des Rap und hat irgendwo auch seine Legitimität. Es gibt aber trotzdem Grenzen. Gerade wenn es um Frauenverachtung, Homophobie oder Transfeindlichkeit geht, finde ich es schon krass, was HipHop-Medien da teilweise durchwinken. Da wird der neueste Track von Rapper xy gepostet und niemandem fällt auf, dass auf der Textebene eine Frau ins Koma ge***** wird. Da frage ich mich schon, was in eurer Branche los ist. Und ich sag' euch auch gleich, was das Problem ist: zu viele Männer im Rap-Journalismus. Ganz klare Sache.
MZEE.com: Du hast gesagt, es würde bei dir ein komisches Gefühl hervorrufen, wenn Frauen bestimmte Wörter für sich reclaimen. Was hat dann jemand wie Lady Bitch Ray in dir ausgelöst?
Heidi Süß: Damit konnte ich damals ehrlich gesagt nichts anfangen. Vor allem musikalisch nicht. Heute sehe ich das aber sehr viel differenzierter, denn im Endeffekt war sie ihrer Zeit einfach krass voraus. Was sie gemacht hat, war megamutig, und ich ziehe wirklich meinen Hut davor. Aber damals war die Szene überhaupt nicht ready für so viel offene, weibliche Sexualität und Lady Bitch Ray wurde gar nicht entsprechend honoriert. Im Rap-Journalismus wurde sie kaum rezipiert. Es hieß, dass sie nicht rappen könne. Okay, darüber kann man meinetwegen streiten, aber dass sie nie auf dem Cover der JUICE oder einer anderen deutschen HipHop-Zeitschrift war, ist eigentlich ein Skandal. Es liegt auf der Hand, dass das mal wieder an der männlichen Homosozialität des Rap-Journalismus liegt, aber ich will hier jetzt auch nicht zu viel haten. Der Punkt ist klar geworden, denke ich.
MZEE.com: Der US-amerikanische Autor und Psychotherapeut Terrence Real beschäftigt sich viel mit Männlichkeit und sagt, dass wir gesellschaftlich Männer davon abbringen, Sensibilität für andere zu empfinden. Meinst du, dass sensible Sprache ein Grundbaustein dafür ist, diese Empathie zurückzuerlangen?
Heidi Süß: Auf jeden Fall. Meine Forschung besteht ja auch nicht nur daraus, Männer-Rap zu kritisieren und über Sexismus zu reden. Ich gucke mir das Thema Männlichkeiten schon sehr viel differenzierter an und übertrage Konzepte aus der Männlichkeitenforschung auf Rap. Auch in der Forschung kursieren übrigens viele Klischees und Stereotype zu Rap. Zum Beispiel gibt es einen Überhang aus Beiträgen, die sich mit Gangsterrap beschäftigen. Dazu existieren gleich drei wissenschaftliche Sammelbände. Das ist in Ordnung, denn es ist immer noch das populärste Subgenre. Die Männlichkeitsanalysen fokussieren hier dann aber häufig auf Hypermaskulinität, Misogynie und Homophobie. Das ist alles gut und wichtig, aber es gibt ja auch noch andere Subgenres, die andere Männlichkeitserzählungen haben, zum Beispiel die ganzen Hipster- und Emo-Sachen von Leuten wie Cro, Casper oder Sierra Kid. Persönlich höre ich das tatsächlich gar nicht, trotzdem ist es mir wichtig, immer wieder für die Pluralisierung und Diversifizierung von Männlichkeiten im Rap zu sensibilisieren. Außerdem: Selbst die hypermaskuline Gangsterrap-Erzählung ist gekennzeichnet von Ambivalenzen und Brüchen, wenn man mal genauer hinguckt. Da geht es schon immer viel um Depressionen, Schwächen, Ängste, den Tod von nahestehenden Personen, Suizide oder Krankheiten und so weiter. Auf den Alben vieler klassischer Gangsterrapper wie Samra, der für mich by the way ein Emo-Rapper ist, aber auch Capital Bra, Haftbefehl oder PA Sports gibt es Lyrics, die viel von Verletzlichkeit, Unsicherheit und Schwäche zeugen. "F*ck die Maskerade! Man, ich zeig' den Leuten, wer ich bin", rappt PA Sports auf einem Track. Da merkt man auch, dass viele aus den restriktiven Männlichkeitsbildern rauswollen, dass sie gern mehr von sich zeigen wollen, als immer nur die harten, maskulin codierten Attribute. Die Rap-Forschung in den USA guckt da teilweise genauer hin. Michael P. Jeffries nennt das in seinem Buch "Thug Life" auch "complex coolness". Er hat sich gefragt, welche Komplexitäten und Widersprüche eigentlich in einem Œuvre von einem Jay-Z, 50 Cent oder 2Pac versteckt sind. Wie viel wird getrauert um die Brüder, die gestorben sind? Wie viele Tränen fließen da, wie emotional ist das? Ich finde, auch wir müssen uns diese Komplexität mal genauer angucken. Ein anderer US-Forscher sagt zum Beispiel, dass wir uns von der Genre-Klassifikation lösen müssen. Wenn wir von vornherein sagen, dass 50 Cent ein Gangsterrapper ist, sehen wir auch nur die Gangstersachen, den Sexismus und so weiter. Andere, wie Mos Def, labeln wir als Conscious Rapper und sehen dann nur die "guten" politischen oder sozialen Sachen. Dabei gibt es die auch bei einem 50 Cent, genauso wie es auch unter Conscious Rappern Misogynie in den Texten gibt. Diese Denkweise müsste man mehr auf Deutschrap anwenden, finde ich. Gangsterrap ist nämlich der eigentliche Emo-Rap.
MZEE.com: Rapper wie CONNY setzen sich mit ihren Texten genau dafür ein. Ist das ausschließlich das Ergebnis einer nicht marginalisierten, studentisch-akademischen Schicht? Wenn ja, siehst du darin ein Problem?
Heidi Süß: Ich würde schon sagen, dass ein Großteil des feministischen, männlichkeitskritischen Diskurses, der gerade im Rap stattfindet, eher akademisch ist. Aber nicht unbedingt ausschließlich. Der Feminismus, der auf Rap "angewendet" wird, hat oft kein Klassenbewusstsein, weil er nicht mitdenkt, aus welchen Lebensverhältnissen andere Leute sind. Du kannst und solltest zum Beispiel nicht jeden gleichermaßen mit Sprachkritik oder Gendern konfrontieren. Das ist nicht immer kompatibel mit der jeweiligen Lebensrealität. Da fehlen mir oft die Empathie und das Bewusstsein.
MZEE.com: Thema Battlerap: Gerade in dieser Szene wird die Gewalt der Sprache oftmals stilisiert, jedoch mit einem gezielten Adressaten und einem grundsätzlich antirassistischen Konsens. Dieser reicht allerdings nicht dafür aus, dass andere marginalisierte Gruppen verschont werden. Wie kommt das deiner Meinung nach zustande und kannst du auch hier eine Veränderung beobachten?
Heidi Süß: Battlerap ist in Deutschland erstaunlich unterforscht. Es gibt wirklich wenig darüber, was mich wundert. Okay, Battlerap ist kein Mainstream, aber die verschiedenen Ligen und Communitys drumherum sind trotzdem groß. Ich persönlich mag Battlerap sehr und höre mir das auch oft an. Was Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit betrifft, geht es da auch noch mal heftiger zu als im Mainstream-Gangsterrap. Das ist irgendwie logisch, denn es geht ja darum, den:die Gegner:in maximal zu beleidigen. Ich bin da keine Expertin, aber in manchen Ligen sind bestimmte No-Gos auch entsprechend definiert und es gibt klare Grenzen, was ich sinnvoll finde. Außerdem gibt es natürlich auch im Battlerap feministische Inhalte und eine steigende Anzahl an FLINTA*, was eine gute Entwicklung ist.
MZEE.com: Hast du das Gefühl, dass deutschem Rap eine zu große Rolle beigemessen wird, wenn es darum geht, wie sehr gewaltvolle Sprache das Verhalten von Jugendlichen prägen kann?
Heidi Süß: Was das angeht, bin ich als Rapfan, Wissenschaftlerin und gleichzeitig kritische Person sehr ambivalent. Es ist ja so: Immer, wenn es im Rap eskaliert, was oft passiert, bekomme ich Anfragen von Medien, die wissen wollen, ob Rap jetzt schlecht für unsere Jugend ist. Tja, was soll man dazu sagen. Es fehlen uns Studien, die uns konkret zeigen, wie sich die Rezeption von Rap auswirkt. Da ist aber gerade einiges in der Mache, weil wir gepeilt haben, dass wir hier geschlafen haben. Kolleg:innen von mir aus Bielefeld haben sich vor zwei Jahren mit Antisemitismus und Misogynie im Gangsterrap beschäftigt und unter anderem Gruppeninterviews geführt. Was sie herausgefunden haben, liegt im Prinzip auf der Hand. Es gibt zwar eine Korrelation, aber keine Kausalität zwischen Musikkonsum und konkretem, lebensweltlichem Handeln. Also auf Deutsch: Wenn ich sowieso schon in einem antisemitisch oder misogyn vorstrukturierten Milieu verkehre, dann kann der Konsum entsprechender Musik aus dem Subgenre Gangsterrap diese Weltsicht schon noch mal verstärken. Trotzdem – und das ist echt wichtig zu beachten – geht niemand auf die Straße und sticht jemanden ab, nur weil Rapper xy das in einem Text rappt. So funktioniert das nicht. Allerdings wissen wir alle, die wir seit Ewigkeiten Rap hören, dass diese Musik nicht spurlos an einem:einer vorbeigeht. Ich höre seit 28 Jahren Rap und natürlich hat mich das in meiner Sicht auf alles Mögliche stark geprägt, inklusive Geschlecht, Sexualität, Männlichkeit und so weiter. Natürlich macht das auch was mit jungen Männern, wenn die sich nonstop extrem misogynen Rap reinziehen. Ich gehe damit jetzt nicht so viel hausieren, weil ich ja auch eine Rap-Liebhaberin bin und die Leute schon schlecht genug über unsere Kultur denken, aber dass das so ist, ist ein offenes Geheimnis. Darüber muss man reden und das habe ich mir zur Aufgabe gemacht. Auch wenn man sich damit nicht unbedingt Freund:innen macht und aus Szenesicht sowieso als Nestbeschmutzerin gilt. Irgendjemand muss es aber machen und im Rap-Journalismus sehe ich derzeit leider eher wenig kritische Interventionen.
MZEE.com: Du sagst, es ist gut, darüber zu sprechen. Wäre Schweigen ansonsten noch viel gewaltiger als alles, was gesagt werden könnte?
Heidi Süß: Schweigen ist nie gut. Ich feiere jeden und jede, der:die den Mut hat, öffentlich kritische Sachen über Rap zu sagen. Das wird viel zu wenig gemacht, vor allem nicht von Typen. Es ist dabei total wichtig, wer spricht und wie man die Dinge kommuniziert. Am besten kommt die Kritik aus der Kultur selbst, sonst ist sie gerade aus Szenesicht nicht glaubwürdig. Und dann muss man den richtigen Sprachhabitus treffen und die Kritik entsprechend verpacken. Zu elaboriert à la Judith Butler ist nie gut, weil das kein Mensch versteht. (Anm. d. Red.: Judith Butler ist eine US-amerikanische Philosophin und Gender-Theoretikerin, bekannt für ihre Arbeiten zur Geschlechtertheorie und den Begriff der Performativität, insbesondere in ihrem Werk "Gender Trouble" von 1990. Sie argumentiert, dass Geschlecht nicht biologisch festgelegt, sondern durch gesellschaftliche Praktiken und wiederholte Handlungen konstruiert wird.) Zu low darf es aber auch nicht sein, weil ein bisschen Gehalt sollte so eine Kritik schon haben, und wenn man zu viel Slang spricht, kommt das auch gerne mal anbiedernd und cringe. Das ist die große Herausforderung an diesem Job und ich versuche, das so gut wie möglich hinzukriegen. Übrigens freue ich mich explizit über jede männlich identifizierte Person, die sich kritisch zum Thema Männlichkeit, Sexismus und so weiter zu Wort meldet. Das ist nicht nur unser Job als FLINTA*, da müssen wir alle ran, weil wir alle davon betroffen sind.
(Max Raska)
(Fotos von Matthias Gephart – Disturbanity Graphics)