Kategorien
Interview

Heidi Süß – ein Gespräch über die Gewalt der Sprache

"Ich wür­de schon sagen, dass ein Groß­teil des femi­nis­ti­schen, männ­lich­keits­kri­ti­schen Dis­kur­ses, der gera­de im Rap statt­fin­det, eher aka­de­misch ist. Aber nicht unbe­dingt aus­schließ­lich." – Hei­di Süß über Männ­lich­kei­ten im Rap.

Hip­Hop ist die wohl größ­te Jugend­kul­tur unse­rer Zeit – das haben mitt­ler­wei­le die meis­ten gecheckt. In der Wer­bung läuft Rap, bei H&M kann man 2Pac-​Sweater kau­fen, im Feuil­le­ton wer­den Alben von Gangsterrapper:innen bespro­chen und an Uni­ver­si­tä­ten for­schen sie zu Hip­Hop. An Uni­ver­si­tä­ten for­schen sie zu Hip­Hop?! Ja, tat­säch­lich gibt es in Deutsch­land nicht weni­ge Lehr­stüh­le und Insti­tu­te, an denen sich Forscher:innen aus sozial- oder kul­tur­wis­sen­schaft­li­cher Per­spek­ti­ve mit Rap beschäf­ti­gen. Dazu zählt auch Hei­di Süß. Eine Lei­den­schaft für Hip­Hop hat­te die gebür­ti­ge Baye­rin aus Wei­den in der Ober­pfalz schon nahe­zu von klein auf, doch dass Rap ein span­nen­der For­schungs­ge­gen­stand sein kann, wur­de ihr erst im Ver­lauf eines sprach­wis­sen­schaft­li­chen Stu­di­ums klar. Was folg­te, war eine Magis­ter­ar­beit zum The­ma "Gangsta-​Rap als Mit­tel zur Iden­ti­täts­kon­struk­ti­on im Migra­ti­ons­kon­text" und spä­ter eine Pro­mo­ti­on über Männ­lich­kei­ten im Deutschrap. Heu­te forscht und lehrt Hei­di Süß als wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­te­rin an der Uni­ver­si­tät Trier und arbei­tet zudem als Refe­ren­tin und Autorin zu The­men wie Geschlecht, Männ­lich­keit, Jugend und Iden­ti­tät – und all das oft mit Rap-​Bezug. Genau die rich­ti­ge Exper­tin also, um in einem Inter­view über die Gewalt der Spra­che zu sprechen.

MZEE​.com: Du forschst und lehrst der­zeit an der Uni­ver­si­tät Trier zum The­ma Pop­kul­tur, ins­be­son­de­re zu Rap und Fra­gen von Geschlecht und Männ­lich­keit. Magst du uns erst mal erzäh­len, woher dei­ne Lie­be zu die­sen The­men kommt?

Hei­di Süß: Ich habe mit unge­fähr zehn Jah­ren ange­fan­gen, Rap­mu­sik zu hören. Wie bei vie­len kam das über älte­re Geschwis­ter zu mir – bei mir war es mei­ne gro­ße Schwes­ter. Zunächst sind vor allem Ami-​Sachen wie Wu-​Tang Clan, Cypress Hill, 8ightBall oder "The Score" von den Fugees bei mir gelan­det. Dann bin ich aber sehr schnell auf deut­schen Rap gekom­men und des­halb eigent­lich eher ein Deutschrap-​Kind. Das muss­te ich damals teil­wei­se auch ein biss­chen durch­drü­cken, weil ich viel mit Älte­ren her­um­ge­han­gen habe und Deutschrap in den Augen Mobb Deep-​sozialisierter Leu­te natür­lich rela­tiv wack war.

MZEE​.com: Wel­che Künstler:innen hast du damals gehört?

Hei­di Süß: Freun­des­kreis, Eins Zwo, Samy Delu­xe, Mas­si­ve Töne, auch Fein­kost Para­noia, ich kom­me ja aus Bay­ern. Ich war aber nie wirk­lich Fan von bestimm­ten Künstler:innen, son­dern habe mir ein­fach alles rein­ge­fah­ren, Deutschrap-​Sampler auf CD gekauft, Tapes auf­ge­nom­men und natür­lich HipHop-​Zeitschriften abon­niert. Die gab es damals ja noch phy­sisch zum Darin-​Blättern. Wie vie­le hat­te ich auch mal eine Savas-​Phase. "King of Rap" war auf jeden Fall ein wich­ti­ger Track für mich. Dann kam irgend­wann die Zeit von Aggro Ber­lin – dar­auf kam ich nicht so gut klar. Das war mir zu aggres­siv. Da muss­te ich dann mal für ein paar Jah­re in benach­bar­te Gen­res flüch­ten zum Klar­kom­men, also R 'n' B, Soul und so was.

MZEE​.com: Und wer hat dich dann wie­der zum deut­schen Rap zurückgebracht?

Hei­di Süß: K.I.Z, Nate57 und Haft­be­fehl. 2011 muss­te ich im Stu­di­um eine Magis­ter­ar­beit schrei­ben und da war klar, dass es da nur um Rap gehen kann, alles ande­re hät­te mich nie für meh­re­re Mona­te bei der Stan­ge gehal­ten. Zu die­ser Zeit lief gera­de die­se neue Straßenrap-​Welle in Deutsch­land an, mit Haft­be­fehl und Nate. Das war nicht mehr so extrem miso­gyn und hat­te auch ein biss­chen poli­ti­schen Anspruch. Das hat mich wie­der zurück­ge­holt und seit­dem bin ich tie­fer in der Mate­rie drin als je zuvor. Wäh­rend mei­ner Magis­ter­ar­beit habe ich fest­ge­stellt, dass es auch ande­re Nerds gibt, die sich wis­sen­schaft­lich mit Rap beschäf­ti­gen. Das war neu für mich und irgend­wie span­nend. Ich bin seit­dem mehr oder weni­ger ohne Unter­bre­chung dabei geblie­ben, mich wis­sen­schaft­lich mit Rap aus­ein­an­der­zu­set­zen. In mei­ner Dok­tor­ar­beit habe ich dann über Männ­lich­kei­ten im Deutschrap geschrie­ben und vor­letz­tes Jahr gemein­sam mit Marc Diet­rich eine Stu­die zu Ras­sis­mus im Rap ver­öf­fent­licht. Ich nen­ne das, was ich mache, HipHop-​Forschung. Ich habe das Pri­vi­leg, zu mei­ner Lei­den­schaft zu for­schen. Also, wenn ich Musik höre, dann zählt das als Arbeit. Das ist schon ziem­lich cool. Außer­dem ist die­se For­schung total wich­tig. Mit Rap sind so vie­le Leu­te sozia­li­siert, es ist die domi­nan­tes­te Gegen­warts­kul­tur. Gleich­zei­tig gibt es immer noch wahn­sin­nig vie­le Vor­ur­tei­le und Kli­schees dar­über. Des­halb muss das jemand beschrei­ben, auf­drö­seln, kon­tex­tua­li­sie­ren und in die Öffent­lich­keit brin­gen. Auch das ist Teil des Jobs, so wie ich ihn verstehe.

MZEE​.com: Unser The­ma ist ja heu­te die Gewalt der Spra­che. Kannst du dich an einen aus­schlag­ge­ben­den Moment erin­nern, der dir per­sön­lich vor Augen geführt hat, wie viel Macht Gesag­tes haben kann?

Hei­di Süß: Da gibt es bestimmt vie­le. Für Jün­ge­re sind bei­spiels­wei­se Begrif­fe wie "B*tch" oder "F*tze" schon zurück­er­obert. Aber ich bin 1986 gebo­ren. Für mich war das damals schon weird, wenn auch Mädels "B*tch" gesagt und das für sich reclaimt haben. In mei­nen Augen war das ein Schimpf­wort, das Frau­en degra­dier­te. Die­sen Rück­erobe­rungs­mo­ve habe ich mit 14 Jah­ren noch nicht gerafft. Aber Spra­che erschafft Wirk­lich­keit. Über sie ver­mit­teln wir Vor­stel­lun­gen von Geschlecht, Sexua­li­tät oder auch Männ­lich­keit. Was das angeht, ging es in den letz­ten 40 Jah­ren teil­wei­se recht ein­sei­tig zu in der homo­so­zia­len Män­ner­ge­mein­schaft Rap. Es geht aber nicht nur um Spra­che oder ein­zel­ne Begrif­fe, wenn wir über Sexis­mus spre­chen. Die Leu­te den­ken ja immer, Sexis­mus im Rap ist, wenn jemand "Schl*mpe" sagt. Ja okay, das kann gemein und ver­let­zend sein. Aber ich wür­de ger­ne mal weg­ge­hen von die­sen ein­zel­nen Wör­tern und den Blick mehr auf die Gesamt­heit der Kul­tur und ihre Pro­duk­te len­ken. Auch über Bil­der und Vide­os wer­den ja sol­che Bot­schaf­ten ver­mit­telt. Wir sehen jede Woche halb­nack­te Frau­en, die sich in Männer-​Rapvideos räkeln, so als wären wir in den 90ern hän­gen geblie­ben. Es geht bei so einer Kri­tik ja immer um eine grund­sätz­li­che Welt­sicht, eine miso­gy­ne und abwer­ten­de Sicht auf Frau­en und alles Weib­li­che, das wir in der Gesell­schaft und somit auch im Rap wie­der­fin­den. Ich habe so eine Kurdo-​Line im Kopf, die heißt: "Du bist per­fekt, wie du bist, ich muss dir nix ver­bie­ten." Da ist kein sexis­ti­sches Wort in die­ser Line, aber die Sicht­wei­se auf Weib­lich­keit und der männ­li­che Besitz­an­spruch, der hier ganz selbst­ver­ständ­lich erho­ben wird, ist extrem miso­gyn. Ich ver­ste­he nicht, was so was in den gro­ßen Play­lis­ten zu suchen hat. Das kann alles weg, mei­ner Mei­nung nach. 

MZEE​.com: Wer­den die Gren­zen des Sag­ba­ren immer wei­ter verschoben?

Hei­di Süß: Na ja, Rap arbei­tet schon hart dar­an. Aber das defi­niert ihn ja auch. His­to­risch gese­hen ist Rap eine Kul­tur von Leu­ten, die von der Gesell­schaft aus­ge­schlos­sen wur­den, die zum Bei­spiel Rassismus- und Pre­ka­ri­täts­er­fah­run­gen gemacht haben. Die woll­ten sich durch Spra­che in die Gesell­schaft rein­schrei­ben und statt­fin­den. Zurecht. Das ist die gro­ße Sto­ry­line von Hip­Hop. Und das funk­tio­niert natür­lich auch über den sprachlich-​kulturellen Tabu­bruch "expli­cit lyrics", das ken­nen wir ja. Dazu wer­den dann eben jede Men­ge Schimpf­wör­ter benutzt. Das ist ein Spe­zi­fi­kum des Rap und hat irgend­wo auch sei­ne Legi­ti­mi­tät. Es gibt aber trotz­dem Gren­zen. Gera­de wenn es um Frau­en­ver­ach­tung, Homo­pho­bie oder Trans­feind­lich­keit geht, fin­de ich es schon krass, was HipHop-​Medien da teil­wei­se durch­win­ken. Da wird der neu­es­te Track von Rap­per xy gepos­tet und nie­man­dem fällt auf, dass auf der Text­ebe­ne eine Frau ins Koma ge***** wird. Da fra­ge ich mich schon, was in eurer Bran­che los ist. Und ich sag' euch auch gleich, was das Pro­blem ist: zu vie­le Män­ner im Rap-​Journalismus. Ganz kla­re Sache.

MZEE​.com: Du hast gesagt, es wür­de bei dir ein komi­sches Gefühl her­vor­ru­fen, wenn Frau­en bestimm­te Wör­ter für sich reclai­men. Was hat dann jemand wie Lady Bitch Ray in dir ausgelöst?

Hei­di Süß: Damit konn­te ich damals ehr­lich gesagt nichts anfan­gen. Vor allem musi­ka­lisch nicht. Heu­te sehe ich das aber sehr viel dif­fe­ren­zier­ter, denn im End­ef­fekt war sie ihrer Zeit ein­fach krass vor­aus. Was sie gemacht hat, war megamu­tig, und ich zie­he wirk­lich mei­nen Hut davor. Aber damals war die Sze­ne über­haupt nicht rea­dy für so viel offe­ne, weib­li­che Sexua­li­tät und Lady Bitch Ray wur­de gar nicht ent­spre­chend hono­riert. Im Rap-​Journalismus wur­de sie kaum rezi­piert. Es hieß, dass sie nicht rap­pen kön­ne. Okay, dar­über kann man mei­net­we­gen strei­ten, aber dass sie nie auf dem Cover der JUICE oder einer ande­ren deut­schen HipHop-​Zeitschrift war, ist eigent­lich ein Skan­dal. Es liegt auf der Hand, dass das mal wie­der an der männ­li­chen Homo­so­zia­li­tät des Rap-​Journalismus liegt, aber ich will hier jetzt auch nicht zu viel haten. Der Punkt ist klar gewor­den, den­ke ich.

MZEE​.com: Der US-​amerikanische Autor und Psy­cho­the­ra­peut Ter­rence Real beschäf­tigt sich viel mit Männ­lich­keit und sagt, dass wir gesell­schaft­lich Män­ner davon abbrin­gen, Sen­si­bi­li­tät für ande­re zu emp­fin­den. Meinst du, dass sen­si­ble Spra­che ein Grund­bau­stein dafür ist, die­se Empa­thie zurückzuerlangen?

Hei­di Süß: Auf jeden Fall. Mei­ne For­schung besteht ja auch nicht nur dar­aus, Männer-​Rap zu kri­ti­sie­ren und über Sexis­mus zu reden. Ich gucke mir das The­ma Männ­lich­kei­ten schon sehr viel dif­fe­ren­zier­ter an und über­tra­ge Kon­zep­te aus der Männ­lich­kei­ten­for­schung auf Rap. Auch in der For­schung kur­sie­ren übri­gens vie­le Kli­schees und Ste­reo­ty­pe zu Rap. Zum Bei­spiel gibt es einen Über­hang aus Bei­trä­gen, die sich mit Gangs­ter­rap beschäf­ti­gen. Dazu exis­tie­ren gleich drei wis­sen­schaft­li­che Sam­mel­bän­de. Das ist in Ord­nung, denn es ist immer noch das popu­lärs­te Sub­gen­re. Die Männ­lich­keits­ana­ly­sen fokus­sie­ren hier dann aber häu­fig auf Hyper­mas­ku­li­ni­tät, Miso­gy­nie und Homo­pho­bie. Das ist alles gut und wich­tig, aber es gibt ja auch noch ande­re Sub­gen­res, die ande­re Männ­lich­keits­er­zäh­lun­gen haben, zum Bei­spiel die gan­zen Hipster- und Emo-​Sachen von Leu­ten wie Cro, Cas­per oder Sier­ra Kid. Per­sön­lich höre ich das tat­säch­lich gar nicht, trotz­dem ist es mir wich­tig, immer wie­der für die Plu­ra­li­sie­rung und Diver­si­fi­zie­rung von Männ­lich­kei­ten im Rap zu sen­si­bi­li­sie­ren. Außer­dem: Selbst die hyper­mas­ku­li­ne Gangsterrap-​Erzählung ist gekenn­zeich­net von Ambi­va­len­zen und Brü­chen, wenn man mal genau­er hin­guckt. Da geht es schon immer viel um Depres­sio­nen, Schwä­chen, Ängs­te, den Tod von nahe­ste­hen­den Per­so­nen, Sui­zi­de oder Krank­hei­ten und so wei­ter. Auf den Alben vie­ler klas­si­scher Gangs­ter­rap­per wie Sam­ra, der für mich by the way ein Emo-​Rapper ist, aber auch Capi­tal Bra, Haft­be­fehl oder PA Sports gibt es Lyrics, die viel von Ver­letz­lich­keit, Unsi­cher­heit und Schwä­che zeu­gen. "F*ck die Mas­ke­ra­de! Man, ich zeig' den Leu­ten, wer ich bin", rappt PA Sports auf einem Track. Da merkt man auch, dass vie­le aus den restrik­ti­ven Männ­lich­keits­bil­dern raus­wol­len, dass sie gern mehr von sich zei­gen wol­len, als immer nur die har­ten, mas­ku­lin codier­ten Attri­bu­te. Die Rap-​Forschung in den USA guckt da teil­wei­se genau­er hin. Micha­el P. Jef­fries nennt das in sei­nem Buch "Thug Life" auch "com­plex cool­ness". Er hat sich gefragt, wel­che Kom­ple­xi­tä­ten und Wider­sprü­che eigent­lich in einem Œuvre von einem Jay-​Z, 50 Cent oder 2Pac ver­steckt sind. Wie viel wird getrau­ert um die Brü­der, die gestor­ben sind? Wie vie­le Trä­nen flie­ßen da, wie emo­tio­nal ist das? Ich fin­de, auch wir müs­sen uns die­se Kom­ple­xi­tät mal genau­er angu­cken. Ein ande­rer US-​Forscher sagt zum Bei­spiel, dass wir uns von der Genre-​Klassifikation lösen müs­sen. Wenn wir von vorn­her­ein sagen, dass 50 Cent ein Gangs­ter­rap­per ist, sehen wir auch nur die Gangs­ter­sa­chen, den Sexis­mus und so wei­ter. Ande­re, wie Mos Def, labeln wir als Con­scious Rap­per und sehen dann nur die "guten" poli­ti­schen oder sozia­len Sachen. Dabei gibt es die auch bei einem 50 Cent, genau­so wie es auch unter Con­scious Rap­pern Miso­gy­nie in den Tex­ten gibt. Die­se Denk­wei­se müss­te man mehr auf Deutschrap anwen­den, fin­de ich. Gangs­ter­rap ist näm­lich der eigent­li­che Emo-Rap.

MZEE​.com: Rap­per wie CONNY set­zen sich mit ihren Tex­ten genau dafür ein. Ist das aus­schließ­lich das Ergeb­nis einer nicht mar­gi­na­li­sier­ten, studentisch-​akademischen Schicht? Wenn ja, siehst du dar­in ein Problem?

Hei­di Süß: Ich wür­de schon sagen, dass ein Groß­teil des femi­nis­ti­schen, männ­lich­keits­kri­ti­schen Dis­kur­ses, der gera­de im Rap statt­fin­det, eher aka­de­misch ist. Aber nicht unbe­dingt aus­schließ­lich. Der Femi­nis­mus, der auf Rap "ange­wen­det" wird, hat oft kein Klas­sen­be­wusst­sein, weil er nicht mit­denkt, aus wel­chen Lebens­ver­hält­nis­sen ande­re Leu­te sind. Du kannst und soll­test zum Bei­spiel nicht jeden glei­cher­ma­ßen mit Sprach­kri­tik oder Gen­dern kon­fron­tie­ren. Das ist nicht immer kom­pa­ti­bel mit der jewei­li­gen Lebens­rea­li­tät. Da feh­len mir oft die Empa­thie und das Bewusstsein.

MZEE​.com: The­ma Batt­ler­ap: Gera­de in die­ser Sze­ne wird die Gewalt der Spra­che oft­mals sti­li­siert, jedoch mit einem geziel­ten Adres­sa­ten und einem grund­sätz­lich anti­ras­sis­ti­schen Kon­sens. Die­ser reicht aller­dings nicht dafür aus, dass ande­re mar­gi­na­li­sier­te Grup­pen ver­schont wer­den. Wie kommt das dei­ner Mei­nung nach zustan­de und kannst du auch hier eine Ver­än­de­rung beobachten?

Hei­di Süß: Batt­ler­ap ist in Deutsch­land erstaun­lich unter­forscht. Es gibt wirk­lich wenig dar­über, was mich wun­dert. Okay, Batt­ler­ap ist kein Main­stream, aber die ver­schie­de­nen Ligen und Com­mu­ni­tys drum­her­um sind trotz­dem groß. Ich per­sön­lich mag Batt­ler­ap sehr und höre mir das auch oft an. Was For­men grup­pen­be­zo­ge­ner Men­schen­feind­lich­keit betrifft, geht es da auch noch mal hef­ti­ger zu als im Mainstream-​Gangsterrap. Das ist irgend­wie logisch, denn es geht ja dar­um, den:die Gegner:in maxi­mal zu belei­di­gen. Ich bin da kei­ne Exper­tin, aber in man­chen Ligen sind bestimm­te No-​Gos auch ent­spre­chend defi­niert und es gibt kla­re Gren­zen, was ich sinn­voll fin­de. Außer­dem gibt es natür­lich auch im Batt­ler­ap femi­nis­ti­sche Inhal­te und eine stei­gen­de Anzahl an FLINTA*, was eine gute Ent­wick­lung ist.

MZEE​.com: Hast du das Gefühl, dass deut­schem Rap eine zu gro­ße Rol­le bei­gemes­sen wird, wenn es dar­um geht, wie sehr gewalt­vol­le Spra­che das Ver­hal­ten von Jugend­li­chen prä­gen kann?

Hei­di Süß: Was das angeht, bin ich als Rapfan, Wis­sen­schaft­le­rin und gleich­zei­tig kri­ti­sche Per­son sehr ambi­va­lent. Es ist ja so: Immer, wenn es im Rap eska­liert, was oft pas­siert, bekom­me ich Anfra­gen von Medi­en, die wis­sen wol­len, ob Rap jetzt schlecht für unse­re Jugend ist. Tja, was soll man dazu sagen. Es feh­len uns Stu­di­en, die uns kon­kret zei­gen, wie sich die Rezep­ti­on von Rap aus­wirkt. Da ist aber gera­de eini­ges in der Mache, weil wir gepeilt haben, dass wir hier geschla­fen haben. Kolleg:innen von mir aus Bie­le­feld haben sich vor zwei Jah­ren mit Anti­se­mi­tis­mus und Miso­gy­nie im Gangs­ter­rap beschäf­tigt und unter ande­rem Grup­pen­in­ter­views geführt. Was sie her­aus­ge­fun­den haben, liegt im Prin­zip auf der Hand. Es gibt zwar eine Kor­re­la­ti­on, aber kei­ne Kau­sa­li­tät zwi­schen Musik­kon­sum und kon­kre­tem, lebens­welt­li­chem Han­deln. Also auf Deutsch: Wenn ich sowie­so schon in einem anti­se­mi­tisch oder miso­gyn vor­struk­tu­rier­ten Milieu ver­keh­re, dann kann der Kon­sum ent­spre­chen­der Musik aus dem Sub­gen­re Gangs­ter­rap die­se Welt­sicht schon noch mal ver­stär­ken. Trotz­dem – und das ist echt wich­tig zu beach­ten – geht nie­mand auf die Stra­ße und sticht jeman­den ab, nur weil Rap­per xy das in einem Text rappt. So funk­tio­niert das nicht. Aller­dings wis­sen wir alle, die wir seit Ewig­kei­ten Rap hören, dass die­se Musik nicht spur­los an einem:einer vor­bei­geht. Ich höre seit 28 Jah­ren Rap und natür­lich hat mich das in mei­ner Sicht auf alles Mög­li­che stark geprägt, inklu­si­ve Geschlecht, Sexua­li­tät, Männ­lich­keit und so wei­ter. Natür­lich macht das auch was mit jun­gen Män­nern, wenn die sich non­stop extrem miso­gy­nen Rap rein­zie­hen. Ich gehe damit jetzt nicht so viel hau­sie­ren, weil ich ja auch eine Rap-​Liebhaberin bin und die Leu­te schon schlecht genug über unse­re Kul­tur den­ken, aber dass das so ist, ist ein offe­nes Geheim­nis.  Dar­über muss man reden und das habe ich mir zur Auf­ga­be gemacht. Auch wenn man sich damit nicht unbe­dingt Freund:innen macht und aus Sze­ne­sicht sowie­so als Nest­be­schmut­ze­rin gilt. Irgend­je­mand muss es aber machen und im Rap-​Journalismus sehe ich der­zeit lei­der eher wenig kri­ti­sche Interventionen.

MZEE​.com: Du sagst, es ist gut, dar­über zu spre­chen. Wäre Schwei­gen ansons­ten noch viel gewal­ti­ger als alles, was gesagt wer­den könnte?

Hei­di Süß: Schwei­gen ist nie gut. Ich feie­re jeden und jede, der:die den Mut hat, öffent­lich kri­ti­sche Sachen über Rap zu sagen. Das wird viel zu wenig gemacht, vor allem nicht von Typen. Es ist dabei total wich­tig, wer spricht und wie man die Din­ge kom­mu­ni­ziert. Am bes­ten kommt die Kri­tik aus der Kul­tur selbst, sonst ist sie gera­de aus Sze­ne­sicht nicht glaub­wür­dig. Und dann muss man den rich­ti­gen Sprach­ha­bi­tus tref­fen und die Kri­tik ent­spre­chend ver­pa­cken. Zu ela­bo­riert à la Judith But­ler ist nie gut, weil das kein Mensch ver­steht. (Anm. d. Red.: Judith But­ler ist eine US-​amerikanische Phi­lo­so­phin und Gender-​Theoretikerin, bekannt für ihre Arbei­ten zur Geschlech­ter­theo­rie und den Begriff der Per­for­ma­ti­vi­tät, ins­be­son­de­re in ihrem Werk "Gen­der Trou­ble" von 1990. Sie argu­men­tiert, dass Geschlecht nicht bio­lo­gisch fest­ge­legt, son­dern durch gesell­schaft­li­che Prak­ti­ken und wie­der­hol­te Hand­lun­gen kon­stru­iert wird.) Zu low darf es aber auch nicht sein, weil ein biss­chen Gehalt soll­te so eine Kri­tik schon haben, und wenn man zu viel Slang spricht, kommt das auch ger­ne mal anbie­dernd und crin­ge. Das ist die gro­ße Her­aus­for­de­rung an die­sem Job und ich ver­su­che, das so gut wie mög­lich hin­zu­krie­gen. Übri­gens freue ich mich expli­zit über jede männ­lich iden­ti­fi­zier­te Per­son, die sich kri­tisch zum The­ma Männ­lich­keit, Sexis­mus und so wei­ter zu Wort mel­det. Das ist nicht nur unser Job als FLINTA*, da müs­sen wir alle ran, weil wir alle davon betrof­fen sind.

(Max Ras­ka)
(Fotos von Mat­thi­as Gephart – Dis­tur­ba­ni­ty Graphics)