An dieser Stelle möchten wir Gedanken zu aktuellen Geschehnissen aus dem Deutschrap-Kosmos zum Ausdruck bringen. Die jeweils dargestellte Meinung ist die des:der Autor:in und entspricht nicht zwangsläufig der der gesamten Redaktion – dennoch möchten wir auch Einzelstimmen Raum geben.
Im Folgenden beschäftigt sich unser Redakteur Alec mit den Stieber Twins und ihrem Entschluss, ihr Album "Fenster zum Hof" zunächst exklusiv bei Apple Music anzubieten.
Die Stieber Twins sind zurück, sofern man behaupten möchte, dass sie je weg waren. Im letzten Jahr haben sie gemeinsam mit Curse, Aphroe und Cora E. einen neuen Song veröffentlicht. Das Ganze sorgte für einiges an positiver Resonanz, schließlich sind neue Strophen der beiden in den letzten Jahren – um nicht zu sagen Jahrzehnten – eine Seltenheit. "Familia" haben sie dann auch pünktlich zum Release live bei Fire in the Booth Germany präsentiert.
Im Zuge dessen saßen sie zudem in einem Interview bei Aria Nejati. Es entstand ein tolles Gespräch, in dem Martin und Christian zum Teil spannende Aussagen trafen und auch Gastgeber Aria für ein intensives Gespräch sorgte, das weitestgehend ohne 0815-Fragen auskam. Es könnte so schön sein, wäre da nicht dieser eine Haken, der für einen faden Beigeschmack sorgt.
Sowohl Fire in the Booth Germany als auch die Interviews von Aria werden von Apple beziehungsweise Apple Music präsentiert. Schön wäre es, wenn die Werbeanzeige an dieser Stelle aufhören könnte. Aber nein, stolz berichten uns die Zwillinge, dass ihr Klassiker "Fenster zum Hof" aus dem Jahr 1996 endlich allen Menschen zum Streamen zugänglich gemacht wird – und zwar exklusiv bei Apple Music. Dass die beiden sich bei dieser widersprüchlichen Aussage nicht lachend in den Armen liegen, zeugt von hoher Selbstkontrolle. Wenn ein Produkt "exklusiv" auf einer Plattform angeboten wird, ist es sicherlich vieles, aber nicht für alle verfügbar. Denn abgesehen davon, dass Apple Music nur nutzbar ist, wenn man dafür bezahlt, ähnlich wie nahezu alle Streaminganbieter, wird die Plattform fast nur von Apple-User:innen genutzt. Hier hätte es sicherlich passendere Alternativen gegeben, um die Musik wesentlich mehr Menschen zugänglich zu machen.
"Ich finde Apple ist 'ne geile Firma!" – Diese Aussage stammt von einem Künstler, der sich einst gegen den Ausverkauf der HipHop-Kultur gestemmt hat und ein antikapitalistisches Mindset verkörperte. Ganz abgesehen davon, dass es keine drei Minuten Internetrecherche benötigt, um herauszufinden, dass Apple keine "geile" Firma ist. Im weiteren Verlauf des Interviews erzählen die Stiebers sogar, dass der kommerzielle Gedanke damals kein Thema war und es nur darum ging, Teil der Kultur zu sein. Natürlich kann man jetzt anführen, dass diese Kultur längst nicht mehr existiert.
"Gegen den Verkauf von HipHop hab' ich gar nichts. Was ich hass', ist der Verkauf von falschen Images." – So heißt es auf dem gleichnamigen Titeltrack von "Fenster zum Hof". Die Vermarktung von HipHop ist legitim, aber Künstler:innen können hier durchaus unterschiedliche Wege einschlagen. Die Entscheidung der Stiebers, ihr Album – zunächst – exklusiv auf einer Plattform zu veröffentlichen, passt nicht zu dem Image oder der Haltung, die die Zwillinge jahrzehntelang repräsentierten. Man kennt sie als Puristen der Kultur, die sich immer wieder bewusst gegen eine besonders auffällige Promotion und Vermarktung des eigenen Schaffens entschieden haben. Dass ausgerechnet die beiden jetzt mit dem Ausschlachten der eigenen Legacy beginnen, fühlt sich ein bisschen so an, als würden sie gegen ihr eigenes Denkmal pinkeln. Zum Glück haben andere HipHop-Heads das Internet längst besiedelt und bereits vor Jahren dafür gesorgt, dass "Fenster zum Hof" – als Klassiker der deutschen Rap-Geschichte – wirklich für alle frei und kostenlos verfügbar ist, zum Beispiel bei YouTube.
Insgesamt hat diese Kampagne einen faden Beigeschmack. Das liegt nicht an der grundsätzlichen Idee, mit Marken zu kooperieren. Aber die eigene und fast 30 Jahre alte Musik als ein exklusives Produkt zu vermarkten, ist einfach absurd. Das, was im Interview gesagt wird hinsichtlich des Verfügbarmachens der eigenen Musik, hätte ich ihnen abgenommen, wenn das Album auf allen Streamingdiensten erschienen wäre oder zum Beispiel bei Bandcamp oder SoundCloud angeboten werden würde. Denn dann hätten tatsächlich nahezu alle Zugang zur Musik der beiden. Gerade bei den Stieber Twins, die in dieser Hinsicht bisher nie öffentlichkeitswirksam agiert haben, steht ein solcher Move in einem starken Kontrast zu ihren einstigen Prinzipien und dürfte ihre Fanbase mindestens irritieren.
(Alec Weber)
(Grafik von Daniel Fersch)