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Kommentar

Ab in die Tonne – verbrauchen Labels ihre Artists?

Immer wie­der hört man von Artists, die sich auf­grund unschö­ner Erfah­run­gen von ihren Major Labels tren­nen, und der Vor­wurf, dass Labels ihre Artists ohne Skru­pel ver­hei­zen, hält sich hart­nä­ckig. Ein Kom­men­tar über die kom­ple­xen Hintergründe.

An die­ser Stel­le möch­ten wir Gedan­ken zu aktu­el­len Gescheh­nis­sen aus dem Deutschrap-​Kosmos zum Aus­druck brin­gen. Die jeweils dar­ge­stell­te Mei­nung ist die des:der Autor:in und ent­spricht nicht zwangs­läu­fig der der gesam­ten Redak­ti­on – den­noch möch­ten wir auch Ein­zel­stim­men Raum geben.

Im Fol­gen­den stellt sich unse­re Redak­teu­rin Emi­ly die Fra­ge, ob Major Labels wirk­lich ihre Artists ver­hei­zen oder ob das mitt­ler­wei­le ein ver­al­te­tes Vor­ur­teil ist.

 

Die Auf­ga­be eines Labels ist es, die Musik eines Artists zu ver­öf­fent­li­chen und zu ver­mark­ten, wobei es den kapi­ta­lis­ti­schen Struk­tu­ren unse­rer Markt­wirt­schaft unter­liegt. Somit hat das Label natür­lich ein Inter­es­se dar­an, dass die­se Ver­mark­tung mög­lichst vie­le Ein­nah­men gene­riert, ob durch Streams, Kon­zer­te oder Wer­be­deals. Das Label hat also haupt­säch­lich eine öko­no­mi­sche und weni­ger eine künst­le­ri­sche Auf­ga­be, was sich mit­un­ter nega­tiv auf die Artists selbst aus­wir­ken kann. Einer­seits kön­nen sie unter Druck gera­ten, die kapi­ta­lis­ti­schen Erwar­tun­gen des Labels zu erfül­len, wenn bei­spiels­wei­se der erhoff­te finan­zi­el­le Erfolg eines Pro­jekts aus­bleibt. Ande­rer­seits kön­nen mit zuneh­men­dem Erfolg auch die Auf­trä­ge stei­gen, was für den Artist ein wesent­li­ches Mehr an Arbeit bedeu­tet. In bei­den Fäl­len kön­nen Artists vom Musik­ma­chen abge­lenkt wer­den und lau­fen im schlimms­ten Fall einem Burn­out in die Arme. Sobald Künstler:innen dann nicht mehr das lie­fern, was vom Label erwar­tet wird, könn­ten sie abge­hakt wer­den und in der meta­pho­ri­schen Müll­ton­ne lan­den. Sie wür­den dadurch zu einem Nutz­ge­gen­stand, der jeder­zeit weg­ge­schmis­sen und ersetzt wer­den kann.

Die­se Über­le­gun­gen zu Labels und Artist­ma­nage­ment sind mir gekom­men, als die Rap­pe­rin bad­mómzjay im April 2024 auf Insta­gram ankün­dig­te, für den Rest des Jah­res kei­ne Musik mehr ver­öf­fent­li­chen zu wol­len und erst mal eine Pau­se machen zu müs­sen. Das begrün­de­te sie mit ihrem men­ta­len Zustand und dem Leis­tungs­druck, unter dem sie vor allem seit der Ver­öf­fent­li­chung ihres zwei­ten Albums "Sur­vi­val Mode" lei­de. Sie zwei­fe­le an ihrer Arbeit und müs­se den Spaß an der Musik erst wie­der­fin­den. Zwar geht die Künst­le­rin schon lan­ge offen mit ihrer men­ta­len Gesund­heit auf Social Media um, trotz­dem war die­se Ankün­di­gung eine Über­ra­schung. Hat wohl ihr Label Uni­ver­sal etwas damit zu tun? Sie unter Druck gesetzt, dadurch aus­ge­laugt und – um bei der Meta­pher zu blei­ben – ver­braucht? Denn kurz nach der Ver­öf­fent­li­chung von "Sur­vi­val Mode" brach­te bad­mómz noch das Mix­tape "Don't Trust Bit­ches" her­aus. Wie qua­li­ta­tiv hoch­wer­tig kann ein Mix­tape in Album­län­ge sein, wenn es kurz nach Release eines ande­ren Albums ver­öf­fent­licht wird? Geht es da nicht pri­mär dar­um, um jeden Preis Strea­ming­zah­len hoch­zu­hal­ten? Die­ses Mix­tape hat die Künst­le­rin laut eige­ner Aus­sa­ge jedoch für sich selbst gemacht, wodurch es ihr schon etwas bes­ser ging. Zudem sag­te sie in einem Inter­view mit dem Musik­ex­press, dass es vor allem die Gesprä­che mit ihrem Team waren, die sie auf­ge­baut und ihr etwas Selbst­ver­trau­en zurück­ge­ge­ben hät­ten. Nach Label-​Beef klingt das also nicht wirklich.

Aber wie ist das bei ande­ren Artists? War­um hat sich Ahzum­jot direkt nach dem Erschei­nen sei­nes Albums "Nix mehr egal" 2014 von Uni­ver­sal getrennt? Genau­so wie Lan­ce But­ters von Four Music? Oder auch Sier­ra Kidd von Indi­pen­den­za? Die Geschich­ten die­ser Artists könn­ten jedoch kaum unter­schied­li­cher sein und zei­gen, dass man die­se Ange­le­gen­heit nicht pau­scha­li­sie­ren kann.

In einem zwei­stün­di­gen Stream spricht Ahzum­jot 2021 mit sei­nem ehe­ma­li­gen A&R Max Möns­ter über sei­ne Zeit bei Uni­ver­sal. Nach­dem Ahzum­jot bereits vie­le Jah­re lang selbst Musik raus­ge­bracht hat­te, ging er zu Uni­ver­sal, um – wie er selbst sagt – Super­star zu wer­den. Plötz­lich auf Knopf­druck abru­fen zu müs­sen, was er die Jah­re zuvor intui­tiv gemacht hat, setz­te ihn jedoch mas­siv unter Druck. Genau­so wie die Tat­sa­che, dass er sich stän­dig selbst mit ande­ren Artists, vor allem Cas­per, ver­gli­chen hat – nun war eben "nix mehr egal". Der erhoff­te Erfolg der Plat­te blieb letzt­end­lich aus und Ahzum­jot ent­schied sich selbst dazu, wie­der allei­ne Musik zu machen. Auch wenn er direkt nach die­ser Tren­nung ziem­lich über Uni­ver­sal gewet­tert hat – unter ande­rem auf der "Die Welle"-EP gemein­sam mit Lan­ce But­ters –, rich­tet sich sei­ne Kri­tik mitt­ler­wei­le vor allem gegen die Musik­in­dus­trie bezie­hungs­wei­se den Kapi­ta­lis­mus all­ge­mein. Ver­brauch durch das Label? Fehlanzeige.

Sier­ra Kidd ging es ähn­lich. Nach­dem er mit gera­de ein­mal 15 Jah­ren von RAF Camo­ra bei Indi­pen­den­za gesignt wur­de, ging es mit sei­ner Kar­rie­re – zumin­dest im kom­mer­zi­el­len Sin­ne – steil berg­auf. Mit die­sem Erfolg sowie dem damit ein­her­ge­hen­den Life­style und Wer­te­sys­tem hader­te der Künst­ler aller­dings. Er trenn­te sich von dem Label und wur­de obdach­los. Inwie­fern das Label dar­an Schuld hat, mag dahin­ge­stellt sein. Sier­ra Kidd äußert sich rück­bli­ckend haupt­säch­lich posi­tiv über sei­ne Zeit bei Indi­pen­den­za und sei dank­bar für die Chan­cen, die RAF ihm gebo­ten habe. Mitt­ler­wei­le ist er nicht nur Chef sei­nes eige­nen Labels, son­dern mana­get auch ande­re Artists.

Noch unschö­ner ist aller­dings die Geschich­te von Lan­ce But­ters. Im Gegen­satz zu sei­nem Kol­le­gen Ahzum­jot spar­te er nicht mit schar­fer Kri­tik an sei­nem ehe­ma­li­gen Label. In einem Inter­view mit rap​.de sag­te er 2020: "Wir reden hier davon, dass ich einen Label­ver­trag hat­te, der mir die Luft kom­plett finan­zi­ell abge­schnürt hat. […] Ich habe 60 Mil­lio­nen Streams oder 65 Mil­lio­nen Streams, ich habe nicht einen Cent davon gese­hen." Hier hat das Label den Künst­ler, laut sei­ner Aus­sa­ge, defi­ni­tiv aus­ge­beu­tet. Lan­ce But­ters sagt, dass er, ähn­lich wie bad­mómzjay, erst wie­der den Spaß am Musik­ma­chen fin­den muss­te. Ohne Label zu arbei­ten, hat ihm die Nar­ren­frei­heit gege­ben, das zu machen, wor­auf er Bock hat, so wie das auch bei Ahzum­jot der Fall war.

Die Fäl­le von Lan­ce But­ters und Sier­ra Kidd zei­gen, dass auch klei­ne­re Indie-​Labels letzt­end­lich busi­ness­ori­en­tiert sind und ein Geschäfts­mo­dell ver­fol­gen, das Künstler:innen im schlimms­ten Fall abnutzt und mit dem nicht jede:r zurecht­kommt. Als Musikschaffende:r muss man sich also frü­her oder spä­ter die Fra­ge stel­len: Was und wen will ich mit mei­ner Musik errei­chen? Was für finan­zi­el­le Ansprü­che habe ich und inwie­fern ste­hen die­se im Gegen­satz zu mei­nen künst­le­ri­schen Zie­len? Ahzum­jot, Lan­ce But­ters und Sier­ra Kidd zei­gen, dass eine Tren­nung vom Label den künst­le­ri­schen und kom­mer­zi­el­len Erfolg ankur­beln kann.

Fazit: Die Mülltonnen-​Metapher aus dem Titel ist grund­sätz­lich über­spitzt und pau­scha­li­siert zu sehr. Die Bei­spie­le bad­mómzjay und Ahzum­jot zei­gen, dass der größ­te Druck oft von den Künstler:innen selbst und den rea­len oder befürch­te­ten Erwar­tun­gen der Kon­sum­ge­sell­schaft aus­zu­ge­hen scheint. Laut dem A&R Max Möns­ter ist ein Sze­na­rio wie Ahzum­jots Tren­nung von Uni­ver­sal eine erheb­li­che Nie­der­la­ge für einen A&R und ein Label, weil das den Ein­druck erweckt, dass Artists, wenn sie nicht den erwünsch­ten Erfolg haben oder Gewinn ein­spie­len, gleich abge­hakt sind. Statt­des­sen pro­fi­tie­ren sowohl Major- als auch Indie-​Labels und A&Rs davon, wenn Artists wach­sen und sich wei­ter­ent­wi­ckeln wol­len. Refle­xi­on, Trans­pa­renz und offe­ne Kom­mu­ni­ka­ti­on zeich­nen ein gutes Label aus. Womög­lich kön­nen Labels es sich heu­te nicht mehr leis­ten, Artists mit Hals­ab­schnei­der­ver­trä­gen in die Enge zu trei­ben, da die­se dank Social Media viel mehr Mög­lich­kei­ten haben, sich selbst zu ver­mark­ten und ihre Kunst zu ver­kau­fen. Aus­nah­men wie Lan­ce But­ters bestä­ti­gen aber wei­ter­hin die Regel und das Label-​Umfeld mag nicht für jede:n das rich­ti­ge sein. Vor allem weib­lich gele­se­ne und que­e­re Artists haben es wei­ter­hin schwer, da sexis­ti­sche und LGBTQIA+-feindliche Struk­tu­ren nach wie vor wesent­li­cher Bestand­teil der Musik­land­schaft sind. Es bleibt viel zu tun, um die Musik­in­dus­trie gerech­ter zu gestal­ten, doch die Her­aus­for­de­run­gen sind viel­fäl­tig und müs­sen dif­fe­ren­ziert betrach­tet und ange­gan­gen werden.

(Emi­ly Niklas)
(Gra­fik von Dani­el Fersch)