Schon wieder hat ein neues Jahr begonnen – schon wieder gab es in den letzten Wochen musikalische Jahresbestenlisten auf die Ohren, so weit das Auge reicht. Ob generell Musik oder "nur" Rap, ob Alben oder Tracks – alles wurde rauf und runter bewertet, als gäb's kein Morgen mehr. Da machen wir natürlich mit! … kleiner Scherz. Aber: Über manche Songs und Alben möchten wir doch noch ein paar Worte verlieren. Musikalische Werke, die uns im vergangenen Jahr im Bereich Rap, vornehmlich deutschem Rap, begeistert und beeindruckt haben. Die in uns etwas ausgelöst und uns bewegt haben. Oder die wir aus irgendeinem weiteren Grund, den wir Euch gerne verraten, noch einmal besonders hervorheben möchten. In diesem Sinne: Vorhang auf für unseren Jahresrückblick, verpackt in die schöne Hülle des musikalischen MZEE Recaps 2024.
Wir gehen in die Finsternis rein.
Du verkaufst dein Arsch für paar Instagram Likes.
Ich weiß ehrlich gesagt immer noch nicht genau, warum ich "Dietrich Vol. 1" von Dietrich so mag. Man könnte nämlich mit den negativen Facetten, die sich auf dem Album finden, auch einfach einen Verriss schreiben, wenn man ganz ehrlich ist. Da wären die vollkommen unnötigen homophoben Lines – von den frauenfeindlichen ganz zu schweigen – oder die teilweise wirklich unglaublich faul geschriebenen Songs. Wer ganz viel Langeweile hat, kann ja mal hören, wie viele der Zeilen mit "Und ich" beginnen. Auch die Beats sind teilweise wirklich so einfallslos, dass sich kein zweites Mal Hören zu lohnen scheint. Thematisch passiert sowieso nicht viel neben Streit auf der Straße, Drogen verkaufen, Drogen konsumieren und Verrat auf der Straße. Auf den ersten Blick sticht das Album kein Stück aus der Masse heraus.
Auf den Zweiten aber passt hier trotzdem alles hervorragend. Ja, die Beats sind teilweise tatsächlich nicht das Gelbe vom Ei. "Zu Tief" und "Finsternis" zum Beispiel sind aber richtige Brecher. Auch passt der musikalische Zusammenhang. Das Album lässt sich ohne Probleme am Stück durchhören, weil die geschaffene Atmosphäre über jeden Track hinweg trägt. Daran hat selbstverständlich auch der Rapper selbst einen großen Verdienst. Ja, Dietrich hätte sich auch den ein oder anderen Gedanken mehr über seine Texte machen können. Allerdings schafft er gerade dadurch, dass die Zeilen manchmal fast gefreestylet wirken, eine Unmittelbarkeit, die diese Schwäche mehr als ausgleicht. Hier werden eben die Emotionen, die gerade gefühlt werden, direkt auf den Song gepackt. Da bleibt keine Zeit für große Revisionen. "Authentizität und kein Fick geben vor Feingeistigkeit" scheint das Konzept zu sein – und es funktioniert fantastisch. Und auch dass 2024 immer noch "Schwuchtel" gesagt wird, ohne sich dafür zu schämen, wirkt irgendwie nicht mehr ganz so peinlich, wenn zwei Songs später von sich selbst als "Kakerlake" geredet wird. Und das ohne jegliche Ironie oder doppelten Boden.
Insgesamt werde ich das Album in zwei Jahren wahrscheinlich nicht mehr hören. Aber im vergangenen Jahr hat es unglaublich Spaß gemacht und mit "Goldketten Silberketten" einen der besten Tracks 2024 geliefert. Das reicht vollkommen für jetzt und macht Hoffnung, dass da noch viel mehr kommen wird.
(Simon Back)