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MZEE Recap 2024: #22 "Lost in Berlin" von Apsilon

2024 ist vor­bei, aber man­che Tracks und Alben blei­ben uns im Gedächt­nis – und in unse­ren Play­lists. Im MZEE Recap 2024 stel­len wir Euch noch mal musi­ka­li­sche Wer­ke vor, die uns beson­ders beein­druckt haben. Heu­te: "Lost in Ber­lin" von Apsilon.

Schon wie­der hat ein neu­es Jahr begon­nen – schon wie­der gab es in den letz­ten Wochen musi­ka­li­sche Jah­res­bes­ten­lis­ten auf die Ohren, so weit das Auge reicht. Ob gene­rell Musik oder "nur" Rap, ob Alben oder Tracks – alles wur­de rauf und run­ter bewer­tet, als gäb's kein Mor­gen mehr. Da machen wir natür­lich mit! … klei­ner Scherz. Aber: Über man­che Songs und Alben möch­ten wir doch noch ein paar Wor­te ver­lie­ren. Musi­ka­li­sche Wer­ke, die uns im ver­gan­ge­nen Jahr im Bereich Rap, vor­nehm­lich deut­schem Rap, begeis­tert und beein­druckt haben. Die in uns etwas aus­ge­löst und uns bewegt haben. Oder die wir aus irgend­ei­nem wei­te­ren Grund, den wir Euch ger­ne ver­ra­ten, noch ein­mal beson­ders her­vor­he­ben möch­ten. In die­sem Sin­ne: Vor­hang auf für unse­ren Jah­res­rück­blick, ver­packt in die schö­ne Hül­le des musi­ka­li­schen MZEE Recaps 2024.

 

Hör' in Bran­den­burg 'ne Unter­kunft in Flam­men auf­ge­hen und brennen.
Hör' das Mit­tel­meer atmen und die Wel­le schluckt ein' Mensch.
Hör' mein Tele­fon, es klin­gelt und du fragst mich, wo ich steck'.
Hör' die gan­ze Welt, von wo ich sitz' – nur nicht mich selbst.

Unzäh­li­ge Men­schen muss­ten andern­orts viel auf­ge­ge­ben, um hier zu sein. In Deutsch­land, in Euro­pa. Viel­leicht haben sie ihre Fami­li­en ver­las­sen, das Land, das sie einst Hei­mat nann­ten. Womög­lich immer noch nen­nen. Sie haben ihr Zuhau­se ver­las­sen, das ihnen mal Sicher­heit und Frie­den gab. Viel­leicht muss­ten sie flie­hen aus Angst vor Ter­ror, Krieg, Bedro­hun­gen. Viel­leicht sind sie aber auch gekom­men, um in Deutsch­land ein "bes­se­res Leben" zu fin­den oder zumin­dest etwas Geld zu ver­die­nen. Um eines Tages zurückzukehren.

Ein Teil die­ser Beweg­grün­de und eines sol­chen Lebens wird auch von Apsi­lon beschrie­ben. Aller­dings nicht in sei­nem Track "Lost in Ber­lin" von sei­nem 2024er Album­de­büt "Haut wie Pelz", son­dern vor­ran­gig anhand zusam­men­ge­hö­ren­der Musik­vi­de­os zum Album, von denen das zu "Lost in Ber­lin" eines ist. Es zeigt die wah­re Geschich­te eines tür­ki­schen Paa­res – Apsi­lons Groß­el­tern – im grau­en Deutsch­land der 70er Jah­re, das sei­ne Kin­der in Istan­bul zurück­ge­las­sen hat. Um ihnen ein­mal mehr ermög­li­chen zu kön­nen, ste­hen die bei­den einer Lebens­rea­li­tät vol­ler Träu­me und Hoff­nung, har­ter Arbeit und viel Ver­zweif­lung gegenüber.

All die­se Vide­os wur­den mit­hil­fe der Ber­li­ner Film­pro­duk­ti­on sil­k­rock pro­du­ziert, und das in einem so hoch­wer­ti­gen Stil, dass sie mir – gera­de für die deut­sche Rap­sze­ne – sowohl sti­lis­tisch als auch kon­zep­tio­nell als ein­zig­ar­tig erschei­nen. In jedem Video wird die Fami­li­en­ge­schich­te Apsi­lons über Jahr­zehn­te hin­weg wei­ter­erzählt. Teils lose ver­bun­den durch den Rap­per selbst im Hier und Jetzt oder die Neben­ge­schich­te eines für den Groß­va­ter ganz beson­de­ren Autos.

Der Track "Lost in Ber­lin" selbst han­delt beson­ders von Sor­gen und Leid in der heu­ti­gen Zeit. Wäh­rend das Video von sei­ner Fami­lie erzählt, die durch Benach­tei­li­gung und Dis­kri­mi­nie­rung in Deutsch­land geprägt wur­de, offen­bart der Song, dass die­se The­men auch Jahr­zehn­te spä­ter noch die jün­ge­ren Gene­ra­tio­nen der Fami­lie betref­fen. Track und Video zusam­men sind so per­sön­lich, nah­bar und echt, dass mir jedes Wort, das ich schrei­ben könn­te, als zu klein erscheint. Ein:e YouTube-Nutzer:in namens Aykoo hat das Gan­ze tref­fen­der­wei­se wie folgt kom­men­tiert: "Das Video hin­ter­lässt in mir ein melan­cho­li­sches Gefühl. Es ist [sic] als wür­de ich das Leben, den Schmerz und die Hoff­nung mei­ner Groß­el­tern in Deutsch­land in beweg­ten Bil­dern sehen. Kogni­tiv ver­ste­he ich [sic] was mei­ne Groß­el­tern alles auf­ge­op­fert haben. (…) Für die Hoff­nung auf ein bes­se­res Leben für die nächs­ten Gene­ra­tio­nen haben mei­ne Groß­el­tern lei­der mit den [sic] höchs­ten Preis bezahlt. (…) Lan­ge Zeit habe ich immensen Druck ver­spürt [sic] es schaf­fen zu müs­sen, denn ansons­ten wäre das Opfer mei­ner Groß­el­tern umsonst gewe­sen. Nun ver­spü­re ich tiefs­te Dank­bar­keit."

So kit­schig es klingt: Dank­bar kann auch die deut­sche Rap­sze­ne dafür sein, einen Künst­ler wie Apsi­lon unter sich zu haben. Einen, der es schafft, per­sön­li­che und poli­ti­sche The­men zu ver­bin­den, sich ver­letz­lich zu zei­gen, ohne pathe­tisch zu wer­den, – und mit Sicher­heit das Lebens­ge­fühl einer gan­zen Gene­ra­ti­on an (Enkel-)Kindern einst so genann­ter "Gastarbeiter:innen/Vertragsarbeiter:innen" zum Aus­druck zu brin­gen. Zusam­men mit Arman, sei­nem klei­nen Bru­der, hat er für sei­ne Geschich­ten über das gan­ze Album hin­weg außer­dem einen sehr ein­gän­gi­gen und zur Stim­mung pas­sen­den Sound kre­iert. So kann ich jedem nur Song, Vide­os und Album ans Herz legen und ich freue mich dar­über, dass Künstler:innen wie Jas­sin nun nach­zie­hen und in ähn­li­chem Stil end­lich ihre Geschich­ten und die ihrer Fami­li­en erzählen.

(Flo­rence Bader)