Schon wieder hat ein neues Jahr begonnen – schon wieder gab es in den letzten Wochen musikalische Jahresbestenlisten auf die Ohren, so weit das Auge reicht. Ob generell Musik oder "nur" Rap, ob Alben oder Tracks – alles wurde rauf und runter bewertet, als gäb's kein Morgen mehr. Da machen wir natürlich mit! … kleiner Scherz. Aber: Über manche Songs und Alben möchten wir doch noch ein paar Worte verlieren. Musikalische Werke, die uns im vergangenen Jahr im Bereich Rap, vornehmlich deutschem Rap, begeistert und beeindruckt haben. Die in uns etwas ausgelöst und uns bewegt haben. Oder die wir aus irgendeinem weiteren Grund, den wir Euch gerne verraten, noch einmal besonders hervorheben möchten. In diesem Sinne: Vorhang auf für unseren Jahresrückblick, verpackt in die schöne Hülle des musikalischen MZEE Recaps 2024.
Das ganze Lob gebührt nicht mir …
Sondern dem Team und dem Teamgeist.
Mich zu entdecken, war ein Geniestreich.
2024: Ein neues Kapitel der deutschen Musikszene wird aufgeschlagen – laut und kompromisslos. Alligatoah, bekannt für satirische und introspektive Texte, überrascht mit "off", einem Album, das radikal mit seiner bisherigen Diskographie bricht. Der Sound: eine explosive Mischung aus Metal, Crossover und Punk – und eine genreübergreifende Kampfansage.
Inspiriert von der Energie der Metal- und Rockszene und dem Drang, neue Wege zu gehen, ist "off" ein künstlerisches Wagnis, das sich gelohnt hat. Während viele Alben glatt und perfekt produziert wirken, ist hier jedes Gitarren-Riff, jeder Drumbeat, jede Zeile spürbar lebendig und roh. Die Zusammenarbeit mit Künstlern wie Fred Durst (Limp Bizkit), den Guano Apes, Bausa, Tarek K.I.Z und Mille Petrozza (Kreator) macht das Album nicht minder besonders – und zu einer Plattform für außergewöhnliche musikalische Synergien. Die Tracks sind intensiv, facettenreich und mitreißend. Neben gewohnten Alligatoah-Elementen dominieren Metal-Gitarren und experimentelle Strukturen das Klangbild. "Ich Ich Ich" wirkt wie ein musikalischer Faustschlag, aggressiv und brachial, mit einem Gitarrensolo von Mille Petrozza, das die zerstörerische Kraft des Egos in Klang übersetzt. Besonders ist auch "Daylight" – eine düstere Neuinterpretation des No Angels-Klassikers, die mit dunkler, kraftvoller Energie wie ein böser Zwilling des Originals wirkt. Einen unerwarteten Kontrast bietet "Partner in Crime", ein Duett mit Tarek K.I.Z, dessen harmonische Zweistimmigkeit und sanfte Klavierklänge in emotionale Tiefe eintauchen, bevor der Song in dunkle Abgründe driftet. Jeder Track des Albums erzählt eine Geschichte – subtil oder direkt – und verbindet nahtlos Alligatoahs lyrische Finesse mit der brachialen Energie des Metals. Von hymnischen Refrains bis zu wütenden Breakdowns bietet "off" ein Wechselbad der Gefühle, nachdenklich und aufwühlend zugleich. Thematisch furchtlos, greift es Isolation, gesellschaftlichen Druck und die Suche nach Identität auf. Es reflektiert Selbstzerstörung und Zwänge, während es gleichzeitig Experimentierfreude in die Szene zurückbringt. Dabei ist es mehr als nur ein Release – es ist eine Hommage an die rohe Energie der Live-Musik. Es ruft Bilder von verschwitzten Clubs, Moshpits und der unbändigen Dynamik einer Bühne hervor. Die Songs sind wie geschaffen dafür, live zu explodieren – eine ungefilterte Intensität, die Alligatoah präzise einfängt. In einer oft glattgebügelten Welt wirkt dieses Album wie eine Befreiung: laut, unbequem und voller Energie.
"off" hat 2024 geprägt, hat inspiriert und polarisiert. Es setzt ein Zeichen für Risiko und künstlerische Integrität. Ein wilder, aber kontrollierter Sturm, der Alligatoahs Vielseitigkeit in neuem Licht zeigt – und ein Album, das Adrenalin zurück in die Playlists bringt.
(Melanie Floßmann)