Schon wieder hat ein neues Jahr begonnen – schon wieder gab es in den letzten Wochen musikalische Jahresbestenlisten auf die Ohren, so weit das Auge reicht. Ob generell Musik oder "nur" Rap, ob Alben oder Tracks – alles wurde rauf und runter bewertet, als gäb's kein Morgen mehr. Da machen wir natürlich mit! … kleiner Scherz. Aber: Über manche Songs und Alben möchten wir doch noch ein paar Worte verlieren. Musikalische Werke, die uns im vergangenen Jahr im Bereich Rap, vornehmlich deutschem Rap, begeistert und beeindruckt haben. Die in uns etwas ausgelöst und uns bewegt haben. Oder die wir aus irgendeinem weiteren Grund, den wir Euch gerne verraten, noch einmal besonders hervorheben möchten. In diesem Sinne: Vorhang auf für unseren Jahresrückblick, verpackt in die schöne Hülle des musikalischen MZEE Recaps 2024.
Zoned in, waitin' for my favorite song.
Vince Staples zeichnet sich durch eine unverkennbare künstlerische Handschrift aus, die tiefgründige Texte – sowohl introspektiv als auch gesellschaftskritisch – mit innovativen Produktionen verbindet. Sein aktuelles Album "Dark Times" mag keine großartigen Überraschungen bereithalten, sondern vielmehr den roten Faden seines bisherigen musikalischen Schaffens weiterspinnen, doch es hat mich auch deshalb so begeistert. Es liefert genau das, was ich mir von einem Vince Staples-Album erhoffe: eine düstere, nachdenkliche Reflexion darüber, was uns zu dem Menschen formt, der wir sind. Was prägt uns? Warum führen wir zwischenmenschliche Beziehungen so, wie wir es tun, und welche Konsequenzen hat das?
Das nunmehr letzte Album, das der Kalifornier über Def Jam releaste, hat meiner Meinung nach seine Höhepunkte mit "Shame On The Devil", "Étouffée" und "Radio". Dabei ist für mich die Auseinandersetzung mit tiefgehenden Berührungen in zwischenmenschlichen Beziehungen und die Schwierigkeit, sich zu öffnen, auf "Shame On The Devil" besonders eindrücklich. Auch die Geschichte eines Verlustes auf "Étouffée" sowie die Beschreibung der musikalischen Sozialisation des Künstlers in "Radio" lassen tief blicken. Hinzu kommt, dass der Rapper aus Long Beach sehr gekonnt darin ist, kleine Schönheiten zwischen seinen Songs unterzubringen. "Liars" zum Beispiel ist ein melodisch unterlegter kurzer Ausschnitt eines Gesprächs zwischen der Schriftstellerin Nikki Giovanni und dem Autor James Baldwin: "'Cause what the hell do I care about the truth? I care if you're there." Und auch das Intro "Close Your Eyes And Swing" leitet auf perfekte Weise in die Atmosphäre des Albums ein und setzt den Ton für das, was folgen wird.
"Dark Times" ist die Versöhnung mit der Vergangenheit und das Ende eines Kapitels – und genau so fühlt es sich beim Hören auch an. Sei es als Ganzes oder in Form einzelner Songs, die sich in meinen Playlists wiederfinden: Die Musik von Vince Staples bereitet mir in ihrer aktuellen Form große Freude. Zudem passt sie perfekt zum grau melierten Winterhimmel, der einen gerade begleitet – "Why Won't The Sun Come Out?".
(Yasmina Rossmeisl)