Schon wieder hat ein neues Jahr begonnen – schon wieder gab es in den letzten Wochen musikalische Jahresbestenlisten auf die Ohren, so weit das Auge reicht. Ob generell Musik oder "nur" Rap, ob Alben oder Tracks – alles wurde rauf und runter bewertet, als gäb's kein Morgen mehr. Da machen wir natürlich mit! … kleiner Scherz. Aber: Über manche Songs und Alben möchten wir doch noch ein paar Worte verlieren. Musikalische Werke, die uns im vergangenen Jahr im Bereich Rap, vornehmlich deutschem Rap, begeistert und beeindruckt haben. Die in uns etwas ausgelöst und uns bewegt haben. Oder die wir aus irgendeinem weiteren Grund, den wir Euch gerne verraten, noch einmal besonders hervorheben möchten. In diesem Sinne: Vorhang auf für unseren Jahresrückblick, verpackt in die schöne Hülle des musikalischen MZEE Recaps 2024.
Colors fade when I open my eyes.
But in my dreams, the palette's infinite.
"CHROMAKOPIA" als Ganzes zu besprechen, ist für mich unumgänglich. Während auf dem neuesten Werk von Tyler, The Creator eine Vielzahl toller einzelner Songs zu finden sind, entfaltet sich die Faszination des Albums erst in der Summe seiner Teile. Lyrik, Soundbild und Ästhetik sind wunderschön aufeinander abgestimmt und funktionieren nur im Zusammenspiel so perfekt.
Im Zentrum steht der maskierte Protagonist St. Chroma, den Tyler bereits auf seinem vorherigen Album "CALL ME IF YOU GET LOST" am Rande hat auftauchen lassen. Dieser führt uns wie ein Erzähler durch ein Theaterstück, das der Identität des Rappers auf den Grund gehen soll. Die monochrome Realität, die St. Chroma verkörpert, steht im starken Kontrast zu Tylers lebhafter Fantasie. Diese Gegensätze – das strahlende Innere und das verdrängende, äußere Grau – ziehen sich wie ein roter Faden durch das achte Album des Rappers aus Los Angeles. Auch die militärisch angehauchte Ästhetik verstärkt dieses Bild, indem sie Kontrolle und Unterdrückung symbolisiert und damit die Themen des Albums weiter untermauert. An dieser Stelle möchte ich auch die Musikvideos zu dem Projekt empfehlen, die all das ästhetisch unterstreichen und unter Tyler als Director umgesetzt wurden.
Neben dem Erscheinungsbild von "CHROMAKOPIA" sticht aber natürlich der einzigartige Rap-Stil des früheren OFWGKTA-Mitglieds hervor – ein Markenzeichen, das ihn unverkennbar macht. Zugegeben, seine Musik ist fordernd. Man hört seine Alben zumindest zu Beginn nicht beiläufig, sondern muss sich darauf einlassen. Sie verlangen Aufmerksamkeit – ähnlich wie bei einem anspruchsvollen Arthouse-Film. Sicherlich ist nicht jeder Tag der richtige dafür, aber wenn man die Zeit und Muße aufbringt, kann diese Art von Konzeptalbum ergreifend sein. Die Beschäftigung mit solch einem Gesamtkunstwerk regt zum Nachdenken an und kann in Ausschnitten Fragezeichen hinterlassen.
Ich möchte hiermit dazu ermutigen, sich die Zeit zu nehmen und diesem Album die Aufmerksamkeit zu schenken, die es verdient. Es ist ein Werk, das gerade echte Musikliebhaber:innen begeistern wird – sei es nur durch seine eindrucksvolle Machart oder die Liebe zum Detail. "CHROMAKOPIA" ist eine Einladung, in Tyler, The Creators einzigartige Welt einzutauchen. Eine Welt, die klassischen Rap mit immer neuen Ideen verbindet.
(Yasmina Rossmeisl)