Schon wieder hat ein neues Jahr begonnen – schon wieder gab es in den letzten Wochen musikalische Jahresbestenlisten auf die Ohren, so weit das Auge reicht. Ob generell Musik oder "nur" Rap, ob Alben oder Tracks – alles wurde rauf und runter bewertet, als gäb's kein Morgen mehr. Da machen wir natürlich mit! … kleiner Scherz. Aber: Über manche Songs und Alben möchten wir doch noch ein paar Worte verlieren. Musikalische Werke, die uns im vergangenen Jahr im Bereich Rap, vornehmlich deutschem Rap, begeistert und beeindruckt haben. Die in uns etwas ausgelöst und uns bewegt haben. Oder die wir aus irgendeinem weiteren Grund, den wir Euch gerne verraten, noch einmal besonders hervorheben möchten. In diesem Sinne: Vorhang auf für unseren Jahresrückblick, verpackt in die schöne Hülle des musikalischen MZEE Recaps 2024.
Wer hört Ski Aggu auf Ernst?
Wer geht ernsthaft auf ein Ski Aggu-Konzert?
Ich fühle mich aktuell ein bisschen an mein 13-jähriges Ich erinnert. Damals himmelte ich einen Rapper mit Pandamaske an. Heute ist es ein Rapper mit Skibrille. Und egal ob die Maskierung ein Marketing-Gag sein oder dem persönlichen Schutz dienen soll, sie komplettiert das Bild eines Künstlers, der die Deutschrapszene ordentlich aufmischt – ob man seine Musik nun mag oder nicht.
Es lohnt sich, Ski Aggus drittes Album "Wilmersdorfs Kind" am Stück anzuhören. Zum einen gehen die Songs nahtlos ineinander über und zwei Interludes bieten Hintergrundinfos zur Entstehung der Tracks. Zum anderen macht das Intro Referenzen zu einigen von Aggus älteren Releases, darunter "mietfrei" und "Party Sahne", auf denen das neue Album aufbaut. Das Outro, betitelt mit "intro für mein nächstes album", bietet in diesem Sinne einen Ausblick in die Zukunft. Das echte Intro hingegen ist ein Atzenlied zum Mitgröhlen à la "Disco Pogo", wie man es von Ski Aggu bereits kennt. Doch das Album ist unglaublich vielseitig. Genre-technisch sind seine Songs von Drill, House, Indie und Techno geprägt. Außerdem macht Aggu nicht nur Party, sondern er zeigt sich von seiner emotionalen Seite und spricht über seine Erfolge. Er reflektiert sich selbst, aber reflektiert auch sein Reflektieren: "Krass reflektiert, wa'? Doch ich laber nur, Baby, ich änder' nie was." Was er auf jeden Fall ändert: das Bild von traditionellen Geschlechterrollen im deutschen Rap. Nachdem er in der Vergangenheit bereits mit einem Buch der britischen Feministin Florence Given auf Social Media posierte und auf "MAXIMUM RIZZ" für einvernehmliches Flirten plädiert, lässt er sich auf seinem neuen Album die Nägel lackieren, tanzt "bauchfrei im Club", spricht explizit über Sex und bricht mit dem generischen Maskulinum: "Eine Schwester ist DJ, sie zückt eklige Songs."
Zum Gesamtkunstwerk des Albums gehören auch die visuellen Elemente im typischen Aggu-Style, unter anderem wirkt das Cover wie eine billige Photoshop-Bearbeitung. Diese nicht konforme Ästhetik setzt sich in den Songtiteln des Albums fort, zum Beispiel sind einige nur in Groß-, andere nur in Kleinbuchstaben geschrieben. Visuell spiegelt all das wider, wofür Ski Aggu steht: für aktuelle Trends wie Techno-Partys und das Comeback der 2000er, aber auch dafür, dass er mit alten Mustern bricht, indem er die Szene ein bisschen hops nimmt und sich einen Feministen nennt. Ski Aggu bringt dadurch Entertainment und politisches Denken unter einen Hut – oder besser gesagt, unter einen Skihelm.
(Emily Niklas)