Schon wieder hat ein neues Jahr begonnen – schon wieder gab es in den letzten Wochen musikalische Jahresbestenlisten auf die Ohren, so weit das Auge reicht. Ob generell Musik oder "nur" Rap, ob Alben oder Tracks – alles wurde rauf und runter bewertet, als gäb's kein Morgen mehr. Da machen wir natürlich mit! … kleiner Scherz. Aber: Über manche Songs und Alben möchten wir doch noch ein paar Worte verlieren. Musikalische Werke, die uns im vergangenen Jahr im Bereich Rap, vornehmlich deutschem Rap, begeistert und beeindruckt haben. Die in uns etwas ausgelöst und uns bewegt haben. Oder die wir aus irgendeinem weiteren Grund, den wir Euch gerne verraten, noch einmal besonders hervorheben möchten. In diesem Sinne: Vorhang auf für unseren Jahresrückblick, verpackt in die schöne Hülle des musikalischen MZEE Recaps 2024.
Ich hab' genug Ice, dass es die Klimakrise stoppt.
Doch genug Heat, dass diese Welt hier Fieber abbekommt.
Ein Intro mit dicker Bass Drum, dann setzt ein summender Chor ein, untermalt von einem marschartigen, aber doch entspannten Beat und überlagert von Levin Liams Adlibs. Dieses Gesumme hat mehr als nur Ohrwurmpotenzial, es hat was mit mir gemacht – auch wenn ich nicht genau sagen kann, was.
Der Song "Bee Gees" erschien erst als Single und dann auf OG Keemos Platte "Fieber", die Anfang des Jahres veröffentlicht wurde und direkt auf Platz eins der Charts landete. Und das, obwohl sie eigentlich "nur" ein Mixtape sein sollte. Doch wenn OG Keemo und sein Produzent Funkvater Frank die Köpfe zusammenstecken, ist eigentlich nichts anderes zu erwarten als ein Konzeptalbum. In das Fieber-Thema reiht sich auch "Bee Gees" ein, was vor allem im Musikvideo deutlich wird, welches mit exorzistischer und Horrorfilm-artiger Symbolik gespickt ist.
Im Gegensatz dazu steht der Text des Songs. Keemo und Levin sprechen über ihre Erfolge und wie sie sich von anderen Akteur:innen der Rapszene abgrenzen. Das klingt fast schon überheblich, vielleicht auch wegen des Vergleichs mit den Bee Gees, allerdings kann man es den beiden angesichts ihres Werdegangs der letzten paar Jahre nicht übel nehmen. Dazu passt auch die Nina Chuba-Zeile, die Frank in den Song eingebaut hat: "Ich will Immos, Dollars, I-Immos, Dollars". Beim ersten Mal dachte ich, ich hätte mich verhört. Ist das etwa eine Hommage an eine der einflussreichsten Pop- und Rap-Künstlerinnen der letzten Jahre? Auf einem Untergrund-Rap-Track? Wobei, so Untergrund ist Keemo ja gar nicht mehr – siehe Chart-Platzierung – und so Rap ist der Song auch nicht. Denn die Gruselstimmung des Musikvideos steht im Gegensatz zur Melodie des Songs, dem Gesumme, den Hooks ohne Beat und der Tatsache, dass nicht nur Levin, sondern auch Keemo singt. Dass es von dem Song – übrigens für beide Artists nicht die erste – eine "COLORS"-Aufnahme gibt, ist somit nicht verwunderlich. Dieses Indie-Rap-Crossover ist ein Beispiel für einen aktuellen Trend, den ich persönlich sehr feiere. Ähnlich wie Schmyt oder Berq ist Levin Liam aus der HipHop-Szene nicht mehr wegzudenken, und das, obwohl er selbst gar nicht rappt. Doch durch solche Künstler:innen und Indie-Einflüsse kommt mehr Melancholie und Emotionalität ins Deutschrap-Spiel.
Das ist es wohl, was der Song mit mir gemacht hat: Er hat ein melancholisches Gefühl in mir ausgelöst, das ich nicht einordnen kann und das trotzdem irgendwie guttut. Das Lied ist ein Meisterwerk aus Melodie, Gefühl und Symbolik und bleibt doch, vor allem aufgrund der Thematik der Lyrics, Rap.
(Emily Niklas)