Kinder sind unsere Zukunft. Dementsprechend wichtig ist es, ihnen ein optimales Aufwachsen zu ermöglichen. Dass das gar nicht so einfach ist, können nahezu alle Eltern und Familien bestätigen. Schließlich gibt es für die Erziehung zwar unendlich viele Tipps und Tricks, aber trotzdem kein allgemeingültiges Geheimrezept. Etwas, das allerdings trotzdem im Alltag fast aller Kinder stattfindet, ist die Musik. Seit 2012 hat es sich die Band Deine Freunde zur Aufgabe gemacht, Musik zu produzieren, die Kinder in ihrer Lebensrealität abholt. Dabei setzen sie hauptsächlich auf Rap und vermitteln den Kids die verschiedensten Themen aus unterschiedlichen Perspektiven. Ihre Musik richtet sich hauptsächlich an die Altersgruppe zwischen sechs und zwölf Jahren. Vor ihrer gemeinsamen Zeit als Band haben Florian Sump, Lukas Nimscheck und Markus Pauli bereits lange Musik "für Erwachsene" gemacht. Im Interview mit Florian und Pauli, Rapper und DJ der Band, sprachen wir über die Relevanz von Rap für Kids: Was muss bei einem Konzert für Kinder beachtet werden? Braucht es die Unterscheidung von Kinder- und Erwachsenenmusik? Und inwieweit sollten die Erziehungsberechtigten Einfluss auf den Musikkonsum ihrer Kids nehmen?
MZEE.com: Beginnen wir doch mit einer einfachen, aber umfassenden Frage: Was möchtet ihr den Kids mit eurer Musik vermitteln?
Florian: Wir haben nicht eine bestimmte Message, dafür sind unsere Lieder und die Themenfelder, in denen wir uns bewegen, zu vielfältig. Aber es ist meistens aus dem Kosmos Familienleben. Wenn es eine Botschaft gibt, die wir seit fast acht Alben immer wieder zwischen den Zeilen vermitteln, dann ist es, dass niemand mehr das Bild einer perfekten und harmonischen Familie braucht. Dieses Bild wurde jahrzehntelang in der Werbung, in Filmen und der Kindermusik transportiert. Wir finden es in Ordnung, dass es Chaos in einer Familie gibt, dass sie fehlerhaft und nicht perfekt sind. Wir können mit Humor auf unsere eigene Unperfektheit blicken. Man muss nicht immer alles richtig machen und so tun, als würde man als Familie immer funktionieren.
Pauli: Wir haben uns selbst auch keinen pädagogisch wertvollen Stempel verpasst. Das, was wir tun, soll Spaß machen. Wir wollen nicht den Zeigefinger heben und sagen, dass müsst ihr so machen und das dürft ihr nicht.
Florian: Außerdem geht es uns darum, Augenhöhe zu schaffen, wenn wir auf die Bühne oder in den direkten Austausch mit unserem Publikum gehen. Wir müssen uns nicht verstellen. Es ist oft so, wenn Erwachsene zu Kindern sprechen, dass sie der Meinung sind, ihre ganze Sprache verändern zu müssen. Das ist gesellschaftlich normalisiert. Wir haben das am Anfang auch gelernt und nicht gewusst, dass es anders gehen kann. Während unserer 13 Jahre als Band haben wir immer mehr gecheckt, dass wir den Kindern so begegnen können, wie wir sind. Kinder verstehen sehr viel und haben ganz viele Interessen, an die man manchmal gar nicht denkt. Oft glaubt man, man müsse die Schwierigkeiten der Welt von denen fernhalten, damit sie länger Kinder bleiben dürfen. In Wirklichkeit aber haben viele Kinder ein intrinsisches Interesse daran, die Welt zu verstehen. Ich glaube, die wollen gar nicht, dass man mit allem so hinter dem Berg hält und denen eine heile Welt verkauft – die es auch nicht gibt und vielleicht auch noch nie gegeben hat.
MZEE.com: Wie gehen die Kids denn auf euch zu?
Pauli: In der Regel machen die das unkompliziert. Gegenüber von unserem Studio ist eine Schule und wir sehen dort jeden Tag viele Kinder, die uns zuwinken, rüberschreien, ob wir Autogramme haben oder wissen wollen, wie es uns geht. Die haben eine krasse Nähe. Ich habe mich zum Beispiel wie ein Mega-Fanboy verhalten und mich geschämt, als ich Q-Tip begegnet bin. Das machen die meisten Kids bei uns nicht, auch wenn man das natürlich nicht verallgemeinern kann. Die Kids begegnen uns aber "natürlich".
Florian: Die Kinder überlegen sich vorher nicht, wie sie uns gegenübertreten dürfen, um dann selbst gut oder cool dazustehen. Ich hatte diese Überlegungen damals bei allen Deutschrapper:innen. Wenn ich in Hamburg mal Samy Deluxe oder Eißfeldt auf einer Party gesehen habe, hatte ich das Bedürfnis, jetzt irgendetwas Cooles sagen zu wollen oder sie irgendwie zu beeindrucken. Ich wollte denen zeigen, dass ich die voll checke. Da hat man dann als Fan einen Geltungsdrang, zumindest war das bei mir so. Man ist voll verunsichert und äußert sich megakrampfig, aus Angst vor den Leuten, die man cool findet, zu verkacken. Auch wenn die Kids uns abfeiern, haben sie nicht dieses krampfige Gefühl, das ich gerade beschrieben habe.
Pauli: Man sieht das teilweise sogar eher bei den Eltern. Wenn die uns als Familie sehen, sind sie es, die diese erhabene Distanz wahren und die Situation größer machen als sie ist: "Ja, geh' doch mal hin!" Die Erwachsenen sind dann meistens aufgeregter, Kinder stehen auch im Publikum und gähnen. (lacht)
Florian: Aber stelle dir jetzt nicht viele gähnende Kinder bei unseren Konzerten vor. Die achten halt nicht darauf, wie sie aussehen, oder überprüfen mit Tausend Filtern, wie sie sich gerade benehmen. Die sind halt einfach und das macht es für uns sehr erfrischend.
MZEE.com: Florian, du hast ja bereits als Erzieher gearbeitet. Inwieweit hilft dir diese Erfahrung, um kindliche Perspektiven besser verstehen und in Songtexten beschreiben zu können?
Florian: Ich habe den Job zehn Jahre gemacht und er hat mir geholfen, einen besseren Einblick zu bekommen, was die Kinder beschäftigt. Aber es hat mir vor allem auf der Ebene geholfen, zu checken, dass die Dynamiken und Themen, die Kinder heute beschäftigen, sehr ähnlich sind zu der Zeit, in der wir Kinder waren. Das fand ich überraschend. Die Welt hat sich an so vielen Stellen in den letzten 30 Jahren verändert. Dennoch gibt es immer noch diese inner-familären Dynamiken, die gleichgeblieben und vermutlich auch noch in 50 Jahren ähnlich sind. Da lehne ich mich jetzt vielleicht sehr weit aus dem Fenster. Das sind die Themen, die uns als Deine Freunde am meisten begeistern und aus denen wir versuchen, Songs zu machen. Wenn wir das Gefühl haben, das war vor 30 Jahren aktuell, irgendwie ist es das immer noch und vielleicht ist es das auch noch in naher Zukunft. Das ist bei fast all unseren Songs so, dass wir dazu selbst einen direkten Bezug haben und nicht versuchen müssen, uns da von außen irgendwie reinzudenken. Es entsteht sehr viel aus unseren eigenen Erinnerungen, obwohl Pauli, Lukas und ich in komplett unterschiedlichen Konstellationen aufgewachsen sind …
Pauli: … ich zum Beispiel in einer superreichen Familie. (lacht) Nein, Spaß!
Florian: Trotzdem gibt es sehr viele Dinge, die in unserer Kindheit ähnlich waren. Wenn uns das vereint, dann gibt es da draußen bestimmt noch ganz viele andere Menschen, die das ähnlich erlebt haben, also versuchen wir, daraus einen Song zu machen.
MZEE.com: Trotzdem gibt es auch Dinge, die es damals vielleicht noch nicht gab, welche aber heute omnipräsent sind, wie zum Beispiel das Smartphone. Wie sieht es damit aus?
Pauli: Wir haben vorhin darüber geredet, ob wir einen Song über die Bildschirmzeit machen. (lacht)
Florian: Da müssten wir uns nur überlegen, welchen Standpunkt wir vertreten: Den des Kindes, das Bock auf mehr Bildschirmzeit hat, den der Eltern, die sagen, da muss man schon etwas drauf achten, oder den des Bildschirms. (lacht) Das wäre wahrscheinlich die beste Idee. Wir haben bereits Lieder aus der Sicht von Matsch und Bällen, die auf Dächer geschossen wurden, gemacht. Warum nicht mal ein Lied aus der Sicht eines Bildschirms? Da gibt es verschiedene Herzen, die in unserer Brust schlagen. Bei mir war das früher die Fernsehzeit. Ich durfte nicht viel Fernsehen gucken. Das wollten meine Eltern nicht. Ich war immer neidisch auf die Kinder aus der Nachbarschaft, bei denen die Eltern den ganzen Tag gearbeitet haben. Ich konnte das gar nicht appreciaten, dass meine Mutter zu Hause war, Mittagessen gekocht hat und sich um uns gekümmert hat. Ich wollte auch, dass sie weg ist und ich Fernsehen gucken kann. Dass das damals ganz große Vorteile für mich hatte, habe ich erst später im Erwachsenenalter kapiert.
Pauli: Aber selbst im Erwachsenenalter gibt es diese Momente, in denen du dich selbst ertappst: Fuck, ich bin jetzt hier schon wieder 30 Minuten am Instagram suchten. Da sind wir zum Glück mit einer gewissen Distanz aufgewachsen, wodurch wir selbst eher sagen können: Okay, reicht jetzt. Ich glaube, es ist heutzutage viel schwerer, das zu regulieren.
Florian: Ich habe selbst zwei Kinder, die sind sieben und acht. Bei denen gibt es die ersten Kinder in der Klasse, die ein Handy haben. Die wollen das dann auch. Das ist ein sehr heikles Thema, bei dem man genau abwägen muss, wie und mit welchen Regeln man das macht. Das war früher einfacher, denn der Fernseher stand definitiv nur zu Hause. Den hast du nicht in der Tasche gehabt. Von solchen Themen gibt es viele, an manche wagen wir uns ran und bei anderen denken wir, dass es irgendwie schwierig ist. Meistens greifen wir uns "leichtere" Themen oder nehmen uns schwere Themen und versuchen, die mit Humor zu bearbeiten.
Pauli: Da sind wir dann bei diesem pädagogischen Zeigefinger. Den wollen wir vermeiden.
Florian: Genau, denn es geht als Band – auch als Kinderband – nicht darum, Lösungen aufzuzeigen oder zu behaupten, man wüsste, wie man etwas am besten macht. Wir fühlen uns zu Hause, wenn wir etwas abbilden, wie es ist, ohne eine Lösung anzubieten. Beim Thema Bildschirmzeit wollen wir dann nicht sagen, wie viel Zeit optimal ist, sondern eher den Wunsch umschreiben, dass man Bock hat, sich ein bisschen berieseln zu lassen. Es geht uns nicht um eine finale Bewertung.
MZEE.com: Es wird manchmal behauptet, dass Musik konkrete Lösungen für Probleme parat haben müsste.
Florian: Kindermusik wurde lange genauso gemacht, dass man den Kindern sagt, wie sie über die Straße gehen sollen. Es waren oft Benimmregeln fürs Leben oder ging um Lerninhalte. Das habe ich zum Beispiel in meiner Zeit als Erzieher festgestellt. Nicht, dass die damalige Kindermusik schlecht war, ich mochte vieles aus den 70ern und 80ern, aber es war in der Summe viel zu wenig. Wenn du dir mal ansiehst, wieviel Musik es für Erwachsene in unterschiedlichen Genres gab und wie facettenreich das war. Im Vergleich dazu gab es für Kinder voll wenig. Natürlich kann man sagen, dass Kinder auch Erwachsenenmusik hören können, und das stimmt auch. Aber es war für uns trotzdem ein großer Reiz, etwas zu machen, das die in ihrer Lebensrealität abholt. Was sollen die Kinder zum Beispiel inhaltlich mit Liedern über gebrochene Herzen anfangen? Es sei denn, sie sind mal mit sechs unglücklich verliebt. Das war ich auch mal, aber das ist ein "anderes" Verliebtsein.
MZEE.com: Ihr alle habt bereits vor eurer gemeinsamen Band Musik gemacht, allerdings immer "für Erwachsene". Wie entstand die Idee, langfristig Musik für Kinder zu machen?
Pauli: Ich glaube, das Wort "langfristig" war, als wir damals angefangen haben, gar nicht angedacht. Aber es stimmt, dass wir mittlerweile mit sieben bis acht Alben etwas Konstantes entwickelt haben. Es gibt viele Bands, die sich schon nach dem dritten Album nichts mehr zu sagen haben oder "fertig" sind. Wir haben uns über die Zeit immer mehr lieben gelernt, ausgetauscht und spielen uns gerne Bälle zu. Dazu kommt das viele positive Feedback von den Zuhörer:innen …
Florian: … und die Konzerte. Wir haben so viele Shows gemeinsam gespielt und das Gefühl der Begeisterung nutzt sich nicht ab. Dadurch, dass es Kinder und deren Eltern sind und die bei unseren Konzerten gemeinsam eine Party feiern, ist es auch für uns auf der Bühne etwas ganz Besonderes. Wir sagen uns auch immer wieder, dass wir das so lange machen wollen, wie es nicht peinlich ist. (lacht)
Pauli: Auch produktionstechnisch haben wir uns weiterentwickelt. Beim ersten Album waren die Beats noch sehr zurückhaltend. Das war nicht krass ausproduziert, sondern minimalistisch. Wir wussten noch nicht, ob das vielleicht zu "doll" werden könnte. Da waren wir viel vorsichtiger. Bei den ersten zwei Alben sind noch sehr viele Great Paulukka-Beats von Lukas und mir mit reingekommen. Wir haben uns ausprobiert und es war ein stetiger Work-in-Progress-Prozess. Auch das Beobachten, ob es live funktioniert und angenommen wird. Aber auch thematisch waren wir anfangs wirklich vorsichtig. Darf man Texte aus Sicht der Eltern schreiben? Das kam erst im Laufe der Zeit dazu, als wir gemerkt haben, dass auch die Eltern das abfeiern. Außerdem war es für uns anfangs noch ein reines Spaßprojekt. Es war nicht geplant, dass wir uns gemeinsam hinsetzen und hier jetzt "die" Kindermusik machen und 13 Jahre dabeibleiben. Auf dem ersten Album waren es wirklich nur Classic-HipHop-Beats. Danach wurde es dann wesentlich elektronischer und poppiger. Jetzt können wir es ja ruhig sagen, weil er nicht da ist (lacht): Lukas liebt zum Beispiel Musicals und bringt von uns dreien auch am meisten Pop in die Songs. Ich komme wiederum aus einem HipHop-Umfeld und so ergab sich eine tolle Mischung.
MZEE.com: Ihr habt vorhin bereits eure Konzerte erwähnt. Worauf müsst ihr denn dort besonders achten, im Hinblick auf das eher junge Publikum und Awareness-Strukturen?
Florian: Der größte Unterschied zu normalen Konzerten ist, dass wir vor der Bühne einen gesonderten Bereich für die Kinder haben. Der Kinderbereich ist immer mit einem Flatterband abgesperrt und da dürfen nur die Kinder rein. Die Eltern stehen dahinter. Wir haben verschiedene Treffpunkte überall, die durch sehr große Fahnen gekennzeichnet sind. Meistens sind es drei Treffpunkte, damit die Familien sich absprechen können, wo man sich trifft, wenn es mal zu viel wird. Für viele Eltern sind unsere Konzerte die ersten, bei denen sie ihre Kinder für 90 bis 100 Minuten in so einen Pulk von 3 000 anderen Kindern reinlassen. Die müssen sich darauf verlassen können, dass diese Kinder gesund und munter wieder zurückkommen. Im besten Fall stark verschwitzt und glücklich.
Pauli: Wir haben je nach Größe der Konzerte eigene Leute dabei, die darauf achten, dass dort keine Kinder randommäßig verirrt und alleine rumlaufen oder weinen. Wir haben eine eigene Security-Frau dabei, die zwar auch auf uns aufpasst, aber primär dafür verantwortlich ist, dass die Securitys der jeweiligen Konzerthäuser genau wissen, wie unsere Konzerte ablaufen. Die weist die speziell ein, weil es andere Sachen als bei Erwachsenenkonzerten gibt, auf die man bei uns achten muss. Das wissen viele Security-Firmen gar nicht oder sind darauf nicht spezialisiert.
Florian: Genau, der Umgangston mit Familien, Sensibilität, was den Kontakt mit Kindern angeht. Andrea stimmt die Sicherheitskräfte vor Ort immer richtig gut ein.
Pauli: Unser Team und unsere Erfahrung sind über die Jahre immer mehr gewachsen. Allein der Umgang am Merchandise-Stand: Wie können wir die Situation dort optimieren und an das Verhalten der Kids anpassen? Die Kinder bekommen von uns auch Bändchen. Auf dieses können die Eltern ihre Handynummer schreiben und wenn unsere Leute ein Kind entdecken, rufen sie die Eltern an. Im besten Fall gehen die Eltern dann auch ran und sagen nicht: "Sorry, ich bin gerade auf 'nem Konzert. Ich kann nicht." (lacht) Das hatten wir auch schon.
Florian: Gerade bei so 5 000er-Hallen können wir als Kinderband nicht nur über unsere Show nachdenken, sondern müssen für die Eltern mitdenken, die uns letztlich ihre Kinder anvertrauen. Wir wollen uns dessen würdig erweisen und zeigen, dass wir uns Gedanken darüber machen, dass alle einen schönen Nachmittag haben können. Auch soundmäßig, denn auf der einen Seite wollen wir die jungen empfindlichen Gehöre der kleinen Menschen nicht überstrapazieren, aber auf der anderen Seite soll es natürlich auch rumsen. Wir sind froh, dass die Technik so weit ist, dass wir das machen können. Es tut im Ohr nicht weh, aber der Bass untenrum drückt trotzdem.
Pauli: Das Gleiche gilt für unsere Lichtshow. Es soll ein richtiges Konzertfeeling entstehen. Gerade die Kinder vorne sind dann manchmal etwas erschlagen beim Anblick der riesigen Bühne. Um noch mal etwas bezüglich der Sicherheit der Kinder zu ergänzen: Am Anfang waren wir noch extrem angespannt, ob das wohl alles gut über die Bühne geht. Über die Jahre sind wir da lockerer geworden, weil wir als Team super funktionieren und uns professionalisiert haben.
Florian: Es sind alle aware, auch bei den Größen, die wir mittlerweile spielen. Darauf können wir uns verlassen. Sowohl unsere Security-Chefin macht da einen super Job, aber auch wir machen von der Bühne aus bestimmte Ansagen: "Bei uns läuft es so: Die größeren Kinder passen auf die kleineren auf. Achtet aufeinander." Zu Beginn des Konzerts sagen wir meistens, dass die Kids sich mal nach links und rechts drehen können, um sich gegenseitig zu begrüßen. Es sollen alle ein Gemeinschaftsgefühl verspüren und die Kinder nehmen das super an. "Wir sind gemeinsam hier, achten aufeinander und respektieren uns." Mich freut es, dass das bei größeren Festivals, zum Beispiel dem splash!, auch immer mehr in den Moderationen stattfindet, selbst wenn das nicht unbedingt von den Künstler:innen ausgeht: "Macht keine sexistische Scheiße." Das gab es früher nicht, aber seit ein paar Jahren ist das bei Festivals immer präsenter. Ich finde das gut, denn dann haben alle automatisch einen anderen Blick auf sich selbst in diesem Raum.
MZEE.com: Auch abseits eurer Musik arbeitet ihr an verschiedenen Formaten, um Kids zu unterhalten: Es gibt einen Podcast oder auch eine Hörspielreihe. Habt ihr noch weitere kindertaugliche Ausflüge geplant?
Pauli: Die Hörspielreihe fängt gerade erst an, es gibt aktuell nur zwei Teile. Das werden aber mindestens zehn. Das macht Megaspaß und auch der Podcast ist crazy für mich. (lacht) Ich bin eigentlich in diese Welt geboren und wollte kein Rapper und Sänger werden. Ich wollte stiller DJ sein, aber es macht tatsächlich unfassbar viel Spaß. Ich merke dann auch, dass ich meine Unsicherheit, die ich in mir trage, gar nicht haben muss.
Florian: Du wächst über dich hinaus. Und zu der Frage, ob da noch mehr in Planung ist: Es kann immer passieren. Aber wir sind jetzt nicht die Band, die versucht, die Kuh zu melken, solange sie Milch gibt.
Pauli: Es soll auf jeden Fall eine Nachhaltigkeit haben und ein Hörspiel oder den Podcast können sich die Leute auch noch in fünf Jahren anhören. Die Fragen, die wir dort beantworten, sind überwiegend nicht zeitgebunden. Wir haben jetzt auch eine Orchestertour angekündigt. Im April 2025 gehen wir zwei Wochen mit einem rund 80-köpfigen Orchester auf Tour. Das ist auch etwas, wo wir uns bisher nie reinbewegt haben. Das machen wir gemeinsam mit der STÜBA Philharmonie aus Erfurt und Jena. Da verlassen wir mal unsere Komfortzone. Anfang nächsten Jahres kommt außerdem unser Hörspiel als Buch raus. Das ist verrückt und hätten wir nie gedacht, dass so was passieren könnte.
Florian: Unterm Strich haben wir Bock, "gute" Produkte zu gestalten. "Gut" ist zwar ein subjektiver Begriff, aber wir wollen das für Kinder produzieren, was wir als gut erachten und worüber wir uns selbst als Kinder gefreut hätten.
MZEE.com: Warum eignet sich denn gerade Rap als Musikform für Kindermusik? Bisher stammt Musik für Kinder zumeist aus der Pop- und Volksmusik.
Pauli: Rap ist inzwischen komplett in der Mitte der Gesellschaft angekommen, gerade wenn man das mit der Zeit von vor 15 oder 20 Jahren vergleicht. Das findet in jedem Bereich statt und die Menschen, die jetzt Kinder haben, haben damals oft selbst Rap gehört. Dadurch hast du eine viel größere Akzeptanz. Ich habe mich zum Beispiel früher von meinen Eltern abgrenzen wollen, als ich angefangen habe, HipHop zu hören. Ich habe die ersten CDs von meinem Bruder gehört, Run-DMC und Public Enemy, und meine Eltern haben das überhaupt nicht verstanden. Das hast du in der Form gar nicht mehr. Es sei denn, man unterscheidet jetzt zwischen verschiedenen Rap-Subgenres. Es gibt zum Beispiel Gangsterrap, der immer noch für Kids als Abgrenzungstool funktionieren kann.
Florian: Genau, also die Kids können auf jeden Fall weiterhin schockieren, wenn sie wollen.
Pauli: Früher war es aber eher so, dass du vielleicht drei Leute in der Schule hattest, die eine Cap getragen haben, und dann wusstest du: Okay, die:der hört auch HipHop.
Florian: Als Kunstform bietet sich Rap an, weil du das Familienleben schön schnörkellos und unperfekt abbilden kannst. Mit Rap kannst du extrem viel erzählen und mit Sprache und Worten ganz anders spielen. Du kannst die Sachen viel direkter beschreiben, weil du nicht gezwungen bist, alles poetisch zu verschnörkeln. Das kannst du auch machen, aber du musst es nicht. Du kannst die Dinge sehr einfach, klar und direkt vermitteln. Rap ist perfekt, um das chaotische und unperfekte Familienleben geil rüberzubringen.
Pauli: Es gibt aber auch zum Beispiel Metal-Kindermusik.
Florian: Stimmt, wir haben die Leute von HeavySaurus letztes Jahr kennengelernt. Das sind echte Metal-Heads. Aber wie gesagt, mit Rap kannst du geil erzählen. Klar, kannst du auch in jedem anderen Genre erzählen, wenn du willst. Aber Rap bietet sich da besonders an, weil du alle Möglichkeiten hast. Das ist eine Spielwiese, auf der sich jede:r austoben kann. Ich war zum Beispiel von Anfang an froh, etwas zu machen, wofür ich nicht singen können muss. Ich habe trotzdem supergerne Texte mit Rhythmus geschrieben, aber habe mich immer von Melodien ferngehalten.
Pauli: Es liegt auch daran, was man selbst kann und was nicht. Ich kann kein Instrument spielen und habe stattdessen irgendwann angefangen, Samples zu diggen und daraus Beats zu bauen. Ich habe mich da natürlich weiterentwickelt, aber Lukas ist zum Beispiel der Einzige bei uns, der richtig gut Klavier spielen kann. Der setzt sich dann manchmal fünf Minuten ans Klavier und spielt mir was Cooles ein, wofür ich wahrscheinlich drei Stunden gebraucht hätte. Aber letztendlich sind wir mit HipHop aufgewachsen und das ist das, was wir am besten können. Zumindest, wenn ich von mir spreche. Florian war auch Schlagzeuger (Anm. d. Red.: für die Band Echt), aber konnte dafür nicht singen. (lacht)
MZEE.com: Es gibt den legendären Satz: "Wu Tang is for the children." Inwieweit würdet ihr diesem Statement zustimmen und wie blickt ihr auf die oft expliziten Texte im Rap-Kosmos?
Florian: Wu Tang würde ich meinen Kindern vorspielen, die sind ja noch nicht so fit in Englisch. Da sehe ich erst mal kein Problem. Vor allem, wenn du dir anguckst, was für Songs mittlerweile im Radio laufen, die kein Rap sind. Letztes Jahr haben meine Kinder zum Beispiel immer "What the fuck" von diesem Radiohit gesungen, der einfach überall im Mainstream lief. Deshalb sollten die Leute nicht immer alles auf die "böse" HipHop-Musik schieben. Ich selbst habe zum Beispiel eine ganz große Schwäche für Gangsterrap und kenne auch ganz viele schlaue Leute, die gerne das "schlimme" Zeug hören.
MZEE.com: Hättest du vielleicht ein konkretes Beispiel dafür?
Florian: Jemand, der für mich damals vieles vereint hat, also das superharte Straßenleben, den Slang und die Poesie, war Haftbefehl. Da können sich auch viele drauf einigen. Aber als ich jünger war, haben mich auch die Aggro Berlin-Sachen komplett abgeholt. Das würde ich meinen Kindern heute nicht vorspielen. Trotzdem hat das eine unfassbare Faszination auf mich gehabt. Es ging mir da auch um Abgrenzung und die Möglichkeit, der Gesellschaft mal den F*ckfinger zu zeigen. Ich habe es nie eingesehen, mich irgendeinem Lager zuzuordnen. Es war zum Beispiel eine Zeit lang unmöglich, Kool Savas und Fettes Brot gleichzeitig geil zu finden. Bei Kindern, auch weil ich selbst welche habe, denke ich schon, dass man darauf achten sollte, welche Musik in welchem Alter gehört wird. Das ist ähnlich wie bei Filmen, wo einige eben ab sechs und andere erst ab 18 sind. Ich kann von einem Kind nicht erwarten, dass es ein humoristisches Abstraktionsvermögen besitzt, um zu verstehen, warum ich die Aggro Berlin-Sachen witzig finde oder manchmal im Auto höre. Zumindest, wenn ich alleine Auto fahre.
Pauli: Bei einem englischen Album geht das dann schneller klar. Wu Tang hat schöne Melodien und Soul-Samples in den Alben. Ich habe früher, wenn ich Rap oder andere Musik gehört habe, oft nicht auf die Texte geachtet. Mir ging es da primär um die Beats. Da gibt es auch Unterschiede, ob sich die Kinder auf die Lyrics fokussieren oder erst mal nur die Musik fühlen.
Florian: Meiner Meinung nach übertreiben wir Erwachsenen manchmal aber auch. Im Sinne von: "Das vergiftet unsere Kinder." Das jüngste Beispiel ist "Bauch Beine Po" von Shirin David. Das kennen meine Kinder auswendig und feiern es komplett. Aber ich denke, dass meine Tochter kein falsches Bild davon bekommt, wie sie irgendwann mal als Frau zu sein hätte. Der Song pflanzt nicht sofort etwas in ihrem Kopf, das sie in eine komische Richtung zieht. Die liebt einfach das Mitsingen: "Mit den Waffen einer Frau…"
MZEE.com: Spannende Perspektive. Wir haben in der Redaktion viel darüber gesprochen, inwieweit der Song problematisch sein könnte im Hinblick auf das Rollenbild von Frauen und Feminismus.
Florian: Klar, das ist ein wichtiges Thema und die Zeilen sollte man auch alle diskutieren. Aber meine Tochter weiß zum Beispiel noch nicht, was mit "Geh ins Gymi, werde skinny" gemeint ist. Das ist eine Zeile, wo ich ihr klar sage: Du musst nicht unbedingt skinny sein. Auch mit dem Champagner, der dann gesippt wird, kann meine Tochter noch nichts anfangen. Da muss man dann je nach Alter abwägen, ob man über solche Themen sprechen muss. Gibt es einen Bereich, in dem man als Erwachsener aufklärerische Arbeit leisten muss? Oder ist es aktuell "nur" ein Song, der gute Laune macht? Das bietet ein breites Spannungsfeld. Aber ich denke letztendlich, wenn du ein stabiles Umfeld hast, bestehend aus Menschen, die dich lieben, auf dich aufpassen und darauf achten, dass deine menschliche Entwicklung in gesunden Bahnen verläuft, kannst du dir zwischendurch auch mal solche Sachen geben. Ohne dass du sofort befürchten musst, dass es für deine Tochter auf die schiefe Bahn geht, wenn sie den ein oder anderen Song hört. Ich denke, sie kann sich trotzdem emanzipieren.
Pauli: Eine zu harte Einschränkung der Kids in diesem Bereich würde auch bedeuten, dass du junge Menschen generell nicht mehr aus dem Haus lassen könntest. Denn solche Gefahren lauern überall und nicht nur in Songs.
MZEE.com: Kommen wir noch mal zurück zur Musik: Wie blickt ihr auf die Unterscheidung von "Kinder-" und "Erwachsenenmusik"?
Florian: Ich finde, es braucht diese Unterscheidung nicht. Musik ist Musik. Ich habe selbst bereits als Kind supergerne bestimmte "Erwachsenenmusik" gehört. Wir lieben trotzdem das, was wir tun. Wir lieben es, als Deine Freunde Musik zu machen, und sind stolz darauf, der "Kindermusik" ein eigenes Kapitel hinzugefügt zu haben. Aber generell denken wir: Musik ist Musik.
Pauli: Total. Als es Fettes Brot noch gab und wir parallel gespielt haben, war meine größte Unterscheidung die Uhrzeiten, zu denen wir gespielt haben. Dadurch war Fettes Brot die "ernstere Band", weil es später war. Das war aber nur meine eigene Wahrnehmung und hatte nichts mit den Leuten zu tun, die vor der Bühne stehen. Ich habe kein Schamgefühl, wenn wir als Deine Freunde auf die Bühne gehen. Ich verstelle mich da nicht. Bei den Broten war es live eher ein "besoffenes" Gefühl, wenn die Leute nach 22 Uhr bereits einiges an Bier intus hatten. Das ist dann ein wilderes Publikum gewesen und man hatte einen anderen Adrenalinpegel. Aber auch bei Deine Freunde-Auftritten ist der Adrenalinpegel hoch. Wir haben auch schon auf der Fusion gespielt, wo dann nur drei Kinder vor der Bühne standen und der Rest waren Erwachsene.
Florian: Erwachsene auf Substanzen. (lacht)
MZEE.com: Also doch wieder Kinder.
Pauli: Wir haben auch auf dem Lollapalooza gespielt, wo nur ganz hinten ein paar Familien standen, der Rest waren die Fans von einer K-Pop-Band. Das war auch richtig lustig und deshalb würde ich das vor allem live nicht unterscheiden.
Florian: Grundsätzlich ist Musik gleich Musik. Es kommt darauf an, wo du releaten kannst und was dich interessiert. In diesem Zusammenhang finden wir, dass man den Kindern mehr bieten sollte, weil sie es verdienen. Es geht uns darum, sie in ihrer eigenen Lebensrealität abzuholen. Wir wollen keine Musik produzieren, die sie erst in zehn Jahren komplett inhaltlich verstehen können.
MZEE.com: Wie nehmen euch denn die Erwachsenen wahr?
Florian: Ich habe lustigerweise das Gefühl, dass die uns kennen würden. Denn wir geben ziemlich viel von uns preis.
Pauli: Nicht zuletzt durch den Podcast. Da bekommt man häufig Feedback. Aber es kommen manchmal auch Nachrichten à la "Macht doch mal so was". Die kommen dann häufig von Leuten aus dem sozialen Bereich, wie Pädagog:innen. Es gibt auch Leute, die haben eine Idee, die sie gerne mit uns zusammen machen würden. In den meisten Fällen feiern die das komplett ab. Es wird auch gecheckt, dass das nicht ausgedacht oder ein Werbekonstrukt ist. Die merken, dass wir das authentisch verkörpern und ernst meinen.
Florian: Wir sind zugänglich, dadurch dass wir so viel Persönliches in die Musik und in den Podcast reinstecken. Wenn man uns irgendwo trifft, entsteht schnell eine gewisse Bindung zueinander, auch wenn es oft auf der einen Seite anonym bleibt. Diese Verbindung fühlt sich echt an, auch wenn sie an der Oberfläche bleibt. Die hat trotzdem ihren Wert und es stört uns nie, angequatscht zu werden. Wir sind nicht wie irgendwelche Schlagerstars, die dich auf der Bühne anlächeln und hintenrum haben die überhaupt keinen Bock auf irgendwas.
Pauli: Natürlich ist nicht immer heile Welt, manchmal hat man einen Scheißtag. Aber grundsätzlich sind wir nicht abgeneigt, wenn man uns anspricht. Schließlich sind wir alle Menschen.
(Alec Weber)
(Fotos von Michi Schunk)