Das erste Konzert, das man ohne Eltern besuchen durfte. Nachts alleine auf der Autobahn und den gleichen Song immer und immer wieder hören, weil man nicht fassen kann, wie gut er ist. Der Track, den man mit den Freund:innen von früher laut grölend auf jeder Party mitgesungen hat. Vermutlich kennt jeder Mensch diesen Moment: Es läuft ein bestimmtes Lied oder Album, das einen direkt emotional in eine Situation zurückversetzen kann, nostalgisch werden lässt oder einfach nur aufgrund seiner Machart immer wieder zum Staunen bringt. Und genau darum geht es in unserem Format "DIGGEN mit …". Wir diggen mit verschiedenen Protagonist:innen der Szene in ihren gedanklichen Plattenkisten und sprechen über Musik, die diese Emotionen in ihnen auslöst. Dafür stellen unsere Gäste jeweils eine eigene Playlist mit Songs zusammen, die sie bewegen, begeistern und inspirieren.
Dieses Mal war die Rapperin ALYZAH in unserem Format zu Gast und hat eine Playlist mit ihren Favoriten aus den 90er Jahren mitgebracht. Ihr Arbeitstitel für die Playlist ist "Gin and Juice", denn hier treffen für sie musikalische Härte und Smoothness aufeinander. Sie erklärte uns, wie Biggie ihre Karriere beeinflusste, inwieweit Snoop Dogg bis heute als Charakter funktioniert und warum gesungene Hooks Rap-Tracks aufwerten.
1. Bone Thugs-N-Harmony – Thuggish Ruggish Bone (prod. by DJ U-Neek)
ALYZAH: In erster Linie sind Bone Thugs-N-Harmony eine krasse Inspiration für mich, denn die haben diesen Spagat zwischen hartem Rap und einem melodischen Klang geschafft. Das hat mich sehr beeinflusst. "Thuggish Ruggish Bone" ist das perfekte Beispiel dafür. Die Rapper spitten, aber die Hook singt dann Shatasha Williams (Anm. d. Redaktion: Sängerin der Hook, die auf dem Song allerdings nicht als Feature angegeben ist). Wenn Leute mich fragen, wer mich beeinflusst hat oder wie ich gerne rappe, dann zeige ich denen dieses Lied. Der Stil von denen ist trotzdem vielfältig, weil es mehrere Rapper sind. Dazu kommen die Beats, die sowohl an die East- als auch Westcoast erinnern.
2. Case feat. Foxy Brown & Mary J. Blige – Touch Me Tease Me (prod. by Kenny "K-Smoove" Kornegay & Darryl "88" Young)
ALYZAH: Bei dem Song liebe ich diesen richtig harten Beat. Die Drums sind heavy und der Track fängt auch direkt so an. Durch die Strings bekommt das Ganze dann noch eine Art melancholisches Feeling. Wenn man nicht weiß, dass der Song von Case ist und am Anfang dann nur Foxy Brown hört, denkt man schnell, dass das ein richtig harter Rapsong ist. Ich finde es geil, dass er dann so smooth reinkommt. Ich liebe diese Kombination aus Rap und Gesang, besonders wenn es auf harten Beats passiert. Hier ist außerdem cool, dass eine Frau rappt und ein Mann singt. Ich finde dieses Zusammenspiel geil, denn früher haben sich Rapper oft Frauen in die Hook geholt, damit die Songs an Smoothness gewinnen, während die Männer für die Härte sorgen. Hier ist es genau andersrum.
3. The Notorious B.I.G. – One More Chance (prod. by Carl "Chucky" Thompson, Digga, Norman & Diddy)
ALYZAH: Der Track ist einer meiner absoluten Favorites und Biggie ist auch mein Lieblingsrapper of All time. Dieser Song hat meine Musikkarriere stark beeinflusst. Ich hatte schon vorher Musik gemacht, aber 2017, am Todestag von Biggie, habe ich mich aufgenommen, wie ich "One More Chance" singe. Ich war sehr melancholisch, habe das voll gefühlt und in meiner Insta-Story gepostet. Mir hat daraufhin ein Producer geschrieben; SLMGXD – mit dem war ich gemeinsam auf der Schule. Er meinte, dass sich das voll gut anhört und ich mal ins Studio kommen soll. Der Song war meine Einfallstür ins Musikgeschäft. Denn ohne den Track wäre mein musikalischer Weg anders verlaufen. Ich habe eine sehr persönliche Beziehung zu diesem Track. In der gesamten Playlist sind Rap und Gesang vermischt. Das ist auch die Linie, die ich selbst fahre. Biggie hatte eine Smoothness, der musste nicht so tough klingen. Der klang sowieso wie ein Boss, wenn er gerappt hat. Er war technisch einfach krass: Er hat die Reime so geschickt gesetzt, dass alles sehr rund klingt. Er hat enorm viele Binnenreime und nicht nur Endreime genutzt. Und Total schmücken dieses Feeling in der Hook perfekt. Biggie war übrigens auch einer meiner ersten Berührungspunkte mit Rap.
MZEE.com: Auf deinem Song "Business & Privat" habt ihr ihn gesampelt. Das war dann wahrscheinlich deine Idee, oder?
ALYZAH: Das war meine Idee. Ich hatte bereits die Thematik für den Song und wusste, dass mein Projekt in Richtung Boom bap gehen wird. Da ich den Track "Ten Crack Commandments" von Biggie kannte, wusste ich sofort, dass man die Line "Keep your family and business completely seperated" unbedingt samplen muss. Ich hatte vorher in meinen Tracks noch nie etwas gesampelt und das war die perfekte Möglichkeit und Chance, mal ein Vocalsample einzubauen. Ich habe dann mit meinem Producer Koolade gesprochen und er hat das direkt umgesetzt. Mit ihm spiele ich dann immer mal wieder Ping Pong. Ursprünglich habe ich den Song auf den Beat des Songs "Suck my dick" von Lil' Kim geschrieben, das war die perfekte BPM-Zahl dafür.
4. SWV feat. Missy Elliott – Can We (prod. by Timbaland)
ALYZAH: Ich liebe die Gruppe und das ist ein geiler Track mit Missy Elliott. Sie ist für mich auch eine große Inspiration als Rapperin und Visionärin. Zudem ist sie eine wichtige Person im HipHop. Ähnlich wie "One More Chance", deshalb habe ich die in der Playlist hintereinander gesetzt, klingt der Song vom Soundbild voll schön und entspannt. Zu dem Lied habe ich aber keine so große persönliche Backstory. Ich feiere den Track einfach.
5. Snoop Dogg – Gin and Juice (prod. by Dr. Dre)
ALYZAH: So würde ich auch die Playlist nennen: "Gin and Juice". Denn das ist die perfekte Symbiose: Gin ist das Harte und steht für den Rap und die Toughness. Juice ist die entscheidende Zutat, die dazukommen muss, denn Alkohol allein schmeckt nicht. Klar, gibt es Leute, die das auch pur feiern, aber ich nicht. Ich kann zum Beispiel nicht immer nur Rap hören, ich brauche dazu auch Gesang. Es gibt zwar Phasen, in denen ich komplett auf dem New York Boom bap Shit bin. Tracks mit etwas Gesang kann ich mir aber immer geben. Mit dieser Zutat ist dann alles drin, was ich brauche. Bei diesem Track ist das auch so: Snoop mit seinem Rap im Stil eines Gangsters und dann kommt der Gesang rein. Aber der Gesang macht es nicht weicher, sondern unterstützt dieses Bossige. Gesang kann auch eine Härte widerspiegeln. Jemand wie Nate Dogg ist dafür ein gutes Beispiel. Mittlerweile kann Snoop als Person machen, was er will, und wird trotzdem immer als Gangster wahrgenommen und nicht ausgelacht. Er hat dieses Standing, dass er sich als Künstler mit Talent und seiner Musik aufgebaut hat. Das ist bewundernswert, in welchen Sparten er überall stattfindet. Als Snoop Lion hat er auch Reggae gemacht oder mit Heidi Klum einen Song produziert. (lacht) Das ist geil.
MZEE.com: Hooks spielen für dich also eine zentrale Rolle?
ALYZAH: Auf jeden Fall! Die krassesten HipHop-Songs waren meistens Tracks mit einer Gesangshook. Klar gibt es zum Beispiel Tracks von Nas oder KRS-One, in denen das nicht der Fall ist, die trotzdem legendär wurden. Aber die meisten Songs, die dann auch in den Charts stattgefunden haben, waren immer mit Gesang kombiniert. Das erreicht einfach schneller die größere Maße. Ich finde, R 'n' B ist ein Teil von HipHop. Ich liebe aber auch den Sound von G-Funk, wofür Snoop ja steht. Die Kombination aus Funk-Elementen und Rap ist geil, das macht einen Song direkt melodischer. Im Winter höre ich mir gerne Boom bap an, denn das ist ein dunkler Sound. Aber zu 80 Prozent der Zeit höre ich eher G-Funk und Westcoast-Sound, denn der ist musikalischer. Irgendwie steckt in diesen Tracks mehr Arbeit, habe ich das Gefühl. Man muss darauf achten, dass die Instrumentals im richtigen Key sind. Bei "einfachem" Rap musst du da nicht unbedingt drauf achten. Im G-Funk hast du aber diesen Anspruch, wodurch sich die Musik für mich geiler anhört.
6. Tha Dogg Pound & Snoop Dogg – Smooth (prod. by DJ Pooh)
ALYZAH: Das ist ein geiler Track mit einem, wie eben erwähnt, Westcoast-Bounce und G-Funk-Sound. Allgemein habe ich das erste Album von Tha Dogg Pound rauf und runter gehört. Das hat mich bei meinem musikalischen Werdegang und in meinem Soundbild sehr geprägt. Man hört diese Inspiration auf einigen meiner Tracks, finde ich. Deswegen musste der auch in die Playlist, denn der representet etwas, das ich persönlich sehr feiere. Die sind auch ein gutes Beispiel für Gruppen, in denen die einzelnen Künstler jeweils krass sind.
7. Queen Latifah – Just Another Day … (prod.by S.I.D.)
ALYZAH: Ich liebe Queen Latifah. Denn sie ist eine wichtige Person, die vielen Frauen die Tür geöffnet hat. Den Track liebe ich ebenfalls, weil der schön smooth ist. Hier haben wir wieder eine Kombination aus einer Gesangshook und harten Parts. Sie spittet zwar nicht hart, aber ihre Message geht nach vorne. Ich finde es geil, wenn man eine Message hat, aber nicht direkt ins Mikro schreit. Sie bringt ihre Message an den Mann, ohne laut zu sein, und löst es im Rap mit ihrem Vokabular und ihrer Delivery. Das schafft sie in den Parts mit ihrem Storytelling und die Hook fasst das dann voll schön zusammen. Der ganze Track klingt sehr rund. Wenn ich einen langen Tag hatte, ist das voll der gute Cooldown-Track.
8. The Roots – What They Do (prod. by Grand Negaz, Questlove & Raphael Saadiq)
ALYZAH: Der kommt direkt nach "Just Another Day …", denn der hat auch so ein schön smoothes Soundbild. In den Parts steckt wieder viel Message von The Roots, weil der Track sehr sozialkritisch ist und das durch die Hook thematisch perfekt auf den Punkt gebracht wird. Ich liebe den Song.
MZEE.com: Könntest du dir selbst vorstellen, mal mit einer Live-Band wie The Roots aufzutreten?
ALYZAH: Ich glaube, es ist von fast jedem Künstler der Traum, mit einer Band zu performen. Ich habe schon mehrfach mit Bands performt und liebe es, wie sie deine Songs für sich interpretieren. Gerade HipHop-Beats werden so spannender, wenn sie mal jazziger gespielt werden. Die Songs bekommen dann einen ganz anderen Charakter. Allein Background-Sänger machen schon viel aus, finde ich.
9. Foxy Brown feat. Dru Hill – Big Bad Mama (prod. by Jean-Claude "Poke" Olivier & Samuel J. "Tone" Barnes)
ALYZAH: Einer meiner favorite Tracks. Ich liebe den Beat und fühle den Song einfach. Wenn ich den höre und aus dem Haus gehe, kann mir keiner etwas sagen. Es ist geil, dass Foxy Brown hier die Rapperin ist. Es ist ja ihr Track und Dru Hill ist "nur" gefeaturet. Manchmal hören sich Features so gekauft an, aber hier klingt es voll organisch. Ich finde, das war generell früher noch anders. Gerade bei R 'n' B-Gruppen war es voll wichtig, dass die auch in den Parts von den Rappern Adlibs machen. Das gibt einem mehr das Gefühl, dass die zusammengearbeitet haben. Ich liebe es, wenn man das hört, auch wenn es vielleicht nicht so gewesen ist. Die gesungene Hook von Sisqó liebe ich auch. Dru Hill ist generell ein gutes Beispiel für eine Gruppe, bei der jeder Einzelne krass ist. Wenn ich Features mache, möchte ich auch, dass man raushört, dass wir das gemeinsam gemacht haben. Diesen Anspruch haben nicht mehr viele. Ich orientiere mich deshalb gerne an der Musik aus den 90ern – Vocals, Harmonien und das Zusammenspiel waren damals noch wichtiger.
10. Lil' Kim – Not Tonight feat. Da Brat, Left Eye, Missy Elliott & Angie Martinez (prod. by Armando Colon & Rashad "Ringo" Smith)
ALYZAH: Das ist ein geiler Track, weil er dieses Klischee von Männern, die über Sex und Frauen rappen, umdreht: "Ich will, dass meine Bitch dies und jenes macht." Hier erzählt es aber Lil' Kim aus ihrer Perspektive: "Heute habe ich keinen Bock auf Soundso. Gib mir nur das." Dazu kommt dieser jazzige Beat, über den sie so rough und dirty in den Verses rappt. Die Hook ist auch geil, weil die im Chor gesungen ist. Besonders schön finde ich, dass die Feature-Parts im Outro jeweils eine Solo-Adlib-Spur eingesungen haben. So wurde den einzelnen Sängerinnen noch mal ein Moment gegeben, um zu scheinen.
MZEE.com: Da beide in deiner Playlist auftauchen: Wie stehst du denn zu dem langjährigen Beef zwischen Lil' Kim und Foxy Brown?
ALYZAH: Ich habe den jetzt nicht genau verfolgt. Aber diese Attitude, dass es nur eine Rapperin geben kann oder darf, existiert bis heute, zumindest unterschwellig. Ich bekomme das ja selbst mit. Auch wenn es von vielen heißt "Women support women", ist es oft nicht so. Eigentlich ist der Kuchen groß genug, jeder kann ein Stück haben und ich nehme auch niemandem ein Stück weg. Wir produzieren vielleicht ähnliche Musik, aber sind trotzdem individuelle Künstlerinnen. Wir müssten nicht unbedingt in Konkurrenz zueinander stehen. Bei Männern gibt es dieses Mindset in der Fanbase nicht, da wird jeder gefeiert.
11. 2Pac feat. Danny Boy – I Ain't Mad At Cha (prod. by Daz Dillinger)
ALYZAH: Das ist ein sehr geiler Track und beruht auf einem Sample eines DeBarge-Songs. Das ist das Original, das auch ähnlich hieß, glaube ich. Das Sample wurde richtig geil verwendet und mit einem nicen Bounce versehen. Auch hier ist die Hook wieder sehr schön gesungen, wodurch der Feature-Artist erneut seinen Moment bekommt, um zu scheinen. Heutzutage ist es oft so, dass die Hook nur wiederholt wird. Es sind oft nur dieselben Audiospuren an unterschiedlichen Stellen im Track. Früher variierten die Artists häufiger: In der zweiten Hook wurden dann zum Beispiel noch Harmonien hinzugefügt oder die letzten Silben etwas anders gesungen. Es war wichtig, etwas Vielfalt in die Musik einfließen zu lassen. Das hört man bei dem Track voll gut. Die Hook ist jedes Mal ein bisschen anders gesungen. Außerdem hat 2Pac einfach eine krasse Delivery und für seine Verses oft viele Spuren für die finale Aufnahme verwendet. Normalerweise nutzt man dafür ja nur zwei Spuren. Dadurch klingt das sehr fett.
12. MC Lyte feat. Xscape – Keep On, Keepin' On (prod. by Jermaine Dupri)
ALYZAH: Diese Kombination feier' ich sehr: Eine Frau rappt und eine Girlgroup macht die Hook. Das ist ein sehr smoother Track und MC Lyte flowt perfekt über den Beat. Sie zieht ihren Flow in allen Parts durch und er wird trotzdem nicht langweilig. Dabei rappt sie total melodisch und trotzdem ist die ganze Zeit klar: Es ist Rap! Das ist ein krasser Skill, das zu können. Die Hook ist voll simpel und geht deshalb ins Ohr. Ich liebe auch die Adlibs, die von Xscape hinzugefügt wurden. Das ist für mich der optimale Track, um diese Playlist musikalisch abzuschließen. Das ist die perfekte Mischung, denn hier treffen sich wieder Rap und Gesang.
All diese Tracks findet ihr hier in unserer "DIGGEN mit ALYZAH"-Playlist auf Spotify.
(Alec Weber)
(Foto von Selina Keskin)