An dieser Stelle möchten wir Gedanken zu aktuellen Geschehnissen aus dem Deutschrap-Kosmos zum Ausdruck bringen. Die jeweils dargestellte Meinung ist die des:der Autor:in und entspricht nicht zwangsläufig der der gesamten Redaktion – dennoch möchten wir auch Einzelstimmen Raum geben.
Im Folgenden analysiert und erklärt unser Redakteur Felix den Beef zwischen Kendrick Lamar und Drake und stellt die Frage, welche Schlüsse man aus der größten Rap-Sensation der letzten Jahre ziehen kann.
"What's beef?" – Die Antwort auf die Frage liefern uns 2024 nicht mehr Biggie und 2Pac, sondern Drake und Kendrick Lamar. Nach fast zehn Songs ist der Ausgang dieses Beefs klar: Spätestens das "The Pop-Out: Ken & Friends"-Konzert krönte Kendrick als Sieger. Während der Show spielte der Rapper nicht nur seine Disstracks erstmals live, im ausverkauften Kia Forum, sondern wurde dabei auch von West-Coast-Legenden wie Dr. Dre begleitet. Zusätzlich erschien im Juli die Videoauskopplung zu "Not Like Us", dem Disstrack, der innerhalb von neun Tagen nach Release 100 Millionen Streams erzielte – so schnell wie kein anderer Rapsong. Bei diesem aufsehenerregenden HipHop-Ereignis stellt sich nun die Frage: Was bedeutet dieser Beef für Kendrick Lamar und Drake und was bleibt nach ihm übrig?
Die Antwort lautet: eine ganze Menge. Schließlich rappen die beiden in ihren jeweiligen Disses über zutiefst ernste Themen und Anschuldigungen. Drake ist laut Aussage Kendricks ein pädophiler, drogenmissbrauchender Perverser, ein sexueller Straftäter, der die HipHop-Kultur ausbeutet wie ein Kolonialherr. Kendrick ist, schenkt man Drakes Texten Glauben, ein Frauenschläger. So weit, so ekelhaft. Bewertet man das anhand der Kriterien Gegnerbezug, Entertainment und Punchline-Dichte, könnte man Kendrick ruhig den Sieg geben. Aber dieser Beef ist kein Rapbattle auf der Bühne. Das hier ist eine Schlammschlacht, bei dem sich keine Seite mit Ruhm bekleckert.
Schwarz-weiß ist dieser Beef keinesfalls. Klar wird vor allem Drake einiges vorgeworfen, aber im vermeintlichen Kampf zwischen Gut und Böse muss man auch Kendrick in die Kritik nehmen. Damit sind Drakes Anschuldigungen in Bezug auf häusliche Gewalt gemeint, die nicht wirklich von Kendrick beantwortet werden, dessen Partnerin im "Not Like Us"-Video ironischerweise einen sogenannten "Wife Beater" trägt. Fragwürdig ist Lamars genereller Umgang mit Themen wie sexualisierter Gewalt oder Kindesmissbrauch. Genauer: Warum erfährt die Öffentlichkeit erst inmitten eines Beefs von diesen Anschuldigungen? Hätte er etwa geschwiegen, wäre Drake nicht so frech geworden? Dienten die Opfer sexueller Gewalt nur als Tinte für K.Dots Pengame? Diesen fiesen Nachgeschmack des Beefs beschreibt Anna Jandrisevits von "@die_chefredaktion" auf Instagram anschaulich: "Rappern wie Drake und Kendrick Lamar scheint Frauenhass egal zu sein, außer sie profitieren davon." Dass Kendrick erst jetzt – zufälligerweise inmitten eines sich ankündigenden Beefs – von Drakes Täterschaft gegenüber Frauen und Kindern erfahren hat, erscheint unglaubwürdig. Vor allem nach dessen Behauptungen, einen Spitzel zu haben. Vielmehr ist davon auszugehen, dass dieser das Thema extra-lang geheim gehalten hatte. Sozusagen als den roten Knopf, der den Atomsprengsatz zündet. So dienen Opfer sexualisierter Gewalt scheinbar als bloße Munition für Kendrick.
Das Gleiche gilt aber auch für die Gegenseite. Drakes selbstsichere Beschwörung der Anschuldigungen trällern ein altbekanntes Lied. Auch 2024 werden Vorwürfe sexualisierter Gewalt nicht ernstgenommen. "Just for clarity, I feel disgusted, I'm too respected. If I was fucking young girls, I promise I'd have been arrested. I'm way too famous for this shit you just suggested." – In welcher Welt sind diese Zeilen ein guter Konter? Richtig: in einer Welt voller Weinsteins, R. Kellys und Diddys. Noch perfider ist die Kombination aus "That's that one record where you say you got molested. […] This is trauma from your own confessions" zusammen mit "I'm praying you recover from both incidents. But you a piece of shit, so this shit really no coincidence". Damit spielt Drake auf Kendricks Song "Mother I Sober" an. Ein Lied über generationenübergreifende Traumata in Bezug auf Missbrauch. Er missversteht den Song und macht sich erneut lustig über Betroffene von Missbrauch. Dabei spielt es keine Rolle, dass Kendrick auf dem Song klarstellt, dass er eben kein Opfer sexualisierter Gewalt war. Die Themenwelt der sexuellen Gewalt wird von beiden Parteien nicht ernst genommen. Da hilft auch das – ehrlicherweise ohrwurmhafte, aber umso plumpere – Wortspiel "A minoooor" in Kendricks letztem Disstrack nicht weiter. Pädophilie und Gewalt sind ein Meme, ein Ohrwurm, der Song des Sommers, aber keine ernstzunehmenden Probleme, so könnte man nach den Songs der beiden annehmen.
Ebenfalls ein unterschätztes Problem ist das wiederkehrende Muster der Trennung von Kunst und Rap. In den Fan-Lagern heißt es häufig: Die beiden Musiker wären deshalb nicht vergleichbar, da Drake ein Pop-Artist beziehungsweise ein Künstler sei und Lamar ein Rapper. In erster Linie klingt das nach einem Kompromiss, auf den zweiten Blick kann so eine Einordnung aber schnell in Rassismus münden. Warum ist Kendrick denn explizit Rapper und kein Künstler? Rap ist doch Musik und damit Kunst, weshalb erfolgt also diese Trennung? Eine mögliche Antwort ist, dass die HipHop-Kultur oder stellvertretend Rap oft nicht im Kunstbegriff inkludiert ist, da es sich um eine Schwarze Bewegung handelt. Durch die Einzelnennung von Rap wird die Kunstform als etwas dargestellt, das fernab von "richtigen" Genres wie Rock 'n' Roll, Country oder eben Pop stattfindet. Drake als Künstler und Kendrick "nur" als Rapper anzusehen, kann somit zu einer Degradierung Schwarzer Kunst und Kultur führen.
Und genau diese beutet der Kanadier Drake aus. Das beschreibt Kendrick zumindest in dem letzten Part von "Not Like Us". In der Tat bedient sich Drake seit Jahren an Stilen und Kulturkreisen, denen er nicht angehört. Dabei wurde Drake all die Jahre als eine Art Allround-Star gefeiert und seine Rap-Crossover hin zu Dancehall, Pop oder R 'n' B gingen oft mit Features wie dem Afrobeat-Artist Wizkid einher, die seine künstlerische Version sozusagen absegneten. Das könnte sich jetzt jedoch ändern. Schließlich ist Kendricks Meinung "I'm what the culture feeling", seien es Future, A$AP Rocky, Metro Boomin, Mustard, Dr. Dre oder sogar die Nachlassverwaltung von Tupac Shakur. Drake machte zur Provokation nämlich auch vor Toten keinen Halt. Auf dem "Taylor Made Freestyle" lässt Drake keinen Geringeren als 2Pac für sich rappen – ermöglicht durch eine AI. Für Tupacs Erben war die Generierung des unfreiwilligen posthumen Features ein "unverhohlener Missbrauch des Vermächtnisses eines der größten HipHop-Künstler aller Zeiten". Kein Wunder also, dass die Westküste gerade Drakes Untergang feiert. Diese Abwehrhaltung von HipHop gegenüber Drake war schon immer spürbar, aber nie so offensichtlich wie jetzt. In Zukunft könnten Rap-Tracks für Drake daher zu einer Gratwanderung werden, zwischen der Repräsentation von HipHop-Kultur und der Bereicherung an dieser.
Betrachtet man den Beef in seiner Gesamtheit, können also beide Künstler ihre weißen Westen in den Müll schmeißen. Vor allem für einen so introspektiven und philosophischen Lyriker wie Kendrick Lamar gibt es eine enorme Fallhöhe. Klar, als Gewinner der Schlammschlacht hat sich der Comptoner Rapper noch mehr als zuvor als HipHop-Legende gefestigt, aber die Flecken werden einige Zeit bleiben. Somit ist die größte Lektion wohl, dass man nicht auf einen King oder eine Queen des Genres vertrauen kann. Der Beef zeigt uns, wie wichtig es ist, Ikonen stets zu hinterfragen. Das weiß Kendrick Lamar selbst, schließlich verkündete er: "Kendrick made you think about it, but he is not your savior."
(Fejoso)
(Grafik von Daniel Fersch)