"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem:einer Künstler:in oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der:die Gesprächspartner:in ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm:ihr das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
Vor rund zehn Jahren sah mein Diggen noch anders aus als heute. Weder stand ich oldschool in Plattenläden und durchforstete Kisten, noch streamte ich mich durch die Musikgeschichte. Nein, mein Ansatz bestand darin, mich auf YouTube von Video zu Video zu klicken. Ein Musikvideo, das ich dabei immer wieder anklickte, wenn es irgendwo auftauchte, war "Irgendwo (12Vince Remix)" von Slowy. Damals fesselte mich sowohl der Song an sich als auch das Video dazu. Dabei wurde dafür nicht mal eigenes Videomaterial gedreht – und die Produktionskosten betrugen vermutlich null Euro. Zu sehen ist ein Zusammenschnitt aus Filmszenen des Klassikers "Die Verurteilten". Lediglich zu Beginn des Videos gibt es einen entscheidenden Edit: Andy Dufresne legt die Platte "Floweffekt" von Slowy auf.
Immer, wenn ich seitdem "Irgendwo" höre, habe ich sofort die passenden Bilder des Musikvideos im Kopf. Das liegt auch daran, dass Film und Song bei mir ähnliche Gefühle auslösen. Melancholisch und nachdenklich sitze ich dann wieder in meinem alten Zimmer. Tatsächlich bin ich aber dort, wo sich auch Slowy befindet: "Zwischen 'Dafür leb' ich!' und 'Was soll der ganze Mist?'. Zwischendurch realisieren, dass man erwachsen ist." Der Rapper stellt hier viele Fragen und regt mich immer wieder zum Philosophieren über meinen eigenen Lebensweg an. Auch, weil der warmherzige Kopfnickerbeat von 12Vince mich in die passende Stimmung versetzt. Das Instrumental von ihm hätte wahrscheinlich auch perfekt als Teil des "Die Verurteilten"-Soundtracks funktioniert. Gleiches gilt auch für Slowys Lyrics – schließlich kann sich die eigene zerrissene Gedankenwelt "irgendwo im Nirgendwo" manchmal auch anfühlen, als würde man in einem Gefängnis feststecken.
Zusammengefasst freue ich mich heute noch, wenn ich den Song irgendwo höre. Denn das dazugehörige Musikvideo hat mir die Tür zur Welt des Hamburger Top-Duos Slowy & 12Vince geöffnet. Aus dieser Welt ertönen auch über eine Dekade später weiterhin hervorragende Beats und Lyrics. Und dazu kommt on top: "Irgendwo" kann man heute definitiv als Untergrund-Classic bezeichnen.
(Alec Weber)