Bewältigungsstrategien helfen uns, mit Stress, emotionalen Belastungen und schwierigen Lebenssituationen umzugehen. Diese Strategien können individuell unterschiedlich aussehen. Während der Konsum von Suchtmitteln langfristig kaum förderlich für den besseren Umgang mit Problemen ist, kann beispielsweise regelmäßige Meditation besser helfen. Da die Bewältigung emotionaler Belastungen oft unbewusst abläuft, fällt es mitunter schwer, eigene Verhaltensmuster zu erkennen und zu ändern. Eine Psychotherapie kann hilfreich sein, um eigene, funktionale Strategien zur Bewältigung zu entwickeln.
Für viele Künstler:innen, wie auch die Rapperin Dea Bbz, dient Kunst zusätzlich als ein wichtiges Ventil für Emotionen. In ihrer Musik verarbeitet sie persönliche Herausforderungen und nutzt sie als Mittel zur Selbstreflexion und Heilung. Die aufstrebende Künstlerin ist bekannt für ihre schonungslos ehrlichen und intensiven Texte. Sie rappt über Themen wie Konsum, jugendlichen Leichtsinn und Gewaltfantasien. Die Line "Hab's meinem Therapeuten gesagt: HipHop wird mein Lebensretter" auf dem Track "Eh besser" fasst gut zusammen, warum Dea die perfekte Gesprächspartnerin ist, um über Kunst als Copingmechanismus zu sprechen. Im Interview teilte sie außerdem ihre Meinung über Psychotherapie mit uns und sprach über die Rolle des Schreibens in ihrem Leben.
MZEE.com: Bewältigungsstrategien sind Denk- oder Verhaltensmuster, die man entwickelt, um mit einer schwierigen Situation zurechtzukommen. Was sind deine persönlichen Copingstrategien?
Dea Bbz: Ich habe ganz viele dysfunktionale Bewältigungsmechanismen. In der Vergangenheit habe ich durch den Konsum von Suchtmitteln versucht, meine Emotionen zu regulieren. Aktuell arbeite ich aktiv daran, das umzustrukturieren, damit ich es auf lange Sicht schaffe, mir nicht zu schaden, wenn ich schwierige Phasen durchstehen muss. Ein großer Teil dieser Arbeit ist für mich das Schreiben. Sobald ich merke, dass es mir gerade richtig blöd geht, hole ich direkt mein Handy raus und schreibe auf, was gerade Wirres in meinem Kopf vor sich geht. Oftmals landet das dann in meiner Musik.
MZEE.com: Das Aufschreiben hilft einem, die Gedanken zu ordnen. Manchmal braucht es aber noch mehr, um Emotionen zu verarbeiten. Liest du dir deine Notizen danach noch mal durch?
Dea Bbz: Ja, eigentlich immer. Wenn Nils Twachtmann, mein ganz lieber Produzent, mir Beats schickt, dann gehe ich beispielsweise meine Notizen durch. Außerhalb dieses Prozesses mache ich das aber nicht gezielt. Wenn ich an Songs schreiben will und keine konkreten Ideen habe, schaue ich in meine Notizen.
MZEE.com: Psychotherapie kann auch dabei helfen, Bewältigungsstrategien zu finden, die für die eigene Situation gut geeignet sind. Im BACKSPIN-Podcast hast du von deinem Therapeuten erzählt. Wie hat er dir dabei geholfen, Rap als Ventil zu nutzen?
Dea Bbz: Mein leider verstorbener Therapeut war sehr dahinter, dass ich die Musik ernsthaft verfolge. Er hat mir geholfen, herauszufinden, wie wichtig Musik für mich ist, denn am Anfang habe ich das selber noch nicht so ernst genommen. Ich spüre oft eine innere Leere und weiß gar nicht, was ich eigentlich machen will. Dann haben wir zusammen herausgefunden, dass mir Musikmachen Spaß macht und ich das einfach machen sollte. Er war richtig dahinter, dafür bin ich ihm heute noch dankbar.
MZEE.com: War er auch derjenige, der dich generell dazu gebracht hat, zu schreiben?
Dea Bbz: Das habe ich schon immer gemacht, aber er hat mich darin bestärkt. Ich habe schon Songs geschrieben, bevor ich in Therapie war. Das war in einer Zeit, in der ich meinen Nine-to-five-Job gekündigt hatte, weil es mir schlecht ging und er mich nicht erfüllt hat. Mit dem Nichtstun musste ich erst mal klarkommen. Einerseits tat es gut, andererseits habe ich dann so viel Zeit gehabt und war ein bisschen lost. Wir haben dann eins und eins zusammengezählt und das hat dann dazu geführt, dass ich mich der Musik intensiver gewidmet habe, obwohl das eigentlich vorher schon so nahelag.
MZEE.com: Welche Veränderungen hast du bemerkt, als du angefangen hast, Musik als Bewältigungsstrategie zu nutzen?
Dea Bbz: Es ging mir deutlich besser, aber ich habe Musik nicht einzig und allein als Bewältigungsstrategie genutzt. Es hat mir geholfen, zu wissen, dass ich durch sie ein Ventil habe. Dann habe ich auch angefangen, sie bewusst zu nutzen. Man entwickelt sein Leben lang Bewältigungsstrategien, um zu überleben, und ist sich dessen oft nicht bewusst. Mittlerweile setze ich sie gezielt ein, anstatt einem selbstzerstörerischen Impuls nachzugehen. Ich bin dadurch aber keine Vorzeigeperson geworden, bei der alle Probleme gelöst wurden. Dennoch hilft das Aufschreiben mir sehr, weil man dadurch ganz anders reflektiert.
MZEE.com: Sind die Emotionen für dich danach verarbeitet, wenn du einen Song über eine bestimmte Sache geschrieben hast?
Dea Bbz: Es ist ein erstes Heilungspflaster. Ich bin auch weiterhin in Therapie und das würde ich jedem Menschen empfehlen. Denn einzelne Situationen in Form von Musik zu verarbeiten, reicht für mich nicht. Dennoch hilft es mir, durch blöde Momente zu kommen.
MZEE.com: Wie geht es dir damit, wenn du die Songs dann performst oder probst?
Dea Bbz: Beim Aufnehmen wird die Wunde noch mal aufgekratzt. Das hatte ich beispielsweise bei dem Track "Eingeweide". Da flossen Tränen beim ersten Part. Mit der Zeit stumpft man ab, denn bevor ein Song releast wird, hört man ihn bestimmt hundertmal. Dann ist einem die Tiefe dahinter nicht mehr so klar. Auf der Bühne gibt es vereinzelt Momente, in denen mir kurz bewusst wird, was ich da gerade gesagt habe, und dann geht es mir noch mal ziemlich nahe. Aber das ist auch okay, solange man sich nicht jeden Tag damit auseinandersetzt, was passiert ist. Das wäre nicht zielführend, denn das Leben geht weiter. Bisher ist es noch nicht vorgekommen, dass ich einen Song nicht mehr performen kann. Das kann ich für die Zukunft nicht ausschließen, aber aktuell gibt es keinen.
MZEE.com: In deinem Leben hast du viele Herausforderungen gemeistert und bist in deiner Jugend viel zwischen Deutschland und England gependelt. Immer unterwegs zu sein, kann auch eine Art Verdrängungsmechanismus sein, weil man dadurch bestimmte Situationen vermeidet oder Problemen aus dem Weg geht. Würdest du sagen, dass das in deinem Fall zutrifft?
Dea Bbz: Ich konnte mich nicht entfalten und ausdrücken, wie ich es wollte. Ich habe vielleicht versucht, bestimmte Dinge zu vermeiden, aber insgesamt habe ich mich in Manchester einfach wohler gefühlt und wollte lieber dort Zeit verbringen. In Stuttgart hatte ich damals das Gefühl, dass es nicht zu mir gepasst hat. Das lag vielleicht daran, dass ich alles kannte und es so eingesessen war, meine Familie dort war und wir einige Ansichten nicht geteilt haben. In Manchester hingegen habe ich mich das erste Mal wohl und gesehen gefühlt.
MZEE.com: Bist du dort auch zur Schule gegangen?
Dea Bbz: Nein, das nicht. Nachdem ich in Stuttgart die Schule beendet hatte, habe ich eine Ausbildung gemacht. Ich habe aber jeden Urlaub und jede freie Minute dort verbracht. Zu den Freunden aus der Zeit habe ich auch immer noch Kontakt. Die haben mittlerweile teilweise Kinder und heiraten. (lacht) Ich glaube, England ist, was das angeht, kulturell anders. Na ja, ich bin jetzt Rapperin und habe einen kleinen Hund. Der ist mein Baby. Sie heißt Kali, Shoutout an sie. (lacht)
MZEE.com: Hast du neben dem Schreiben der Musik noch andere Bewältigungsstrategien?
Dea Bbz: Ich habe eine Verhaltenstherapie speziell für instabile Persönlichkeitsstörungen gemacht und da erlernt man funktionale Bewältigungsmechanismen und wie man in Hochanspannungssituationen handelt. Dabei geht es auch um körperbasierte Bewältigungsmechanismen. Wenn ich so rede, denkt man, ich komme straight aus der Tagesklinik. Ich habe ganz viele intrusive Gedanken, die immer aufkommen. Gerade bin ich dabei, das kognitiv umzustrukturieren. Letztes Jahr ging es mir überhaupt nicht gut und ich bin jetzt dabei, daran zu arbeiten und auf mich aufzupassen.
MZEE.com: Therapie bedeutet ja auch, sich selbst besser kennenzulernen und sich mit den persönlichen Schwächen auseinanderzusetzen. Und das ist natürlich unangenehm und man will das eigentlich nicht.
Dea Bbz: Es war damals nicht Scham oder das Gefühl, schwach zu sein. Ich war schon immer die Letzte, die Therapie abgelehnt hat. Dennoch war es eine Überwindung für mich, weil ich so idealistisch veranlagt bin. Ich musste mir schon immer alles erkämpfen und bin ungewollt in eine Passivität gerutscht, weil ich nicht mehr kämpfen wollte. Ich habe nicht verstanden, warum es anderen gut ging und mir nicht. Obwohl es langfristig nicht hilft, so zu denken, war es schwer, da rauszukommen. Irgendwann wurde mir klar, dass niemand kommen wird, um mich zu retten. Das habe ich auch nie erwartet, aber es war trotzdem schwierig, das zu akzeptieren. Jetzt bin ich motiviert, selber dafür zu sorgen, dass es mir gut geht.
MZEE.com: Auf dem Song "Eckzimmer" sprichst du zu deinem jüngeren Ich und sagst: "Du wirst endlich bei dir sein." Generell spielen traumatische Erlebnisse eine große Rolle in deiner Musik. Wie, glaubst du, würde sich deine Musik verändern, wenn du alles Traumatische, was dir je widerfahren ist, aufarbeiten würdest?
Dea Bbz: Ich habe eine melancholische Veranlagung in mir und einen kritischen Weltblick, das würde ich auf jeden Fall beibehalten. Vielleicht würde meine Musik noch mehr in Richtung "Eckzimmer" gehen, weil ich da mit meinem inneren Ich spreche und zeige, dass ich in dunklen Momenten trotzdem die Sonne hinter den Wolken sehen kann. Schlechte Momente wird es immer geben. Auch wenn man "austherapiert" ist, wobei es diesen Zustand wahrscheinlich gar nicht gibt. Aber die Tiefs sind dann nicht mehr so tief. Meine Musik würde trotzdem immer eher düster und kritisch sein. Obwohl, auf einer meiner aktuellen Singles "Port Kembla" sage ich: "Mir geht es auch mal okay." Ich war Anfang des Jahres in Australien, weil mein Produzent dort lebt. Port Kembla heißt der Ort, an dem wir das aufgenommen haben. Es ist das erste Mal, dass es um Sommer, Sonne und mehr Leichtigkeit geht. Es ist ungewohnt für mich zu sagen, dass es okay ist, wenn es mir mal okay geht, und dass ich mir das gönnen kann. Vielleicht ändert es sich gerade schon. Es könnte auch sein, dass ich in Zukunft mehr in die Systemkritik gehe, wie zum Beispiel mit der Line "Free Kotti" auf dem Track "Eh besser". Aber ich würde solche Themen immer gut verpacken, damit es nicht politisch belehrend ist.
MZEE.com: Deine Songs wirken sehr authentisch und nah am wahren Leben. Gibt es dennoch etwas, was du dir in deiner Musik zugestehst, dich aber im wahren Leben nicht trauen würdest?
Dea Bbz: Auf "Peak der Männlichkeit" geht es zum Beispiel darum, Männer zu degradieren. Aber an der Stelle ist es mir auch immer wichtig, dass ich aufzeige, dass da Konsens herrscht. Es gibt genügend Menschen, da spreche ich aus eigener Erfahrung, die es tatsächlich genießen, dominiert zu werden. Auf dem Song ist es schon überzogen dargestellt. Das habe ich bewusst als stilistisches Mittel eingesetzt.
MZEE.com: In einigen deiner Songs geht es um Rachefantasien und Gewalt, wie nah ist das an deinem wahren Leben?
Dea Bbz: Es ist gut, dass du das ansprichst. Bei "Pädos stöhnen" wird im Outro gesagt, dass ich jemandem das Glied abbeiße. Das habe ich nicht gemacht. Da fantasiere ich tatsächlich. Das sind dann Rachegedanken in mir, aber ich habe mich in Wirklichkeit nie in der Form an jemandem gerächt. Ab und zu hat man solche Gedanken, aber ich weiß, dass es mir auf lange Sicht besser geht, wenn ich dem Impuls nicht nachgebe. Unter Konsum-Einfluss bin ich schon gewaltbereit, was ich aber auch nicht cool finde. Das ist eine Art der Bewältigung, die nicht funktional ist oder Selbstschutz. So etwas habe ich mir im Laufe des Lebens antrainiert, aber ich arbeite daran, mir das abzutrainieren.
(Malin Teegen)
(Fotos von Paul Kluth, Christian Kage & Jonathan Gehlen)