Der Graben zwischen der HipHop-Kultur und der Welt der bildenden Künste scheint auf den ersten Blick unüberwindbar. Bildende Kunst hat eine lange und vielfältige Geschichte, die sich über die letzten Jahrtausende duch jede Kultur zieht. HipHop hingegen entstand in den 70ern in New York City und wird als Gegenkultur zum vorherrschenden Mainstream von afroamerikanischen Jugendlichen geschaffen. Auch die visuelle Ästhetik ist von Grund auf unterschiedlich. Der Begriff der bildenden Kunst lässt augenblicklich Bilder von Marmor-getäfelten Galerien vor dem geistigen Auge erscheinen. Die Ästhetik der HipHop-Kultur wiederum ist roh und hat fast etwas Störendes. Vielleicht besteht auch deshalb in den Augen der Öffentlichkeit ein großer Unterschied. Während einige Maler:innen durch wenige Pinselstriche zu Genies hochstilisiert werden, werden Graffiti-Sprüher:innen oft als ungebildet dargestellt und als Sachbeschädiger:innen strafverfolgt.
Trotzdem treffen sich HipHop und die Welt der bildenden Künste einige Male in der Geschichte und zeigen mehr Verknüpfungen, als man es auf den ersten Blick glauben mag. Wie also haben diese beiden Welten zueinandergefunden? Wer hat sie zusammengebracht? Und was haben die alten Römer, ein Elefant und Kanye Wests Plattencover damit zu tun?
Die alten Römer, CORNBREAD und Taki 183: Pioniere des Writings
Der Begriff "Graffiti" hat seinen Ursprung im Lateinischen "Graffito". Dies waren zur Zeit des Römischen Reichs Nachrichten, welche in Gebäudefassaden eingeritzt wurden. Von politischen Botschaften bis hin zu Warenlisten dienten die altertümlichen Graffitis hauptsächlich zur Kommunikation und zum Austausch. Darüber hinaus wurden auch unterschiedliche Zeichnungen und Malereien an den Wänden hinterlassen. Diese Inschriften und Illustrationen unterschieden sich von klassischen Wandmalereien darin, dass sie von Privatpersonen an öffentlichen Plätzen hinterlassen wurden.
Das Writing soll allerdings erst in den 1960er Jahren in den Vereinigten Staaten entstehen. So beginnt ein junger Mann namens Darryl McCray damit, sein Pseudonym "CORNBREAD" an alle möglichen und unmöglichen Plätze in Philadelphia zu sprühen – angeblich tut er dies, um die Aufmerksamkeit eines Mädchens zu erregen. Stattdessen wird darüber gerätselt, welcher Unbekannte für die Graffitis verantwortlich ist. Auch die örtliche Presse wird auf den Fall aufmerksam und berichtet über neuerlich aufgetauchte Tags. Im Jahr 1971 veröffentlicht eine örtliche Zeitung dann sogar einen Artikel, in dem behauptet wird, CORNBREAD wäre während einer Gang-Schießerei zu Tode gekommen. Als McCray – der gesund und munter zu Hause sitzt – das liest, fasst er einen Plan. Dazu sagt er selbst: "I knew I had to do something amazingly bizarre to let people know I wasn't dead." So bricht er schließlich in das Elefantengehege des örtlichen Zoos ein und sprüht in großen Buchstaben "CORNBREAD LIVES" auf die Flanke eines Elefanten. Wegen dieser skurrilen Aktion wird Darryl McCray zwar verhaftet, aber auch überregional bekannt.
In etwa zeitgleich mit McCray beginnt auch ein junger Paketbote in New York City sein Pseudonym "Taki 183" – ein Spitzname, welchen er seit seiner Kindheit trägt, kombiniert mit der Postleitzahl seines Wohnorts – an die Häuserwände seiner Botenroute zu schreiben und so sein Revier zu markieren. Auch er will Aufmerksamkeit mit seinen Werken erregen. Ähnlich wie bei CORNBREAD entsteht mit dem Mysterium um die Person hinter den Kritzeleien ein gewisses Medieninteresse. Schließlich berichtet die New York Times im Jahr 1971 über den damals 17-jährigen Taki und seine Kunst, woraufhin immer mehr Menschen in New York – besonders in den Armenvierteln – beginnen, ihre Namen gefolgt von einer Zahl an Häuserfassaden zu schreiben. Durch die plötzlich aufkommende Konkurrenz versuchen die ersten Writer:innen, welche durch CORNBREAD und Taki 183 inspiriert sind, einander immer weiter zu übertreffen und ihre Werke auffälliger und aufwendiger zu gestalten. Sowohl CORNBREAD als auch Taki 183 können ihren Namen in den gesamten Vereinigten Staaten also als zwei völlige Nobodys bekannt machen, indem sie ihn einfach an Wände schreiben. Damit sind die beiden Vorbilder für unzählige Writer:innen, welche noch folgen sollen.
Als sich dann im Jahr 1973 die HipHop-Kultur in den Ghettos von New York bildet, ist es naheliegend, dass Graffiti ein Teil ebendieser wird. Die vier Säulen von HipHop – Breaking, MCing, Writing und DJing – werden im selben Umfeld ausgeübt oder entstehen sogar dort. Writing ermöglicht es den meist unter prekären Umständen aufwachsenden Jugendlichen, wenigstens Ruhm und Anerkennung auf der Straße zu gewinnen. Auch war es immer schon ein Ausdruck des Wunsches, trotz fehlender Möglichkeiten sein Umfeld mitzugestalten. Allerdings wird Graffiti von staatlicher Seite als reine Sachbeschädigung angesehen, was das Ansehen der Writer:innen in der breiten Masse schmälert.
Der Wegbereiter von HipHop in der Kunstwelt
Dieses Schmuddel-Image soll allerdings bereits gegen Ende der 70er Jahre erstmals aufbrechen. Dafür ist insbesondere Frederick Brathwaite verantwortlich. Dieser wurde am 31. August 1959 in New York geboren. Frederick war in seiner Jugend an Musik, Film und vor allem Kunst interessiert. So malte er bereits im frühen Teenageralter erste Werke auf Leinwand und Papier und hegte eine große Leidenschaft für zeitgenössische Kunst. Im Jahr 1978 lernt er die Graffiti-Legende Lee Quiñones alias LEE kennen und schließt sich dessen Crew "The Fabulous 5ive" an. In der Crew erhält er auch seinen Spitznamen Fab 5 Freddy. Zwei Jahre später malt er dann, gemeinsam mit LEE, sein vielleicht bekanntestes Piece: ein Wholecar mit dem Titel "Campbell's Soup Car". Über einen ganzen Zugwaggon hinweg malt er in Anlehnung an Andy Warhols "Campbells's Soup" Dosen. Diese sind ein bekanntes Motiv des Pop-Art Pioniers. Freddy und LEE versuchen mit dieser Referenz, die beiden Kunstformen auf eine Stufe zu heben. "It was very approachable, and connecting with what Warhol had done – the way he approached popular culture, working in different mediums as well – it just fit what I thought this movement could be and the connections I saw could help bring it into the future", kommentiert Freddy seine Inspiration in einem Interview mit ARTnews.
LEE und Fab 5 Freddy schaffen es im Jahr 1979 sogar, Graffiti als gerahmte Kunst in der La Medusa-Galerie in Rom auszustellen. Das ist das erste Mal, dass Graffiti in Europa ausgestellt – oder überhaupt als bildende Kunst gezeigt und angesehen wird. Dadurch bekommt Writing zum ersten Mal Aufmerksamkeit aus der Kunstwelt. Fab 5 Freddy sagt dazu: "I think it's time everyone realized graffiti is the purest form of New York art. What else has evolved from the streets? […] As you can see, we've obviously been influenced by Warhol, Crumb, and Lichtenstein." Es folgen zahlreiche Ausstellungen innerhalb von New York. Darüber hinaus arbeitet er mit Afrika Bambaata – einem der Urväter von HipHop – zusammen an Musik. 1981 wird Freddy dann durch die Zeile "Fab 5 Freddy told me everybody's fly" auf dem Song "Rapture" von Blondie – einem der ersten Nummer-eins-Rap-Hits – endgültig zu einer Berühmtheit. Er gewinnt über die HipHop-Szene hinaus Ansehen in der Pop- und Kunstwelt von New York und wird sogar regelmäßiger Gast in diversen TV-Shows.
Im Jahr 1982 ist Freddy dann Ideengeber, Schauspieler und musikalischer Direktor für den Graffiti-Film "Wild Style!", welcher ein internationaler Erfolgsschlager wird. Im gleichen Jahr begleitet der Künstler die Rocksteady-Crew – bestehend aus Musiker:innen wie Afrika Bambaataa, Sprüher:innen wie Phase 2 und diversen DJs – auf der "Roxy Tour", der ersten HipHop-Welttournee. Somit ist Fab 5 Freddy maßgeblich an der internationalen Verbreitung von Graffiti beteiligt. Im Jahr 1988 wird er schließlich zum Moderator von "Yo! MTV Raps" und damit endgültig weltweit zu einer Galionsfigur der HipHop-Kultur. Darüber hinaus ist er als Berater und Kurator für diverse Künstler:innen tätig und verbindet so die Welten von Graffiti und der Kunst, die zuvor überwiegend von wohlhabenden Weißen bestimmt wird.
Eine Karriere vom Writing zur Kunstelite
Eine weitere Person, die schon früh die Verbindung zwischen bildender Kunst und HipHop knüpft, ist Jean-Michel Basquiat. Dieser wurde 1960 in Brooklyn geboren und besuchte bereits im Kindesalter mit seiner Mutter die Kunstmuseen von New York. In seinem Elternhaus wurde stets auf gute Bildung geachtet, sodass er während seiner Jugend Schüler an mehreren Privatschulen war. Dennoch riss er immer wieder von zu Hause aus und stellte allerlei Unfug an. Schließlich wechselte Basquiat 1977 an die "City-As-School" für begabte Kinder mit Integrationsschwierigkeiten. Dort lernte er den Writer Al Diaz kennen, freundete sich mit diesem an und begann, sich ebenfalls künstlerisch zu betätigen. Die beiden Jugendlichen erfanden den fiktiven Charakter "SAMO©" – eine Kurzform von "Same old Shit". So begannen sie 1978 damit, mit Markern ironische und kryptische, sozialkritische Botschaften wie "SAMO© AS AN ALTERNATIVE TO PLASTIC FOOD STANDS" zu schreiben. Es folgte – ähnlich wie bei CORNBREAD und Taki 183 – ein mediales Rätselraten um die Urheber der Kritzeleien.
Noch im selben Jahr verkauften die beiden ihre Geschichte an das "Village Voice"-Magazin für gerade einmal 100 Dollar und veröffentlichten damit ihre Identitäten. Daraufhin ging Basquiat seinen eigenen Weg und nannte sich selbst SAMO. Er konnte einige Kontakte in die Kunstszene knüpfen und in TV-Shows auftreten. Finanzieller Erfolg blieb jedoch vorerst aus. Basquiat brach die Schule ab und zog bei Freunden ein. In dieser Zeit schlug er sich mit dem Verkauf bedruckter T-Shirts durch. Um 1980 machte er auch Bekanntschaft mit Fab 5 Freddy, zwischen den beiden entwickelte sich eine enge Freundschaft. Ein Jahr später lernte er dann die Galeristin Annina Nosei kennen, die ihm den Keller ihrer Galerie als Atelier zur Verfügung stellte und ihn bei Sammlern bekannt machte. Im darauffolgenden Jahr konnte er seine Werke bei der "documenta VII" in Kassel ausstellen und ist mit 21 Jahren bis heute der jüngste Teilnehmer der renommierten Ausstellungsreihe. Darauf folgte eine kometenhafte Karriere hin zu einem der bekanntesten Künstler der Welt und Sparringspartner von Andy Warhol. Basquiat starb bedauerlicherweise im Jahr 1988 an einer Heroinüberdosis. Er ist der erste Schwarze Künstler, der in der weitestgehend weißen Kunstwelt einen solch großen Respekt genießt und sie mit seinem unorthodoxen Stil auf den Kopf stellt.
Somit zeigt sich schon früh in der HipHop-Geschichte – über das Element des Writings – eine enge Verbindung zur bildenden Kunst. Doch trotz dieser Verbindung und dem ihnen entgegengebrachten Respekt gelten Schwarze wie Freddy und Basquiat in der Kunstszene immer als Exoten, die sich kaum von ihren Wurzeln in der Straßenkunst emanzipieren können. So müssen sie sich stets gegen Rassismus in der von weißen Bildungsbürgern beherrschten Kunstbranche durchsetzen. Beispielsweise wurde Basquiat, auf der Höhe seines Schaffens, bloß als Maskottchen von Andy Warhol bezeichnet.
Graffiti als Zugang zur bildenden Kunst
In den frühen 90er Jahren sind die goldenen Jahre von HipHop und damit auch von Graffiti bereits angebrochen. Genau während dieser Zeit zieht ein junger Mann namens Brian Donnelly mit seiner Familie von New Jersey nach New York. Donnelly ist fasziniert von den bunten Bildern an den Häuserfassaden in New York und beginnt schnell, selbst die Dose in die Hand zu nehmen. Er erfindet für sich den Tag "KAWS", der rein auf der Ästhetik der Buchstaben basiert und keine tiefere Bedeutung hat. Er sprüht die vier Buchstaben sogar auf das Dach eines seiner Schule nahe gelegenen Gebäudes, um sie während des Unterrichts sehen zu können. Da Kunst und Design seine große Leidenschaft sind, besucht er von 1993 bis 1996 die School of Visual Arts in New York und erlangt den "Bachelor of Fine Arts". Nach seinem Abschluss arbeitet er als Visual Artist für große Firmen wie Disney. Trotz seiner Tätigkeit hört er nicht auf, illegal zu sprühen, und beginnt darüber hinaus, eigene Skulpturen zu kreieren. Im Jahr 1999 bringt er, gemeinsam mit einem japanischen Spielzeughersteller, die Micky Maus-ähnlichen "Companion"-Figuren auf den Markt, die große Bekanntheit erlangen und heute für Preise von etwa 400.000 Euro gehandelt werden. Im selben Jahr beginnt KAWS damit, seine Malereien und Figuren dauerhaft bei "Colette" in Paris – einem High Fashion-Streetwear-Shop – auszustellen und zu verkaufen und schafft sich damit einen Platz im Olymp der zeitgenössischen Kunst.
Durch die bunten Plastikfiguren als Markenzeichen wird er jedoch von manchen Teilen der Kunstszene nicht als echter Künstler angesehen. Auch wird er wegen seiner Arbeit mit Fashion Brands oft eher als Designer wahrgenommen. Dennoch bricht er die Grenzen zwischen Kunst und Kommerz auf, was in den 90er und frühen 2000er Jahren auch im HipHop im großen Maßstab stattfindet.
Die Geschichte von KAWS zeigt, dass Graffiti Jugendlichen einen Zugang zu bildender Kunst und Design ermöglichen kann. Die Pieces an den Fassaden und in den U-Bahnen kann jede:r sehen und auch selbst kreieren, unabhängig von Herkunft oder Bildungsstand. Auch beweist er, dass aus dem Ruhm auf der Straße ein echter Beruf werden kann.
Kunst als Plattencover
Über die Jahre bleibt die Verbindung zwischen HipHop und Kunstwelt nach wie vor bestehen. In den frühen 2000er Jahren werden viele von Basquiats Werken bei Ausstellungen gezeigt, die einen direkten thematischen Bezug zu HipHop haben. Auch KAWS kann in dieser Zeit durch eine Zusammenarbeit mit Nigo – dem Gründer der japanischen Modemarke "A Bathing Ape" – auf sich aufmerksam machen. Letzterer ist durch seine Clothing Line bestens in der HipHop-Szene vernetzt und lenkt die Aufmerksamkeit einiger Rapper:innen auf den ehemaligen Sprüher. So entsteht unter anderem eine Verbindung zwischen diesem und Kanye West. Im Jahr 2008 entwirft KAWS schließlich das Albumcover zu Kanyes gefeiertem Album "808s and Heartbreaks".
Insgesamt scheint Kanye ein Faible für zeitgenössische Kunst zu haben. Dies ist nicht weiter verwunderlich, wenn man bedenkt, dass er bereits mit 17 Jahren eigene Werke mit dem Pinsel gemalt hat und sogar ein Stipendium für die American Academy of Art in Chicago bekam. So wird auch das Cover zu "Graduation" im Jahr 2007 von Takashi Murakami entworfen. Der Künstler und Designer wird oft als "der japanische Warhol" betitelt. Auch die darauffolgenden Projekte von Kanye werden immer von zeitgenössischen Künstler:innen visuell gestaltet. Für das Kollabo-Album "Watch The Throne" mit Jay-Z aus dem Jahr 2011 übernimmt diese Rolle Virgil Abloh und erhält dafür sogar eine Grammy-Nominierung. Abloh ist besonders durch die von ihm designte Mode bekannt, unter anderem für das Designhaus Louis Vuitton oder seine eigene Modemarke "OFF WHITE". Sein minimalistischer Stil beeinflusst die gesamte Welt der visuellen Gestaltung. Er verstirbt am 28. November 2021 im Alter von nur 41 Jahren. Kurz nach seinem Ableben titelt das Observer-Magazin: "Before He Died, Off-White Founder Virgil Abloh Changed Contemporary Art".
Sowohl Abloh als auch KAWS haben auf ihr eigene Art und Weise einen HipHop-Background oder zumindest eine starke Verbindung zur Szene. Auch haben beide ein extrem wichtiges Merkmal von HipHop in ihre Kunst und ihre Designs übernommen: das Sampling. Wie bereits erwähnt ist das bekannteste Werk von KAWS eine Figur, die stark an Micky Mouse erinnert, und auch sonst bedient er sich gern an Comic-Vorlagen wie den Schlümpfen oder den Simpsons. Abloh hingegen hat zu Beginn seiner Karriere "Ralph Lauren"-Hemden verkauft, auf die er das Logo seiner damaligen Marke "Pyrex Vision" gedruckt und damit seinen Durchbruch als Designer geschafft hat. Beide haben bereits Vorhandenes genommen, es verändert oder in einen neuen Zusammenhang gebracht – ebenso wie es beim Sampling geschieht. So zeigt sich, dass bildende Kunst und die HipHop-Kultur nicht nur eng miteinander verbunden sind, sondern sich sogar gegenseitig beeinflussen.
HipHop-Ikonen in der Kunstszene
Ein weiterer Kunstliebhaber in der HipHop-Szene ist Jay-Z. Auf seinem Song "Ain't I" rappt er bereits im Jahr 2008: "I got Warhols on my hall's wall. I got Basquiats in the lobby of my spot." Mit der Zeit werden ebendiese Lines von Jigga zur Wirklichkeit. So ist er mittlerweile Besitzer des Gemäldes "Mecca" von Jean-Michel Basquiat – einem der ikonischsten Werke des Malers. Laut dem Forbes Magazine soll Jay-Zs gesamte Kunstsammlung 70 Millionen Dollar wert sein. Auch gründet er das Unternehmen "ArtLive", das jungen Künstler:innen eine Plattform und einen Weg in die Kunstindustrie bietet.
Unter den Rap-Mogulen gibt es weitere ernst zu nehmende Kunstsammler, die durchaus Einfluss auf den Markt nehmen können. So ersteigert Sean Combs alias P. Diddy im Jahr 2018 etwa das Gemälde "Past Times" von Kerry James Marshall für satte 21 Millionen Dollar. Damit ist es das teuerste von einem Schwarzen Künstler gemalte Werk, das jemals verkauft wurde.
In den letzten Jahren hält ganz besonders ein Rapper die "Fine Art"-Fahne hoch: Westside Gunn aus Buffalo. Seit Beginn seiner Karriere pflegt das Griselda Records-Member neben der Musik eine enge Beziehung zur visuellen Kunst. Sein im Jahr 2019 erschienenes Album "Pray for Paris" – das ihm seinen internationalen Durchbruch beschert – beginnt mit einem Skit, das den Titel "400 Million Plus Tax" trägt. Hier ist eine Tonaufnahme der Versteigerung von Leonardo DaVincis "Salvator Mundi", des teuersten Gemäldes der Welt, zu hören. Das Cover von "Pray for Paris" wird außerdem von Virgil Abloh designt. Hierzu bedient er sich am Gemälde "David mit dem Haupt des Goliath" von Michelangelo Merisi da Caravaggio und legt David dabei die charakteristischen Ketten von Westside Gunn an. Auch hier zeigt sich wieder, wie sehr die Grenzen zwischen Design und dem allgemeingültigen Kunstbegriff verschwimmen. Ganz besonders schlägt sich das im Merchandise von Griselda Records nieder. So verrät Westside Gunn in einem Interview: "I commission a dope artist and have them do the original painting, and then I turn that into merchandise. […] Now you have your fashion lovers and your art lovers. It's killing a lot of birds with one stone." Im Laufe der Zeit arbeitet er mit verschiedenen Künstler:innen zusammen. Diese schmücken mit ihren Gemälden dann Plattencover und Kleidung, die danach häufig von Westside Gunn persönlich veredelt werden.
Dass Rapper:innen sich von der bildenden Kunst angezogen fühlen, ist nicht weiter verwunderlich, wenn man bedenkt, dass visuelle Elemente schon immer eine wichtige Rolle in der Selbstdarstellung und Identitätsbildung von Rapper:innen spielen. Darüber hinaus ist der Besitz von Kunst oder gar das Schaffen von eigener Hochkunst der ultimative Beweis für den sozialen Aufstieg.
Herausforderungen und Missverständnisse: Die Wahrnehmung von HipHop als Kunstform
Die Geschichte des Zusammenspiels von Kunst und HipHop reicht also zurück bis in die Anfänge der HipHop-Kultur in den 70er Jahren. Insbesondere Writer:innen, die ihre Werke auf den Straßen hinterließen, waren maßgeblich daran beteiligt, die Verbindung zwischen bildender Kunst und HipHop zu knüpfen. Das Writing diente als Sprachrohr für die noch junge Kultur und wurde zu einer Form des künstlerischen Ausdrucks. Im Laufe der Zeit wurde die Verbindung von bildender Kunst und HipHop intensiver, einhergehend mit einer gesteigerten Wahrnehmung als kreative und politische Kunstform. Rap-Musiker:innen begannen dazu noch, die visuelle Kunst als Ausdrucksmittel in ihren Albumcovern, Musikvideos und Bühnenshows zu nutzen. Gleichzeitig öffneten sich die Kunstwelt und etablierte Institutionen zunehmend für die Einflüsse der HipHop-Kultur. Künstler:innen wie Jean-Michel Basquiat stiegen aus der Graffiti-Szene auf und erlangten internationale Bekanntheit.
Trotz der großen Reichweite und des Einflusses von HipHop gab es immer Missverständnisse über seinen Status als Kunstform. Die meisten Medien nahmen HipHop oft als rebellische Subkultur mit negativen Inhalten wahr und ignorierten dabei den politischen und kulturellen Aspekt der Kunst. Nichtsdestotrotz wurde die Verbindung von Kunstwelt und HipHop-Kultur zu einer wechselseitigen Inspirationsquelle. Rapper:innen finden ihre Inspiration in der Kunst und integrieren diese weiter in ihre Texte und Performances. Beispiele dafür sind die unzähligen Querverweise von Writer:innen und Rapper:innen zu bekannten Künstler:innen, die zeigen, wie Graffiti und Rap die Welt der etablierten Kunst herausfordern.
Die Verbindung von Kunst und HipHop hat dazu geführt, dass HipHop-Künstler:innen zunehmend in die etablierten Kunstgalerien und Museen eingeladen werden. Ausstellungen und Veranstaltungen, die von HipHop inspirierte Kunst präsentieren, erfreuen sich mittlerweile großer Beliebtheit. Die Kunstwelt erkennt den kulturellen und künstlerischen Wert von HipHop immer mehr an und würdigt seine Beiträge zur modernen Kunst. Aus diesem Grund finden während des gesamten Jahres Kunstausstellungen, die Bezug auf HipHop nehmen, auf dem gesamten Globus statt.
Die beiden Welten interagieren und beeinflussen sich gegenseitig, was zu einer bedeutsamen Dynamik führt. Die wechselseitige Inspiration hat dazu geführt, dass HipHop und bildende Kunst heute stark miteinander verbunden sind und einander bereichern. Die Geschichte dieser Verbindung ist geprägt von Kreativität, Rebellion und dem Aufbrechen etablierter Normen – Merkmale, die sowohl der HipHop-Kultur als auch der bildenden Kunst zugeschrieben werden.
(Nico Maturo)
(Grafik von Daniel Fersch)