Die Veranstaltungsbranche hat sich in den letzten Jahren – nicht nur im Zuge der Pandemie – verändert. Die Kluft zwischen Profit und Verlust vergrößert sich immer weiter – und längst nicht alle Parteien, von Künstler:innen über Veranstalter:innen bis hin zu Fans und Ticketanbietern, zählen dabei zu den Gewinnern. Aus HipHop-historischer Sicht sorgt das für ein mulmiges Gefühl. Die einstige Mitmach-Kultur, die für Demokratisierung und Inklusion von Menschen aller sozialen Milieus stand, wird Teil eines Markts, der ebendiese Werte zunehmend mit Füßen tritt. Während Auftrittschancen für kleinere Künstler:innen verstärkt schwinden, wissen viele Fans nicht, wie sie sich die steigenden Ticketpreise leisten sollen. Doch wie kommen diese überhaupt zustande, wer ist für den Vertrieb von Tickets verantwortlich und ist das vielleicht bereits problematisch für die Veranstaltungsbranche in Deutschland?
Konzerttickets und ihre Anbieter
Seit Mitte 2022 wird der Konzert-Markt mit Möglichkeiten überflutet. Dieser Zustand kommt nicht von ungefähr, sondern wurde primär durch die Pandemie und die daraus resultierenden Veranstaltungsbeschränkungen seit Anfang 2020 geprägt. Neben den Touren und Konzerten, die bereits bis zu viermal verschoben und zwischen 2022 und 2023 nachgeholt wurden, treten nun auch die Newcomer:innen der letzten drei Jahre erstmalig auf. So finden immer mehr Konzerte zeitgleich in einer Stadt statt – das ist zwar kein gänzlich neues Phänomen, auffällig ist allerdings, dass Künstler:innen immer seltener verfügbare Locations für Touren und Konzerte finden, weil aktuell fast alle auf der Suche nach Auftrittsmöglichkeiten sind. Eine Ursache dafür ist unter anderem, dass einige Locations während der Pandemie schließen mussten und dementsprechend nicht mehr verfügbar sind. Erst jüngst erläuterte etwa Amewu, dass er für seine Tour im Oktober leider keinen Veranstaltungsort in München finden konnte.
Auffällig ist bei den neuen Touren zudem eines: der Ticketpreis. Dieser ist innerhalb der letzten Jahre deutlich gestiegen. Viele Ticketkäufer:innen werfen insbesondere den Künstler:innen vor, für diese Preissteigerung verantwortlich zu sein. Dass diese in vielen Fällen nur bedingt die Verursachenden der höheren Ticketpreise sind, wird dabei schnell vergessen und übersehen. Tatsächlich ist es die Konsequenz mehrerer Faktoren, die nur schwer zu überblicken sind. Eine tragende Rolle spielen in jedem Fall diejenigen Ticketanbieter, die seit jeher den Markt dominieren und diese Machtposition immer mehr nutzen. Die mit Abstand größten Anbieter in Deutschland sind derzeit die CTS Eventim AG & Co. KGaA und Live Nation Entertainment. Diese Konzerne betreiben Ticket-Portale wie eventim.de oder Ticketmaster. Beide stehen aus diversen Gründen in der Kritik, darunter der permanente Vorwurf, dass die beiden Marken ihre Marktmacht missbrauchten. Aus diesem Grund wurden bereits zwischen 2012 und 2014 mehrfach Verfahren des Bundeskartellamts gegen CTS Eventim eingeleitet. Auch 2022 erregte der Ticketing-Riese Aufsehen, weil für abgesagte Veranstaltungen zwar die Ticketpreise erstattet wurden, nicht jedoch die grundsätzlich anfallenden Bearbeitungsgebühren.
Doch die Firmen sind längst nicht nur im Geschäftsfeld des Ticketverkaufs aktiv. Besonders deutlich ist dies bei dem Konzern zu beobachten, der sich hinter Ticketmaster verbirgt. 2010 fusionierten Live Nation und Ticketmaster Entertainment zur oben genannten Dachorganisation. Seitdem sitzen zwei der weltweit größten Ticket- und Veranstaltungsfirmen unter dem Dach eines Medienunternehmens. Live Nation ist zum Beispiel mehrheitlicher Anteilseigner an der Academy Music Group, dem führenden Konzerthallenbetreiber in Großbritannien. Seit 2017 gilt das auch für das Openair Frauenfeld, das größte HipHop-Festival Europas. Auch einige Künstler:innen sind direkter Teil des Veranstalters, wie zum Beispiel Rap-Urgestein Jay-Z. 2017 verlängerte der Rapper seinen seit 2008 existierenden Vertrag mit Live Nation um zehn Jahre, was ihm nun noch mal rund 200 Millionen US-Dollar einbrachte.
Bezüglich des Rappers bedeutet das vor allem eins: Es gibt für Konzertbesucher:innen, die Jigga live sehen wollen, quasi keine Möglichkeit, an Live Nation vorbeizukommen. Der Konzern ist aktuell an der Auswahl der einzelnen Konzertlocations, der Festlegung der Ticketpreise und deren Verkauf direkt beteiligt. Im Fall von Jay-Z-Konzerten führt dies zu einer Marktmacht, die durchaus an eine Monopolstellung erinnert. Normalerweise werden die Auswahl der Location und der Ticketverkauf von verschiedenen Akteur:innen übernommen, was hier und bei immer mehr Konzerten und Veranstaltungen nicht mehr der Fall ist. Ähnlich sieht es auch bei Eventim aus. Aus diesem Grund befindet sich das Unternehmen immer wieder unter Beobachtung des Verbraucherschutzes und Kartellamtes. Unter anderem besitzt CTS Eventim Anteile an Rock am Ring und dem Veranstaltungsunternehmen FKP Scorpio, das etwa das Deichbrand- und das Hurricane-Festival ausrichtet. Auch an der Konzertagentur All Artist Agency, zu der zum Beispiel Edo Saiya und Peter Fox gehören, besitzt Eventim Rechte. Ebenfalls ist die Argo Konzerte GmbH, die für Touren von Sido und Apache207 verantwortlich ist, Teil des riesigen Portfolios von Eventim. Seit 2009 gehört die Waldbühne Berlin zur CTS Eventim AG & Co. KGaA und der Konzern hat 2012 auch die Betreibergesellschaft der LANXESS Arena in Köln übernommen. Damit stehen, teilweise direkt, etliche Veranstalter, Veranstaltungsorte und Künstler:innen in Deutschland in Verbindung mit CTS Eventim, was die monopolartige Stellung des Unternehmens unterstreicht. Die potenziellen Konkurrent:innen auf den verschiedenen Ebenen haben es so nicht gerade leicht, in den zugehörigen Bereichen Fuß zu fassen.
Die durchaus komplexen Zusammenhänge und Strukturen sind kaum zu überblicken und befinden sich zudem in einem permanenten Wandel. Für die Konsument:innen sind zumeist nur Ticketpreis und -varianten mit scheinbaren Vorteilen entscheidend – und diese fallen bei den genannten Unternehmen zunehmend extremer aus. Die Ticketportale nutzen schon seit einigen Jahren die nachfrageorientierte Preisgestaltung. Die Nachfrage ist bekanntermaßen nach der Pandemie noch einmal stark gestiegen. Kaum jemand möchte nach der langen Veranstaltungspause auf Konzerte und Co. verzichten. Das Ergebnis sind Tickets für Stadionkonzerte in den USA, bei welchen Ticketmaster teilweise Karten anbietet, die mehrere tausend Euro kosten. Ein konkretes Konzept zur Preisgestaltung, das sogenannte "Dynamic Pricing", wurde ironischerweise von Live Nation beziehungsweise der ausführenden Tochterfirma Ticketmaster erfunden. Durch Echtzeitanalysen von Algorithmen wird die Nachfrage der Nutzer:innen des Ticketportals für bestimmte Konzerte ermittelt, durch welche dann die Preise entsprechend angepasst werden. Die Nachfrageermittlung und dementsprechende Preisgestaltung ist dabei jedoch zu keinem Zeitpunkt für Konsument:innen transparent und es wird gerade deshalb auch immer wieder vermutet, dass die Plattformen sowohl die Nachfrage als auch die Preise künstlich in die Höhe treiben. Während zumindest Eventim auf den Einsatz eines solchen Systems in Deutschland verzichtet, äußerte sich Ticketmaster auf eine Nachfrage von Deutschlandfunk Nova vage. Laut dem Konzern ist das Konzept bereits seit 2018 im deutschen Markt gängig und international generell für Tickethändler üblich.
Dass diese Preisgestaltung nicht gerade inklusiv ist und somit viele finanziell schwächer aufgestellte Personen systematisch ausschließt, zeigt sich auch an den günstigsten Tickets für Stadionkonzerte, die häufig über 100 Euro kosten. I-Tüpfelchen dieses gezündeten Kapitalismus-Turbos ist das zunehmende Anpreisen und Verkaufen sogenannter Exclusive-Tickets: scheinbar endlose Auswahlmöglichkeiten an Ticket-Optionen, die mit schönfärbenden Adjektiven versehen werden, hinter denen augenscheinlich meist kein Mehrwert steckt. Neben eher klassischen VIP-Tickets, bei denen zum Beispiel ein kurzes Meet and Greet mit den Künstler:innen möglich ist, sind die Tickets zumeist anhand der Nähe zur Bühne kategorisiert und bepreist. Hierzu gesellen sich aber auch immer häufiger "Early Entry"-Tickets und solche mit exklusivem Merch. Wer sich zum Beispiel ein Ticket für die aktuelle Beyoncé-Tour kaufen möchte, kann sich mittlerweile durch den Dschungel von über zehn Ticketvarianten schlagen, die selbstverständlich alle "VIP", "Gold", "Premium" oder zumindest "Silver" sind.
Der CEO von Live Nation, Michael Rapino, ermutigt Künstler:innen dazu, die Ticketgestaltung wie oben beschrieben vorzunehmen. Sie sollen unter anderem versuchen, die Plätze in den ersten Reihen bestmöglich zu monetarisieren. Dieses Konzept kommunizieren die Geschäftsführungen der Großkonzerne zum Teil sogar öffentlich, schließlich werden auch die komplett überteuerten Tickets trotzdem weiterhin bestens verkauft. Und hier kommt die Monopolstellung von Unternehmen wie Live Nation und CTS Eventim ins Spiel, die eben nicht nur als Vermittler der Tickets fungieren, sondern auch meistens selbst zu den Veranstaltern und Booking-Unternehmen gehören. Besonders bitter: Speziell größere Musikacts haben bei der Preisgestaltung ein Mitspracherecht und müssen den Ideen und Preisen der Ticketing-Firmen vertraglich zustimmen. Beyoncé und die meisten anderen Weltstars scheinen die immensen Preise für ihre Touren nicht weiter zu stören, schließlich verdient man selbst ja auch daran. Während Fans sich immer wieder über die enormen Ticketpreise echauffieren, gibt es von den internationalen Popstars zumeist keinerlei Echo hinsichtlich der Preisgestaltung für ihre Konzerte. Stattdessen mobilisieren sich die Fans selbst: So überlegen unter anderem Beyoncé-Fans aus den USA, Tickets für die aktuelle Europa-Tournee zu kaufen, da diese wesentlich günstiger und verfügbar sind.
Zwischen Welttourneen und Kellerkonzerten
Von den steigenden Ticketpreisen sind allerdings längst nicht nur Konzerte von Weltstars betroffen, die in riesigen Stadien auftreten. Die Preissteigerungen durchziehen die gesamte Veranstaltungsbranche bis hin zu den ganz kleinen Gigs hiesiger Untergrund-Rapper:innen. Verantwortlich sind speziell bei kleineren Veranstaltungen nicht nur die angesprochenen Veranstaltungsriesen, sondern auch die dauerhaften Absagen von Veranstaltungen, die – speziell während der Pandemie – gebündelt zu einer echten Bedrohung für viele Menschen im Veranstaltungsbereich wurden.
Clubs und Locations mussten insbesondere zu Beginn der Pandemie einen großen Einnahmeeinbruch kompensieren beziehungsweise überbrücken. Durch die fehlenden Events und Konzerte konnte letztlich kein Geld eingenommen werden. Parallel mussten die Veranstaltungsorte jedoch weiterhin Miet- und Heizkosten bezahlen – Ausgaben, für die längst nicht alle Betreiber:innen die nötigen finanziellen Rücklagen hatten. Zudem mussten auch viele Mitarbeitende um ihre Jobs bangen oder konnten diesen nur noch mit stark verkürzten Arbeitszeiten nachgehen. Ähnlich sah es auch für die Arbeiternehmer:innen aus, welche nur indirekt mit dem alltäglichen Club-Geschäft zu tun haben. So entfielen unter anderem für Lieferant:innen oder Reinigungskräfte eine Vielzahl an möglichen Einnahmequellen.
In der gesamten Veranstaltungsbranche herrschen eher prekäre Arbeitsverhältnisse, gerade für Selbstständige oder Freiberufler:innen. Dadurch fehlt auch eine gewerkschaftliche Organisation im Veranstaltungsbereich, die in vielen anderen Arbeitsbereichen für eine gewisse finanzielle Sicherheit der Arbeitnehmer:innen sorgt. Auch die staatlichen Unterstützungshilfen während der Pandemie, wie zum Beispiel das Überbrückungsgeld, kamen relativ spät und waren nicht selten an Bedingungen und Rückzahlungen gekoppelt, die von vielen nicht erfüllt werden konnten. Nicht ohne Grund stellte der Rapper Galv 2021 die Frage "Wer rettet die Clubs?" und besuchte im Zuge einer Doku-Reise verschiedene Locations und die Menschen, die dahinterstehen. Auch hier wird deutlich, dass viele Veranstaltungsorte um ihre Existenz kämpfen müssen und einige diesen Kampf leider verloren haben.
Die überwiegend prekären Arbeitsverhältnisse in der Veranstaltungsbranche sind jedoch keine Folge der Pandemie, sondern ein Zustand, der bereits seit Jahrzehnten anhält. Erst jüngst hatten wir die Veranstaltungsleitung bei Polarkonzerte, Anna Fröhlich, und den Geschäftsführer des Skater's Palace in Münster, Steffen Krüger, im Interview – sie veranschaulichten uns ihre Perspektive auf die aktuelle Situation des Konzertmarkts. Die Corona-Jahre verschärften diese Lage zusätzlich und führten zumindest kurzfristig zu einer gewissen Aufmerksamkeit für die Problematik. Politisch und arbeitsrechtlich fehlen jedoch weiterhin Lösungen, um die Arbeitsverhältnisse in der Veranstaltungsbranche langfristig zu verbessern. Konkretes Handeln war abermals nur bei Mitgliedern innerhalb der Kulturszene zu beobachten. So wird zum Beispiel versucht, teilweise Tickets wieder günstiger zu verkaufen, um dann beim Konzert mithilfe von Getränkeverkäufen Einnahmen zu generieren. Dieses Konzept geht jedoch häufig nicht auf. Denn die No-Show-Rate (Anm. d. Red.: Die No-Show-Rate beziffert die nicht erschienenen Personen in Abhängigkeit von der maximalen Teilnehmer:innenzahl) ist in den letzten Jahren deutlich angestiegen. Speziell seit der Pandemie ist es immer wieder vorgekommen, dass scheinbar ausverkaufte Konzerte nur vor einem halbvollen Club stattfinden, welcher dann natürlich keine großen Getränkeverkäufe verspricht.
Hier schließt sich der Kreis der ungünstigen Verstrickungen: Während sich viele Menschen gerne wieder Konzerte und Co. ansehen möchten, jedoch ein Überfluss an möglichen Veranstaltungen existiert, mitausgelöst durch die ewigen Verschiebungen im Zuge der Pandemie, müssen viele kleinere Konzerte und zum Teil auch ganze Touren aufgrund fehlender Vorverkäufe abgesagt werden. Parallel dazu ist aber auch das Publikum selbst durch die Inflation in seiner Kaufkraft stärker eingeschränkt. Kulturelle Veranstaltungen werden zum Teil zu Luxusgütern, die sich eben längst nicht jede Person leisten kann. Dadurch werden die Live-Konzerte für kleinere Acts und Veranstalter:innen zunehmend zu Null- oder sogar Minusgeschäften. Eine langfristig nicht tragbare Situation, die für Menschen aus der Veranstaltungsbranche und Künstler:innen das Aus bedeuten kann – oder sogar bereits bedeutet hat.
(Alec Weber)
(Grafik von Daniel Fersch)