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Kommentar

Die waren mal Stars: Heidelberger Rap wird Kulturerbe

Die HipHop-​Kultur in Hei­del­berg und ihre Ver­net­zung in Deutsch­land sind Teil des imma­te­ri­el­len Kul­tur­er­bes der UNESCO gewor­den. Was sagt das über die Sze­ne? Über Prei­se, die viel­leicht kein Grund zur Freu­de sind.

An die­ser Stel­le möch­ten wir Gedan­ken zu aktu­el­len Gescheh­nis­sen aus dem Deutschrap-​Kosmos zum Aus­druck brin­gen. Die jeweils dar­ge­stell­te Mei­nung ist die des:der Autor:in und ent­spricht nicht zwangs­läu­fig der der gesam­ten Redak­ti­on – den­noch möch­ten wir auch Ein­zel­stim­men Raum geben.

Im Fol­gen­den setzt sich unser Redak­teur Simon mit der Auf­nah­me der Hei­del­ber­ger HipHop-​Szene in das imma­te­ri­el­le Kul­tur­er­be der UNESCO auseinander.

 

Hei­del­berg hat es end­lich wie­der geschafft und sich auf die Kar­te set­zen las­sen. Die "Hei­del­ber­ger Hip-​Hop-​Kultur" ist offi­zi­ell imma­te­ri­el­les Kul­tur­er­be der UNESCO. Das Wir­ken von Torch, Advan­ced Che­mis­try und den Stie­ber Twins kann damit in einem Atem­zug mit "Kas­per­thea­ter als Spiel­prin­zip" und "Poet­ry Slam im deutsch­spra­chi­gen Raum" genannt wer­den. Erst mal herz­li­chen Glück­wunsch dazu. So rich­tig nach­voll­zieh­bar, dass aus­ge­rech­net Hei­del­berg die­se zwei­fel­haf­te Ehre zuteil­wird, wirkt das aber nicht auf den ers­ten Blick.

Fragt mal in eurem Freun­des­kreis rum. Nur die wenigs­ten wer­den erra­ten kön­nen, dass aus­ge­rech­net die Neckar­stadt für ihren Bei­trag zu Deutschrap aus­ge­zeich­net wur­de. Der ein oder ande­re lokal­pa­trio­tisch ein­ge­stell­te Fan dürf­te gera­de­zu erbost über die Wahl sein. War­um denn Hei­del­berg und nicht Ber­lin, Frank­furt oder Ham­burg? Alles Städ­te, deren Ein­fluss ins­ge­samt auf die deut­sche HipHop-​Szene zwei­fel­los grö­ßer war und vor allem Städ­te, die heu­te noch in die­sem Kon­text rele­vant sind. Nichts gegen Hei­del­berg, aber der letz­te Rap­per, der die Stadt über­re­gio­nal reprä­sen­tiert hat, ist der "Hei­del­ber­ger Löwe" Animus.

Aller­dings ist die­se Unzu­frie­den­heit über die Aus­zeich­nung aus zwei­er­lei Grün­den albern. Zum einen war die HipHop-​Szene der Stadt selbst­ver­ständ­lich Vor­rei­ter und stil­prä­gend für vie­le Ent­wick­lun­gen deutsch­land­weit. Als Hip­Hop im All­ge­mei­nen und Rap im Spe­zi­el­len über den gro­ßen Teich schwapp­te, war der ers­te frucht­ba­re Boden dort, wo es ame­ri­ka­ni­sche Mili­tär­ba­sen gab. Hei­del­berg hat­te also eben­so wie Frank­furt einen kla­ren Stand­ort­vor­teil und kam früh mit der Kul­tur in Berüh­rung. Cora E. war die ers­te gro­ße Fema­le MC, Advan­ced Che­mis­try haben Con­scious Rap auf Deutsch erfun­den und wenn man sich ein biss­chen Mühe gibt, lässt sich ein Bogen vom dia­lek­ti­schen Rap auf "Fens­ter zum Hof" zu Musik von Celo, Abdi und Haft­be­fehl schla­gen. Cur­se, Freun­des­kreis, MC Rene und in Abstri­chen auch Azad und Samy Delu­xe hät­te es ohne Hei­del­ber­ger Rap nicht in der Form gegeben.

Zum ande­ren ist die Aus­zeich­nung auch wirk­lich kein Grund zur Freu­de für alle, die es mit Hei­del­ber­ger Hip­Hop hal­ten. Wenn man mal durch die UNESCO-​Liste scrollt, fin­den sich fast aus­schließ­lich Gebräu­che und Fei­ern, die vom Aus­ster­ben bedroht sind und kei­nen mehr inter­es­sie­ren. Nie­der­deut­sches Thea­ter, säch­si­sche Kna­ben­chö­re, die Volks­tanz­be­we­gung. Das klingt alles ver­staubt, ana­chro­nis­tisch und mag viel­leicht gro­ße Kunst sein, aber lie­fert defi­ni­tiv kei­ne neu­en (pop-)kulturellen Impul­se in irgend­ei­ne Rich­tung. Dass sich Torch und Toni L als offi­zi­el­le Stadt­re­prä­sen­tan­ten da ein­rei­hen, zeigt nur, dass das Schaf­fen ins­be­son­de­re die­ser Men­schen ver­gan­gen ist und ledig­lich als Folk­lo­re her­hal­ten kann. Wenn Hip­Hop unzu­frie­den, sub­ver­siv, avant­gar­dis­tisch, eigen­stän­dig und rebel­lisch sein möch­te, dann ist die­se Aus­zeich­nung der Gegen­ent­wurf dazu. Kul­tur­er­be bedeu­tet ein­ver­stan­den sein mit der Bewer­tung durch irgend­wel­che gut­bür­ger­li­chen Gre­mi­en, hand­zahm genug für einen brei­ten poli­ti­schen Kon­sens und Kon­ser­va­ti­vis­mus von ver­gan­ge­nem Glanz anstatt Ein­rei­ßen von alten Denkmälern.

Bei die­ser Lis­ten­auf­nah­me hat sich eine Stadt, die auch ger­ne Schil­der mit "Kul­tur­er­be" auf­stel­len will, zusam­men­ge­fun­den mit zwei Rap­pern, die jede Mög­lich­keit wahr­neh­men, ver­gan­ge­ne Erfol­ge auf­le­ben und zele­brie­ren zu las­sen. Her­aus­ge­kom­men ist eine Aus­zeich­nung, die – wür­de sie stell­ver­tre­tend für die gesam­te Sze­ne ste­hen – eher Anlass zur Sor­ge denn zu Zuver­sicht bie­ten würde.

(Simon Back)
(Gra­fik von Dani­el Fersch)