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Kommentar

Quo Vadis, Hafti Abi?

In den letz­ten Mona­ten gibt es immer wie­der nega­ti­ve Schlag­zei­len in Ver­bin­dung mit Haft­be­fehl. Der Offen­ba­cher scheint sich selbst aus­er­zählt zu haben. Wor­an liegt das? Über die Schat­ten der gro­ßen Erfolge.

An die­ser Stel­le möch­ten wir Gedan­ken zu aktu­el­len Gescheh­nis­sen aus dem Deutschrap-​Kosmos zum Aus­druck brin­gen. Die jeweils dar­ge­stell­te Mei­nung ist die des:der Autor:in und ent­spricht nicht zwangs­läu­fig der der gesam­ten Redak­ti­on – den­noch möch­ten wir auch Ein­zel­stim­men Raum geben.

Schwa­che Alben, merk­wür­di­ge Auf­trit­te in der Öffent­lich­keit: Haft­be­fehl scheint sein gol­de­nes Händ­chen der ver­gan­ge­nen Jah­re ver­lo­ren zu haben. Im Fol­gen­den setzt sich unser Redak­teur Simon mit dem Bild aus­ein­an­der, das man in letz­ter Zeit von Haft­be­fehl bekom­men könnte.

 

Kürz­lich hat die Ber­li­ner CDU mit ihrer Wahl­wer­bung für Auf­merk­sam­keit gesorgt. Die bis­he­ri­ge Oppo­si­ti­ons­par­tei pla­ka­tier­te die Haupt­stadt groß­flä­chig mit dem Slo­gan: "Was Kri­mi­nel­le bald häu­fi­ger hören: Haft­be­fehl." Soweit, so klas­sisch reak­tio­när. Span­nend wird die Wer­bung erst durch die Haftbefehl-​Referenz. Im offen­sicht­li­chen Ver­such, jün­ger und aktu­el­ler zu wir­ken, bie­dert sich die Par­tei bei der größ­ten Jugend­kul­tur unse­rer Zeit an. Mit einem Humor, der schon 2010 nicht lus­tig war. Noch merk­wür­di­ger wird das Sze­na­rio, wenn der erwähn­te Rap­per selbst die Gra­tis­wer­bung mit­nimmt und auf Social Media positiv-​neutral mit Repos­tings und Likes reagiert. Das muss man sich mal auf der Zun­ge zer­ge­hen las­sen: Haft­be­fehl, der Inter­pret von Songs wie "CopKKKil­la", fei­ert Wer­bung für mehr Poli­zei und eine här­te­re Jus­tiz. Im Kon­text der media­len und poli­ti­schen Auf­ar­bei­tung der Ber­li­ner Sil­ves­ter­nacht, bei der vor allem männ­li­che, migran­ti­sier­te Jugend­li­che ins Faden­kreuz gerückt sind, wird das Gan­ze noch absur­der. Wie sehr kann man eigent­lich sei­ne eige­nen Inhal­te und Fans miss­ach­ten? Auch ande­re Eska­pa­den und musi­ka­li­sche Aus­fäl­le las­sen ver­mu­ten: Der Offen­ba­cher Rap­per scheint nicht nur pro­mo­tech­nisch ein Stück weit den Boden unter den Füßen ver­lo­ren zu haben.

Um die Ent­wick­lung zu ver­ste­hen, lohnt es sich, den Weg des Rap­pers im Schnell­durch­lauf Revue pas­sie­ren zu las­sen. 2009 gibt es das ers­te grö­ße­re öffent­li­che Lebens­zei­chen. Auf dem Song "Unter Tat­ver­dacht" stiehlt er dem eigent­li­chen Prot­ago­nist Criz die Show und droppt mit "Ges­tern Döner, heu­te argen­ti­ni­sches Steak" mal ganz neben­bei die inof­fi­zi­el­le Zei­le des Jah­res. 2010 folgt mit "Azz­lack Ste­reo­typ" ein unglaub­lich star­kes Debüt, das andeu­tet, wie man­nig­fal­tig Haft­be­fehl Spra­chen und Dia­lek­te ver­bin­den, fusio­nie­ren und neu ver­knüp­fen kann. "Kana­kiş" setzt die­se Ent­wick­lung kon­se­quent fort und mit dem Song "Chab­os wis­sen wer der Babo ist" auf dem Album "Block­pla­tin" ist die Ent­wick­lung zum Super­star abge­schlos­sen. Im Kon­text von "Rus­sisch Rou­lette" schließ­lich errei­chen posi­ti­ve media­le Rezen­sio­nen, musi­ka­li­sche Kunst­fer­tig­keit und Hype auf den Pau­sen­hö­fen in Unis und Schu­len ihren Höhe­punkt zum größ­ten Deutschrap-​Album der ver­gan­ge­nen Deka­de. Außer­dem: Ein Album mit Xatar, die Ent­de­ckung bezie­hungs­wei­se Wie­der­erwe­ckung von Rap­pern wie Celo & Abdi, Hany­bal, Cha­ker und Sou­fi­an, Lieb­ling des Feuil­le­tons, Frank­furts sub­kul­tu­rel­ler Reprä­sen­tant. Die Geschich­te von Haft­be­fehl ist die ers­ten sie­ben bis acht Jah­re nur von Erfol­gen bestimmt. Der Rap­per setzt musi­ka­li­sche Maß­stä­be, alles ist inno­va­tiv, Aus­rut­scher wer­den im Zwei­fel irgend­wie als gro­ße Kunst gere­bran­det. Im Prin­zip kann Haft­be­fehl nichts falsch machen.

Mei­ne Ver­mu­tung ist, dass seit 2016 drei Din­ge pas­siert sind. Zum einen ereilt Haft­be­fehl der "Detox"-Fluch. "Rus­sisch Rou­lette" ist ein der­ar­ti­ger Mei­len­stein, dass die Erwar­tun­gen an das nächs­te Solo­al­bum mit jedem Monat ohne Release wei­ter in den Him­mel wach­sen konn­ten. Eine Mess­lat­te, an der man eigent­lich nur schei­tern kann. "Das wei­ße Album" hört sich auch dem­entspre­chend an. Die Musik ist an sich so stark wie eh und je, aber bei jedem zwei­ten Song ahnt man, dass hier ver­sucht wird, das "Rus­sisch Roulette"-Erfolgsrezept zu kopie­ren. Musi­ka­lisch hat sich Haft­be­fehls Kunst schein­bar aus­er­zählt. Man kennt die Geschich­ten, die Sprü­che und sogar Rei­me inzwi­schen schon. "Das schwar­ze Album" und "Main­park Baby" stel­len das unter Beweis. Der jah­re­lan­ge Erfolg und die durch­aus berech­tig­ten Lobes­hym­nen schei­nen zudem dafür gesorgt zu haben, dass sich der Rap­per im per­sön­li­chen Kreis nicht mehr kri­ti­sie­ren lässt. Nicht mal unbe­dingt, weil der Offen­ba­cher kei­ne Kri­tik ver­trägt. Aber wenn zehn Leu­te um dich her­um sind, die du mehr oder weni­ger groß gemacht hast, die dei­nen musi­ka­li­schen Pfa­den fol­gen, wie sol­len dir die Per­so­nen auf Augen­hö­he begeg­nen, wenn es mal um unan­ge­neh­me The­men geht? Der abge­bro­che­ne Auf­tritt im Som­mer auf­grund von zu viel Lach­gas stützt die­se The­se. Auch die media­le Rezep­ti­on der Kunst­fi­gur Haft­be­fehl dürf­te da nicht gehol­fen haben. Der Artist wur­de vom viel­ver­spre­chen­den New­co­mer zum Sprach­ge­nie zum Sprach­rohr für die Unter­drück­ten ver­klärt. Die Kunst­fi­gur wur­de über­häuft mit Erwar­tun­gen und damit ein­her­ge­hen­der Ver­ant­wor­tung, sich zu poli­ti­schen und gesell­schaft­li­chen The­men den Erwar­tun­gen ent­spre­chend zu ver­hal­ten. Die­se las­sen sich aber nie erfül­len, erst recht nicht, wenn man gar nicht der nächs­te Schlin­gen­sief, son­dern "nur" ein sehr guter Rap­per ist.

Die­ses Kon­glo­me­rat aus musi­ka­li­scher Sta­gna­ti­on, Kri­tik­un­fä­hig­keit aus dem eige­nen Camp und eine medi­al über alle Maßen über­frach­te­te Kunst­fi­gur sorgt für das merk­wür­di­ge Bild, das der Künst­ler Haft­be­fehl aktu­ell abgibt. Auf der einen Sei­te ist mir alles egal, weil: Ich bin eh der Kras­ses­te. Auf der ande­ren Sei­te wird die Auf­merk­sam­keit aber auch um jeden Preis ein­ge­for­dert. Dass hin­ter der Mar­ke "Haft­be­fehl" mut­maß­lich inzwi­schen eine gan­ze Arma­da an PR- und sons­ti­gen Berater:innen steht, kommt wahr­schein­lich noch erschwe­rend hin­zu. Haft­be­fehl ist zurück von sei­nem jah­re­lan­gen Höhen­flug und dass er noch mal so ein Momen­tum wie 2015 erwischt, ist mehr als unwahr­schein­lich. Die immer lang­wei­li­ge­re Musik und das teil­wei­se bizar­re Ver­hal­ten in digi­ta­ler und ana­lo­ger Öffent­lich­keit bie­ten da wenig Anlass zur Hoff­nung. Und Din­ge wie die immer plum­per und ekel­haf­ter sexis­tisch wer­den­den Tex­te sind dabei noch gar nicht ange­spro­chen wor­den. Pri­vat bleibt dem viel­leicht letz­ten Rock­star im Deutschrap nur das Bes­te zu wün­schen. Musi­ka­lisch und als Kunst­fi­gur hin­ge­gen ist erst mal nichts Gro­ßes mehr von Haft­be­fehl zu erwarten.

(Simon Back)
(Gra­fik von Dani­el Fersch)