Kategorien
Plattenkiste

Tony D – Bäm Bäm

Egal, ob Album, Gratis-​Mixtape oder Lieb­lings­song – in unse­rer "Plat­ten­kis­te" stel­len wir Euch regel­mä­ßig die Per­len unse­rer redak­ti­ons­in­ter­nen Samm­lun­gen vor. Die­ses Mal: Tony D mit "Bäm Bäm".

"Was?! Du kennst das nicht? Sekun­de, ich such' dir das mal raus." Und schon öff­net sich die Plat­ten­kis­te. Wer kennt die­sen Moment nicht? Man redet über Musik und auf ein­mal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem:einer Künstler:in oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzu­fan­gen weiß. Und plötz­lich hagelt es Lob­prei­sun­gen, Hass­ti­ra­den oder Anek­do­ten. Gera­de dann, wenn der:die Gesprächspartner:in ins Schwär­men ver­fällt und offen zeigt, dass ihm:ihr das The­ma wich­tig ist, bit­tet man nicht all­zu sel­ten um eine Kost­pro­be. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Per­son so sehr am Her­zen zu lie­gen scheint. In die­sem Fall – was uns so sehr am Her­zen liegt: Ein Aus­zug aus der Musik, mit der wir etwas ver­bin­den, die wir fei­ern, die uns berührt. Ein Griff in unse­re Plat­ten­kis­te eben.

 

Ver­mut­lich wer­den mir eini­ge Rapf­ans an die Keh­le sprin­gen, wenn ich das sage, aber: Ich hab' tat­säch­lich nie groß etwas mit den frü­hen Aggro Berlin-​Sachen anfan­gen kön­nen. Wirk­lich gecatcht hat mich stets nur einer – Tony D. Wie stumpf er an das Tex­ten her­an­geht und sei­ne Lines ins Mic schreit, hat mir ein­fach mehr als alle ande­ren gege­ben. Das bes­te Bei­spiel dafür ist der Song "Bäm Bäm" von Tonys zwei­tem Album.

Es reicht schon, wenn die mar­kan­te Melo­die des Tracks samt Kick und Sna­re ein­setzt, damit in mei­nem Kopf direkt "Bäm Bäm" ertönt. Flash Gor­don hat hier zusam­men mit Tony D selbst ein ein­gän­gi­ges Boom bap-​Instrumental pro­du­ziert, das auf­grund des Ziehharmonika-​ähnlichen Samples wie aus dem Gen­re gefal­len klingt. Aber es funk­tio­niert. Ich wüss­te nicht, dass irgend­je­mand bis heu­te noch mal so einen Beat gebaut hat. Ein­fach und effek­tiv ist aber nicht nur die­ser, son­dern auch die Hook des Ber­li­ner Urge­steins: "Anschlag, Faust – Gesicht kaputt. Bäm Bäm!" tönt es vier­mal mit lau­ter Stim­me zwi­schen den bei­den Parts. Tony D war nie ein Mann der hoch­tra­ben­den oder tief­sin­ni­gen Wor­te. Und wie er Gewalt und Sexis­mus the­ma­ti­siert – was im Gegen­satz zu sei­nen ande­ren Tracks hier noch harm­los ist – wür­den heu­te kaum noch Anklang fin­den. Doch es sind die­se comic­haf­te Über­zeich­nung und der Stumpf­sinn, mit denen der Aggro Ber­li­ner Lines wie "Der Anschlag läuft, heu­te gibt's Mensch mit Soße" in das Mic brüllt, die ihres­glei­chen suchen. Ich kann ein­fach nicht anders, als mit dem Kopf zu sei­ner aggres­si­ven Musik zu nicken, wäh­rend mir bei Lines, wie er sie hier kickt, ab und an ein Lächeln über die Lip­pen kommt.

Ich ver­ste­he alle, die mit Tony D nichts anfan­gen kön­nen. Sei­ne Art zu rap­pen ist ein­fach sehr spe­zi­ell. Aber ihm das Kön­nen abzu­spre­chen, wäre ein Feh­ler. Der Ber­li­ner ver­steht sein Hand­werk damals beim Rap­pen wie heu­te beim Wein ver­kau­fen, nimmt sich selbst nie zu ernst und hat genau das in sei­ne Tex­te ein­ge­ar­bei­tet. Anschrei­en mag sei­ne bes­te Pun­ch­li­ne sein, aber allein mit "Bäm Bäm" zeigt der Dama­ger mir, dass man damit auch star­ke Tracks pro­du­zie­ren kann.

(Lukas Päck­ert)