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Kommentar

Algorithmen geben den Ton an – sind aber keine Dirigent:innen

Wel­chen Ein­fluss Algo­rith­men auf Strea­ming­diens­ten und Social Media-​Plattformen auf deut­schen Rap haben und war­um sie der Musik auch scha­den können.

An die­ser Stel­le möch­ten wir Gedan­ken zu aktu­el­len Gescheh­nis­sen aus dem Deutschrap-​Kosmos zum Aus­druck brin­gen. Die jeweils dar­ge­stell­te Mei­nung ist die des:der Autor:in und ent­spricht nicht zwangs­läu­fig der der gesam­ten Redak­ti­on – den­noch möch­ten wir auch Ein­zel­stim­men Raum geben.

Im Fol­gen­den setzt sich unser Redak­teur Adri­an mit den Pro­ble­men aus­ein­an­der, die Algo­rith­men bei Strea­ming­diens­ten und Social Media-​Plattformen für deut­schen Rap bedeu­ten können.

 

Wer hat noch nicht einen Song auf Spo­ti­fy über die Zufalls­wie­der­ga­be gehört und fand ihn sofort dope? Die­se Zufalls­ti­tel sind Teil eines Mecha­nis­mus, der einen enor­men Ein­fluss auf die Musik- und nicht zuletzt die Rap­welt nimmt. Algo­rith­men auf bekann­ten Strea­ming­diens­ten und Social Media-​Plattformen bestim­men unser Kon­sum­ver­hal­ten und beein­flus­sen auch Künstler:innen enorm. Die­se wol­len die größt­mög­li­che Reich­wei­te gene­rie­ren und bege­ben sich in die Gefahr, sich dafür vom Markt domi­nie­ren zulas­sen. Nie­mand, der erfolg­reich Musik machen will, kann sich ihm heut­zu­ta­ge ent­zie­hen. Von "Hier ein Bild mei­ner Kat­ze, damit mich der Algo­rith­mus nicht ver­gisst" bis hin zu Künstler:innen, die ihr gesam­tes Leben auf Social Media fest­hal­ten und jeden zwei­ten Tag einen Track drop­pen. Die Zei­ten sind längst vor­bei, in denen man sehn­lichst auf ein Lebens­zei­chen seines:seiner Lieblingsrappers:Lieblingsrapperin war­ten muss­te. Bis auf weni­ge Bei­spie­le wer­den Hörer:innen eher mit Infor­ma­tio­nen über­flu­tet. Häu­fig ist es wich­ti­ger, ein Meme zu sein als einen guten Track zu erschaf­fen. Qua­li­tät weicht Quan­ti­tät. Sub­stanz weicht den Trends. Muss ein:e Künstler:in also heut­zu­ta­ge den Algo­rith­mus statt das Hand­werk beherr­schen, wie Kel­vyn Colt auf Insta­gram schrieb?

Das moder­ne Musik­busi­ness hat aber auch Vor­tei­le. Algo­rith­men kön­nen hel­fen, neue Musik zu fin­den. Sie fil­tern die gro­ße Musik­land­schaft und pas­sen das Aus­ge­spiel­te dem eige­nen Geschmack an. Dafür scan­nen gro­ße Strea­ming­an­bie­ter die Hör­ge­wohn­hei­ten von Hörer:innen, die ähn­li­che Vor­lie­ben haben. Die­ser Mecha­nis­mus ist heu­te im Prin­zip das, was einst HipHop-​Foren für Rapnerds waren. Erfolg­rei­che Rapper:innen und jene, die den Zeit­geist tref­fen, pro­fi­tie­ren unge­mein von die­sen Neue­run­gen inner­halb der Musik­welt. Auch Artists, die die Algo­rith­men gekonnt bedie­nen, haben einen Vor­teil. Wer am lau­fen­den Band Bil­der und Tracks pos­tet, wird über­all bes­ser gelis­tet und sicht­ba­rer gemacht. Ist doch toll, oder? Wer viel macht, kriegt viel. Wer nichts macht, geht eben leer aus. Wun­der­schön ange­wen­de­ter Kapitalismus.

Aber jetzt im Ernst: Ob man es gut oder schlecht fin­det, die­se neue tech­ni­sche Rea­li­tät hat die Musik­welt ver­än­dert. Auf You­Tube, Insta­gram und Co. wer­den Bei­trä­ge einem brei­te­ren Publi­kum gezeigt, wenn Bil­der und Vide­os mehr­fach geteilt, gespei­chert, kom­men­tiert und geli­ket wer­den. Natür­lich ver­führt das Künstler:innen dazu, kon­tro­ver­se Inhal­te zu gene­rie­ren oder zumin­dest jene, die einen Wow-​Effekt haben. Regel­mä­ßig­keit ist dabei alles. Wer nicht kon­stant neue Songs, Bil­der oder Vide­os pos­tet, wird vom Algo­rith­mus ver­ges­sen. Das beein­flusst Artists in ihrer Art, mit der Außen­welt zu kom­mu­ni­zie­ren und Musik zu machen. Wäh­rend frü­her die gro­ßen Musik­la­bels als Gate­kee­per fun­gier­ten, sind es heu­te die Algo­rith­men. Und statt sich Sound und Con­tent von den Labels dik­tie­ren zu las­sen, unter­wirft man sich nun den Logi­ken sei­ner Lieb­lings­app. Ein Bei­spiel hier­für ist, dass Lie­der teil­wei­se kür­zer gewor­den sind. So dau­ern sie im Regel­fall zwei bis drei Minu­ten, damit sie in das Ras­ter belieb­ter Play­lists wie etwa "Modus Mio" pas­sen. Die­se bestim­men mit­un­ter Trends und wel­che Beats und The­men ange­sagt sind. Haupt­sa­che, es ist trap­pig und geht um Drugs – wenn man den heu­ti­gen Zeit­geist ober­fläch­lich skiz­zie­ren möchte.

Es ist klar, dass man als Künstler:in immer einen Spa­gat zwi­schen Wirt­schaft­lich­keit und Lei­den­schaft machen muss. Die berühm­ten Bei­spie­le, die sich dem vehe­ment wider­setzt haben, blei­ben lei­der die Aus­nah­me. Wenn der Haupt­con­tent als Rapper:in dar­in besteht, den Ham­pel­mann zu mimen und dem neu­es­ten Trend hin­ter­her­zu­lau­fen, dann läuft jedoch eini­ges falsch. Vor allem, wenn der:die Musiker:in die­sen Trend nicht im Ansatz beherrscht, und den­noch von den Logi­ken des Mark­tes belohnt wird. Die­se Dyna­mik führt dazu, dass es teil­wei­se einen Ein­heits­brei an neu­er Musik gibt, der schein­bar Sound, Style und The­men der glei­chen fünf berühm­ten Künstler:innen kopiert. Außer­dem scheint es erfor­der­lich zu sein, mehr Zeit in sei­ne Social Media-​Präsenz als in die Musik zu ste­cken. Man­che Fans ken­nen nicht ein­mal mehr die Musik man­cher Rapper:innen, son­dern nur deren Inter­views und Skan­da­le. Mar­ke­ting ist wich­tig, ja. Die Sub­stanz darf der Musik aber nie ver­lo­ren­ge­hen. Teil­wei­se ist es sogar mög­lich, sich in den Algo­rith­mus ein­zu­kau­fen, um einer grö­ße­ren Audi­enz vor­ge­stellt zu wer­den – Stich­wort "Klicks kau­fen". Das ist ein ein­deu­ti­ger Indi­ka­tor dafür, dass Sub­stanz ver­lo­ren geht. "Mehr Schein als Sein" ist wohl die Rich­tung, in die sich der Musik­markt immer mehr ent­wi­ckelt. Ein wei­te­rer Punkt, der scha­de ist: die sin­ken­de Rele­vanz von Alben. War es ein­mal für ein:e Künstler:in erfolgs­ent­schei­dend, ob er:sie auf Album­län­ge über­zeu­gen konn­te, legen vie­le nun den Fokus stär­ker auf ein­zel­ne Songs. So bedie­nen sie zwar den schnell­le­bi­gen Trend – Alben blei­ben aber doch eigent­lich wei­ter­hin die Königs­dis­zi­plin. Es erfor­dert eine Men­ge Skill, sei­ne Hörer:innen auf Album­län­ge bei der Stan­ge zu hal­ten. Und wer sich mit der Musik rich­tig aus­ein­an­der­set­zen möch­te, hat im Gegen­zug meist auch län­ger was von ihr. Lei­der gerät auch das immer mehr in den Hintergrund.

Ich fin­de nicht, dass frü­her alles bes­ser war und möch­te auch nicht wie ein alter, ver­bit­ter­ter Mann klin­gen. Aber wie jedem, der eine Affi­ni­tät zu Musik hat, ist mir Qua­li­tät beson­ders wich­tig. Ich möch­te, dass sich Künstler:innen wie­der locker machen und ihr eige­nes Ding star­ten. Auch wenn ihre Musik eben nicht so klingt wie alles, was gera­de beliebt ist, hof­fe ich, dass sie den Mut fin­den, ihren eige­nen Sound zu kre­ieren und sich dafür auch genü­gend Zeit neh­men. Man­che Rapper:innen wie Cas­per haben bereits begon­nen, sich aus dem Social Media-​Game aus­zu­klin­ken und nur Con­tent zu pos­ten, wenn sie auch neue Musik oder Auf­trit­te bewer­ben möch­ten. Ich fin­de es wich­tig, zu erken­nen, dass der Kampf um Auf­merk­sam­keit auch krank machen kann. Das Leben besteht nun mal nicht nur aus Zah­len und Streams und sich die­sen zu unter­wer­fen, ist ein 24/​7-​Job. Sowohl Musiker:innen als auch Hörer:innen müs­sen sich in mei­nen Augen wie­der mehr mit der Musik an sich beschäf­ti­gen und weni­ger mit dem gan­zen Zir­kus drum herum.

(Adri­an Macrea)
(Gra­fik von Dani­el Fersch)