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Reportage

Rapper:innen und ihre Nebentätigkeiten – zwischen Selbstermächtigung und Ausverkauf

Fast alle Rapper:innen sind nicht nur musi­ka­lisch aktiv. Die meis­ten bewe­gen sich in einem Span­nungs­feld zwi­schen Musik, Wer­bung, Koope­ra­tio­nen mit Mar­ken und Akti­vis­mus. Manch­mal führt das zu fal­schen Ent­schei­dun­gen. Über den schma­len Grat zwi­schen Aus­ver­kauf und Selbstermächtigung.

In den letz­ten Mona­ten begeg­net uns ein Gesicht immer wie­der in den inter­na­tio­na­len Medi­en und ins­be­son­de­re auf Twit­ter: Chris­ti­an "Chris" Smalls. Der ehe­ma­li­ge Bas­ket­ball­spie­ler und Rap­per ist seit eini­gen Jah­ren als Akti­vist im Bereich des Arbeits­rechts tätig und sei­ner HipHop-​Philosophie dabei wei­ter­hin ver­bun­den geblie­ben. Anfang 2022 gelingt ihm ein gro­ßer Coup, mit dem vie­le Men­schen nicht gerech­net hät­ten, oder um es mit den Wor­ten des Sozi­al­wis­sen­schaft­lers Oli­ver Nachtwey zu sagen: "Ich kom­me immer noch nicht dar­über hin­weg, dass die ers­te loka­le Gewerk­schaft bei Ama­zon von einem Rap­per gegrün­det wur­de." Oli­ver Nachtweys Tweet fällt bewusst pro­vo­ka­tiv aus, weil zuvor eini­ge eta­blier­te Gewerk­schaf­ten in den USA mit einem ähn­li­chen Vor­ha­ben geschei­tert sind und die­ser Erfolg nun von Per­so­nen erreicht wur­de, die ohne tra­di­tio­nel­le Gewerk­schafts­res­sour­cen aus­ge­kom­men sind. "Wir möch­ten Jeff Bezos dafür dan­ken, dass er in den Welt­raum geflo­gen ist", ver­kün­det Chris zynisch und stolz, nach­dem in Sta­ten Island, New York, erst­mals in den USA für die Grün­dung einer Gewerk­schaft bei Ama­zon gestimmt wur­de. Dies ist ein wich­ti­ger und sym­bol­träch­ti­ger Schritt gegen das aus­beu­te­ri­sche Sys­tem von Amazon.

Aus der HipHop-​Perspektive ist die­se Ent­wick­lung jedoch gar nicht so über­ra­schend, so sind doch Selbst­er­mäch­ti­gung und eine Art D.I.Y.-Mindset bereits seit den 70ern die zen­tra­len Säu­len des Ent­ste­hens und Fort­be­stehens eben­je­ner Kul­tur. Eine Kul­tur, die inmit­ten kapi­ta­lis­ti­scher Struk­tu­ren ent­stan­den ist und durch die­se nicht nur geprägt, son­dern auch lan­ge unter­drückt wur­de. Spä­tes­tens seit Ende der 1980er Jah­re ist aller­dings zu beob­ach­ten, dass sich ins­be­son­de­re Rapper:innen die­se Struk­tu­ren zu eigen machen und kapi­ta­lis­ti­sche Werk­zeu­ge zu nut­zen wis­sen. Dies wirft die Fra­ge auf, ob man­che Akteur:innen viel­leicht in die­sem Bereich den Bogen über­span­nen und die prin­zi­pi­ell gro­ße Stär­ke der HipHop-​Kultur – die Selbst­er­mäch­ti­gung – zu einem rei­nen Aus­ver­kauf wird, der nichts mehr mit den ursprüng­li­chen kul­tu­rel­len Wer­ten zu tun hat.

 

Kool Savas – zwi­schen Kapi­ta­lis­mus und Antikapitalismus

"Mein Sohn hat aus­ge­sorgt, Dicka, und sein Baba war nicht ein­mal Kapi­ta­list", rappt Kool Savas auf dem Track "Live & Direct" von Mega­loh. Der Begriff "Kapi­ta­list" lässt sich sicher­lich unter­schied­lich ver­ste­hen, trotz­dem erscheint die Line im Kon­text eini­ger Tätig­kei­ten von Savas etwas iro­nisch. Er selbst ist allein in den letz­ten drei Jah­ren durch ein­deu­tig kapi­ta­lis­ti­sches Han­deln auf­ge­fal­len und hat­te in ver­schie­dens­ten Kon­stel­la­tio­nen Koope­ra­tio­nen mit etli­chen Mar­ken und Fir­men. Das viel­leicht offen­sicht­lichs­te Bei­spiel: Im letz­ten Jahr star­te­te Savas damit, eini­ge NFTs zu ver­kau­fen. So ging im Herbst 2021 der ver­brann­te Song­text von "King of Rap" für 30.000 Euro über die digi­ta­le Laden­the­ke. Es erscheint rela­tiv logisch, dass das ori­gi­na­le Text­blatt vie­len Fans oder Sammler:innen sicher­lich mehr Freu­de berei­tet hät­te. Zudem lässt sich das Ver­bren­nen von even­tu­ell ein­mal musikhistorisch-​relevanten Objek­ten auch als durch­aus bedenk­lich beschreiben.

Die Sin­gle "King" von Savas zusam­men mit Ali­es, die im Win­ter 2021 erschien, ist eben­falls ein ast­rei­nes Wer­be­pro­jekt für Jäger­meis­ter. Dar­aus mach­te der Rap­per auch kein Geheim­nis und pro­mo­te­te die Kam­pa­gne stets als Wer­bung. Jägermeister-Konsument:innen konn­ten sich beim Sin­gen der Hook von "King" fil­men und so mit etwas Glück im Meis­ter­chor von Savas und im Musik­vi­deo des Songs lan­den. Die­ses ist selbst­ver­ständ­lich kom­plett durch­zo­gen von Jägermeister-​Logos und -Geträn­ken. Inter­es­san­ter­wei­se befin­det sich aus­ge­rech­net weder im Musik­vi­deo noch in der Video­be­schrei­bung auf You­Tube ein Hin­weis dar­auf, dass es sich hier­bei um Wer­bung han­delt. Das i-​Tüpfelchen lie­fert der King of Rap natür­lich selbst mit der Zei­le: "Tau­sen­de drau­ßen, stoß' auf uns mit 'nem Jägi an im Back­stage." Glaub­wür­dig und real, schließ­lich beteu­ert der Rap­per seit gefühlt etli­chen Jah­ren in Inter­views, prin­zi­pi­ell kei­nen Alko­hol zu trin­ken. Unab­hän­gig von die­ser selt­sa­men Koope­ra­ti­on ist die Fra­ge zu stel­len, ob Savas nicht in der Lage gewe­sen wäre, für den Song sei­ne eige­ne Com­mu­ni­ty, unab­hän­gig von Jäger­meis­ter, zu mobi­li­sie­ren. Schließ­lich ist die Grund­idee, Fans am eige­nen Song mit­wir­ken zu las­sen, durch­aus span­nend und sympathisch.

Kool Savas - King (feat. Ali­es) (prod. Troublemakerz)

 

Von Red Bull bis Kauf­land – Sido im Getränke- und Lebensmittelwahn

Jüngst befand sich Savas in einer Zusam­men­ar­beit mit Red Bull, um als eine Art Coach für die Soundclash-​Teilnehmerin bad­mómzjay zu fun­gie­ren. Die glei­che Rol­le über­nahm Sido für das Team rund um Boz­za. Sido war selbst bereits 2015 als Teil­neh­mer gegen Haft­be­fehl aktiv und ist einer von etli­chen Rapper:innen, die bereits mit Red Bull koope­rier­ten. Die Fir­ma und ihre Toch­ter­un­ter­neh­men ste­hen ins­be­son­de­re des­halb in der Kri­tik, weil Grün­der und Haupt-​Teilhaber Diet­rich Mate­schitz – dem über 49 Pro­zent der Red Bull GmbH gehö­ren – immer wie­der rechts­po­pu­lis­ti­sche Aus­sa­gen tätigt.

Doch Sig­gi ist auch abseits von Red Bull mit teil­wei­se selt­sa­men Koope­ra­tio­nen auf­ge­fal­len, wie zuletzt mit sei­nen eige­nen Grill­pro­duk­ten bei Kauf­land. Die­se ent­stan­den bereits 2021 gemein­sam mit der Fir­ma Kreut­zers unter dem Namen "Sido’s Bes­te" und lan­den nun auch in Super­markt­re­ga­len. Weit vor­her grün­de­te der Rap­per bereits sei­ne eige­ne Fir­ma, die Kabumm GmbH, um eige­nen Alko­hol zu ver­kau­fen. Unter dem Namen bie­tet er mitt­ler­wei­le sowohl Gin, Whis­key als auch Vod­ka an. Aber auch abseits von Lebens­mit­teln und Geträn­ken ist der Rap­per aktiv und pro­du­zier­te bereits mehr­fach Mode­kol­lek­tio­nen gemein­sam mit der Fir­ma Cayler & Sons. 2019 posier­te der Ber­li­ner gemein­sam mit Trett­mann in den soge­nann­ten "Wende-​Jacken" von Adi­das. Ent­wi­ckelt wur­de die­se Kam­pa­gne im Zuge des Jubi­lä­ums des Mau­er­falls und soll­te als Zei­chen für eine offe­ne Gesell­schaft ver­stan­den wer­den und neben­bei natür­lich auch ordent­lich Geld in die Adidas-​Kassen spü­len. Die bereits erwähn­te Werbe-​Kampagne für Kauf­land von Sidos Grill-​Sortiment fand unter ande­rem auch in Koope­ra­ti­on mit dem Strea­mer Jens "Knos­si" Knoss­al­la statt. Die­ser arbei­te­te bereits mehr­fach mit Rapper:innen zusam­men und ins­be­son­de­re Sido scheint mitt­ler­wei­le Stamm­gast bei Events des Strea­mers zu sein, der unter ande­rem für die Ver­herr­li­chung von Online-​Glücksspielen in der Kri­tik steht. Das scheint den Kooperations- und Unter­neh­mer­geist von Sido aller­dings wenig zu inter­es­sie­ren, ähn­lich wie die har­te Kri­tik der PETA an den Grill-​Produkten des Rappers.

 

Black Star – ein Hoch auf die Paywall

Mitt­ler­wei­le haben vie­le Koope­ra­tio­nen ganz offen­sicht­lich Ein­fluss auf den krea­ti­ven und musi­ka­li­schen Out­put von Künstler:innen. Die­ses Phä­no­men fällt vor allem bei jün­ge­ren Rapper:innen auf, die sich ger­ne mal für Wodka-​Werbung in Musik­form her­ge­ben. In die­sen Fäl­len betrifft das dann aber meis­tens nur ein­zel­ne Sin­gles und nicht gan­ze Alben oder EPs. Dass sich dies auch auf Album­län­ge umset­zen lässt, zeigt das Duo Black Star, bestehend aus Talib Kwe­li und Yasi­in Bey – bes­ser bekannt als Mos Def. Über zwei Jahr­zehn­te muss­ten die Fans der Grup­pe auf einen Nach­fol­ger des Klas­si­kers "Black Star" war­ten. 2022 ver­kün­den Black Star die Ver­öf­fent­li­chung ihres zwei­ten gemein­sa­men Albums. Unglück­lich, dass die­ses weder in phy­si­scher Form noch auf MP3-​Portalen oder Streaming-​Plattformen zu fin­den ist. Nein, die bei­den Künst­ler ent­schlos­sen sich, das Album exklu­siv über die Web­sei­te Lumi­na­ry zu ver­öf­fent­li­chen. Die Platt­form ist, abge­se­hen vom neu­en Black Star-​Album, eine rei­ne Podcast-​Plattform und bie­tet eigent­lich kei­ne klas­si­schen Musik­pro­jek­te an. Zudem ist die Nut­zung von Lumi­na­ry kos­ten­pflich­tig und auch längst nicht in allen Tei­len der Welt mög­lich. Somit ver­ste­cken Talib Kwe­li und Yasi­in Bey ihr neu­es­tes Pro­jekt – zumin­dest vor­erst – auf einer kos­ten­pflich­ti­gen Platt­form, die ursprüng­lich nichts mit Musik zu tun hat, und exklu­die­ren eine gan­ze Rei­he von Fans und Hörer:innen. Ein Vor­ge­hen, das mit dem ein oder ande­ren Grund­ge­dan­ken der HipHop-​Kultur unver­ein­bar ist.

Black Star – o.G. (Lyric Video) | Lis­ten to new album No Fear of Time, only on Luminary

 

Kapi­ta­lis­mus – unend­li­che Möglichkeiten

Die offen­sicht­li­chen Exklu­si­ons­me­cha­nis­men, die von eini­gen Rapper:innen gemein­sam mit Unter­neh­men und deren Platt­for­men genutzt wer­den, sind auf der einen Sei­te ein Phä­no­men, gegen das sich die HipHop-​Kultur ursprüng­lich stell­te. Auf der ande­ren Sei­te wur­de das Inter­net spe­zi­ell in den 2000ern zu einem Tool für Künstler:innen und Fans, wel­ches exklu­die­ren­de Fak­to­ren zumin­dest teil­wei­se abschwäch­te, zum Bei­spiel im Hin­blick auf den frei­en Zugang zu Musik. Künstler:innen ist nicht zu ver­übeln, in über­wie­gend kapi­ta­lis­tisch gepräg­ten Gesell­schaf­ten wirt­schaft­lich zu han­deln und es ist auch kei­ne Pflicht, sich selbst an anti­ka­pi­ta­lis­ti­schen oder arbeits­recht­li­chen Kämp­fen, wie im Fal­le von Chris Smalls, zu betei­li­gen. Trotz­dem könn­ten die eige­nen Koope­ra­tio­nen etwas über­leg­ter aus­fal­len. Wer­bung ist nicht gleich Wer­bung und es besteht ein erheb­li­cher Unter­schied zwi­schen einer Zusam­men­ar­beit mit Viva con Agua oder einer Kol­la­bo­ra­ti­on mit Nestlé.

Auch der bereits erwähn­te Umgang mit Alko­hol bezie­hungs­wei­se Alko­hol­her­stel­lern wirft immer wie­der ver­schie­de­ne Fra­gen auf und wird zurecht häu­fig kri­tisch beäugt. Seit jeher befas­sen sich ver­schie­dens­te Gesell­schafts­be­rei­che mit der Fra­ge, inwie­weit Wer­bung für Alko­hol über­haupt legi­tim ist. Im Rap ist Alko­hol, ins­be­son­de­re text­lich, omni­prä­sent und das seit gerau­mer Zeit. Bereits in den 80ern wur­de der Kon­sum von Alko­hol in Par­ty­tracks ver­herr­licht und fin­det bis heu­te in Tex­ten von Rapper:innen statt. Dass sich eini­ge Künstler:innen also selbst auch im Alko­hol­ge­schäft aus­pro­bie­ren und nicht nur für Wer­bung bereits bestehen­der Mar­ken her­ge­ben, erscheint fast logisch. Juju ver­treibt seit 2021 ihren eige­nen Sekt "Hard­core High", ange­lehnt an ihren gleich­na­mi­gen Par­ty­track. Den Ver­trieb beglei­te­te die Rap­pe­rin unter ande­rem mit einer rie­si­gen Wer­be­kam­pa­gne gemein­sam mit der Super­markt­ket­te ALDI Nord. Die Web­site des Sekts ist zumin­dest mit einer Alters­be­schrän­kung ab 16 Jah­ren ver­se­hen, die aller­dings auch von wesent­lich jün­ge­ren Nutzer:innen über­wun­den wer­den kann. Pro­du­ziert wird der Sekt von der Uni­Bev GmBH aus Stutt­gart, der Fir­ma, die unter ande­rem auch für den Bra­Tee von Capi­tal Bra ver­ant­wort­lich ist.

Der Ver­trieb von eige­nem Alko­hol fin­det aller­dings auch in etwas klei­ne­rem Rah­men statt. Der Rap­per und Pro­du­zent Dex­ter brach­te zunächst ein Wein-​Bundle zu sei­nem 2020er Album "Young Boo­mer" her­aus. Etwas spä­ter erfolg­te dann die Pro­duk­ti­on des CHÂTEAU DEXTER-​Weins, wel­cher mit zuge­hö­ri­gem Shirt her­aus­ge­bracht wur­de, aller­dings auch ein­zeln erhält­lich ist. Dex­ters Wei­ne wur­den bis­her stets von dem Wein­gut Karl Haid­le pro­du­ziert, einem ver­hält­nis­mä­ßig klei­nen Betrieb, der seit 1949 und bis heu­te von der Haidle-​Familie geführt wird. Im Ver­gleich zu dem Sekt von Juju kom­men die Wei­ne von Dex­ter dem­entspre­chend in wesent­lich gerin­ge­rer Auf­la­ge und erschei­nen exklu­si­ver und hoch­wer­ti­ger. Hier­bei sind natür­lich die Hörer:innen von Juju und Dex­ter zu beach­ten, die auch in Bezug auf den Kauf von Alko­hol über­wie­gend unter­schied­li­chen Ziel­grup­pen zuzu­ord­nen sind. Trotz­dem ist der Ver­kauf von Alko­hol gene­rell kri­tisch zu betrach­ten, spe­zi­ell wenn er von Akteur:innen einer Jugend­kul­tur prak­ti­ziert wird.

Beson­ders exklu­siv wur­de es in die­sem Bereich auch bei dem Rap­per Galv: Die­ser ver­öf­fent­lich­te gemein­sam mit Pro­du­zent und Wein­händ­ler Shuff­le Jack Anfang 2021 den Wein "I Pri­mi­ti­vi" inklu­si­ve gleich­na­mi­gen Album. Die­ses gab es nur beim Kauf einer Wein­fla­sche zu hören, wel­che auf 222 Stück limi­tiert wur­de. Bis heu­te wur­de das Album in kei­ner ande­ren Form ver­öf­fent­licht, weder ana­log noch digi­tal. Galv ist ansons­ten aller­dings eher weni­ger für kom­mer­zi­el­le Koope­ra­tio­nen bezie­hungs­wei­se die Zusam­men­ar­beit mit Unter­neh­men bekannt. Trotz­dem pro­du­ziert er, wie vie­le sei­ner Rap-Kolleg:innen, eige­nes Mer­chan­di­se. Die Mach­art vie­ler sei­ner Pro­duk­te weist dabei aber eine Beson­der­heit auf: Er nutzt ger­ne bekann­te Logos von Unter­neh­men und Mar­ken und gestal­tet die­se in "Galv-​Rip-​Offs" um. Die­se Ver­wen­dung ist vie­len gro­ßen Fir­men ein Dorn im Auge, ein Spiel mit dem Urhe­ber­recht und par­al­lel auch eine Art Kri­tik an dem "Wert", der mit bestimm­ten Logos und Mar­ken in Ver­bin­dung gebracht wird. Zudem ist es eine Per­si­fla­ge, nicht nur von den jewei­li­gen Mar­ken, son­dern auch von Rapper:innen, die mit vie­len Mar­ken ger­ne mal koket­tie­ren. Sei­ne Neu­krea­tio­nen rei­chen mitt­ler­wei­le von Galv-​Shirts im NASA-​Style bis hin zu "Galv Lauren"-Hoodies. Eine sei­ner jüngs­ten Ideen erhielt nun auch einen ein­deu­tig kri­ti­schen Unter­ton: "Ver­sa­ge Ver­sa­ge". Die Sin­gle erschien Anfang 2022 inklu­si­ve eines Merch­drops. Der Song behan­delt ein The­men­feld zwi­schen Leis­tungs­ge­sell­schaft und Ver­sa­gens­ängs­ten. Das zuge­hö­ri­ge Merch per­si­fliert das Medusa-​Logo der Mode­mar­ke Ver­sace. Die Mar­ke und ihre Gründer:innen ste­hen gemein­hin für Erfolg, finan­zi­el­len Reich­tum bezie­hungs­wei­se Auf­stieg und Gla­mour. In der Galv-​Version erhielt das Medusa-​Logo nun aller­dings eine Trä­ne und einen zuge­hö­ri­gen Schrift­zug: "Ver­sa­ge Ver­sa­ge" und kari­kiert damit unter ande­rem das ewi­ge Erfolgs­stre­ben vie­ler Menschen.

GALV - Ver­sa­ge Ver­sa­ge (Prod. by Titus Martinu)

 

Zwi­schen Kapi­ta­lis­mus und Aktivismus

Jüngst ver­deut­lich­te Ebow in einem ARTE-​Beitrag zum The­ma "Rap & Fashion", dass Rapper:innen die kapi­ta­lis­ti­sche Gesell­schaft spie­geln und dem­entspre­chend viel mit Mar­ken und Fir­men koket­tie­ren. Sie sind also nur ein Teil aller Leu­te, die irgend­wie Aner­ken­nung bekom­men, weil sie mit gewis­sen Mar­ken posie­ren. "Hip­Hop zele­briert nicht das Reich­sein. Hip­Hop zele­briert, dass arme Leu­te es geschafft haben." Und die­se Zele­brie­rung ist dem­entspre­chend logisch und legi­tim. Trotz­dem soll­ten Rapper:innen sich nicht blind an die erst­bes­ten Kooperationspartner:innen ver­kau­fen, nur weil dies grund­sätz­lich in nahe­zu allen ande­ren Berei­chen auch so gemacht wird. Denn mit einer der­ar­ti­gen Anbie­de­rung droht die HipHop-​Kultur sonst ihre durch­aus vor­han­de­ne rebel­lie­ren­de Kraft zu verlieren.

Nein, Rapper:innen ist nicht vor­zu­schrei­ben, sich akti­vis­tisch wie Chris Smalls zu enga­gie­ren. Auch ein gewis­ses Maß an wirt­schaft­li­cher Aus­rich­tung inner­halb eines kapi­ta­lis­ti­schen Sys­tems ist nicht ver­werf­lich, son­dern sogar fast logisch. Denn bereits der Ein­stieg in das "pro­fes­sio­nel­le" Musik­ge­schäft zwingt Künstler:innen dazu, sich eini­gen Markt­struk­tu­ren zu unter­wer­fen. Hier sind näm­lich auch die Unter­schie­de zwi­schen Major- und Inde­pend­ent­la­bels zumeist nicht so groß wie gedacht oder gewünscht. Trotz­dem bie­tet Musik, ins­be­son­de­re die HipHop-​Kultur, ein avant­gar­dis­ti­sches Poten­zi­al. Die­se Mög­lich­keit wird aber lei­der von zu vie­len Künstler:innen nicht wahr­ge­nom­men. Statt­des­sen erle­ben wir, spe­zi­ell bei rela­tiv erfolg­rei­chen Rapper:innen, den Hang zur Zusam­men­ar­beit mit Struk­tu­ren und Fir­men, die sich weder für die Musik noch für die Men­schen dahin­ter inter­es­sie­ren. Musik­vi­de­os wer­den zu Dau­er­wer­be­sen­dun­gen umfunk­tio­niert, Fes­ti­val­büh­nen wer­den von Fir­men gespon­sert, die Men­schen­rech­te zum Teil mit Füßen tre­ten, und Kon­zer­te und Musik befin­den sich in zuneh­mend exklu­si­ven Rah­men, aller­dings nicht für Fans, son­dern für Kund:innen. Dem­ge­gen­über ste­hen zum Glück (ehe­ma­li­ge) Künstler:innen wie Chris Smalls, die sich voll­stän­dig akti­vis­ti­schen Tätig­kei­ten ver­schrei­ben, Musiker:innen, die sich zumin­dest kri­tisch mit Mar­ken aus­ein­an­der­set­zen und auch Rapper:innen, die Akti­vis­mus und Musik sogar unter einen Hut bekommen.

(Alec Weber)
(Titel­bild von Dani­el Fersch)