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Interview

Josi – ein Gespräch über Bodenständigkeit

"Leu­te, die ihr Publi­kum nicht für etwas Gutes nut­zen, die nut­zen das nur für sich selbst." – Josi im Inter­view über das Ein­set­zen von Reich­wei­te, um etwas zurück­zu­ge­ben und sich an sei­ne Wur­zeln zu erinnern.

Der Kar­rie­re­weg man­cher Künstler:innen ver­läuft getreu dem Mot­to "Star­ted from the bot­tom, now we're here". Gera­de jün­ge­ren Artists wird dabei oft nach­ge­sagt, dass sie auf­grund des schnel­len Erfolgs an Boden­stän­dig­keit ver­lie­ren und abhe­ben. Der ste­tig wach­sen­de Bekannt­heits­grad und hohe Sum­men an Geld neh­men eine zen­tra­le Bedeu­tung ein und stel­len eine gro­ße Moti­va­ti­on dar, Musik zu ver­öf­fent­li­chen. Prin­zi­pi­en, wie nicht zu ver­ges­sen, woher man kommt oder stets etwas zurück­zu­ge­ben, schei­nen dabei zur Neben­sa­che zu wer­den – auch wenn die­se zu Beginn der Kar­rie­re musi­ka­lisch viel­leicht noch the­ma­ti­siert wur­den. Her­aus ste­chen jene Künstler:innen mit jun­gen Kar­rie­ren, die den Blick für das Wesent­li­che nicht aus den Augen ver­lie­ren und sich stets bewusst machen, war­um sie dort sind, wo sie heu­te sind. Auf der dies­jäh­ri­gen Tape­fa­brik hat­ten wir die Mög­lich­keit, mit Josi über Boden­stän­dig­keit zu spre­chen. Im Inter­view erzähl­te uns die Rap­pe­rin, was sie erdet und wel­che Rol­le dabei ihre Fami­lie spielt. Ihre Hei­mat­stadt Frank­furt, die sie gele­gent­lich auf den Boden der Tat­sa­chen bringt und zudem eine zen­tra­le Rol­le in ihrem Wer­de­gang spielt, durf­te dabei natür­lich nicht uner­wähnt bleiben.

MZEE​.com: Durch dei­nen Namen "Josi from da block" und dei­ne oft stol­zen Erwäh­nun­gen Frank­furts lässt sich erah­nen, wie du auf­ge­wach­sen sein könn­test. Zu Beginn wür­de ich ger­ne von dir wis­sen, wel­che dei­ner Eigen­schaf­ten ganz kon­kret auf Frank­furt zurück­zu­füh­ren sind.

Josi: Frank­furt hat mich selbst­be­wusst gemacht. Ich bin eigent­lich in Hil­des­heim gebo­ren, eine klei­ne Stadt neben Han­no­ver, und mit fünf Jah­ren her­ge­kom­men. Kei­ner, der mich von Hil­des­heim kann­te, auch nicht mei­ne Fami­lie, hät­te gedacht, dass ich so auf­ge­he, wie ich auf­ge­gan­gen bin. Ich bin erst 19 und weiß noch nicht zu hun­dert Pro­zent, wer ich bin, aber ich weiß schon vie­les über mich und hab' durch Leu­te auch vie­le Sei­ten von mir ent­deckt, die ich vor­her nicht kann­te. Ich glau­be, das wär' ohne Frank­furt gar nicht mög­lich gewe­sen. In Frank­furt gibt es viel mehr Mög­lich­kei­ten. Man kommt an vie­le Sachen schnell ran – nicht nur die nega­ti­ven Sachen, aber klar, auch die. Frank­furt ist ein­fach eine sehr offe­ne Stadt, wo man vie­les sieht, das einen zu dem Men­schen macht, der man ist.

MZEE​.com: Frank­furt ist eine mul­ti­kul­tu­rel­le und dyna­mi­sche Stadt. Leu­ten, die ursprüng­lich von dort kom­men, wird nach­ge­sagt, dass sie auf dem Boden der Tat­sa­chen leben. Was meinst du, woher die­se Annah­me kommt und wodurch sie sich zeigt?

Josi: (über­legt) Ich kann das nicht wirk­lich sagen, weil ich nicht weiß, wie es in ande­ren Städ­ten ist. Eigent­lich woll­te ich sagen, dass das Elend so nah ist, aber es gibt ja über­all Elend. Viel­leicht ist es in Frank­furt mehr. Man muss nicht mal davon betrof­fen sein, aber wenn man das sieht, dann bringt das einen schon auf den Boden. Wenn ich sehe, dass es jeman­dem schlech­ter geht als mir, bin ich dank­bar für das, was ich jetzt habe.

MZEE​.com: Hast du in Frank­furt Erfah­run­gen mit Men­schen gemacht, die dir ein­deu­tig gezeigt haben, wie du mal nicht wer­den möchtest?

Josi: Ich den­ke, das erlebt jede Per­son. (grinst)

MZEE​.com: Ein Fall kann rich­tig tief und gar nicht so weit weg sein, wie man zunächst denkt.

Josi: Das mein' ich. In Frank­furt hast du Zugang zu ganz vie­len Din­gen und man­che suchen sich auch den Zugang zu Nega­ti­vem. Das bekommt man mit. Und man kann Leu­te gar nicht so schnell davon weg­zie­hen, denn es ist der Kopf, der einen dazu bringt. Man kann schwer eine fes­te Ein­stel­lung von jeman­dem ändern.

MZEE​.com: Nach eige­nen Anga­ben kamst du durch dei­ne Mut­ter mit Musik in Kon­takt, die dir ein brei­tes Spek­trum an Künst­le­rin­nen zeigte.

Josi: Alle! (grinst) Pus­sy­cat Dolls, Lau­ryn Hill, Mis­sy Elliott war eine gro­ße Sache bei uns, aber auch ruhi­ge­re Sachen wie Whit­ney Hous­ton hat mei­ne Mut­ter gehört.

MZEE​.com: Du hast im Vor­feld zur Tape­fa­brik auch bei unse­rem MZEE Tape mit­ge­macht und gleich zwei­mal Mis­sy Elliott genannt. Sie scheint ein gro­ßer Ein­fluss für dich gewe­sen zu sein.

Josi: Mei­ne Mut­ter hat Mis­sy todes­ge­fei­ert und ich dadurch auch. (grinst)

MZEE​.com: Gab es da für dich einen Schlüs­sel­mo­ment, der dir gezeigt hat, dass du auch Musik machen möchtest?

Josi: Es gab nie einen Moment, aber ich weiß eine Situa­ti­on, in der ich neun Jah­re alt war: Mein Dad hat­te rote Beats by Dre-​Kopfhörer. Mein gro­ßer Bru­der und ich durf­ten die nie benut­zen, weil er Angst hat­te, dass wir sie kaputt machen. An einem Tag hat er mir die gege­ben und ich hat­te sein Han­dy, auf dem tau­send Lie­der drauf waren, in der Hand. Ich hab' alles durch­ge­hört und dann kam "Your Love" von Nicki Minaj. Das ist nicht mal ein typi­scher Nicki-​Rap-​Song, son­dern eher ein Love­song. Der ist mir so unter die Haut gegan­gen. Ab da habe ich sie die gan­ze Zeit gehört. Wenn in der Schu­le ein Song von Nicki kam, waren alle immer so: "Josi, komm!" Ich konn­te ihre Lyrics, habe alles mit­ge­rappt. Es kam nicht wirk­lich durch Nicki oder Mis­sy, dass ich ange­fan­gen habe, Musik zu machen. Ich glau­be aber, dass sie in mei­nem Unter­be­wusst­sein viel dazu bei­getra­gen haben, dass ich zum Bei­spiel rich­tig auf Flows ach­te, weil Nicki sehr krass flowen kann. Ich wür­de mir die­se Eigen­schaft auch zuschrei­ben – ich lie­be es ein­fach, mit Wor­ten zu spie­len und zu flowen.

MZEE​.com: Wenn Nicki Minaj bei­spiels­wei­se Inter­views gibt, dann sitzt da die­se cha­rak­ter­lich star­ke Frau, die einen gan­zen Raum ein­nimmt und mit ihrer Wort­wahl, aber auch Mimik und Ges­tik klar­macht, wer sie ist und was sie will. Gibt es für dich Künstler:innen, die nicht nur musi­ka­lisch, son­dern auch cha­rak­ter­lich gese­hen Vor­bil­der für dich sind?

Josi: Nicki ist eine kras­se Prä­senz. Ich bin da noch lan­ge nicht, aber ich neh­me mir das als Vor­bild. Ein­fach das sagen, was man fühlt und denkt, aber auch so zu sein, wie man ist und ein­ste­hen für das, was man ver­tritt. Und das frei aus­spre­chen, auch wenn jemand ande­res nicht der Mei­nung ist. Es gibt Inter­view­part­ner, die ver­su­chen, einen ein biss­chen run­ter­zu­ma­chen. In sol­chen Situa­tio­nen dann ein­fach stark blei­ben wie Nicki, die ihre Mei­nung sagt – auch wenn sie da allei­ne, umge­ben von Män­nern, sitzt.

MZEE​.com: Nicki nutzt sol­che Situa­tio­nen ja auch oft und dreht sie um. Leu­te wol­len sie in eine Ecke drän­gen und sie …

Josi: … drängt sie zurück! Auch mit ihrer Wort­wahl und allem ande­ren. Das ist krass.

MZEE​.com: Apro­pos Vor­bil­der: Du bist bei Ole­xeshs Label Authen­tic Ath­le­tic Records gesi­gnet. Ist er, auch auf­grund sei­nes Lebens­wegs, für dich ein Vor­bild in Sachen Boden­stän­dig­keit? Habt ihr über das The­ma schon mal gesprochen?

Josi: Ich bin nicht spi­ri­tu­ell unter­wegs, aber ich spür' die Ener­gie von Men­schen und kann direkt sagen, ob die Per­son gut oder nicht so gut ist. Und ich kann sagen: Olex ist ein Her­zens­mensch. Egal, wie viel er hat. Auch wenn er wenig hät­te, wür­de er geben. Ich hab' einen gro­ßen Bru­der und seh' Ole­xesh wie einen zwei­ten. Er ist immer da, wenn man ihn braucht. Das hät­te ich nie gedacht, weil man oft sagt, dass erfolg­rei­che Rap­per ein­ge­bil­det sind. Klar ist er ein nor­ma­ler Mensch wie du und ich, aber wenn man mit ihm spricht, ver­gisst man, dass er Ole­xesh, der Rap­per ist.

MZEE​.com: Glaubst du, dass Boden­stän­dig­keit grund­sätz­lich auch etwas mit Selbst­be­wusst­sein zu tun hat?

Josi: Auf jeden Fall. Es gibt aber auch Leu­te, die ein biss­chen zu selbst­be­wusst sind und die dann auch über das Boden­stän­di­ge hin­aus­ge­hen. Ich hab' auch Leu­te ken­nen­ge­lernt, bei denen ich mir dach­te (fängt an zu sin­gen): "Ich bin wie du. Du bist wie ich. Und dar­an zwei­feln wir auch nicht." (lacht) Man­che sehen sich selbst über allem und jedem – das mag ich nicht. Egal, wie viel du hast, wer du bist und woher du kommst, es ist immer wich­tig, jeder Per­son auf Augen­hö­he zu begeg­nen. Vor allem beim ers­ten Kennenlernen.

MZEE​.com: Du erhältst in dei­ner jun­gen Kar­rie­re schon viel Auf­merk­sam­keit. Hast du bewuss­te Tech­ni­ken, um nicht dei­ne Boden­stän­dig­keit zu verlieren?

Josi: Ich glau­be, es gibt dafür kei­ne Tech­nik. Das Wich­ti­ge ist zual­ler­erst das Umfeld, denn du brauchst eine Fami­lie, die dir sagt, wenn du auch nur ein biss­chen abhebst. Auch ein gutes Manage­ment ist da wich­tig – ein­fach Leu­te, die einen wie­der zurück­ho­len. Es gibt Men­schen, die all die­sen mate­ri­el­len Din­gen wie Geld einen viel höhe­ren Wert als Freund­schaft und Lie­be geben, die du dir nicht kau­fen kannst und die nicht selbst­ver­ständ­lich sind. Es gibt eigent­lich gar kei­ne Tech­nik außer dei­nen Kopf. Bei mir ist es die Art, wie ich auf­ge­wach­sen bin, dass ich die bin, die ich bin. Ich weiß, woher ich kom­me, und ich will die­se Gren­ze nie über­schrei­ten. Ich fühl' das auch gar nicht.

MZEE​.com: Du hast das Umfeld ange­spro­chen, das Situa­tio­nen mit einem erlebt hat, aber auch Kon­tra geben kann, wenn es zu einem Höhen­flug kommt. Ein Kreis, in dem dir alle immer zustim­men, wird dich ein­fach machen las­sen und zuse­hen, wie du hoch­fliegst und tief fällst.

Josi: Man muss sich sei­ne Freun­de gut aus­su­chen. Die Leu­te, die fokus­siert auf das Geld sind, das du machst, und die Auf­merk­sam­keit, die du mit­bringst, wol­len ein biss­chen was von dem Licht haben, das du bekommst. Die inter­es­sie­ren sich nicht wirk­lich für dich und dei­ne Per­sön­lich­keit. Da muss man wirk­lich aufpassen.

MZEE​.com: Im Zuge der Black Lives Matter-​Bewegung hast du dich mit einem Pro­jekt musi­ka­lisch enga­giert. Glaubst du, dass es auch bei stei­gen­dem Erfolg wich­tig ist, nicht nur sei­ner Kar­rie­re nach­zu­ge­hen, son­dern sich zum Bei­spiel auch sozi­al oder poli­tisch zu enga­gie­ren, um mit bei­den Füßen am Boden zu bleiben?

Josi: Man hat Reich­wei­te und dadurch Leu­te, die man anspricht. War­um das also nicht für einen Zweck nut­zen, der gut für die Gesell­schaft und alle Men­schen ist? Leu­te, die ihr Publi­kum nicht für etwas Gutes nut­zen, die nut­zen das nur für sich selbst. Wenn man Leu­te hat, die man anspre­chen und bewe­gen kann, die einem fol­gen für die Per­son, die man ist, dann kann man die auch in eine Rich­tung len­ken, die gut ist.

MZEE​.com: Dafür muss man auch gar nicht der poli­tischs­te oder sozi­al enga­gier­tes­te Mensch sein.

Josi: Gar nicht! Es reicht schon eine Instagram-​Story, in der du dei­ne Mei­nung über etwas sagst. Die Leu­te sehen sich das an und den­ken dar­über nach. Das ist dann schon in deren Köp­fen gespei­chert. Man muss nicht mal ein Lied drop­pen, das poli­tisch aus­ge­rich­tet ist. Es rei­chen Klei­nig­kei­ten, um etwas zu bewegen.

MZEE​.com: Auf dei­nem Track "AFO" sagst du: "Doch scheiß' auf Mar­ken­klei­dung, weil ers­tens kann man sich das gar nicht leis­ten. Har­te Zei­ten, fuck auf die gan­zen Desi­gner. Zwei­tens muss man, um gut aus­zu­se­hen, Geschmack bewei­sen." – Eini­ge Künstler:innen haben gera­de nach den ers­ten Erfol­gen einen hohen Mar­ken­kon­sum, der zur Schau gestellt wird und sich auch auf eine jün­ge­re Hörer:innenschaft aus­wir­ken kann. Glaubst du, dass das ein Pro­blem darstellt?

Josi: Es gibt auch vie­le, die das Geld haben, aber die Sachen sehen schei­ße aus! Ich muss das ganz klar so sagen. (lacht) Ent­we­der du hast es oder du hast es nicht. Du könn­test wahr­schein­lich zu Pri­mark gehen und genau­so fresh aus­se­hen wie die Per­son, die zu Lou­is Vuit­ton geht. Viel­leicht sogar noch fres­her. Mir ist es egal, was du anhast und wie du es trägst, denn wenn es cool aus­sieht, sieht es cool aus. Die, die sich das leis­ten kön­nen, kön­nen sich sowas kau­fen. Aber die, die das nicht kön­nen, die haben trotz­dem den­sel­ben Wert als Mensch. Es gibt kei­nen Unterschied.

MZEE​.com: Zum Abschluss habe ich noch eine Fra­ge. Wenn wir uns in zehn Jah­ren wie­der­se­hen, schau­en wir, ob du das wirk­lich so ein­hal­ten konntest.

Josi: Wo ich mich in zehn Jah­ren sehe?

MZEE​.com: Auf kei­nen Fall, wir sind doch nicht bei einem Jobinterview!

Josi: (lacht) Okay gut!

MZEE​.com: Wel­che Wer­te möch­test du dir wäh­rend einer erfolg­rei­chen Musik­kar­rie­re unbe­dingt erhalten?

Josi: Har­te Fra­ge! Ich den­ke, den größ­ten Wert, den ich ver­tre­te und den auch mein Label aus­sagt, ist es, authen­tisch zu blei­ben. So, wie du bist. Auch wenn du schräg bist. Dann bist du schräg, aber Schräg­sein bist ein­fach du. Egal, was du willst, wie du es willst oder was du anziehst, wie du es anziehst – sei ein­fach so, wie du es willst und fühlst. Nicht wie ande­re es füh­len wür­den. Wenn du an dei­nen Klei­der­schrank gehst, dann guckst du, was du anzie­hen willst und nicht, was cool aus­se­hen wür­de, wenn ande­re dich sehen wür­den. Das ist mir ganz wich­tig und das muss ich mir sogar selbst noch bei­brin­gen, weil ich mich manch­mal fra­ge, was ande­re den­ken wür­den. Dar­um geht's aber gar nicht. Man selbst zu blei­ben, ist der Top-​Wert, den ich ver­tre­ten möchte.

(Lai­la Drewes)
(Fotos von Glen David)