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Interview

Ilhan44 – ein Gespräch über Polizeigewalt

"Dadurch, dass wir einem Kreis­lauf aus Gewalt aus­ge­setzt sind, wür­de ich es nicht ver­teu­feln, wenn die­se Gewalt auch umschlägt auf die­je­ni­gen, die sie aus­üben." ‒ Ilhan44 im Inter­view über die Recht­fer­ti­gung von Gewalt gegen­über der Polizei.

"Man sagt, Trä­nen sind das Blut der See­le und fünf von zehn Poli­zis­ten sind Huren­söh­ne." – Die­se Zei­le von Haft­be­fehl aus dem Song "CopKKKil­la" zeigt die Hal­tung vie­ler Rapper:innen zum The­ma Poli­zei. Denn Wut auf Polizist:innen ist seit jeher ein omni­prä­sen­tes The­ma in der HipHop-​Szene und vie­len Tei­len der Gesell­schaft. Dass die­se Wut nicht von unge­fähr kommt, zei­gen die unzäh­li­gen Fäl­le von Poli­zei­ge­walt allein in Deutsch­land. In den letz­ten Wochen wur­den hier vier Men­schen von der Poli­zei getö­tet. Ein Feh­ler im Sys­tem, denn eigent­lich ist die Auf­ga­be die­ser Insti­tu­ti­on, Bürger:innen zu schüt­zen. Den­noch fehlt in Deutsch­land eine unab­hän­gi­ge Instanz, um Poli­zei­ge­walt auf­zu­klä­ren und auf­zu­ar­bei­ten. Dass das kein neu­es Pro­blem dar­stellt, zeigt etwa der bereits 1995 erschie­ne­ne Song "Geh zur Poli­zei" von Bou­le­vard Bou, auf dem er rappt: "Poli­zei ist weder mein Hel­fer, noch ist sie mein Freund. Sie kon­trol­liert, doch wer kon­trol­liert die Poli­zei in die­ser Demo­kra­tie?" Abge­se­hen von der in eini­gen Bun­des­län­dern bestehen­den Kenn­zeich­nungs­pflicht von Polizist:innen zu deren Iden­ti­fi­zie­rung hat sich seit­dem wenig getan. Das spie­gelt sich auch in der Lebens­rea­li­tät vie­ler Men­schen. Die­se umfasst eben nicht Kin­der, die unbe­schwert im Gar­ten Räu­ber und Gen­darm spie­len, son­dern Jugend­li­che, die vor dem eige­nen Fens­ter von der Poli­zei ver­prü­gelt wer­den. Dem­nach ist es nicht ver­wun­der­lich, dass das The­ma so oft Ein­zug in die Musik hält. Auch Ilhan44 hat in Berlin-​Neukölln genau sol­che Situa­tio­nen mit­er­lebt, die ihn geprägt haben. Die­se Ein­drü­cke sowie vie­le ande­re per­sön­li­che Erfah­run­gen mit der Poli­zei ver­ar­bei­tet er unter ande­rem auf sei­ner EP "110". Im Inter­view haben wir dar­über gespro­chen, ob er Gewalt gegen die Poli­zei gerecht­fer­tigt fin­det, ob Deutsch­land ein struk­tu­rel­les Pro­blem mit der Exe­ku­ti­ve hat und was man gegen Racial Pro­fil­ing unter­neh­men könnte.

MZEE​.com​: Das Cover dei­ner EP "110" zeigt einen Schwei­ne­schä­del mit einer Poli­zis­ten­müt­ze, der von einem Mes­ser durch­drun­gen wird. Songs über Poli­zei­ge­walt sowie Wut über die­se sind fes­ter Bestand­teil dei­ner Musik. Wann hat­test du das ers­te Mal in dei­nem Leben damit Kontakt?

Ilhan44: Da müss­te ich unge­fähr sie­ben gewe­sen sein. Das ist eine der Kind­heits­er­in­ne­run­gen, die ich im Kopf behal­ten habe. Ich kann mich noch haar­ge­nau dar­an erin­nern, wie vor mei­nem Fens­ter Jugend­li­che zusam­men­ge­knüp­pelt wur­den. Danach wur­den sie in ein Auto gezerrt und mit­ge­nom­men. In mei­nen Kin­der­au­gen hat es sich als eine Schlä­ge­rei und eine Ent­füh­rung ein­ge­prägt. Erst spä­ter ist mir dann klar gewor­den, dass das ein Poli­zei­ein­satz war. In der Schu­le wur­de immer erzählt, dass das dei­ne Freun­de und Hel­fer sind. Es gab genug Situa­tio­nen, in denen sie das nicht waren. Ich habe auch oft mei­nen Vater mit Cops kämp­fen sehen, als ich in dem Alter war, des­we­gen bin ich, wie ich bin.

MZEE​.com​: In wel­chen Situa­tio­nen in dei­nem Leben fühlst du dich der Macht der Poli­zei am meis­ten ausgesetzt?

Ilhan44: Das ist eine sau­gu­te Fra­ge, weil ich mich in mei­nem bis­he­ri­gen Leben sehr geschickt dar­um win­den konn­te, Poli­zei­ge­walt zu erfah­ren. Ich habe tat­säch­lich sehr sel­ten auf die Fres­se bekom­men von Poli­zis­ten. (lacht)

MZEE​.com​: Hast du unan­ge­neh­me Situa­tio­nen erlebt, die viel­leicht nicht mit Gewalt einhergingen?

Ilhan44: Jede Inter­ak­ti­on ist irgend­wie unan­ge­nehm. Selbst wenn die Beam­ten und Beam­tin­nen nett sind und ver­su­chen, sich zu beneh­men. Es ist nicht das Zwi­schen­mensch­li­che oder dass sie grund­sätz­lich Arsch­lö­cher zu mir sind, es geht ein biss­chen tie­fer als der direk­te Kon­takt mit ihnen, weißt du? Es ist nicht unan­ge­nehm, weil sie immer unhöf­lich wären – obwohl sie es sehr oft sind. Es ist unan­ge­nehm, weil sie Cops sind. Die­se Men­schen haben eine Ent­schei­dung getrof­fen in ihrem Leben durch ihre Uni­form. Durch ihren Berufs­wunsch bekom­me ich ein bestimm­tes Men­schen­bild von ihnen und das macht es unangenehm.

MZEE​.com​: Wür­dest du sagen, dass man bestimm­te Cha­rak­ter­ei­gen­schaf­ten haben muss, um zur Poli­zei gehen zu wollen?

Ilhan44: Man muss cha­rak­ter­schwach sein, um das zu wol­len. Ich den­ke, dass die­se Uni­form auch sehr viel kom­pen­siert. War­um willst du denn eine Auto­ri­tät sein?

MZEE​.com​: Man hört öfter die The­se, dass Leu­te mit einem bestimm­ten Welt­bild sol­che Jobs machen möch­ten. Dar­auf ziel­te mei­ne Fra­ge ab.

Ilhan44: Das ist oft zu kurz gedacht. Dann wer­den Argu­men­te gebracht wie: "Ich will beschüt­zen und ich set­ze mich für eine ordent­li­che Gesell­schaft ein." Aber wes­sen Ord­nung ver­tei­digst du hier gerade?

MZEE​.com​: Beson­ders im Zusam­men­hang mit Demons­tra­tio­nen wird über kon­kre­te Poli­zei­ge­walt berich­tet. Aller­dings betref­fen sol­che gewalt­vol­len Über­grif­fe auch nicht jede:n Polizist:in. Glaubst du, dass beson­ders auf Demos eine Grup­pen­dy­na­mik ent­steht, die sowas befeuert?

Ilhan44: Safe. Denn Men­schen­grup­pen sind wil­de Bestien.

MZEE​.com​: Wür­dest du sagen, dass Poli­zei­ge­walt in Deutsch­land ein struk­tu­rel­les Pro­blem ist?

Ilhan44: Ja. Es ist aber auch ein indi­vi­du­el­les Pro­blem. Das schließt sich nicht aus. Jeder Cop ist selbst dafür ver­ant­wort­lich, auch wenn es ein struk­tu­rel­les Pro­blem ist. Denn die ein­zel­nen Beam­ten und Beam­tin­nen bil­den ja die Gesamt­heit der Poli­zei. Da kön­nen sie sich nicht von lösen.

MZEE​.com​: Wür­de einem:einer Polizist:in die­se Fra­ge gestellt, lau­te­te die Ant­wort sicher eher, dass es ein­zel­ne Per­so­nen sind, die durch ihr Han­deln ein schlech­tes Licht auf die Poli­zei wer­fen. Aller­dings ist die Men­ge an Fäl­len, die bei­spiels­wei­se im Hin­blick auf rech­te Chat­grup­pen bekannt wer­den, beachtlich.

Ilhan44: Klar, am Ende war es nie­mand. Es ist halt ein bestimm­tes Ver­hal­tens­mus­ter. Und das liegt sicher­lich auch am Job.

MZEE​.com​: Gibt es Kon­stel­la­tio­nen, in denen gewalt­vol­le Macht­aus­übung der Poli­zei dei­ner Mei­nung nach gerecht­fer­tigt ist? Ich den­ke da bei­spiels­wei­se an Situa­tio­nen, in denen sich ein:e Polizist:in vor jeman­dem mit einer Waf­fe befindet.

Ilhan44: Es ist trotz­dem nicht gerecht­fer­tigt. Die haben ja genug Trä­nen­gas. Also bit­te, wenn wir es schaf­fen, Ele­fan­ten ein­zu­fan­gen, ohne sie zu töten … Für 'ne Staats­ge­walt gegen­über den eige­nen Bür­gern und Bür­ge­rin­nen soll­te Gewalt­an­wen­dung kei­ne Opti­on sein. Aber das ist eine sehr poli­ti­sche Fra­ge. Ich weiß nicht, ob jetzt Krieg und Gewalt das The­ma sein soll­te. (lacht) Ich den­ke, es gibt kei­ne Situa­ti­on, in der Poli­zei­ge­walt gerecht­fer­tigt ist, weil die­se Men­schen für Dees­ka­la­ti­on aus­ge­bil­det wer­den. Die sind ja auch alle Kampf­sport­ler. So ein klei­nes Mes­ser macht denen nichts mit ihrer Rüstung.

MZEE​.com​: Spre­chen wir über die ande­re Sei­te. Du the­ma­ti­sierst auf dem Song "Gai­jin" Gewalt gegen die Poli­zei: "Fuck a Cop, hau ihm auf den Kopf." – Denkst du, Gewalt gegen­über der Poli­zei ist gerechtfertigt?

Ilhan44: Nun, zunächst ist das eine hoch künst­le­risch gela­de­ne Zei­le. Ich mei­ne sie nicht wört­lich. Natür­lich bin ich nie­mand, der sich in die Öffent­lich­keit stellt und zu Gewalt gegen­über Beam­ten und Beam­tin­nen auf­ru­fen möch­te. Das "Hau ihm auf den Kopf" ist in dem Kon­text ver­ständ­li­cher­wei­se als direk­te Gewalt inter­pre­tiert wor­den, aber ich mei­ne sie eigent­lich ange­lehnt an das Sprich­wort "vor den Kopf sto­ßen". Aber um dei­ne Fra­ge zu beant­wor­ten: Ja, ich fin­de Gewalt gegen­über der Exe­ku­ti­ve gerechtfertigt.

MZEE​.com​: Kannst du das noch wei­ter begründen?

Ilhan44: Es ist immer auch eine Fra­ge von Anla­ge und Umfeld. Unser Sys­tem ist sehr gewalt­voll. Unser Leben ist sozu­sa­gen ein Kreis­lauf aus phy­si­scher oder psy­chi­scher Gewalt. Von sich jemand ande­rem über­le­gen füh­len über Büro­kra­tie bis hin zu Macht­spiel­chen von Beam­ten und Beam­tin­nen. Das sind Macht­ver­hält­nis­se und auch das ist Gewalt. Gewalt ver­ur­sacht Gewalt. Wenn die Regie­rung eine Art Vor­munds­funk­ti­on für ihre Staats­an­ge­hö­ri­gen hat, dann soll­te Unter­drü­ckung und Gewalt kein Mit­tel der Erzie­hung sein. Das kann man dann im Mikro­kos­mos anwen­den. War­um Gewalt kein Mit­tel zur Erzie­hung ist, kön­nen dir dann wie­der­um Päd­ago­gen und Päd­ago­gin­nen in ellen­lan­gen Berich­ten beant­wor­ten. Dann kom­men wir wie­der dazu, dass Men­schen­mas­sen Bes­ti­en glei­chen. Wie bekommst du Men­schen­mas­sen am bes­ten unter Kon­trol­le außer mit der Peit­sche? Dadurch, dass wir einem Kreis­lauf aus Gewalt aus­ge­setzt sind, wür­de ich es nicht ver­teu­feln, wenn die­se Gewalt auch umschlägt auf die­je­ni­gen, die sie aus­üben. Ange­la Davis hat gesagt, dass Revo­lu­ti­on nicht an ihren Mit­teln, son­dern an ihren Zie­len bemes­sen wer­den soll­te, weil wir uns in einem Sys­tem der Gewalt befin­den. Wäre das nicht so, könn­te man es natür­lich kri­ti­sie­ren. Aber wir wer­den getö­tet auf der Stra­ße. Von Leu­ten, die sagen, sie beschüt­zen uns. Das macht die Fra­ge ein biss­chen aggres­siv. Es gleicht auch Täter-​Opfer-​Umkehr, wenn man sagt, du setzt dich zur Wehr gegen­über einer Staats­ge­walt, die dich seit Jahr­hun­der­ten unterdrückt.

MZEE​.com​: Ich den­ke dabei immer an die Demos zum G20-​Gipfel, bei denen ein Poli­zist durch einen Feu­er­werks­kör­per sein Gehör ver­lo­ren hat. Es wird oft beschrie­ben, dass sich die Gewalt auf Demos zwi­schen Polizist:innen und Demonstrant:innen gegen­sei­tig hochschaukelt.

Ilhan44: Safe. Wir waren alle mal in einer Streit­si­tua­ti­on. Wir wis­sen alle, wie Emo­tio­nen funk­tio­nie­ren. Das braucht mir kei­ner erzäh­len. Natür­lich schau­kelt es sich hoch. Aber der gro­ße Unter­schied ist: Die­se Mas­se an Demons­tran­tin­nen und Demons­tran­ten wur­de nicht jah­re­lang dafür aus­ge­bil­det, Streit zu dees­ka­lie­ren, und sie haben kei­ne Ausrüstung.

MZEE​.com​: Das sind Extrem­si­tua­tio­nen. Men­schen machen leich­ter Feh­ler, wenn sie sich in Stress­si­tua­tio­nen befinden.

Ilhan44: Genau das trai­nie­ren die Poli­zis­ten und Poli­zis­tin­nen ja auch in ihrer Ausbildung.

MZEE​.com​: Es ist deren Job, damit bes­ser umge­hen zu kön­nen als ande­re. Es heißt aller­dings oft, das Argu­ment "Das sind ja auch nur Men­schen" zählt für Polizist:innen weni­ger, obwohl sie tat­säch­lich nur Men­schen sind, oder?

Ilhan44: Es zählt auch, aber nur bis zu einem gewis­sen Grad. Denn ich bin bei­spiels­wei­se nicht trai­niert wor­den, Kon­flik­te zu dees­ka­lie­ren, und habe kei­ne Ahnung, wie ich eine Pfefferspray-​Granate schie­ßen soll.

MZEE​.com​: Ein:e Polizeianwärter:in wird unter ande­rem danach aus­ge­wählt, ob sie gut unter Stress funk­tio­niert. Aber 100 pro­zen­tig feh­ler­frei ist natür­lich keine:r.

Ilhan44: Das muss auch nie­mand sein. Es geht auch immer dar­um, wie man mit Feh­lern umgeht. Und die Poli­zei geht oft­mals gar nicht mit ihren Feh­lern um.

MZEE​.com​: Das bringt mich zu dem The­ma "Die blaue Mau­er des Schwei­gens".  Erfährt man Unge­rech­tig­keit am eige­nen Leib, gibt es kaum eine Chan­ce, dage­gen vor­zu­ge­hen, denn die meis­ten Anzei­gen die­ser Art lau­fen ins Lee­re. Unter ande­rem, weil es kei­ne unab­hän­gi­ge Behör­de gibt. Man muss sich an die Poli­zei wen­den, um sich über sie zu beschwe­ren. Wie geht man als Betroffene:r mit der Macht­lo­sig­keit um?

Ilhan44: Ich habe kei­ne Ahnung. Es gibt Bera­tungs­stel­len und Per­so­nen mit juris­ti­scher Aus­bil­dung, die sich dar­um küm­mern, so wie es ihre Kapa­zi­tä­ten erlau­ben. Aber ich habe kei­ne Hoff­nung, dass man gegen Unge­rech­tig­keit aus­ge­hend von der Exe­ku­ti­ven vor­ge­hen kann, weil es kei­ne Kon­troll­in­stanz gibt. Sie sind ja das Mono­pol der Gewalt. Es gibt kei­ne zwei­te Poli­zei, die die Poli­zei kon­trol­liert. Das bräuch­te es. Unter Umstän­den ein unab­hän­gi­ges Komi­tee oder was auch immer. Aber ich glau­be auch an Kor­rup­ti­on, des­halb hal­te ich davon auch nicht viel.

MZEE​.com​: Eine unab­hän­gi­ge Kon­troll­in­stanz wäre super­wich­tig. Sinn­voll wäre es auch, wenn die Poli­zei diver­ser auf­ge­stellt wäre und Men­schen mit mög­lichst unter­schied­li­chen Lebens­rea­li­tä­ten ein Teil davon wären. Dann wür­den Denk­struk­tu­ren, die auf Vor­ur­tei­len beru­hen, in den Köp­fen auf­ge­bro­chen wer­den und es gäbe weni­ger Racial Pro­fil­ing, oder?

Ilhan44: Ich hal­te es für einen gewal­ti­gen Denk­feh­ler, so struk­tu­rel­le Klas­sen­pro­ble­me umzu­wäl­zen auf indi­vi­du­el­le Sachen. Selbst wenn die Poli­zei sehr durch­mischt wäre und dort bei­spiels­wei­se nur Schwar­ze Per­so­nen arbei­ten wür­den, wür­den sie mich erschie­ßen, weil das am Ende des Tages immer noch Cops sind. Sie ver­tre­ten die Inter­es­sen von Men­schen, die nicht wie ich sind. Denn sie sind nicht aus der Arbei­ter­klas­se und sie sind nicht betrof­fen von All­tags­ras­sis­mus und Dis­kri­mi­nie­rung auf Armuts­ebe­ne. Sie sind nicht dafür da, mir zu hel­fen oder mich zu beschüt­zen, so wie es Kin­dern immer ein­ge­re­det wird. Ich den­ke nicht, dass mehr Diver­si­tät inner­halb der Poli­zei irgend­was brin­gen wür­de außer mehr K******, die auf­ein­an­der­ge­hetzt wer­den. Klar, bräuch­te es im bes­ten Fall eine unab­hän­gi­ge Insti­tu­ti­on. Aber ich kann mir das beim bes­ten Wil­len nicht vor­stel­len. Die wer­den von Tag eins unter­wan­dert oder dafür bezahlt, Stu­di­en zu machen, die bele­gen, dass die deut­sche Poli­zei kei­ne Fehl­trit­te macht.

MZEE​.com​: Am Ende muss vor Gericht immer ein:e Staatsanwält:in oder Richter:in entscheiden.

Ilhan44: Genau. Repres­si­on gegen Lin­ke ist halt ein Thing. Spä­tes­tens da wür­de es schei­tern, I guess. (lacht)

MZEE​.com​: Das pro­mi­nen­tes­te Bei­spiel der letz­ten Jah­re ist der gewalt­sa­me Tod von Geor­ge Floyd. Dar­auf folg­ten ein welt­wei­tes Medi­en­echo sowie Demons­tra­tio­nen rund um den Glo­bus. Kön­nen sol­che ein­schnei­den­den Ereig­nis­se die bru­ta­le Gewalt­an­wen­dung inner­halb der Poli­zei lang­fris­tig verändern?

Ilhan44: Nein, ich glau­be nicht. Die haben ja danach nicht auf­ge­hört, zu töten, oder? Es sind gott­ver­fluch­te US-​Amerikaner und -Ame­ri­ka­ne­rin­nen. Es ist Mar­ke­ting. Wenn die eins kön­nen, dann Wer­bung, aber kei­ne Revolution.

MZEE​.com​: Wie meinst du das? Was davon ist Marketing?

Ilhan44: Ich bin sauf­roh über die Bewe­gung. So ist es nicht. Ich will sie kei­nes­wegs schlecht­re­den oder in irgend­ei­ner Wei­se in ihren Zie­len unter­gra­ben. Aber am Ende des Tages sind es immer noch Ame­ri­ka­ner und Ame­ri­ka­ne­rin­nen. Die haben kei­nen Impact, wo sie wel­chen haben soll­ten. Es ist eine Echo­kam­mer an Leu­te, die alle der glei­chen Mei­nung sind. Die schrei­ben ein biss­chen rum und am Ende gehen alle nach Hau­se und die Cops schie­ßen wei­ter. Es hilft nur bis zu einem gewis­sen Grad. Es schafft ein­fach Bewusst­sein für Leu­te, die es eh wissen.

MZEE​.com​: Das ist oft ein Pro­blem von Akti­vis­mus. Du hast vor­hin Ange­la Davis erwähnt. Es gibt natür­lich Bewe­gun­gen, die etwas vor­an­trei­ben, aber es dau­ert sehr lan­ge, bis sich wirk­lich etwas ändert.

Ilhan44: Ja, es ist ein Gene­ra­tio­nen­kon­flikt. Von der Arbeit, die wir jetzt machen, wer­den viel­leicht unse­re Enkel und Enke­lin­nen etwas haben, wenn es gut läuft, und unse­re Kin­der noch wei­ter machen. Von dem Gedan­ken, dass wir zu unse­ren Leb­zei­ten Ver­än­de­run­gen erle­ben wer­den, müs­sen wir weg­kom­men. Was wir machen, ist einen Wald zu pflan­zen, der erst in hun­dert Jah­ren wächst. Wir pflü­gen die Erde, wir sähen die Samen. Was dann aus den Stäm­men und Bäu­men wird, wer­den wir gar nicht erleben.

MZEE​.com​: Als Nächs­tes wür­de ich ger­ne über Musik spre­chen. Poli­zei­ge­walt ist seit jeher ein The­ma im deut­schen Rap. In ande­ren Gen­res gibt es nicht so vie­le Tracks dazu, am ehes­ten noch im Punk. Siehst du das auch so, und woher, glaubst du, kommt das?

Ilhan44: Ich den­ke, das liegt an den Künst­lern und Künst­le­rin­nen, die die­sem Gen­re ange­hö­ren. Ich glau­be näm­lich nicht, dass Kom­po­nis­ten und Kom­po­nis­tin­nen viel mit der Poli­zei zu tun haben. Natür­lich schrei­ben die kei­ne Stü­cke über Poli­zei­ge­walt. Es sind Leu­te wie wir, die davon betrof­fen sind, weil sie arm sind und aus pre­kä­ren Ver­hält­nis­sen kom­men. Es wird so oft the­ma­ti­siert, weil es unse­re Lebens­rea­li­tät ist.

MZEE​.com​: Du hast vor­hin erwähnt, dass in der Kunst Din­ge anders gemacht wer­den als im ech­ten Leben. Was darf die Kunst erzäh­len, was man selbst nicht aus­spre­chen darf?

Ilhan44: Grund­sätz­lich darf doch Kunst alles. Aber ich muss mich dann auch der Kri­tik stel­len, die ich bekom­me. Und das tue ich – bis­her. (lacht)

MZEE​.com​: Glaubst du, dass du Polizist:innen als Hörer:innen hast? Wenn ja, wie fin­dest du das?

Ilhan44: Safe. Ich fin­de es inter­es­sant, weil es in mei­nen Augen etwas Maso­chis­ti­sches hat und das fin­de ich klas­se. Es hat mir bis­her aber noch nie­mand erzählt, dass er Bul­le ist oder Bul­len kennt, die mei­ne Musik feiern.

MZEE​.com​: Wür­de das jemand machen?

Ilhan44: Ich wür­de es nicht aus­schlie­ßen. Ich wür­de auf jeden Fall drü­ber lachen, aber auch drü­ber nachdenken.

MZEE​.com​: Polizei-​kritische Musik als Polizist:in zu hören, ist defi­ni­tiv ein maso­chis­ti­scher Zug. Es geht ja um deren Job. Ich habe tat­säch­lich mal einen Poli­zis­ten getrof­fen, der das Lied "CopKKKil­la" fei­ert. Er fin­det, das ist ein guter Track. In dem Song heißt es, fünf von zehn Poli­zis­ten sei­en Huren­söh­ne. Und der Poli­zist sag­te: "Ja, viel­leicht hat er einen Punkt."

Ilhan44: Er hat defi­ni­tiv einen Punkt, aber er ist auch ein komi­scher Typ.

MZEE​.com​: Rap ist auch oft frau­en­ver­ach­tend und trotz­dem hören ihn Frauen.

Ilhan44: Geht es bei dem Ding nicht auch um Alter­na­tiv­lo­sig­keit? Dass Frau­en, die Rap fei­ern, nicht wirk­lich 'ne Wahl haben? Außer in den letz­ten fünf­zehn Jah­ren, wo es eine Ent­wick­lung gibt und somit mehr Fema­le MCs, die sicht­bar werden.

MZEE​.com​: Jede:r kann sich ja aus­su­chen, was er:sie hört. Es gibt Sachen, die nicht frau­en­feind­lich sind. Du meinst wahr­schein­lich mit der Alter­na­tiv­lo­sig­keit die Anfän­ge, oder? Teil­wei­se sind Tracks aus den 90ern dies­be­züg­lich echt krass.

Ilhan44: Die sind rich­tig schlecht geal­tert, ne? Mega­loh hat in sei­nem Statement-​Song 'ne Zei­le geschrie­ben, die jetzt auch sehr gut in den Kon­text passt: "Doch wie willst du wis­sen, was schmeckt, wenn du nur Schei­ße gefres­sen hast?" Wir wis­sen ja nicht, was gut ist. Natür­lich hören wir so eine Schei­ße, woher sol­len wir es wis­sen? Es gibt nichts ande­res – aber jetzt bin ich hier.

(Malin Teegen)
(Fotos von Doro Zinn)