An dieser Stelle möchten wir Gedanken zu aktuellen Geschehnissen aus dem Deutschrap-Kosmos zum Ausdruck bringen. Die jeweils dargestellte Meinung ist die des:der Autor:in und entspricht nicht zwangsläufig der der gesamten Redaktion – dennoch möchten wir auch Einzelstimmen Raum geben.
Im Folgenden setzt sich unser Redakteur Adrian mit Ghostwriting auseinander und untersucht, warum das Thema immer wieder diskutiert wird.
Auch bevor Kollegah vermeintlich Textzeilen aus Internetforen verwertet haben soll, ist das Thema Ghostwriting in der HipHop-Community immer wieder präsent gewesen. Rapper:innen schreiben nicht nur Songs für Helene Fischer, sondern lassen sich teilweise auch ihre eigenen Texte schreiben. Ob allgemein von der Hörer:innenschaft akzeptiert wie bei Shirin David oder kontrovers diskutiert wie bei Bushido: Auffallend ist, dass dieses Thema mehr Beachtung findet als in anderen Musikrichtungen. Ist Ghostwriting im HipHop inzwischen legitim oder immer noch ein Tabuthema?
Der romantische Grundgedanke von HipHop fußt nicht nur auf Wettbewerb, sondern auch darauf, sich in seiner Musik so authentisch wie möglich darzustellen. Daher sind fremde Texte bei Realkeepern wie KRS-One oder Eminem ein No-Go. Es habe mit ihrer Auffassung von HipHop nichts zu tun und sie wollen nur ihre eigenen Texte rappen. Sie sagen aber selbst, dass sie Rapper:innen, die Texte schreiben lassen, dennoch respektieren können. Ghostwriting ist schon seit Eazy-E ein Streitpunkt. Das einst so persönliche Genre stellt das Endprodukt plötzlich in den Vordergrund. Auch wenn die Inhalte aus der eigenen Lebensrealität stammen, sind sie nicht mehr der Ausdruck der eigenen Gedankenwelt.
Wo fängt Ghostwriting aber an und wo hört es auf? Hier gehen die Meinungen auseinander und es gibt etliche Definitionen. Einige sagen, dass jeder Text zu 100 Prozent selbst verfasst werden muss. Andere, wie etwa Kool Savas, sagen, dass zum Beispiel Hilfe bei der Reimsuche absolut legitim ist. Viele würden auch sagen, dass es kein Betrug ist, einzelne Wörter oder Reime zu googlen und man damit der:die Verfasser:in des Textes bleibt, da der Großteil von ebenjene:r selbst stammt. Anders sieht es aus, wenn der komplette Song oder das ganze Album von einer anderen Person stammt. Es geht also darum, wer den meisten Teil zum Songtext beigetragen hat. Wo genau die Grenze liegt, ist schwer zu sagen. Die Grundidee und der Löwenanteil des Textes sollte aber dem:der Verfasser:in zugeordnet werden können. Darauf dürften sich die meisten einigen können.
Das Skillset eines:einer Rappers:Rapperin beinhaltet eben nicht nur die Delivery, die Stimme und die Live-Performance. Es beinhaltet zu einem großen Teil auch das Schreiben. Hier wird bewiesen, wie gut der:die Künstler:in mit Worten umgehen kann. Folglich fehlt ohne eigene Texte ein Teil, um ein:e "richtige:r" MC zu sein. Das Produkt, das am Ende herauskommt, ist nicht mehr eindeutig dem:der Künstler:in zuzuschreiben, sondern auch dem:der Schreiber:in. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Musik deswegen schlechter ist. Der Artist findet nur nicht mehr in der Liste der besten Rapper:innen statt, weil er:sie nicht mehr "vollkommen" ist, sondern aus mehreren Personen besteht. Ist der Anspruch aber, gute Partysongs zu machen, ist es nicht so wichtig, ob P. Diddy die Texte selbst geschrieben hat. Bei Eminem, der behauptet, ein Rap God zu sein, sähe die Sache wieder anders aus.
Hinzukommt, dass ein:e Rapper:in sich in der Regel mitvermarktet. Nicht nur die Musik steht im Vordergrund, sondern auch die reale Person dahinter. Dementsprechend erwartet der:die Hörer:in in der Regel, dass der:die Künstler:in die Raptexte aus eigener Sicht geschrieben hat. Hier spielen die Inhalte wieder eine wesentliche Rolle. Je persönlicher ein Song ist, desto wichtiger wird die Authentizität. Und diese spiegelt sich nicht nur in den eigenen Texten wider, sondern auch in der Performance. Umso verwunderlicher, warum Kool Savas den Track "Die John Bello Story", der von seinem Lebensweg handelt, von Moe Mitchell und Franky Kubrick performen ließ. Ob auf den Rap oder den Text am meisten Wert gelegt wird, muss wohl jede:r Zuhörer:in für sich selbst entscheiden.
Interessant ist, dass diese Diskussion im HipHop im Gegensatz zu anderen Genres überhaupt geführt wird. Während ein Haftbefehl sich ohne Street Credibility für seine Songs rechtfertigen müsste, ist es bei Helene Fischer herzlich egal, ob sie jemals atemlos durch die Nacht zog. Im HipHop ist Realness eben immer noch ein Streitpunkt.
Abschließend bleibt zu sagen, dass der Anspruch an die Musik also der ausschlaggebende Faktor ist. Konzentriert man sich nur auf die Musik und darauf, ein gutes Endprodukt zu erschaffen, erübrigt sich die Diskussion. Der Fokus liegt auf dem Song und nicht darauf, wer welche Zeile geschrieben hat. Behauptet man allerdings, der:die beste Rapper:in zu sein, ist es wichtig, dass die Texte aus der eigenen Feder stammen. Musik ist immer Ausdruck von Emotionen und am schönsten, wenn sie von Herzen kommt. Die richtigen Worte zu finden, bleibt dabei eine Herausforderung. Ist das Lied gut, bleibt es natürlich weiterhin gut. Es hinterlässt aber einen unschönen Beigeschmack. Die eigene emotionale Welt in Reime zu verpacken, ist und bleibt der beeindruckendste Skill eines:einer Rappers:Rapperin.
(Adrian Macrea)
(Grafik von Daniel Fersch)