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DIGGEN mit Alex Barbian

"Ich hal­te, glau­be ich, schon an Rap fest, weil ich auf der Suche nach die­sen Momen­ten bin, die es in der Puber­tät viel öfter gab." – Die­ses Mal kram­te Alex Bar­bi­an für "DIGGEN mit …" in sei­ner gedank­li­chen Plat­ten­kis­te und brach­te nicht nur eine Play­list vol­ler Hym­nen, son­dern auch Mau­li mit.

Das ers­te Kon­zert, das man ohne Eltern besu­chen durf­te. Nachts allei­ne auf der Auto­bahn und den glei­chen Song immer und immer wie­der hören, weil man nicht fas­sen kann, wie gut er ist. Der Track, den man mit den Freun­den von frü­her laut grö­lend auf jeder Par­ty mit­ge­sun­gen hat. Ver­mut­lich kennt jeder Mensch die­sen Moment: Es läuft ein bestimm­tes Lied oder Album, das einen direkt emo­tio­nal in eine Situa­ti­on zurück­ver­set­zen kann, nost­al­gisch wer­den lässt oder ein­fach nur auf­grund sei­ner Mach­art immer wie­der zum Stau­nen bringt. Und genau dar­um geht es in unse­rem For­mat "DIGGEN mit …". Wir dig­gen mit ver­schie­de­nen Protagonist:innen der Sze­ne in ihren gedank­li­chen Plat­ten­kis­ten und spre­chen über Musik, die die­se Emo­tio­nen in ihnen aus­löst. Dafür stel­len unse­re Gäs­te jeweils eine eige­ne Play­list mit Songs zusam­men, die sie bewe­gen, begeis­tern und inspirieren.

Für Musikliebhaber:innen war eine Sache in den letz­ten Jah­ren recht rar gesät: Kon­zer­te. Beson­ders Fes­ti­vals sind zum Groß­teil erst wie­der seit 2022 mög­lich – und so durf­te auch das lang­ersehn­te splash! Fes­ti­val end­lich wie­der statt­fin­den. Wir tra­fen uns dort mit dem Mode­ra­tor und Jour­na­lis­ten Alex Bar­bi­an, der eine bunt­ge­misch­te Play­list im Gepäck hat­te. Er kam aller­dings nicht allei­ne: Auf­grund eines gemein­sa­men Buddy-​Tags brach­te er außer­dem den Rap­per Mau­li zu unse­rem Gespräch mit. Wenn die bei­den Zeit mit­ein­an­der ver­brin­gen, tau­schen sie sich dabei häu­fig über musi­ka­li­sche Neu­ent­de­ckun­gen aus. Wie sie in unse­rem Inter­view fest­stell­ten, sind sowohl Alex als auch Mau­li gro­ße Fans von Hym­nen. Epo­cha­le Musik, die Pathos ent­hal­ten kann, aber nicht pein­lich sein darf. Groß gemein­te Weg­be­glei­ter, die vie­le Emo­tio­nen und Erleb­nis­se in einem wecken. Songs, die die Welt in ihrer Gesamt­heit zu begrei­fen ver­su­chen. Die Tracks nah­men uns mit auf eine Rei­se von Antifa-​Demos in Thü­rin­gen zu Jams im Gol­de­nen Hahn in Kreuz­berg bis­hin zu dem Grund, wie­so wir alle immer noch auf das splash! Fes­ti­val fahren.

 

 

1. Mega­loh – Regen­ma­cher (prod. by Gha­nai­an Stallion)

Alex Bar­bi­an: Ich fin­de, eine der schwie­rigs­ten Auf­ga­ben beim Musik­ma­chen ist, einen Song zu machen, der pathe­tisch gela­den, aber nicht crin­ge ist. Gera­de in der deut­schen Rap­land­schaft gibt es vie­le nega­ti­ve Bei­spie­le, die ver­su­chen, die Welt in ihrer Gesamt­heit zu begrei­fen und die Hörer:innen emo­tio­nal zu cat­chen, es aber nicht hin­krie­gen. Mit "Regen­ma­cher" hat Mega­loh eine Hym­ne kre­iert, die eine sein will und bis heu­te ist. Auf der Play­list sind vie­le Hym­nen, aber nicht alle sind als eine sol­che ange­legt. Mega­loh schafft es immer wie­der, Pop­songs zu machen, aber ist gleich­zei­tig so ein kras­ser Rap­per, dass sie pathe­ti­sche Ele­men­te ent­hal­ten kön­nen, ohne in irgend­ei­ner Form pein­lich zu sein. Für mich ist er der voll­kom­mens­te MC in Deutschland.

Mau­li: Ich glau­be, er erklärt sich auch so genau, dass es kei­nen Inter­pre­ta­ti­ons­spiel­raum gibt, den man nor­ma­ler­wei­se bei Pop­songs hat. Meis­tens sind sie super­sim­pel, super­kurz und wer­den dadurch auch oft crin­ge. Aber er ist sehr präzise.

Alex Bar­bi­an: Stimmt, die Lines sind sehr all­ge­mein gehal­ten, das macht es ja pathe­tisch, aber da ist halt auch Mega­loh dahin­ter – das hat immer einen Kontext.

 

2. Slime – Alp­traum (prod. by Slime)

Alex Bar­bi­an: Slime ist natür­lich Deutschpunk-​Geschichte. Wo wären wir ohne Slime? Auch im Rap wären wir wahr­schein­lich nicht so weit, wie wir sind. Um das viel­leicht mal in einen Kon­text zu brin­gen: Slime gilt als eine der poli­ti­schen Hardliner-​Bands der Acht­zi­ger und frü­hen Neun­zi­ger. Es gab vie­le Bands, die Spaß-​Punk gemacht haben, aber Slime war immer poli­tisch kon­no­tiert und sehr ernst gemeint. Sehr zor­nig, sehr straight raus – auch nicht so krea­tiv, wür­de ich sagen. Und "Alp­traum" geht zum einen musi­ka­lisch unter die Haut, beleuch­tet aber zum ande­ren auch ein poli­ti­sches The­ma, das zu der Zeit in aller Mun­de war: den Kal­ten Krieg. Es geht um das Wett­rüs­ten, Ost­block gegen West­block. Der Song erzählt sehr authen­tisch von die­sem Dilem­ma aus der Per­spek­ti­ve einer Per­son, die gezwun­ge­ner­ma­ßen als ein­fa­cher Mensch an der Basis ein Teil des Kon­strukts ist. Ich habe den Songs immer wie­der gehört, weil er zu den abso­lu­ten deut­schen Punk-​Klassikern gehört, aber er passt jetzt tra­gi­scher­wei­se wie­der sehr gut in die Zeit.

Mau­li: Viel­leicht auch, weil die Leu­te dem wie­der so aus­ge­lie­fert sind.

Alex Bar­bi­an: Genau. Wer hat mich denn gefragt, ob ich 100 Mil­li­ar­den für die Bun­des­wehr ein­set­zen will? Mag sein, dass das bescheu­ert klingt, aber das sind ja auch mei­ne Steu­er­gel­der. Der Rah­men ist natür­lich ein ande­rer, weil ein Angriffs­krieg pas­siert, der auch aus der lin­ken Per­spek­ti­ve nicht zu recht­fer­ti­gen ist. Aber "Alp­traum" beschreibt die­ses komi­sche Grund­rau­schen vom völ­li­gen Aus­ge­lie­fert­sein, weil man zufäl­lig Teil des einen Macht­blocks ist, indem man dort gebo­ren wurde.

MZEE​.com: Ich glau­be aber, dass der Song heu­te nur noch in Ver­bin­dung mit dem Kon­text funk­tio­niert. Das Wor­ding, das sie benut­zen, haben heu­te ande­re für sich übernommen.

Alex Bar­bi­an: Ja, das stimmt. Im heu­ti­gen Kon­text könn­te man ihn sogar als Schwurbler-​Text verstehen.

Mau­li: Aber auch nur, weil Schwurb­ler das, was sie sagen, dumm ver­ar­gu­men­tie­ren. Man hat das so oft in ande­ren Zusam­men­hän­gen gehört, dass man jetzt hell­hö­ri­ger ist.

Alex Bar­bi­an: Man muss natür­lich auch sagen, dass die Musik von Slime heu­te viel­leicht gar nicht mehr so gut funk­tio­nie­ren wür­de, weil sie sehr stump­fe und pro­pa­gan­dis­ti­sche Tex­te haben. Das Ein­mal­eins des Zecken­sprechs in Musik gepresst. Aber Punk lebt ja auch von bil­li­gen Parolen.

 

3. David Bowie – "Heroes" (prod. by David Bowie, Tony Visconti)

Alex Bar­bi­an: Ich asso­zi­ie­re die­sen Song ganz stark mit "Wir Kin­der vom Bahn­hof Zoo". "Heroes" ist Teil des Sound­tracks und David Bowie hat auch einen Cameo-​Auftritt im Film. Ich fin­de das auch so span­nend, weil er in dem Kon­text ja nicht geglänzt hat, son­dern sich als Gal­li­ons­fi­gur der H-​Szene her­ge­ge­ben hat. Das war damals viel­leicht ver­ständ­lich, heu­te ist es aber ver­werf­lich. Er mimt ein Kon­zert, auf dem sich lau­ter Jugend­li­che Hero­in rein­knal­len und Chris­tia­ne F. sich im Anschluss ihren ers­ten Schuss setzt. Die Dro­ge scheint mal gesell­schaft­lich anders gela­belt gewe­sen zu sein als heu­te. Das bestä­tigt mein Freund $ick auch immer wie­der. Er hat mir erzählt, dass Hero­in in den Acht­zi­gern in Sub­kul­tu­ren sehr vor­herr­schend und völ­lig nor­mal war. Irgend­wann habe ich ihm "Lon­don Cal­ling" von The Clash vor­ge­spielt und er mein­te: "Das ist Heroin-​Musik." Allein die­ses Label zu benut­zen. Inzwi­schen weiß ich schon, was er meint, eine bestimm­te Ära in der Pop­mu­sik ist sti­lis­tisch an die­sen Rausch­zu­stand ange­passt und vie­le haben ja auch selbst konsumiert.

MZEE​.com: Aber eigent­lich gibt es das ja heu­te auch.

Mau­li: Dach­te ich mir auch, gera­de bei Lean.

Alex Bar­bi­an: Stimmt, das ist auch Musik, die an den Rausch ange­passt ist. Aber das ist doch krass, dass Musik sowas kann. Dass Musik dazu in der Lage ist, Sub­kul­tur so zu übersetzen.

Mau­li: Dass Sub­kul­tur auch oft Musik und Dro­gen zu einer bestimm­ten Zeit an einem bestimm­ten Ort bedeu­tet. Die­se Mischung ist schon sehr prä­gend. Das hat man auch ges­tern wie­der bei dem Skepta- und A$AP Rocky-​Auftritt gemerkt. "Roll it up!" (lacht)

Alex Bar­bi­an: Das war schon ein sehr gei­les Kon­zert, aber A$AP ist irgend­wie komisch reingekommen.

Mau­li: Ja! "Leu­te, jetzt wird's echt cra­zy. Kennt ihr die­sen SoundCloud-​Track?" Nein, nie­mand. Spiel bit­te das eine gute Album, das du hast. Danke.

 

4. Cre­di­bil – Vom Ærs­ten Tag (prod. by The Cratez)

Alex Bar­bi­an: Das ist ein Bonus-​Track, der nie rich­tig auf irgend­ei­ner Plat­te erschie­nen ist. Den hat Cre­di­bil mit Video aus­ge­kop­pelt, um ein Tour-​Recap zu machen. Er hat ja eine sehr spe­zi­el­le Pho­ne­tik und Stim­me und dazu pas­sen nicht so vie­le Beats. Da hat er schon auch hin und wie­der dane­ben geschos­sen, aber das ist der gemach­te Beat für ihn. Da schwin­gen auch ein biss­chen Pathos und Tie­fe mit, er ist aber sehr bass­las­tig. Inhalt­lich ist "Vom Ærs­ten Tag" eigent­lich gar nicht so deep, aber der pusht mich so krass, dass ich ihn in spe­zi­el­len Momen­ten ger­ne höre. Ich habe den immer vor den rap.de-Interviews gehört, wenn ich schwie­ri­ge­re Gäs­te hatte.

 

5. Lily Allen – Fuck You (prod. by Greg Kurstin)

Alex Bar­bi­an: Aus heu­ti­ger Per­spek­ti­ve ist Lily Allen sehr under­ra­ted. Es gibt sel­ten Momen­te, in denen sich Leu­te an sie erin­nern und ein­fach mal einen Song anma­chen. Aber was sie zu der Zeit gemacht hat, war so geil. Ich habe sie als die etwas intel­lek­tu­el­le­re, poli­ti­sche­re und kor­rek­te­re P!nk im Indie-​Kontext wahr­ge­nom­men, zumin­dest in der Atti­tü­de. Und zu "Fuck You" habe ich so einen star­ken Bezug, weil ich zwi­schen 14 und 18 jedes Wochen­en­de in Thü­rin­gen auf Antifa-​Demos war, auf denen ver­sucht wur­de, Nazi-​Aufmärsche zu blo­ckie­ren. Man hat­te auch nicht den Ansatz, dass man Leu­te über­zeu­gen will, man woll­te Nazis ner­ven und natür­lich Gren­zen aus­tes­ten. Wir hat­ten auch einen Laut­spre­cher­wa­gen, auf dem jedes Mal "Fuck You" lief. Das war so ein schö­ner, stil­vol­ler Fickfinger.

 

6. SXTN – Schu­le (prod. by Krutsch) 

Alex Bar­bi­an: Ich habe schon mit sehr vie­len Leu­ten über die­ses Album dis­ku­tiert und alle fin­den, dass "Schu­le" und "Stän­der" die schlech­tes­ten Songs sind. Ich fin­de, das sind mit Abstand die geils­ten Songs auf dem Album. (Mau­li lacht im Hin­ter­grund) Ich woll­te Josi Mil­ler trig­gern, des­we­gen kommt "Schu­le" auf die Play­list. Zu dem Song gibt es gar nicht so viel zu sagen, der ist weder krass pro­du­ziert noch ein lyri­sches Meis­ter­werk, aber irgend­wie Punk – es ist eine Abrech­nung mit Lehrer:innen, die Juju und Nura nichts zuge­traut haben. Ich habe auch gese­hen, dass SXTN immer noch über eine Mil­li­on monat­li­che Hörer:innen auf Spo­ti­fy haben. Also irgend­wer ver­dient sich an dem Kata­log immer noch dumm und däm­lich. Das Album war ein­fach ein kras­ser Mei­len­stein. Das, fin­de ich, hat man in dem Moment auch schon gemerkt. Oft wer­den Alben ja erst im Nach­hin­ein als legen­där bewer­tet, aber bei "Leben am Limit" war spür­bar, dass die alles zer­wal­zen werden.

Mau­li: Voll, man hat ein­fach gemerkt, dass da gera­de etwas pas­siert. Ich wer­de nie das ers­te Video zu "Fick dei­ne Mut­ter" ver­ges­sen. Ich hat­te davor noch nie etwas von Juju oder Nura gehört und direkt gemerkt: Die sind jetzt da.

Alex Bar­bi­an: Die haben so eine orga­ni­sche Lega­cy und vor dem Hin­ter­grund ist es eigent­lich auch schön, dass sie auf­ge­hört haben, als es am geils­ten war.

 

7. Job 2 do – Do-​Ther-​Tum (Doo Doo Doo) (prod. by Job 2 do)

Alex Bar­bi­an: Das ist ein Reggae-​Song und mit der Band habe ich auch gar nichts am Hut. Aber es gibt die legen­dä­re Knei­pe "Gol­de­ner Hahn" in Kreuz­berg am Hein­rich­platz, wo sich die gan­ze alte Schu­le von Ex-​68ern bis zur Hausbesetzer:innen-Szene ver­sam­melt. Vie­le der alten Aktivist:innen aus Kreuz­berg tref­fen sich dort ein­mal die Woche zum Früh­schop­pen und jam­men. Die­se Jam endet immer in der End­los­schlei­fe von "Do-​Ther-​Tum (Doo Doo Doo)" – teil­wei­se auch 40 Minu­ten am Stück. Und das hat so einen gei­len Vibe, des­we­gen war ich da sehr oft sonn­tags mit mei­nem bes­ten Freund. Da wird bei Tages­licht geschun­kelt und von der Revo­lu­ti­on geträumt. Für die­se Leu­te ist Rebel­li­on ganz krass mit Gitar­ren­mu­sik ver­knüpft. Vie­le von ihnen sind poli­tisch gewor­den, als die Rol­ling Stones auf der Wald­büh­ne gespielt haben und es die ers­te gro­ße Riot in Ber­lin gab. Die Bul­len haben ver­sucht, die Leu­te beim Rein­ge­hen auf­zu­hal­ten, und das Publi­kum hat ange­fan­gen, mit Fla­schen zu wer­fen. Im Lau­fe des Kon­zerts sind die Stones auf der Büh­ne total abge­gan­gen, alles war über­füllt, die Men­schen saßen in den Bäu­men und dann ist durch die Musik so eine Wut los­ge­bro­chen, dass sie die gan­ze Wald­büh­ne zer­legt haben. Dar­auf­hin gab es eine Schlacht mit den Bul­len und ganz vie­le sagen, dass das ihr Erwe­ckungs­er­leb­nis war. Danach war nichts mehr, wie es war.

 

8. MOLA feat. Hai­y­ti – Schnee im Som­mer (prod. by Mar­kus Sebas­ti­an Harbauer)

Alex Bar­bi­an: Ich woll­te MOLA und Hai­y­ti ger­ne bei­de in der Play­list unter­brin­gen und ich fin­de, der Song ist sehr schön und hat auch hap­py Vibes, obwohl er ein har­tes The­ma behan­delt. Es geht eigent­lich um die Dro­gen­ab­hän­gig­keit einer gelieb­ten Per­son und wie ein chro­ni­scher Koka­in­rausch jeman­dem den Som­mer zer­schießt und die ande­re Per­son sich Sor­gen macht. MOLA war für mich eine der Ent­de­ckun­gen letz­tes Jahr. Egal, in wel­cher Kon­stel­la­ti­on sie kol­la­bo­riert hat – sie hat immer rein­ge­passt. Und Hai­y­ti funk­tio­niert in die­sem Pop-​Kontext auch ein­fach gut. Ihr Gesang kommt auf dem Song so krass. Hät­te sie mehr einen auf Vanes­sa Mai in der was­ted Ver­si­on gemacht, wäre sie, glau­be ich, der größ­te Star.

 

9. The Streets – Turn the Page (prod. by Mike Skinner)

Alex Bar­bi­an: Das ist das Intro von "Ori­gi­nal Pira­te Mate­ri­al" – kras­ses­tes Album und kras­ses­tes Intro der Welt. Ich fin­de, es gibt im Hip­Hop kein epi­sche­res Intro. Und auch das ist ein guter Demo-​Song, weil er zwar nicht wütend, aber sehr dyna­misch ist. Der ver­mit­telt so eine Spannung.

Mau­li: Peitscht der auf?

Alex Bar­bi­an: Der peitscht total auf! Ich wür­de behaup­ten, das ist ein Geigen-​Sample und dann ein eher hek­ti­scher Mike Skin­ner, der ja eigent­lich mehr labert als rappt. Mike Skin­ner ist, glau­be ich, der mar­kan­tes­te MC über­haupt. Den erkennt man immer – die­se Stim­me in der Tak­tung, in der er rappt und singt. Auch das Cover … An dem Album ist sehr viel legen­där. Da kann man vie­le Super­la­ti­ve anwen­den. Wie wür­dest du die­sen Rhyth­mus beschrei­ben? Das hat schon ein biss­chen Jungle Drum & Bass-UK-Einschlag.

Mau­li: Von den bil­li­gen Sounds und der Igno­ranz her auf jeden Fall. Das gri­met einen auf.

Alex Bar­bi­an: Genau. Es gri­met einen auf. Das ist schön formuliert.

Mau­li: Man möch­te cree­pen, aber mit ein biss­chen Aggres­si­ons­po­ten­zi­al. Und man kann auf jeden Fall auch vie­le Lini­en zu der heu­ti­gen Grime-​Musik ziehen.

Alex Bar­bi­an: Das ist mei­ner Mei­nung nach auf jeden Fall ein Album, dass man mal gehört haben sollte.

 

10. Hiob – Zement (prod. by Hieronymuz)

Alex Bar­bi­an: Eben­so episch: Hiob mit "Zement". Für mich ist er einer der kras­ses­ten Deutschrap-​Storyteller. Ich bin erst sehr viel spä­ter auf das Album durch ein For­mat auf­merk­sam gewor­den, dass es wäh­rend der Staiger-​Zeit bei rap​.de gab. Das waren die ers­ten Geh­ver­su­che bei You­Tube. Es steht ein­fach ein Plat­ten­spie­ler im Bild und die Künstler:innen legen ihre Plat­te auf, prä­sen­tie­ren einen Song und die Visua­li­sie­rung des­sen ist nur die Plat­te, die sich dreht. Hiob hat da "Zement" gezeigt. Der Song erzählt die klas­si­sche Gen­tri­fi­zie­rungs­ge­schich­te aus einer Hinterhaus-​Bude in Nord­ber­lin und es hat so einen Hiob-​typischen, schau­ri­gen Anstrich. Etwas Mys­te­riö­ses, das mit­schwingt. Die Ranz-​Hütte mit Ofen­hei­zung, die alte Nach­ba­rin, der Cra­cky obendrü­ber, der Bau­lärm. Und irgend­wann müs­sen sie raus aus der Wohnung.

 

11. Lana Del Rey – Hero­in (prod. by Lana Del Rey, Dean Reid, Kie­ron Men­zi­es, Rick Nowels) 

Alex Bar­bi­an: Der Song ist ihr stärks­ter, weil er all ihre Talen­te bün­delt – die­sen unper­fek­ten, aber trotz­dem epi­schen Gesang auf Strei­chern in die­sem melo­dra­ma­ti­schen Rah­men. Ich bin auf den Song gekom­men, weil ich KUMMER zum Inter­view getrof­fen habe und er "Hero­in" als sei­nen Olymp beschrie­ben hat. Er mein­te, es soll­te immer das Ziel sein, dass ein Song die­se Emo­tio­na­li­tät mit­bringt. Das fand ich ein schö­nes Bild: dass er im Stu­dio sitzt und ver­sucht, die­se Epo­cha­li­tät zu kre­ieren. In Tei­len ist ihm das ja auch gelun­gen, zum Bei­spiel mit "9010".

 

12. Toco­tro­nic – Die Fol­ter endet nie (prod. by Moses Schneider) 

Alex Bar­bi­an: Das ist viel­leicht die offen­sicht­lichs­te Hym­ne von Toco­tro­nic und es ver­hält sich ähn­lich wie bei "Regen­ma­cher": Es ist sau­pa­the­tisch gehal­ten und man hat schon das Gefühl, dass der Anspruch war, dass vie­le Leu­te damit bonden kön­nen. Trotz­dem ist es aber nicht crin­ge und es gibt wahn­sin­nig vie­le Men­schen, die unab­hän­gig von­ein­an­der zu mir gesagt haben, dass sie ihn auf ihrer Beer­di­gung gespielt haben wol­len. Das kann ich mir übri­gens auch gut vor­stel­len. "Die Fol­ter endet nie" ist aber auch einer der expli­zit poli­ti­schen Songs von Toco­tro­nic. Oft haben sie es ja sehr kryp­tisch gehal­ten und sind sehr zahm gewor­den. In der 30-​jährigen Band-​Legacy gibt es aber kei­nen rich­ti­gen Fehl­schuss, das fin­de ich schon krass. Und sie haben natür­lich den Jugend-​Subkultur-​Lifestyle auch in der Optik über Jahr­zehn­te hin­weg sehr geprägt.

 

13. NMZS – Jetzt ist es vor­bei (prod. by Pitlab)

Alex Bar­bi­an: "Jetzt ist es vor­bei" bie­tet sich natür­lich für das Ende einer Play­list gut an. Das ist der Clo­ser von dem Album, dass die Anti­lo­pen Gang nach NMZS' Tod ver­öf­fent­licht hat, dadurch steht es auto­ma­tisch in einem gewis­sen Zusam­men­hang. Ich fin­de "Der Ekel­haf­te" nicht über­krass, es sind aber ein paar Songs drauf, die sehr gut sind. Der Song erklärt viel von dem, was dann pas­siert ist. Es geht um sui­zi­da­le, depres­si­ve Pha­sen und NMZS' Umgang damit. Und auch wenn er den Kampf ver­lo­ren hat, ist "Jetzt ist es vor­bei" ein Zeug­nis davon. Das soll­ten mög­lichst vie­le Men­schen hören. "Es geht um 15 Minu­ten Fame, um Post­pu­ber­tät. Dei­ne Crew ist fake, all die­se Schei­ße ist das Geils­te." – Die­se Line ist so klas­si­scher NMZS-​Schreibstil, aber in sei­ner Best­form. Ich ken­ne die­sen Gedan­ken­gang auch gut.

MZEE​.com: Bist du, was dei­ne post­pu­ber­tä­re Zeit angeht, ein nost­al­gi­scher Mensch?

Alex Bar­bi­an: Das ist ja der Grund, wie­so wir hier alle auf dem splash! sind. Ich hal­te, glau­be ich, schon an Rap fest, weil ich auf der Suche nach die­sen Momen­ten bin, die es in der Puber­tät viel öfter gab. Dass man etwas hört, sieht oder spürt, das wahn­sin­nig viel mit einem macht. Dar­um geht es ja.

 

All die­se Tracks fin­det ihr hier in unse­rer "DIGGEN mit Alex Barbian"-Playlist auf Spotify.

(Yas­mi­na Rossmeisl)
(Foto von Shirayn Cooper)