"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem Künstler oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der Gesprächspartner ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
Schon bevor 365 Fe*male MCs ein Label geworden ist, habe ich das Projekt mit höchstem Interesse verfolgt. Immer wieder stieß ich dadurch auf Artists, die nicht nur vielversprechend, sondern mir auch oft völlig neu waren. So stieß ich auch auf erste Singles von Aisha Vibes, die mich durch ihre Vielseitigkeit am Mic sowie durch den Charme und Witz ihrer Instastorys begeisterte. Und mit ihrer Debüt-EP "VIBES" Anfang 2022 bestätigte sie meinen positiven Eindruck.
Das Release verzeichnet gerade mal sechs Tracks, die aber facettenreicher nicht sein könnten. Aisha Vibes zeigt hier, dass sie nicht nur Rap, sondern auch Soul, R 'n' B und – wenn man so möchte – sogar Reggae verstanden hat. So liefert Aisha in dem Track "Lovey Dovey" etwa eine Ohrwurm-R 'n' B-Style-Hook entsprechend des "naughty"-Themas. Doch auf dem ersten Song, "Man kennt's", punktet sie vor allem mit solidem Rap, überrascht gleichzeitig jedoch mit angenehmen Switches ins Englische und einem Megaloh-Feature. Und auch wenn es nur einzelne Lines sind, gibt sie hier schon gesellschaftskritische Statements ab wie "Du bist nicht racist, weil du hast Rap in der Playlist". Ihre kritischen Auseinandersetzungen werden auf dem darauffolgenden Track noch deutlicher, denn "Rudebwoy" arbeitet eine toxische Beziehung auf. Aisha erzählt hier von der gegenseitigen Zuneigung sowie dem Bleiben trotz des Wissens, dass ihr Gegenüber ihr eigentlich nicht guttat. Generell ist die EP inhaltlich ein sehr eingängiger Mix aus Wokeness, Humor und vor allem Gute Laune-"VIBES". Um das Ganze abzurunden, zaubern die Produzenten wie Maxe, TinoBeats oder auch Tacka77 dazu immer das passende, mal seicht-poppige, mal härtere, düstere Gewand wie etwa bei "Halt dein Maul". Gefühlt werde ich hier durch sämtliche HipHop-nahe Genres begleitet und doch wirkt alles wie aus einem Guss.
Mit "VIBES" hat Aisha Vibes nicht nur ein solides Debüt veröffentlicht, sondern mich auch komplett in ihren Bann gezogen. Auch noch ein halbes Jahr später brülle ich laut im Auto "Halt dein Maul" mit, wenn der Track aus den Lautsprechern ertönt. Daher kann ich die EP für 15 Minuten gute Laune im Sommer allen nur wärmstens empfehlen.
(Lukas Päckert)