Das erste Konzert, das man ohne Eltern besuchen durfte. Nachts alleine auf der Autobahn und den gleichen Song immer und immer wieder hören, weil man nicht fassen kann, wie gut er ist. Der Track, den man mit den Freund:innen von früher laut grölend auf jeder Party mitgesungen hat. Vermutlich kennt jeder Mensch diesen Moment: Es läuft ein bestimmtes Lied oder Album, das einen direkt emotional in eine Situation zurückversetzen kann, nostalgisch werden lässt oder einfach nur aufgrund seiner Machart immer wieder zum Staunen bringt. Und genau darum geht es in unserem Format "DIGGEN mit …". Wir diggen mit verschiedenen Protagonist:innen der Szene in ihren gedanklichen Plattenkisten und sprechen über Musik, die diese Emotionen in ihnen auslöst. Dafür stellen unsere Gäste jeweils eine eigene Playlist mit Songs zusammen, die sie bewegen, begeistern und inspirieren.
Für diese Ausgabe stellte uns Donvtello eine Playlist voller Memphisrap zusammen. Der Phonk-Sound aus der Stadt am Mississippi war eine der prägenden musikalischen Sozialisationen des Oldenburger Rappers. Das spiegelt sich in seinem eigenem Rapstil und Soundbild genauso wider wie in seiner Liebe für die Tape-Kultur. In Donvtellos Auswahl schafften es Klassiker und Geheimtipps aus der Zeit von 1996 bis 2004. In diesem Rahmen verriet er uns unter anderem, dass er und seine damalige WG nahezu zwei Jahre lang dasselbe Album gehört haben und unter dem Einfluss von Pilzen dem entsprechenden Rapper einen Dankesbrief schicken wollten. Außerdem erzählte er uns von Kontakt mit Rappern aus Memphis über MySpace und Skype und davon, wer ihn überhaupt an das Genre herangeführt hat.
1. Gangsta Boo feat. Prophet Posse – Who We Be (prod. by DJ Paul & Juicy J)
Donvtello: Das ist einer der ersten Memphis-Tracks, die mir jemand gezeigt hat. Ich war in der siebten Klasse und jemand hat mir auf dem Schulhof eine gebrannte CD gegeben. Mich hat bei Prophet Posse und Three 6 Mafia immer gecatcht, dass so viele verschiedene Interpreten mit individuellen Styles so gut zusammenpassen. Die Strings, der Gesang und diese Posse-Hook – als ich das zum ersten Mal gehört habe, hab' ich direkt so eine "Mean Mugging"-Fresse gezogen. Der Track ist von 1998. Es gibt viele Memphis-Heads, für die die beste Zeit von Anfang bis Mitte der 90er war. Ich hab' jetzt viele Songs von Ende 90 bis 2004 in die Playlist gepackt. Da ist die goldene Memphis-Zeit für viele schon vorbei, aber ich hab' viele Alben bis 2005, die richtig dope waren. Außerdem ist das ganze Genre auf Spotify auch gar nicht so gut vertreten. Wenn es alles gegeben hätte, würde die Liste vielleicht etwas anders aussehen. Aber es sind durchweg Songs, die mich bis heute geprägt haben.
2. Al Kapone – The N-I-Double-G-A (prod. by DJ Squeeky)
Donvtello: Ich finde Al Kapones hohe Stimme und die Energie, mit der er in diesen Song reingeballert kommt, einfach megageil. Der ist ein Memphis-Urgestein, genau wie DJ Fila, der die Scratches gemacht hat. Pures Feuer.
3. Mr. Sche – Tooted up!! (prod. by Mr. Sche)
Donvtello: Ebenfalls ein krasses Urgestein mit ultraviel Output auf Kassette und CD. Er produziert auch selbst. Der Track ist mein Lieblingssong vom Album "Lowlife or Nolife" neben dem Titelsong, den man sich auch auf jeden Fall reinziehen sollte. Mr. Sche representet sehr gut diesen Memphis-Buck-Crunk-Sound – es geht nach vorne und ist sehr uptempo. Er war auch auf meinem 2014er-Album "808 Family", was mich sehr gefreut hat. Die Crew, mit der ich 2005 in Oldenburg angefangen habe zu rappen, hatte ihn schon 2006 auf einem Album. Er war der erste Ami, mit dem damals über MySpace Kontakt aufgebaut wurde. Im Laufe der Jahre hatten wir immer wieder Kontakt mit Rappern aus den USA und es ist selten, dass die sich wirklich für Mucke aus Deutschland interessieren. Die machen schon mal ein Feature, aber mehr geht oft nicht. Lustige Sidestory: Um 2014 herum hatte ich auch Kontakt mit Dylan Ross. Den habe ich angeschrieben, nachdem ein Kollege ihn mir gezeigt hatte. Der war meganett und hatte auch Interesse dran, was wir so machen. Der kommt aus Cleveland und hat Frauenarzt gehört. Irgendwann hat er gefragt, aus welcher Stadt ich komm'. Als ich dann gesagt hab', dass ich aus Oldenburg bin, meinte er, dass Mr. Sche ihm mal eine Crew aus Oldenburg gezeigt hätte, die so ähnlich wie ich gerappt hätten. Das war die Crew, in der ich war. (lacht) Fand ich krass, dass er ihm das gezeigt hat.
4. Playa G feat. Verbal & Issue, Kingpin Skinny Pimp, Meka B & Ghetto Mafia – Fuck The Trunk
Donvtello: Das Album "Pimp Sh*t" hab' ich auf Vinyl, das gibt es auf Spotify gar nicht. Sehr chillige Platte von 1996. Der Track ist aber auch auf einem Sampler, der mit räudiger Qualität auf Spotify zu hören ist. Um 2009 herum haben meine Freunde und ich so Awards für das "Album des Jahrhunderts" vergeben. Das waren für uns Alben, auf denen jeder Song richtig krass ist, von vorne bis hinten dope. Das war eins davon. Wir haben das durchgehend gehört. Als wir in unsere erste WG gezogen sind, haben wir das Album gehört. In den zwei Jahren, in denen wir dort gewohnt haben, ebenfalls. Beim Auszug haben wir das Album wieder gepumpt. Ein Kollege, der uns sowohl beim Ein- als auch beim Auszug geholfen hat, hat uns nur gesagt, wie hängengeblieben wir sind, dass wir das immer noch hören. Als wir mal Pilze gefressen haben, wollten wir Playa G voll dicht unbedingt mitteilen, wie sehr wir dieses Album feiern. Dann haben wir beschlossen, ihm einen Brief zu schreiben, um ihm das zu sagen. (lacht) Haben wir natürlich überhaupt nicht gebacken bekommen. Playa G wird auch in Japan krass gediggt. Ich hab' auf Insta letztens gesehen, wie der da live spielt.
5. Manson Family feat. C-9 & Mac-T.Dog – Bar None (prod. by Maceo)
Donvtello: Rest in Peace, C-9. Er war auch auf meinem Album "808 Family". Von allen Amis, mit denen ich Kontakt hatte, war er der korrekteste. Er hatte richtig Interesse, hat sich meine Songs angehört und so weiter. Ich hab' damals in einer Druckerei gearbeitet und ihm und Tommy Wright von Manson Family personalisierte Shirts geschickt. Der trägt seins heute immer noch. Ich hab' C9 noch CDs von uns und zwei Flaschen BECK's ins Paket gepackt. Wir haben geskypet, er hat die Mucke eingelegt und wir haben zusammen Joints geraucht, seine Frau hat auch mal Hallo gesagt und so weiter. 2014 ist er gestorben und ich hatte einen Tag vorher noch Kontakt mit ihm. Das war auf jeden Fall richtig traurig. Er ist einer meiner Lieblingsrapper. Dieser Song ist sehr stressig, aber geil, weil er so viel Energie hat. Den haben wir ohne Ende gehört. Boss Bytch ist ebenfalls auf dem Song, neben Princess Loco, Gangsta Boo und La Chat meine favorite Rapperin. Sie hat auch ein sehr geiles Album zusammen mit Mr. Sche.
6. Koopsta Knicca feat. Gangsta Boo – Whoop Dat Bitch
Donvtello: Das meistgefeierte Album von Koopsta in der Memphis-Szene ist auf jeden Fall "Da Devil's Playground". Ist wahrscheinlich auch mein liebstes Album von ihm. Aber "Da Inevitable" von 2004 haben wir so viel gehört. Der Sound ist neuer, es ist etwas crunkiger mit diesen hohen Synthesizern. Mir fiel es echt schwer, mich für einen Song vom Album zu entscheiden. Whoop That Bitch steht aber repräsentativ für die ganze Platte. Ich feier' es bei Koopsta total, dass er eigentlich eine höhere Stimme hat, in den Parts aber auch eine tiefere Stimmlage nutzt. Auf jeden Fall einer meiner favorite Rapper.
7. Evil Pimp – Do You Wanna Fuck wif Me
Donvtello: Evil Pimp hat mich flow- und raptechnisch sehr inspiriert. Wer ihn kennt, erkennt in einigen Passagen meiner Songs sicherlich Ähnlichkeiten. In dem Song holt er einmal Luft und ballert dann unfassbar rein. Teilweise flext er ohne Drumkit im Beat so hart durch, das ist nur geil.
8. La Chat – Ni**a Comin' Clean
Donvtello: Der Song ist auch von einem Album, auf dem jeder Track geil ist: "Murder She Spoke" aus dem Jahr 2001. Three 6 Mafia hat einfach ultraviel hochqualitativen Content gedroppt. So viele Künstler in diesem Camp und dem Umfeld waren interessant und geil, deshalb kommen so viele von ihnen in meiner Playlist vor – La Chat ist eine davon. Ich pumpe das jetzt seit 20 Jahren, du hast keine Ahnung, wie oft ich das gehört habe. Und es läuft immer noch.
9. Three 6 Mafia – Body Parts (prod. by DJ Paul & Juicy J)
Donvtello: Die Sachen der Three 6 Mafia-Leute habe ich am Anfang alle auf einen Schlag gezeigt bekommen. Ich kann dir nicht sagen, warum, aber in Oldenburg haben die Jungs, die fünf bis zehn Jahre älter als ich waren, genau diese Mucke auf CDs gesammelt. In Hamburg, Berlin, Osnabrück und Bielefeld war das genauso. Die Jungs, mit denen ich Breakdance getanzt habe, waren auch auf diesem Memphis-Film. Wir waren oft bei Benni P, einem Homie von mir. Der hatte CD-Ständer voll nur mit Memphis-Mucke. Da haben wir uns alles reingezogen. "Body Parts" ist ein Posse-Track, auf dem alle Member drauf sind. Der Beat geht einfach nur ins Maul. Der erste Part ist von K-Rock, einer meiner absoluten Lieblingsrapper, der auch leider schon gestorben ist. Er hat ultraviele Featureparts gemacht und die waren immer die krassesten. Der Part auf "Body Parts" ist einfach ganz anderes Level.
10. DJ Zirk feat. 2 Thick & Project Playaz – Dirty Hoes (prod. by DJ Zirk)
Donvtello: Das Sample des Tracks ist vom Album "Lookin' for da Chewin!" von Kingpin Skinny Pimp aus dem Jahr 1996, "Dirty Hoes" ist aus dem Jahr 2000. DJ Zirk hat das Intro für "808 Family" gesprochen, mit dem hab' ich auch noch guten Kontakt und verkaufe zum Beispiel in meinem Shop Teile seines Merchs. Sehr korrekter Macker, mit dem man auch schreiben und sich unterhalten kann. Criminal Mane von den Project Playaz ist einer meiner favorite Rapper, der in den 90ern Memphis-Tapes gedroppt hat. Er hat irgendwann den Schritt rüber zu Trap gemacht und mittlerweile auch in dem Genre viele Tapes gedroppt.
11. Project Pat – Still Ridin' Clean (prod. by DJ Paul & Juicy J)
Donvtello: Zu Project Pat muss man, glaube ich, nicht viel sagen. Sollte jedem ein Begriff sein, absolute Memphis-Legende. Er hat so einen krassen Wiedererkennungswert, sein Slang ist ein Alleinstellungsmerkmal. Das ist so geil stumpf, aber immer on point mit so viel Flavour. Ich bin hart auf diesem Song hängengeblieben und hab' den bestimmt 10 000-mal gehört.
12. T-Tee feat. 3 Devious & Psycho – Thugs Cry
Donvtello: Der Song ist von 97, ich hatte den um 2001 herum auf einer CD und die Bassline kam mir megabekannt vor. Der Track ist eigentlich komplett genauso aufgebaut wie "Devotion" von Earth, Wind & Fire, was ein ultrakrasser Song ist, der oft gesamplet und wiederverwendet wurde. Besagte CD hab' ich irgendwann verloren und natürlich stand damals auch nicht auf der CD, von wem der Song war. Ich konnte den dann richtig lange nicht hören. Teilweise finde ich immer noch Songs wieder, die ich vor 20 Jahren kurz gehört habe, von denen ich aber nie den Interpreten kannte. Wenn ich die dann irgendwo höre, raste ich völlig aus. Diesen Song hab' ich vor fünf Jahren oder so wiedergefunden und war überglücklich. Ich hab' den immer gern gehört, wenn ich ein bisschen down war. Einfach ein schönes Lied. Da erzählt jemand, wie es in Memphis abläuft, was sie dort erleben und wie es beispielsweise ist, ohne Mutter oder Vater aufzuwachsen. Die Songs in dieser Playlist haben jetzt oft eine bestimmte Facette von Memphis gezeigt, aber das ist nicht alles. Du kannst dir krasse Doubletimes abholen, du kannst chilligen Scheiß hören, du kannst den Pimp-Shit feiern. Es gibt viele Facetten, ist sehr vielseitig, real und einfach geil to the fullest.
All diese Tracks findet ihr hier in unserer "DIGGEN mit Donvtello"-Playlist auf Spotify.
(Alexander Hollenhorst)
(Foto von Vonsi_digital)