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Interview

YRRRE – ein Gespräch über Selbstfürsorge

"Lei­der ist Men­tal Health oft noch ein Tabu­the­ma. Wenn jemand zum Bei­spiel im Büro drei Wochen fehlt, wird sofort geläs­tert und gesagt, dass die betrof­fe­ne Per­son sich einen Lenz macht – das ist das Aller­letz­te." ‒ YRRRE über den Umgang mit Men­tal Health in der Arbeitswelt.

Küm­me­re ich mich genug um mich selbst? In einem All­tag voll von Arbeit und ande­ren Ver­pflich­tun­gen geht es schnell, dass man selbst mal zu kurz kommt. Für die men­ta­le Gesund­heit kann das auf lan­ge Sicht pures Gift sein. Und obwohl Selbst­für­sor­ge immer mehr in den gesell­schaft­li­chen Fokus rückt, hat man oft noch das Gefühl, dass das The­ma nicht ernst genug genom­men oder stig­ma­ti­siert wird. Rap­per YRRRE hat­te in sei­nem Leben schon früh mit psy­chi­schen Pro­ble­men zu kämp­fen und merk­te immer wie­der, wie er damit in sei­nem Umfeld aneck­te. Für ihn war es ein lan­ger Pro­zess, um zu ver­ste­hen, was er braucht, um lang­fris­tig glück­lich zu sein. Sein aktu­el­les Album "Fein­staub" gibt tie­fe und ehr­li­che Ein­bli­cke in die Gefühls­welt des Wahl-​Berliners und zeigt, dass YRRRE bei der Suche nach Lösun­gen immer wie­der vom Weg abkommt. Dabei sagt er, was ihn beschäf­tigt – ohne vie­le Meta­phern oder ver­schach­tel­te Zei­len. Im Inter­view mit uns sprach er dar­über, wie sich der Stel­len­wert von Selbst­für­sor­ge in unse­rer Gesell­schaft mit den Jah­ren ver­än­dert hat und was er tut, wenn er sich mal in einem men­ta­len Loch befindet. 

MZEE​.com​: Ich hat­te beim Hören dei­nes neu­en Albums das Gefühl, dass du viel in dich hin­ein­hörst und dir immer wie­der bewusst machst, wie es dir geht. Zuerst wür­de ich ger­ne wis­sen, was Self­ca­re für dich per­sön­lich bedeutet.

YRRRE: Das ist eine sehr weit gefass­te Fra­ge. (über­legt) Im Gro­ßen und Gan­zen bedeu­tet Self­ca­re, dass man auf sich ach­tet und Mecha­nis­men lernt, die einem hel­fen, wenn es gera­de mal nicht so läuft. Es geht zum Bei­spiel dar­um, sich regel­mä­ßig Pau­sen zu geben.

MZEE​.com​: Wie vie­le die­ser Pau­sen sind dei­ner Mei­nung nach gut? Wird es ab irgend­ei­nem Punkt egoistisch? 

YRRRE: Das kommt, glau­be ich, immer auf die Situa­ti­on an. Man muss natür­lich irgend­wie sei­nen Pflich­ten nach­kom­men, aber wenn das nicht geht, dann muss man an ers­ter Stel­le auf die eige­ne Gesund­heit achten.

MZEE​.com​: Es wird oft gesagt, dass man sich erst um sich selbst küm­mern muss, bevor man für ande­re da sein kann. Wie siehst du das?

YRRRE: Ich glau­be, dass man erst mal dazu bereit sein muss, mit sich selbst klar­zu­kom­men. Das ist mei­ner Mei­nung nach der rich­ti­ge Weg. Gera­de wenn man Pro­ble­me hat, kann man oft nicht den rich­ti­gen Schlüs­sel für die­se fin­den, son­dern muss erst ein­mal eine gewis­se Bereit­schaft ent­wi­ckeln. Es geht nicht unbe­dingt dar­um, mit sich selbst klar­zu­kom­men – man muss sich selbst akzeptieren.

MZEE​.com​: Wie macht man das am besten?

YRRRE: Bei mir selbst war das ein sehr lan­ger Weg. Ich bin in einem Umfeld auf­ge­wach­sen, in dem es nicht nor­mal war, über die eige­nen Pro­ble­me zu reden. Da sind Din­ge pas­siert und am nächs­ten Tag wur­den sie nicht mehr the­ma­ti­siert. Man muss dort erst mal her­aus­wach­sen und ler­nen, dass es immer gut ist, mit Leu­ten zu spre­chen und die eige­nen Erfah­run­gen zu reflek­tie­ren. So merkt man schnell, dass man nicht allei­ne ist.

MZEE​.com​: Wür­dest du sagen, dass du dich heut­zu­ta­ge genug um dich selbst kümmerst?

YRRRE: (grinst) Ich glau­be, dass man nie aus­lernt. Auf mei­nem Album kann man, den­ke ich, gut her­aus­hö­ren, dass ich mich nicht immer in die gesün­des­ten Sachen flüch­te, wenn es mal hapert. Es wird aber von Jahr zu Jahr bes­ser und ich kom­me immer mehr mit mir selbst klar.

MZEE​.com​: Auf dem Album rappst du unter ande­rem über zu viel Net­flix und Alko­hol. Waren das in der Ver­gan­gen­heit rea­le Flucht­mög­lich­kei­ten für dich?

YRRRE: (lacht) Ja, schon. Alles, was ich auf mei­nem Album sage, stimmt auch so.

MZEE​.com​: Jetzt kannst du mit etwas Abstand auf den Ent­ste­hungs­pro­zess des Albums zurück­bli­cken. Was brauchst du denn wirk­lich, damit es dir auf lan­ge Sicht gut geht?

YRRRE: Der Schlüs­sel ist, glau­be ich, dass ich mir Ruhe gön­ne, wenn ich Ruhe brau­che. Wenn ich über­for­dert bin, mer­ke ich schnell, dass ich Pro­ble­me habe, alles auf die Ket­te zu krie­gen. In sol­chen Momen­ten muss ich mich erst mal sor­tie­ren und die­se Zeit soll­te man sich nehmen.

MZEE​.com​: Wir haben eben schon dei­nen Track "Net­flix" ange­schnit­ten, in dem du über eine geschei­ter­te Bezie­hung rappst. Warst du schon mal in der Situa­ti­on, dich für einen bestimm­ten Men­schen kom­plett selbst aufzugeben?

YRRRE: (über­legt) Ich glau­be, dass man in den ers­ten Bezie­hun­gen oft zu wenig an sich selbst denkt. Mit einer sol­chen Ein­stel­lung stößt man aber irgend­wann an den Punkt, dass eine Bezie­hung so nicht funk­tio­niert. Es ist wich­tig, immer wie­der in sich hin­ein­zu­hor­chen. Das Gan­ze ist aber auch ein Lernprozess.

MZEE​.com​: In dei­ner Musik schwingt immer wie­der eine antriebs­lo­se und leicht depres­si­ve Stim­mung mit. Was machst du, um aus einem sol­chen Loch wie­der herauszukommen?

YRRRE: In extrem schlim­men Pha­sen kann man nur wenig machen. Ehr­lich gesagt sehe ich mich auch nicht in der Posi­ti­on, zu sagen, wie man es am bes­ten machen soll­te. Manch­mal ist man ein­fach wie gelähmt und kann nicht wei­ter­ma­chen. Selbst wenn man in The­ra­pie ist, hat man irgend­wann nicht mehr genü­gend Kraft, die­ser nach­zu­ge­hen. Für sol­che Pha­sen habe ich immer noch nicht den rich­ti­gen Schlüs­sel gefun­den. Es ist ein­fach wich­tig, sich abzu­len­ken, nicht so viel nach­zu­den­ken und Zeit für sich selbst zu finden.

MZEE​.com​: Nun hast du ein Album ver­öf­fent­licht, auf dem du offen über dei­ne Gefüh­le sprichst. Inwie­weit hat dir das Musik­ma­chen geholfen?

YRRRE: Sehr viel! Wenn man etwas in einen Song presst, dann ist es auf ein­mal nicht mehr so groß. Wenn einem etwas die gan­ze Zeit durch den Kopf geht und man sich dar­an auf­hängt, bekommt man kei­ne ande­ren Blick­punk­te. Da ist das Schrei­ben eine gute Alternative.

MZEE​.com​: Hilft es dir auch, nach eini­ger Zeit die Songs noch mal zu hören, um zu ver­ste­hen, was du für Fort­schrit­te gemacht hast?

YRRRE: Safe! Das ist aber auch ein Punkt, an den man erst gelan­gen muss, um das Gan­ze zu genie­ßen. Bei ein paar Sachen, die ich geschrie­ben habe, bin ich mir immer noch nicht sicher, ob ich die über­haupt her­aus­brin­gen will, weil ich mich ein­fach noch nicht gut damit füh­le. All­ge­mein ist Musik­hö­ren für mich eine gro­ße Hil­fe. Wenn Musik nicht wäre, wüss­te ich nicht, ob es mich dann noch gäbe.

MZEE​.com​: Greifst du selbst ger­ne zu melan­cho­li­scher Musik, damit es dir bes­ser geht?

YRRRE: Gar nicht mal. Ich lie­be es ein­fach, neue Musik zu ent­de­cken. Am meis­ten hilft es mir, blind drauf­los­zu­kli­cken und alles Mög­li­che zu hören. Dabei bekom­me ich immer gute Lau­ne – zumin­dest temporär.

MZEE​.com​: Klingt so, als hät­test du mit der Musik ein pas­sen­des Ven­til gefun­den. Fällt es dir trotz­dem manch­mal noch schwer, mit ande­ren über dei­ne Pro­ble­me zu reden?

YRRRE: Ich habe seit vie­len Jah­ren mei­nen fes­ten Kreis, mit dem ich mich immer wie­der aus­tau­sche. Da ist es nor­mal, dass jeder über die eige­nen Pro­ble­me redet und wir am Ende zusam­men lachen.

MZEE​.com​: Glaubst du, dass Selbst­für­sor­ge in der Gesell­schaft als wich­tig genug ange­se­hen wird?

YRRRE: Ich glau­be, dass das The­ma immer sicht­ba­rer wird – und das ist voll schön! Als ich zum ers­ten Mal eine Psy­cho­the­ra­pie gemacht habe, haben alle gro­ße Augen bekom­men. Mitt­ler­wei­le ken­ne ich vie­le Leu­te, die in Behand­lung sind oder waren, und das The­ma wird nicht mehr so stig­ma­ti­siert. Spe­zi­ell in unse­rer Gene­ra­ti­on haben wir da gro­ße Fort­schrit­te gemacht und ich hof­fe, dass das so weitergeht.

MZEE​.com​: Auch hier hat in mei­nen Augen Musik eine ganz wich­ti­ge Rol­le gespielt. Ich muss da sofort an "XOXO" von Cas­per denken.

YRRRE: Kom­plett! Für vie­le Leu­te, die ich ken­ne, war das ein ganz wich­ti­ges Album. Ich hat­te das Gefühl, dass es nach dem Release plötz­lich okay war, Gefüh­le zu zeigen.

MZEE​.com​: Trotz­dem schei­nen in man­chen Lebens­be­rei­chen The­men wie Selbst­für­sor­ge oder Men­tal Health immer noch zu kurz kom­men – zum Bei­spiel in der Arbeitswelt.

YRRRE: Voll! Es soll­te viel mehr Ange­bo­te geben, die von Arbeit­ge­be­rin­nen und Arbeit­ge­bern ver­mit­telt wer­den. Das soll­te eigent­lich schon in der Schu­le pas­sie­ren. Lei­der ist Men­tal Health oft noch ein rie­si­ges Tabu­the­ma. Wenn jemand zum Bei­spiel im Büro­kon­text drei Wochen fehlt, wird sofort geläs­tert und gesagt, dass die betrof­fe­ne Per­son sich einen Lenz macht – das ist das Aller­letz­te! Wenn es den Leu­ten schlecht geht, dann sol­len sie nicht zur Arbeit gehen. Es gibt halt Men­schen, die noch nie mit Depres­sio­nen zu kämp­fen hat­ten – und das ist auch voll schön für die. Für die­se Leu­te ist die Pro­ble­ma­tik aber nur ganz schwer zu grei­fen, weil es kei­ne Berüh­rungs­punk­te gibt. Des­halb ist es wich­tig, mit sei­nem Umfeld über das The­ma zu sprechen.

MZEE​.com​: Hast du in dem Zusam­men­hang manch­mal das Gefühl, dass du dich ande­ren unter­ord­nest oder anpasst, obwohl es dir nicht guttut?

YRRRE: Gera­de bei mei­nen ers­ten Schrit­ten in der Berufs­welt war das ein ganz kras­ses Ding für mich. Ich dach­te, dass man ganz schnell unten durch ist, wenn man Schwä­che zeigt. Über die Jah­re habe ich dann aber gemerkt, dass das nicht unbe­dingt so ist. Ich hat­te auch schon eine Che­fin, die ganz wun­der­bar mit dem The­ma Men­tal Health umge­gan­gen ist und mich unter­stützt hat, wenn es mir nicht gut ging.

MZEE​.com​: Wür­dest du, wenn du die Zeit zurück­dre­hen könn­test, dei­nem jün­ge­ren Ich sagen, dass es sich mehr um sich selbst küm­mern soll?

YRRRE: Ich sage mir eigent­lich immer, dass ich mich mehr um mich küm­mern soll. (lacht) Man kann den Men­schen immer viel erzäh­len, wenn sie noch nicht weit genug sind. Ich glau­be, dass man selbst an den Punkt kom­men muss, an dem man merkt, dass sich was ver­än­dern muss – sonst kann sich auch nichts verändern.

(Moritz Friedenberg)
(Fotos von Chris­toph Szulecki)