Kümmere ich mich genug um mich selbst? In einem Alltag voll von Arbeit und anderen Verpflichtungen geht es schnell, dass man selbst mal zu kurz kommt. Für die mentale Gesundheit kann das auf lange Sicht pures Gift sein. Und obwohl Selbstfürsorge immer mehr in den gesellschaftlichen Fokus rückt, hat man oft noch das Gefühl, dass das Thema nicht ernst genug genommen oder stigmatisiert wird. Rapper YRRRE hatte in seinem Leben schon früh mit psychischen Problemen zu kämpfen und merkte immer wieder, wie er damit in seinem Umfeld aneckte. Für ihn war es ein langer Prozess, um zu verstehen, was er braucht, um langfristig glücklich zu sein. Sein aktuelles Album "Feinstaub" gibt tiefe und ehrliche Einblicke in die Gefühlswelt des Wahl-Berliners und zeigt, dass YRRRE bei der Suche nach Lösungen immer wieder vom Weg abkommt. Dabei sagt er, was ihn beschäftigt – ohne viele Metaphern oder verschachtelte Zeilen. Im Interview mit uns sprach er darüber, wie sich der Stellenwert von Selbstfürsorge in unserer Gesellschaft mit den Jahren verändert hat und was er tut, wenn er sich mal in einem mentalen Loch befindet.
MZEE.com: Ich hatte beim Hören deines neuen Albums das Gefühl, dass du viel in dich hineinhörst und dir immer wieder bewusst machst, wie es dir geht. Zuerst würde ich gerne wissen, was Selfcare für dich persönlich bedeutet.
YRRRE: Das ist eine sehr weit gefasste Frage. (überlegt) Im Großen und Ganzen bedeutet Selfcare, dass man auf sich achtet und Mechanismen lernt, die einem helfen, wenn es gerade mal nicht so läuft. Es geht zum Beispiel darum, sich regelmäßig Pausen zu geben.
MZEE.com: Wie viele dieser Pausen sind deiner Meinung nach gut? Wird es ab irgendeinem Punkt egoistisch?
YRRRE: Das kommt, glaube ich, immer auf die Situation an. Man muss natürlich irgendwie seinen Pflichten nachkommen, aber wenn das nicht geht, dann muss man an erster Stelle auf die eigene Gesundheit achten.
MZEE.com: Es wird oft gesagt, dass man sich erst um sich selbst kümmern muss, bevor man für andere da sein kann. Wie siehst du das?
YRRRE: Ich glaube, dass man erst mal dazu bereit sein muss, mit sich selbst klarzukommen. Das ist meiner Meinung nach der richtige Weg. Gerade wenn man Probleme hat, kann man oft nicht den richtigen Schlüssel für diese finden, sondern muss erst einmal eine gewisse Bereitschaft entwickeln. Es geht nicht unbedingt darum, mit sich selbst klarzukommen – man muss sich selbst akzeptieren.
MZEE.com: Wie macht man das am besten?
YRRRE: Bei mir selbst war das ein sehr langer Weg. Ich bin in einem Umfeld aufgewachsen, in dem es nicht normal war, über die eigenen Probleme zu reden. Da sind Dinge passiert und am nächsten Tag wurden sie nicht mehr thematisiert. Man muss dort erst mal herauswachsen und lernen, dass es immer gut ist, mit Leuten zu sprechen und die eigenen Erfahrungen zu reflektieren. So merkt man schnell, dass man nicht alleine ist.
MZEE.com: Würdest du sagen, dass du dich heutzutage genug um dich selbst kümmerst?
YRRRE: (grinst) Ich glaube, dass man nie auslernt. Auf meinem Album kann man, denke ich, gut heraushören, dass ich mich nicht immer in die gesündesten Sachen flüchte, wenn es mal hapert. Es wird aber von Jahr zu Jahr besser und ich komme immer mehr mit mir selbst klar.
MZEE.com: Auf dem Album rappst du unter anderem über zu viel Netflix und Alkohol. Waren das in der Vergangenheit reale Fluchtmöglichkeiten für dich?
YRRRE: (lacht) Ja, schon. Alles, was ich auf meinem Album sage, stimmt auch so.
MZEE.com: Jetzt kannst du mit etwas Abstand auf den Entstehungsprozess des Albums zurückblicken. Was brauchst du denn wirklich, damit es dir auf lange Sicht gut geht?
YRRRE: Der Schlüssel ist, glaube ich, dass ich mir Ruhe gönne, wenn ich Ruhe brauche. Wenn ich überfordert bin, merke ich schnell, dass ich Probleme habe, alles auf die Kette zu kriegen. In solchen Momenten muss ich mich erst mal sortieren und diese Zeit sollte man sich nehmen.
MZEE.com: Wir haben eben schon deinen Track "Netflix" angeschnitten, in dem du über eine gescheiterte Beziehung rappst. Warst du schon mal in der Situation, dich für einen bestimmten Menschen komplett selbst aufzugeben?
YRRRE: (überlegt) Ich glaube, dass man in den ersten Beziehungen oft zu wenig an sich selbst denkt. Mit einer solchen Einstellung stößt man aber irgendwann an den Punkt, dass eine Beziehung so nicht funktioniert. Es ist wichtig, immer wieder in sich hineinzuhorchen. Das Ganze ist aber auch ein Lernprozess.
MZEE.com: In deiner Musik schwingt immer wieder eine antriebslose und leicht depressive Stimmung mit. Was machst du, um aus einem solchen Loch wieder herauszukommen?
YRRRE: In extrem schlimmen Phasen kann man nur wenig machen. Ehrlich gesagt sehe ich mich auch nicht in der Position, zu sagen, wie man es am besten machen sollte. Manchmal ist man einfach wie gelähmt und kann nicht weitermachen. Selbst wenn man in Therapie ist, hat man irgendwann nicht mehr genügend Kraft, dieser nachzugehen. Für solche Phasen habe ich immer noch nicht den richtigen Schlüssel gefunden. Es ist einfach wichtig, sich abzulenken, nicht so viel nachzudenken und Zeit für sich selbst zu finden.
MZEE.com: Nun hast du ein Album veröffentlicht, auf dem du offen über deine Gefühle sprichst. Inwieweit hat dir das Musikmachen geholfen?
YRRRE: Sehr viel! Wenn man etwas in einen Song presst, dann ist es auf einmal nicht mehr so groß. Wenn einem etwas die ganze Zeit durch den Kopf geht und man sich daran aufhängt, bekommt man keine anderen Blickpunkte. Da ist das Schreiben eine gute Alternative.
MZEE.com: Hilft es dir auch, nach einiger Zeit die Songs noch mal zu hören, um zu verstehen, was du für Fortschritte gemacht hast?
YRRRE: Safe! Das ist aber auch ein Punkt, an den man erst gelangen muss, um das Ganze zu genießen. Bei ein paar Sachen, die ich geschrieben habe, bin ich mir immer noch nicht sicher, ob ich die überhaupt herausbringen will, weil ich mich einfach noch nicht gut damit fühle. Allgemein ist Musikhören für mich eine große Hilfe. Wenn Musik nicht wäre, wüsste ich nicht, ob es mich dann noch gäbe.
MZEE.com: Greifst du selbst gerne zu melancholischer Musik, damit es dir besser geht?
YRRRE: Gar nicht mal. Ich liebe es einfach, neue Musik zu entdecken. Am meisten hilft es mir, blind draufloszuklicken und alles Mögliche zu hören. Dabei bekomme ich immer gute Laune – zumindest temporär.
MZEE.com: Klingt so, als hättest du mit der Musik ein passendes Ventil gefunden. Fällt es dir trotzdem manchmal noch schwer, mit anderen über deine Probleme zu reden?
YRRRE: Ich habe seit vielen Jahren meinen festen Kreis, mit dem ich mich immer wieder austausche. Da ist es normal, dass jeder über die eigenen Probleme redet und wir am Ende zusammen lachen.
MZEE.com: Glaubst du, dass Selbstfürsorge in der Gesellschaft als wichtig genug angesehen wird?
YRRRE: Ich glaube, dass das Thema immer sichtbarer wird – und das ist voll schön! Als ich zum ersten Mal eine Psychotherapie gemacht habe, haben alle große Augen bekommen. Mittlerweile kenne ich viele Leute, die in Behandlung sind oder waren, und das Thema wird nicht mehr so stigmatisiert. Speziell in unserer Generation haben wir da große Fortschritte gemacht und ich hoffe, dass das so weitergeht.
MZEE.com: Auch hier hat in meinen Augen Musik eine ganz wichtige Rolle gespielt. Ich muss da sofort an "XOXO" von Casper denken.
YRRRE: Komplett! Für viele Leute, die ich kenne, war das ein ganz wichtiges Album. Ich hatte das Gefühl, dass es nach dem Release plötzlich okay war, Gefühle zu zeigen.
MZEE.com: Trotzdem scheinen in manchen Lebensbereichen Themen wie Selbstfürsorge oder Mental Health immer noch zu kurz kommen – zum Beispiel in der Arbeitswelt.
YRRRE: Voll! Es sollte viel mehr Angebote geben, die von Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern vermittelt werden. Das sollte eigentlich schon in der Schule passieren. Leider ist Mental Health oft noch ein riesiges Tabuthema. Wenn jemand zum Beispiel im Bürokontext drei Wochen fehlt, wird sofort gelästert und gesagt, dass die betroffene Person sich einen Lenz macht – das ist das Allerletzte! Wenn es den Leuten schlecht geht, dann sollen sie nicht zur Arbeit gehen. Es gibt halt Menschen, die noch nie mit Depressionen zu kämpfen hatten – und das ist auch voll schön für die. Für diese Leute ist die Problematik aber nur ganz schwer zu greifen, weil es keine Berührungspunkte gibt. Deshalb ist es wichtig, mit seinem Umfeld über das Thema zu sprechen.
MZEE.com: Hast du in dem Zusammenhang manchmal das Gefühl, dass du dich anderen unterordnest oder anpasst, obwohl es dir nicht guttut?
YRRRE: Gerade bei meinen ersten Schritten in der Berufswelt war das ein ganz krasses Ding für mich. Ich dachte, dass man ganz schnell unten durch ist, wenn man Schwäche zeigt. Über die Jahre habe ich dann aber gemerkt, dass das nicht unbedingt so ist. Ich hatte auch schon eine Chefin, die ganz wunderbar mit dem Thema Mental Health umgegangen ist und mich unterstützt hat, wenn es mir nicht gut ging.
MZEE.com: Würdest du, wenn du die Zeit zurückdrehen könntest, deinem jüngeren Ich sagen, dass es sich mehr um sich selbst kümmern soll?
YRRRE: Ich sage mir eigentlich immer, dass ich mich mehr um mich kümmern soll. (lacht) Man kann den Menschen immer viel erzählen, wenn sie noch nicht weit genug sind. Ich glaube, dass man selbst an den Punkt kommen muss, an dem man merkt, dass sich was verändern muss – sonst kann sich auch nichts verändern.
(Moritz Friedenberg)
(Fotos von Christoph Szulecki)