Während sich gerade jetzt viele Künstler:innen in ihrer Inhaltslosigkeit überbieten, brilliert Amewu seit jeher mit Message und Haltung: für Toleranz, eine fairere Gesellschaft und gegen jede Form der Diskriminierung. Nach einer längeren Schaffenspause erschien nun sein drittes Album "Haben oder Sein". In der Vergangenheit nahm der Rapper, dessen aus der Sprache Ewe stammender Name Amewu so viel bedeutet wie "der Mensch ist keine Ware", an verschiedenen Austauschprogrammen mit anderen Musiker:innen teil. Als Grenzgänger besuchte und besucht er die Orte der Welt, die die meisten nur mit der abendlichen Nachrichtensendung im Fernsehen und Radio verbinden. Auch in Krisengebieten engagiert er sich politisch. Dabei steht er in nahezu jeder Situation für sich und seine Ideale ein, auch wenn das oft Gegenwind nach sich ziehen kann. All das haben wir zum Anlass genommen, um uns mit ihm über seine Reiseerfahrungen, den zugehörigen Austausch darüber, und wie dieser sein Leben nachhaltig geprägt hat, zu unterhalten.
MZEE.com: Zu Beginn des Interviews – vor allem, weil es ein ziemlich unscharfer Begriff ist – würde ich gerne wissen, was du unter interkulturellem Austausch verstehst.
Amewu: Ich habe jetzt keine Definition parat. Bei mir gab es immer viel interkulturellen Austausch, weil ich mit verschiedenen Kulturen aufgewachsen bin. Vielleicht ist er also das Gegenstück zu Cultural Appropriation. Ein Austausch auf Augenhöhe trifft es, denke ich, gut.
MZEE.com: Findest du diesen wichtig?
Amewu: Ja, klar. Sobald Interaktion auf Augenhöhe stattfindet, ist es völlig normal und vor allem wichtig, dass das passiert.
MZEE.com: Würdest du sagen, dass man vor allem in Deutschland aufgrund der diversen Bevölkerungsstruktur mehr neutrale Orte schaffen müsste, um ebendiesen Austausch zu ermöglichen? Oft ist es ja so, dass Einrichtungen als Safe Spaces für einzelne Gruppen fungieren sollen. Das erschwert wiederum den progressiven Austausch zwischen verschiedenen Communities.
Amewu: Diese Safe Spaces sind dadurch entstanden, dass es den normalen Austausch nicht gab. Stattdessen gab es eine Dominanz- oder Leitkultur. Um sich darin frei entfalten zu können, wurden Safe Spaces für bestimmte Menschen kreiert. Ich glaube, diese Orte sind nicht für eine abgeschottete Kultur. Auch dort findet interkultureller Austausch statt. Mein persönlicher Safe Space waren früher auf jeden Fall HipHop und Rap. Da ist es nicht so gewesen, dass es abgeschottet war, sondern voll viele Leute zusammengekommen sind. Mir ist aber natürlich auch klar, dass HipHop nicht für jede Person ein Safe Space war. Weder damals noch heute.
MZEE.com: Du selbst hast einen solchen Raum mit "Translating HipHop" vor etwa zehn Jahren in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut geschaffen. Kannst du das Projekt und die Intention dahinter kurz darlegen?
Amewu: Das Goethe-Institut hing da auch mit drin, aber wir haben hauptsächlich mit dem Haus der Kulturen der Welt gearbeitet. Das Konzept war, dass sich MCs aus unterschiedlichen Ländern treffen und ihre jeweiligen Songs übersetzen. Am Ende wurden die Songs in Deutschland performt. Das Haus der Kulturen der Welt hat solche Sprecher- beziehungsweise Dolmetscherkabinen. Die Zuschauer haben alle Kopfhörer bekommen und die MCs, die die Songs in alle möglichen Sprachen übersetzt haben, haben die Raps simultan zur Performance auf der Bühne in anderen Sprachen gerappt. Das Publikum konnte mit den Kopfhörern zwischen den Sprachen umschalten und die Songs live auf verschiedenen Sprachen anhören. Es waren Leute aus Kenia, dem Libanon, Kolumbien und den Philippinen dabei. Ich war in Kolumbien und auf den Philippinen in Manila. Zuerst wollte ich unbedingt in den Libanon. Das ging aber aus irgendwelchen Gründen nicht. Ein anderer wollte aus dem Libanon nach Kolumbien – da hat es mit dem Visum nicht geklappt. Ich habe ihn dann statt im Libanon und Kolumbien erst in Deutschland getroffen. Bis dahin hatte ich öfter die Erfahrung, dass Leute meine Texte nicht übersetzen wollten, weil sie zu "crazy" sind. Das Lustige daran war, dass dieser Typ meinen Text innerhalb von einer dreiviertel Stunde übersetzt hat. Das war krass. Das Schicksal hat verhindert, dass wir uns treffen. Und als wir uns dann doch getroffen haben, war er der Richtige für den Job.
MZEE.com: Wie ist es dir in den anderen Ländern ergangen?
Amewu: Es war voll krass, die Unterschiede zu sehen. In Manila war es so, dass wir eigentlich bei den anderen Künstlern wohnen wollten. Das war dem Goethe-Institut aber zu heikel, weil sie in Tondo gewohnt haben, was jetzt nicht die sicherste Area war. Ich hätte trotzdem Bock drauf gehabt und meinte auch: "Ey, wenn die es uns anbieten, dann werden die sich schon bewusst sein, dass das klar geht." Daraufhin meinte das Goethe-Institut, dass wir Security bräuchten, was wahrscheinlich gefährlicher gewesen wäre, als ohne hinzufahren. Den Rapper aus Manila haben wir das erste Mal in Kolumbien getroffen. Für ihn war das sein erster Flug. Bei der Vorstellung meinte er, dass er Anführer einer der größten Gangs in Manila ist. Die Dolmetscher haben das mit "Er hat eine ziemlich große Crew" übersetzt. Wir waren alle so: "Nee, nee, Moment, der hat von Gangs geredet." Er war wirklich Gang Leader. Seine Mission war es aber, den anderen Membern Möglichkeiten aufzuzeigen – sei es über Musik, Film oder andere kreative Businesses. Da hat man sofort gemerkt, wie krass unterschiedlich unsere Lebensrealitäten sind.
MZEE.com: Während eines Vortrags auf der "Translating HipHop"-Veranstaltung stellte H. Samy Alim von der Stanford University die These auf, dass in Cyphers kein Druck abgebaut wird, sondern eher verschiedene Identitäten verhandelt werden. Würdest du HipHop demnach einen vorbildlichen Charakter in Bezug auf den Austausch zwischen verschiedenen Kulturen attestieren?
Amewu: Hm … Ich würde sagen: Potenziell ja. Es kommt immer voll darauf an, was für Artists am Start sind und wie viel Bock die haben, sich miteinander auseinanderzusetzen. Chefket und ich hatten zum Beispiel viel mit drei Rappern aus Manila zu tun. Als sie zum ersten Mal hier waren, war es kalt und sie haben das erste Mal ihren Atem gesehen. Da meinten sie sofort, man müsse damit ein Video drehen, weil sie es so krass fanden. Da sind wirklich verschiedene Lebensrealitäten aufeinandergeprallt. Bei Malika, aus dem Libanon, hast du gemerkt, wie anders es mit jemandem ist, der aus einem Land kommt, wo Krieg war, nicht weit weg ist und immer wieder passieren kann. Sie hatte einfach eine Waffensammlung zu Hause. Aber das, woran ich immer denken muss, wenn ich "kultureller Austausch" höre, ist meine Reise in den Irak. Da war es echt nicht leicht, jemanden zu finden, der mitkommt. Der erste DJ, mit dem ich hinwollte, hat sich im Netz noch mal angeschaut, wo die letzten Bombenanschläge waren und so. Danach meinte er, dass er an bestimmte Orte nicht will. Aber genau dorthin wollte ich, weil es eine Möglichkeit war, die ich so nicht mehr bekommen würde. Ich habe dem Goethe-Institut da einfach vertraut, obwohl man dazu sagen muss, dass das auch ein Trugschluss sein kann. Zum Beispiel wurde die Leiterin vom Goethe-Institut zwei Jahre nach meiner Reise an die Elfenbeinküste dort bei einem terroristischen Anschlag ermordet. Ich bin trotzdem in den Irak gereist. Wir waren in kurdischen Autonomiegebieten. Der IS war zwei Autostunden entfernt.
MZEE.com: Das klingt nach einer sehr heftigen Erfahrung.
Amewu: War es auch! Wir saßen in einem Imbiss und irgendwas lief im Fernsehen. Es wurden Leute mit Waffen in Uniformen gezeigt. Deswegen dachten wir, es wären Nachrichten. Irgendwann haben wir gemerkt, dass es Musikvideos sind. Da ist schon so lange Krieg, dass es Teil der Musikkultur geworden ist. Immer, wenn ich dort aufgetreten bin, habe ich gefragt, ob es Rapper gibt, die auf die Bühne kommen wollen. Das waren immer junge Männer, die Texte über die Peschmerga (Anm. d. Red.: Streitkräfte des kurdischen Autonomiegebiets im Norden des Irak) gerappt haben. Auf einer der Shows gab es ein unangekündigtes Fernsehinterview. Der Interviewer hat kein Englisch gesprochen, ich habe kein Sorani gesprochen, deswegen war ein Dolmetscher dabei. Ich wusste nichts. Weder zu welchem Sender sie gehören, noch worum es überhaupt geht. Da stellte er die Frage: "Du bist ja aus Deutschland hierher gekommen, um kulturellen Austausch zu betreiben. Was sagst du zu kulturellem Austausch in Form von Waffenlieferungen?" Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, aber ich wollte auch nicht einfach nichts sagen. Ich meinte dann: "Ich kann meine Maßstäbe nicht an euch legen. Ich bin kein Freund von Waffenhandel, aber ich weiß, dass ein paar Stunden entfernt Leute sind, die euch umbringen wollen und das teilweise schon tun. Wer bin ich, dass ich jetzt über euer Verhalten urteilen kann? Ich will nur, dass klar ist, dass Deutschland nicht nur an euch Waffen liefert, sondern dass das ein großes Business ist, in dem viel Geld verdient wird. Und dass Krieg in den seltensten Fällen etwas Positives für die Bevölkerung bedeutet. Für mich haben Waffenlieferungen nichts mit kulturellem Austausch zu tun. Und ich hoffe, dass wir irgendwann an den Punkt kommen, dass wir uns auf wirklichen kulturellen Austausch beschränken können."
MZEE.com: Inwiefern beeinflusst das Erlebte dein Leben heute?
Amewu: Das sind immer unterschiedliche Sachen, je nachdem, was ich erlebt habe. Das, was ich aus dem Irak erzählt habe, hat mich auf jeden Fall sehr beeinflusst. Meine Einstellung zu Waffen, meinen Anspruch, meine Ideale. So etwas Ähnliches hatte ich in Bangladesch. Es ging um ein Festival für jüngere Leute. Das hieß "Raise your Voice". Zusammen mit einem Beatboxer namens Beatbaksho habe ich einen Song mit demselben Namen gemacht. Als ich zurück in Deutschland war, haben sie mich kontaktiert und wollten den Song für einen laufenden Protest benutzen. Natürlich habe ich zugesagt. Im Anschluss hat sich rausgestellt, dass sie die Todesstrafe für jemanden fordern, deshalb haben sie das Goethe-Institut gar nicht erst eingeschaltet. Das war dann natürlich ein bisschen was anderes. Sie haben mir erklärt, dass es bei ihnen diverse Kriegsverbrecher gibt. Die werden lebenslänglich verurteilt und genauso schnell wieder begnadigt, sobald es zu einem Machtwechsel kommt. Dieses Game läuft da schon länger … Deswegen haben sie die Todesstrafe gefordert, weil man diese Leute dann nicht mehr freilassen kann. Das war eine ähnliche Situation wie im Irak. Natürlich bin ich gegen die Todesstrafe, aber ich kann voll nachvollziehen, wieso sie das in ihrer Position fordern. Dafür will ich sie auch nicht verurteilen, aber das ist nicht mein Film. Generell war es krass, diese andere Form der Armut in Bangladesch zu erleben. Ich will gar keine Klischees füttern, aber alleine die Menge an Leuten, die auf der Straße lebt, war so heftig. Für mich war es, als würden alle Dinge, die global schiefgehen, an diesem Ort zusammenlaufen. Dass es zum Beispiel solche krassen Slums am Hafen gibt, hängt unter anderem damit zusammen, dass der Wasserspiegel ansteigt und beispielsweise Fischerdörfer überschwemmt werden. Diese Menschen müssen dann alle in die Hauptstadt ziehen. Kurz nachdem wir da waren, ist eine große Textil-Fabrik eingestürzt, da sind superviele Leute gestorben. Mit diesem Eindruck bin ich nach Berlin gekommen und war politisch sehr aufgeladen.
MZEE.com: Was ist dann passiert?
Amewu: Die Geschichte mit den Geflüchteten auf dem Oranienplatz war zu der Zeit auf ihrem Höhepunkt. Der Staat hat mit den Geflüchteten verhandelt und sie gegeneinander ausgespielt. Den Menschen wurde ein Hotelzimmer und ein wenig Geld für den Winter geboten, wenn sie den Platz räumen. Ein Teil der Menschen, der die Lebensumstände dort wahrscheinlich nicht mehr ertragen konnte, hat dieses Angebot angenommen – der andere Teil aber nicht. Sie wollten auf ihren Forderungen bezüglich Rechten und einem menschenwürdigen Leben beharren und kein Hotelzimmer. Der ersten Gruppe wurde aber die Bedingung gestellt, dass sie nicht nur ihre Zelte abbauen, sondern den ganzen Platz räumen müssen. Dann ist komplettes Chaos ausgebrochen. Deswegen konnte die Polizei hin und das Ganze räumen. Von der Presse wurde es entsprechend geframet. Das war alles sehr verrückt … Und deswegen bin ich ziemlich vom Thema abgekommen. Zum nachhaltigen Einfluss, den das alles auf mich hatte: Viele dieser Trips haben mich noch mehr politisiert. Wenn du mitkriegst, wie gefährlich es in anderen Ländern sein kann, Rap zu machen, dann beeinflusst das einen sehr. Da verschwinden Leute oder landen im Knast, weil sie sich über bestimmte Missstände beschweren. Gleichzeitig kriegt man hier Debatten über irgendwelche ekelhaften Lyrics mit, in denen es um Zensur, Meinungsfreiheit und so ein Blabla geht, obwohl man hier so viel sagen kann. Das ist schon komisch.
MZEE.com: Wie versuchst du denn, mit Menschen umzugehen, die beispielsweise rassistische, sexistische und homophobe Vorurteile befeuern?
Amewu: Ich würde sagen, dass das zwei Komponenten hat. Die erste bezieht sich für mich darauf, wie ich seit Ewigkeiten durch die Rapszene gegangen bin. Ich war überall am Start, auf allen möglichen Sessions und bin gerade in Berlin sehr vielen Leuten begegnet. Ich war nie so, dass ich bestimmte Sessions gemieden habe, weil da die und die Leute waren. Mich hat alles interessiert. Ich bin überall hingegangen, wo es was mit Rap zu tun hatte. Viele der Einstellungen, die ich heute vertrete, hatte ich auch damals schon. Das hat verschiedene Gründe: zum Beispiel wie und mit wem ich aufgewachsen bin. Es war immer ein bisschen schwierig, aber mit vielen Leuten war ich auf dem Level, dass man sich auf persönlicher Ebene respektiert hat, sich unterhalten und diskutieren konnte. Das war mir immer wichtig. Damals gab es den Begriff "Bubble" wahrscheinlich noch nicht, aber ich wollte einfach nicht, dass das so Bubble-mäßig wird und sich kleine Grüppchen bilden. Ich wollte, dass es ein laufender Austausch ist, damit man sich gegenseitig besser verstehen kann. Das war immer mein Ansatz und teilweise ist mir das immer noch wichtig. Die zweite Komponente bezieht sich eher auf das Rap-Business. Klar kann man auf den bösen Rappern rumhacken, aber daran verdienen ja voll viele Leute. Wie oft mir gesagt wurde, dass das, was ich mache, inhaltlich zu komplex ist … Damit kreiert die Industrie einen Raum, in dem eine bestimmte Richtung gefördert wird. Das ist nicht nur ein Ding der schlechten Rapper, sondern von der gesamten Industrie. Die haben keinen moralischen Kompass – null. Natürlich gibt es auch in solchen Institutionen Leute, die sich einen Kopf um so etwas machen. Aber oft habe ich das Gefühl, dass sie eher dem Trend folgen und auf eine Welle aufspringen. Eigentlich sind sie nur am Rechnen, ob sich die Zusammenarbeit mit einem Künstler noch finanziell lohnt oder ob man sich lieber von ihm trennt. Dann passieren so lustige Sachen, dass einzelne Leute von Alben runtergeschmissen werden, wo man direkt merkt: Das ist straight up Verarsche. So was kann ich nicht ernst nehmen. Früher war es so, dass man nur Probleme hatte, wenn man eine Haltung hat. Heute haben Leute eine Haltung, weil sie rentabel sein kann. Man merkt den Leuten trotzdem an, dass sie keine Ahnung von dem Thema haben, über das sie gerade reden und dass ihnen der persönliche Bezug fehlt.
(Jonas Jansen)
(Fotos von V.Raeter)