Live ist live – warum Live-Konzerte keine Playback-Shows sein sollten
An dieser Stelle möchten wir Gedanken zu aktuellen Geschehnissen aus dem Deutschrap-Kosmos zum Ausdruck bringen. Die jeweils dargestellte Meinung ist die des:der Autor:in und entspricht nicht zwangsläufig der der gesamten Redaktion – dennoch möchten wir auch Einzelstimmen Raum geben.
Im Folgenden setzt sich unser Redakteur Philipp mit der Live-Kultur im HipHop auseinander.
Ich war sehr lange nicht mehr auf einem Konzert. Zu lange. Deshalb öffnete ich YouTube, um mich zurück in "die guten alten Zeiten" zu manövrieren. Doch nach einer Zeit des Schwelgens in Erinnerungen wurde mir eine Sache abrupt bewusst: HipHop-Live-Shows haben sich verändert und der Wandel ist unübersehbar. Immer mehr wird auf Playback und Sounds aus der Büchse gesetzt. Doch dann sah ich die Migos beim Tiny Desk Concert und alle meine Vorurteile waren zerschlagen. Ich merkte schnell, die können live wirklich einiges. Ohne Playback, ohne übertriebenes Autotune und obendrein noch mit einer kleinen Band. Sieht man on Stage selten heutzutage, dachte ich mir. Aber warum eigentlich? Und ist es nicht das, was Live-Musik ausmacht, also das "live"? Ist uns Live-Kultur noch wichtig oder wissen nur noch wenige zu schätzen, was Musiker:innen auf der Bühne leisten, um uns Zuschauer emotional abzuholen?
Ich ging meine letzten großen Festivals und Konzerte gedanklich noch einmal durch und überlegte, was mich wirklich nachhaltig geflasht hat; ob es an der Performance oder an den Artists selbst lag, die ich schon immer sehen wollte und die dort vor mir auf der Bühne standen. Bin ich ehrlich zu mir, ist es beeindruckend, einen der Szene-Stars zu sehen und den Kult um diese Personen – aber überwiegend deren Hits – zu feiern. Andererseits komme ich aus einer HipHop-School, in der es durchaus darum ging, live am Mic auf jedem Beat abzuliefern. Nostalgie kickt. Es ging um die gesprochenen Worte und die Technik der Künstler:innen, um die dargebotene Tagesform und ob mich das abholt oder nicht. Nicht, dass das heute gar nicht mehr da wäre, aber alles fühlte sich für mich weniger nach Kommerz und viel mehr nach Herzblut an. Man hatte nicht das Gefühl, Teil eines Produkts zu sein, eher Teil eines Movements.
So schwer man sich damit tut, dass nicht mehr alles live auf der Bühne passiert, so sehr muss man aber auch auf die positiven Aspekte dieser Veränderungen blicken. So denke ich, dass der Trend – weg von 100 Prozent live – auch viele Vorteile für alle Beteiligten hat. Ja, vielleicht auch für die Zuschauer:innen. Touren die Artists von Land zu Land und zwischen den Locations, so ist der Aufwand mit Band sicherlich enorm. LKWs voller Equipment müssen verschifft, auf- und abgebaut werden. Die Musiker:innen müssen ebenfalls von A nach B kommen, gesund sein, Unterkünfte und Verpflegung erhalten. Vor Ort dann jedes Mal eine neue Situation für Ton- und Lichttechniker:innen. Soundchecks müssen gemacht werden, alles muss an jedem Tag funktionieren. Da ist es aus organisatorischer Sicht verlockend, eine:n DJ mit kleiner Ausrüstung auf die Bühne zu stellen, der:die im richtigen Augenblick Play drückt und den Song in gewohnter Qualität in Gang setzt. Der:die Künstler:in braucht dann nur noch ein funktionierendes Mikrofon zum Anheizen der Menge und fertig ist der Abriss. Als Beispiel fällt mir da RIN auf dem splash! Festival ein. Oder andere namhafte Künstler:innen, die bei ihren Clubshows regelmäßig nur zwei Zeilen selbst rappen und dadurch einen eher entspannten Abend haben. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Das Ergebnis ist relativ vorhersehbar, es schont die Stimme im Tour-Alltag, die Kosten bleiben im Rahmen und mal ehrlich, nach ein paar kühlen Drinks interessiert es im Publikum keinen mehr so wirklich. Zusätzlich bietet all die Technik aber auch Möglichkeiten des Sounddesigns, die so mit einer Band nicht realisierbar wären und die für das Publikum den zusätzlichen Wow-Effekt haben kann.
Ich für meinen Teil bin großer Fan von Touren à la Samy Deluxe mit Big Band und riesigem Aufgebot an Musiker:innen. Ich bin dann viel mehr dabei und meine Blicke schweifen von den Drums zu den Gitarren und vorbei am Bass zu den Keys. Das ist es, wofür ich hunderte Kilometer fahre und Kosten und Mühen auf mich nehme. Und wenn auch nicht mit Band, dann wenigstens ohne eine 20 Meter lange Effektkette auf dem Mic und Playback-Hooks. Mich kickt eine gute Live-Performance genau dann, wenn ich die Energie der Künstler:innen und die damit einhergehende Dynamik wahrnehmen kann. Das Jetzt und Hier und das kleine bisschen Unperfekte, das jedes Konzert, das nicht aus der Dose kommt, mit sich bringt. Eine Restspannung, weil der Auftritt zwar geplant ist, aber eben live performed wird. Eine weggebrochene Stimme, eine gerissene Saite der Gitarre, ein Scratch, der daneben geht, ein Texthänger. All dieses Unberechenbare fehlt bei einer Playback-Show. Ich brauche irgendwas, was den Abstand zwischen denen auf und denen vor der Bühne minimiert. Ich brauche diese "Nähe".
Für die Zukunft wünsche ich mir wieder mehr solcher Momente. Mehr Bands, die Rapper:innen begleiten. Vielleicht ja auch als Kombination mit Band und DJ. Denn live ist und bleibt live.
(Philipp Wiedmann)
(Grafik von Daniel Fersch)