"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem:einer Künstler:in oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der:die Gesprächspartner:in ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm:ihr das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
Würde ich nach meinen Lieblingsteilnehmer:innen des VBTs gefragt werden, würde auf jeden Fall der Name Mio Mao fallen. Der Flow, die Stimme und das Faible für Oldschool-Beats haben es mir von Anfang an angetan. Sonstige musikalische Veröffentlichungen des Rappers außerhalb des Turniers waren rar gesät. Das ist schade, da mich seine Musik bis heute begeistert – besonders der 2014 erschienene Song "Die Klippe danach".
Mio Mao verwendet für besagtes Stück einen Beat der britischen Rap-Gruppe Foreign Beggars, genauer gesagt den Beat ihres Songs "Black Hole Prophecies". Mit seinen Oldschool-Drums und den Scratches lädt das Instrumental sofort zum Kopfnicken ein. Thematisch behandelt der Track eine gescheiterte Liebesbeziehung des Rappers, der in zwei Parts Szenen der vergangenen Partnerschaft skizziert. Statt einer Hook gibt es eine kurze instrumentale Pause zwischen den Strophen, die ermöglicht, das Gesagte emotional zu verarbeiten. Vor allem nachdem Mio Mao mit seiner druckvollen, leicht kratzigen Stimme Zeilen wie "Es erdrückt mich, dass die letzten Küsse waren, als ob du noch ein Stückchen für mich übrig hast" rappt. Den emotionalen Inhalt kombiniert er auf beeindruckende Weise mit Rap-Technik inklusive komplexer Reimschemata. Die verallgemeinernde Erkenntnis in der letzten Reimkette – "Wenn schon nicht lieben, hab' ich mit dir über Frauen was gelernt" – kann dem lyrischen Ich nachgesehen werden. Denn die Situation, verletzt worden zu sein und erst mal keine Lust auf neue Leute zu haben, kennt wahrscheinlich jede:r.
Mio Mao rappt auf "Die Klippe danach" wortgewaltig, ohne pathetisch zu klingen, und zieht mich so beim Hören jedes Mal in seinen Bann. Bei dem geringen Output des Rappers freue ich mich, dass Songs wie dieser noch online zu hören sind. Auch wenn der Track inklusive Video nur auf YouTube verfügbar ist – vermutlich wegen des fremden Instrumentals –, komme ich gerne auf ihn zurück, wenn ich melancholisch gestimmt bin oder einfach nur der Stimme des Rappers lauschen möchte.
(Tim Herr)
(Foto: Screenshot des Videos)