Stärke ist ein Begriff, den viele Menschen unterschiedlich definieren dürften. Einige denken vielleicht sofort an Muskelkraft, andere an jemanden mit einer besonders gefestigten Psyche. Oft bezeichnen wir selbstbestimmte Menschen als stark – diejenigen, die sich durchgehend für ihre eigenen Werte und Überzeugungen einsetzen. Als eine solche Person dürften viele den Essener Clubbesitzer Kay Shanghai sehen. Seit etwa 18 Jahren behauptet er sich nun schon in einer Branche mit massig Konkurrenz und sorgt dafür, dass der Laden läuft und seine Gäste im Hotel Shanghai eine gute Zeit haben. Nun ist Kay selbst unter die Kunstschaffenden gegangen und setzt als offen schwuler Rapper direkt ein Zeichen: Er bringt den Mut auf, sich offen zu positionieren – und das in einer Rapszene, die bis heute nicht komplett frei von Homophobie ist. Auf seinem Debütalbum "Haram" macht er seine Sexualität auf eine lockere und humorvolle Art zum Thema. Sein Ziel ist es, ohne erhobenen Zeigefinger für mehr Akzeptanz und Selbstverständlichkeit zu sorgen. Im Interview sprach er darüber, warum ihm ein lockerer Umgang mit seiner Sexualität so wichtig ist und warum ihm die pandemiebedingte Pause ohne seinen Club und die Partys gutgetan hat.
MZEE.com: Zu Beginn würde ich gerne von dir wissen, was es für dich bedeutet, stark zu sein.
Kay Shanghai: Ich glaube, dass das Leben viel Stärke erfordert. Das ist bei mir sowohl privat als auch beruflich der Fall. Als Clubbesitzer habe ich gelernt, stark nach vorne zu gehen. Diese Einstellung hat mich in Sachen Business ganz schön abgehärtet.
MZEE.com: Würdest du dich selbst als stark bezeichnen?
Kay Shanghai: Was mein Business angeht, auf jeden Fall. Wer mich privat kennt, weiß aber, dass ich da etwas anders drauf bin. Ich bin ein sehr romantischer Typ und lasse mir auch gerne mal mein Herz brechen. Diese Seite kann man gut in meinen Songs hören.
MZEE.com: Macht es dich stärker, wenn dir das Herz gebrochen wird?
Kay Shanghai: Für mich ist es wichtig, solche Gefühle zuzulassen und sie in Songs zu verarbeiten. Wenn Liebe nicht gut aufgehoben ist und man mit seinen Gefühlen alleine dasteht, ist das für mich ein guter Motor, um Musik zu machen. Manchmal ist das etwas komisch, weil mein Unterbewusstsein Inhalte hervorbringt, über die ich als Privatperson nicht reden kann.
MZEE.com: Hast du deshalb angefangen, Musik zu machen?
Kay Shanghai: "Haram" war das erste Demo, an dem wir gearbeitet haben. Auf dem Track geht es um Dinge, die bereits vor langer Zeit passiert sind. Meistens bemerke ich erst viel später, welchen Einfluss bestimmte Erlebnisse auf mich hatten. Das Unterbewusstsein ist eine ganz schlimme Bitch, aber ich kann es gut nutzen. (lacht)
MZEE.com: Meiner Meinung nach ist es bis heute in unserer Leistungsgesellschaft nicht so gerne gesehen, wenn man mal nicht wie gewohnt funktioniert. Wie wichtig ist es für dich, offen mit Schwächen umzugehen?
Kay Shanghai: In meinen Augen ergibt es nur Sinn, seine Schwächen offen zu zeigen. Ich bin zum Beispiel auf meinen Songs genau derselbe Typ, der ich auch privat bin. Meiner Meinung nach hätte es keinen Sinn, mich anders darzustellen.
MZEE.com: Als Clubbesitzer musst du dich in einer Branche mit viel Konkurrenz behaupten. Überwiegen bei dir die schönen oder die anstrengenden Momente, wenn du auf die vergangenen Jahre zurückblickst?
Kay Shanghai: Zu der Frage passt ein Zitat des Schriftstellers Marcel Proust. Er hat mal gesagt, dass man sich eher an die harte Zeit zurückerinnert und nicht an die Momente, in denen einem auf die Schulter geklopft wurde. So sehe ich es auch. Natürlich ist es schön, Leute zu treffen, die über bestimmte Clubnächte reden und durch die man das alles noch mal durchlebt. Unterm Strich ist dieser Job aber ein ganz schöner Struggle und ich erinnere mich lieber an schwierige Phasen zurück, die ich gemeistert habe.
MZEE.com: Die Clubkultur hat in Pandemiezeiten erheblich gelitten. Wie hast du die Zeit beruflich und privat erlebt?
Kay Shanghai: Für mich war die Pause tatsächlich extrem wichtig, weil ich wieder mehr zu mir selbst gefunden habe. Ich würde sogar sagen, dass sie eine reinigende Wirkung auf mich hatte. Ich bezweifle, dass mein Album ohne die Pandemie so geworden wäre, wie es ist. Durch die Platte zieht sich ein hedonistisches Lebensgefühl, das ich zu der Zeit auch ohne Partys empfunden habe.
MZEE.com: Als offen schwuler Rapper bist du ein Vorreiter in der Szene. Warum bist du der erste bekannte Rapper, der diesen Schritt gewagt hat?
Kay Shanghai: Ich glaube, dass es die Zeit gerade erfordert. Ich selbst habe mich nie als Queer-Aktivist verstanden, freue mich aber natürlich, wenn ich ein paar Kids helfen kann. Ich bin ein gestandener Mann und weiß, dass es bis zu diesem Punkt ein harter Weg war. Mein Herz geht an dieser Stelle raus an Trans-Kids, die von Beginn an nicht verstecken sollten, was sie sind. Außerdem würde es mich freuen, wenn bestimmte Menschen durch mich begreifen, dass ihr verschissener Lebensentwurf nicht auf alle anderen zutreffen muss.
MZEE.com: Wie waren die Reaktionen, die du aus der Rapszene bekommen hast?
Kay Shanghai: Die feiern das natürlich alle. Allgemein finde ich es schön, dass dadurch interessante Gespräche entstehen. Junge Mütter kommen zu mir und sagen, wie wichtig sie es finden, festgefahrene Rollenbilder zu brechen. Früher hat die Prinzessin auf den Prinzen gewartet, damit sie ihn heiraten kann. Heutzutage gibt es auch Märchenbücher, in denen der Prinz auf einen anderen Prinzen wartet. Es ist wichtig, Kinder so früh wie möglich aufzuklären, damit Grenzen und Mauern gar nicht erst entstehen. Meine Texte sind da nicht das beste Mittel, weil sie zum Teil schon recht sexualisiert sind. (lacht) Bei einigen meiner Shows war das etwas tricky, weil wir gemerkt haben, dass Kinder im Publikum sind. Ich habe gelernt, damit umzugehen, indem ich zum Beispiel vor meinem Song "Schwänze seit der Schulzeit" sage, dass es ums Schuleschwänzen geht. So haben die Eltern später noch die Möglichkeit, ihren Kindern alles zu erklären. (grinst)
MZEE.com: War die Art, wie du mit Sexualität auf deinem Album umgehst, von Anfang an so geplant?
Kay Shanghai: Nee, das ist einfach beim Schreiben passiert. Ich möchte in meinen Songs nicht vulgär sein und deshalb macht es Spaß, die ein oder andere Andeutung mit unterzubringen.
MZEE.com: In welcher Form hat Diskriminierung eine Rolle in deinem Leben gespielt?
Kay Shanghai: Während meiner Jugend musste ich aufgrund meiner Sexualität immer wieder mal einstecken. Wichtig ist, dass man sich von solchen Erfahrungen nicht unterkriegen lässt. Am Ende hat mich das alles nur härter gemacht und ich habe gelernt, damit umzugehen. Heutzutage bekomme ich immer noch manchmal blöde Sprüche zu hören, wenn ich mit meinem Freund über die Straße gehe. Jetzt lache ich darüber und gebe auch mal einen Spruch zurück. Ich glaube, dass dieser Struggle und diese Ablehnung eher im positiven Sinne etwas mit mir gemacht haben. Das Hotel Shanghai sollte zum Beispiel von Anfang an ein Gegenentwurf dazu sein. Am Ende klopfen dir diejenigen auf die Schulter, die dir damals noch auf die Schnauze gehauen haben.
MZEE.com: Auch die Rapszene ist bis heute nicht frei von Homophobie. Wie bewertest du die Entwicklung der letzten Jahre?
Kay Shanghai: Ich bekomme mit, dass die neue Generation an Rappern anders denkt. Ich frage mich allgemein, warum diese toxischen Männerbilder in der Musik noch sein müssen. Für mich sind das alles Höhlenrapper.
MZEE.com: Würdest du dir wünschen, dass sich noch mehr Artists entsprechend positionieren?
Kay Shanghai: Definitiv! Ich möchte, dass die Grenzen noch mehr verwischen, und ich glaube, dass wir auf einem guten Weg sind.
MZEE.com: Und wie macht man das deiner Meinung nach am besten?
Kay Shanghai: Man sollte auf keinen Fall missionarisch an die Sache herangehen – das mache ich selbst ja auch nicht. Einen erhobenen Zeigefinger finde ich eher schwierig, gute Punchlines sind die bessere Lösung.
(Moritz Friedenberg)
(Fotos von Fabien Holzer)